Quelle
I. Feld und Wald
Will sich der Politiker den innigen Zusammenhang zwischen Land und Leuten verdeutschen, so kann er gleich von der äußerlichsten Ueberschau des Landes ausgehn. Er sieht da Berg und Thal, Feld und Wald, so bekannte Gegensätze, daß man sie fast überhaupt nicht mehr sieht; und doch bedingen dieselben manch feinen, geheimen Zug des Volkslebens. An dem Faden von Berg und Thal und Feld und Wald könnte ein geschickter Schulmeister ein ganzes System der Volkskunde aufreihen. Ich begnüge mich, zu weiterem Nachsinnen anzuregen durch einige Gedanken über Feld und Wald, die zahme und die wilde Cultur unsers Bodens.
In Deutschland besteht dieser Gegensatz noch in seiner ganzen Breite, wir haben noch einen wirklichen Wald; England dagegen hat so gut wie keinen wirklichen freien Wald mehr, keinen Wald, der sociale Bedeutung hätte: dadurch sind eine Menge der schärfsten Unterschiede deutschen und englischen Volksthumes von vornherein mit Nothwendigkeit vorgezeichnet.
Bei jeder entscheidenden Volksbewegung in Deutschland wird sogleich dem Walde der Prozeß gemacht. Ein großer Theil der Bauern lebt in steter geheimer Fehde mit den Herren des Waldes und ihren Gerechtsamen: zündet ein Revolutionsfunke, dann entbrennt bei diesen Leuten vor allem „der Krieg um den Wald.“ Das aufständische ländliche Proletariat kann keine Barricaden bauen, keine Königsschlosser niederreißen; aber es verwüstet statt dessen den herrschaftlichen Wald, denn dieser Wald ist in seinen Augen das Zwing-Uri der großen Herren neben dem schutzlosen Aeckerchen des kleinen Landmannes. Siegt dann die Staatsgewalt wieder über die empörten Massen, so hat sie allemal nichts eiligeres zu thun, als den Prozeß, welchen man dem Wald gemacht, wieder aufzuheben, die Schutzbriefe des Waldes, welche man zerrissen, wieder in Kraft zu setzen. Dieses Schauspiel wiederholt sich, je nach dem Geiste der Zeit abgestuft, in allen Jahrhunderten unserer Geschichte, und es wird auch wohl noch Jahrhunderte lang in immer neuen Formen wiederkehren.
Die Erhaltung, die erneut verbriefte Schutz des Waldes ist gegenwärtig wieder eine Tagesfrage, und in den deutschen Kammern sind in den letzten Jahren gewichtige Worte zu Gunsten des Waldes vom Standpunkte des Volkswirthes gesprochen worden. Es wird jetzt wieder populär, dem armen geschundenen Walde das Wort zu reden. Der Wald hat aber nicht bloß einen wirtschaftlichen, sondern auch einen social-politischen Werth. Wer aus politischem Freisinn den Unterschied zwischen Stadt und Land leugnet, der sollte auch, nach englischem Muster, den Unterschied zwischen Feld und Wald wegzubringen suchen. Wo ein Gemeinbesitz des Waldes neben einem Privatbesitz des Feldes fortbesteht, da wird es in alle Ewigkeit keine rechte sociale Gleichheit im Volke geben. Der Wald zeichnet die Aristokratie in dem Bilde der Bodencultur; das Feld das Bürgerthum.
Die Zugeständnisse, welche von den Regierungen in Sachen der Waldrodung, der Wildhegung, der freigegebenen Waldnutzungen ec. gemacht werden, bilden einen ziemlich genauen Gradmesser für das siegreiche Vordringen aristokratischen oder demokratischen Geistes. Im Jahr 1848 ward gar manches mächtige Stück Wald geopfert, um ein kleines Stückchen Popularität damit einzukaufen. Jede Revolution thut dem Wald weh; sie wird dagegen das Feld unberührt lassen, wofern sie sich nicht selber erwürgen will.
Nach dem 2. December 1851 begünstigte man im Elsaß wieder das Streulaubsammeln in den Wäldern, um den Staatsstreich populär zu machen. Das war klug ausgedacht; denn der nimmer ruhende Krieg um den Wald kann der Regierung ein mächtiger Hebel des Einflusses auf eine Volksschicht werden, die im allgemeinen gar schwer herumzukriegen ist. Das Zugeständniß des Streulaubes und des allgemeinen Stimmrechts ist ein und derselbe Akt bonapartistischer Staatsklugheit, nur auf verschiedene Volksklassen zielend. Es ist die sociale Politik, die selbst hinter den Waldbäumen und unter dem rothen raschelnden Laub des letzten Herbstes lauert. Seltsamer Ring von Ursachen und Wirkungen! Der unmäßige Anbau der Kartoffel hilft nicht wenig dazu, dem modernen Staate das Proletariat auf den Hals zu schaffen; aber dieser selbe Kartoffelbau, der dem kleinen Bauern das Stroh entzieht, treibt ihn in den Wald, damit er dort die verwelkten Blätter als Streu für sein Vieh suche, und gibt so wieder der Staatsgewalt ein Mittel an die Hand, auf Grund der wunderlichen historischen Ruine unserer Waldeigenthumsgerechtsame, einen mächtigen Theil des Proletariats zu zügeln!
