Kurzbeschreibung
Dieser Kupfertiefdruck von Anton von Werner zeigt die gleiche Szene
wie das gleichnamige Ölgemälde, die so genannte Schlossfassung (1877)
der Proklamation des Deutschen Reiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal
von Versailles. Das Ölgemälde hing im Berliner Stadtschloss und wurde
während des Zweiten Weltkriegs zerstört. Die „Schlossfassung“ des
Ölgemäldes wurde vom Großherzog von Baden zusammen mit anderen deutschen
Fürsten in Auftrag gegeben und Kaiser Wilhelm I. am 22. März 1877 als
Überraschungsgeschenk zu seinem 80sten Geburtstag überreicht. Die Szene
stellt eine ziemlich genaue Dokumentation des historischen Ereignisses
dar, das Werner vom Saalende aus beobachten musste (man beachte, dass er
sich selbst unten rechts in das Bild einfügte). In der Tat war
malerische Präzision für Werner eine Obsession: Zur Vorbereitung dieses
Gemäldes fertigte er nicht weniger als 128 Figurenstudien an, von denen
jede einzelne katalogisiert wurde, sodass die Betrachter bestimmte
Figuren in der Masse der Soldaten und Würdenträger identifizieren
konnten. In seiner Geradlinigkeit und fehlenden Dramatik entspricht das
Bild Werners eigener Erinnerung von der Proklamierung als einer kurzen,
langweiligen Angelegenheit, zu der er mitten im Winter kurzfristig
einbestellt worden war. Möglicherweise lässt sich das geringste
Anzeichen von Begeisterung in der Entscheidung erkennen, die jungen
Offiziere genau in dem Moment darzustellen, als sie ihre Helme
hochrissen, um den neu ausgerufenen Kaiser hochleben zu lassen. Im
Übrigen ließ Werner die dicht gedrängten Armeeregimenter – die beim
Defilieren durch den “Salon de la Paix” des Schlosses zu sehen sind –,
die Figuren Otto von Bismarcks und Helmuth von Moltkes (des preußischen
Generalstabschefs) in den Schatten zu stellen. Bemerkenswert ist
außerdem, dass – im Einklang mit den gemäßigt liberalen Vorlieben des
Kronprinzen und des Großherzogs von Baden, die bei der Auftragserteilung
an Werner die Initiative ergriffen hatten – diese Fassung die
„nationalen“ und „liberalen“ Aspekte des Ereignisses ausbalanciert und
die vom Veranstaltungsort reichlich gebotenen Möglichkeiten für den
Ausdruck eines deutschen Chauvinismus herunterspielt (selbst wenn das
Publikum 1877 bemerkt hätte, dass die Siege Ludwigs XIV auf
Wandmalereien an der Decke abgebildet sind). In dieser Version erscheint
Wilhelm zum ersten und letzten Mal als Primus inter Pares mit den
übrigen deutschen Fürsten, und Werner achtete peinlich darauf, die
Details der verschiedenen Militäruniformen der deutschen Bundesstaaten
festzuhalten.