Der Wald gilt in der deutschen Volksmeinung für das einzige große Besitzthum, welches noch nicht vollkommen ausgetheilt ist. Im Gegensatz zu Acker, Wiese und Garten hat Jeder ein gewisses Recht auf den Wald, und bestünde es auch nur darin, daß er nach Belieben in demselben herumlaufen kann. In dem Rechte oder der Vergunst des Holzlesens und Laubsammelns, der Viehhut, in der Vertheilung des sogenannten Loosholzes aus Gemeindewäldern u. dgl. liegt ein nahezu communistisches Herkommen geschichtlich begründet. Wo hat sich dergleichen sonst noch erhalten außer beim Wald? Das ist die Wurzel ächt deutscher socialer Zustände. In der That, der Wald ist bei uns noch nicht vollständig ausgetheilt. Darum greift jeder politische Wühler, der dem Volke vorerst ein kleines Stück „Wohlstand“ als das Handgeld auf den verheißenen Allerwelts-Wohlstand auszahlen möchte, flugs zum Walde. Am Wald und an nichts anderem könnt ihr dem deutschen Bauern den Communismus handgreiflich predigen.
Es ist allbekannt, daß der Gedanke des Privatwaldbesitzes bei den deutschen Völkern erst spät und allmählig aufkam.
Wald, Weide, Wasser sind nach einem uralten deutschen Rechtsgrundsatze gemeine Nutzungen aller Markgenossen. Der Spruch von Wald, Weide und Wasser ist noch nicht ganz vergessen beim Volke. So bestätigt uns eine schwach dämmernde Erinnerung, eine halbverklungene Sage, welche das gemeinsame Anrecht auf allerlei Waldnutzen wie einen von Anfang der Tage her in Kraft stehenden naturrechtlichen Grundsatz betrachtet, die Ergebnisse des historischen Forschens, demzufolge die Idee der Gütergemeinschaft des Waldes eine ächt altgermanische war. Auf diesem Wege könnten wir dann aber auch wieder zu dem weiteren Resultat kommen, daß die Gütergemeinschaft nur ein einzigesmal folgerecht verwirklicht worden sey, nämlich – am und im Urwalde.
In aufgeregten Tagen hat man wunderschöne Rechenexempel auf's Papier gebracht über das Zerschlagen des Waldbodens zu kleinen Ackerstücken für die Armuth. Das Papier ist geduldig, und es liest sich so idyllisch, so behaglich, wenn uns vorgerechnet wird, wie man aus dem karg ertragenden Waldboden Hunderte von allerliebsten kleinen Landgütchen herausschneiden könne, auf welchen die Proletarier zu einem zufriedenen urväterlichen Farmerleben sich niederlassen würden. Es sind auch praktische Versuche in diesem Sinne nicht ausgeblieben. Aber statt das Proletariat zu vermindern, zog man es durch solche Vermehrung der bäuerlichen Kleinwirthschaft erst recht herbei. Probirt geht über studirt. Die Leute hätten Gott danken sollen, daß der Wald fast allein noch nicht klein geschlagen ist; nun zerschlugen sie gar den Wald, um dem kleinen Bauern unter die Arme zu greifen! Der arme Bauer müßte ja in vielen Gegenden Deutschlands verhungern, wenn die herkömmlichen Waldnutzungen nicht eine feste Leibrente für ihn wären. Durch den Wald wird die Kleingüterei in hundert Fällen erst gediegen; zerstört man dann den Wald, um die kleinen Güter zu vermehren, so unterwühlt man festgewurzelte Existenzen, um neue daneben in den Sand zu pflanzen.
Daß in Deutschland der Gegensatz von Wald und Feld noch so allgemein feststehet, daß wir noch eine ganze Gruppe förmlicher Waldländer haben, ist ein großer Trost für den Social-Politiker. Ein Volk, welches noch den offenen, gemeinheitlichen Wald neben dem im Privatbesitz abgeschlossenen Felde festhält, hat nicht bloß eine Gegenwart, sondern auch eine Zukunft. So ist in Rußlands undurchdringlichen Wäldern, deren inneres Dickicht nach den Worten des Dichters Mickiewicz ein so tiefes Geheimniß ist, daß es das Auge des Jägers so wenig kennt, wie des Fischers Auge die Meerestiefe, die Zukunft des großen Slavenreiches verbürgt, während uns aus den englischen und französischen Provinzen, die gar keinen ächten Wald mehr haben, ein schon halbwegs ausgelebtes Volksthum entgegenschaut.
Die nordamerikanischen Freistaaten mit ihrer vom rohen Materialismus zersetzten Gesellschaft, mit ihrem wunderlichen Gemisch eines jugendlichen und eines erstarrten Volkslebens würden rasch ihrem Untergange entgegeneilen, wenn sie im Hintergrunde nicht den Urwald hätten, der ein frischeres, kräftigeres Geschlecht für das rasch sich auslebende Küstenland großzieht. Die Wildniß ist das große ruhende Baarkapital, auf dessen Grundlage die Nordamerikaner noch lange die kecksten socialen und politischen Börsenspiele wagen können. Aber wehe ihnen, wenn sie dieses Stammkapital selber aufzehren würden!
Der deutsche Wald mit seinen Gerechtsamen und Servituten ist ein letztes überlebendes Stück Mittelalter. Nirgends liegen die Trümmer des feudalen Elementes noch offener zu Tage, als in den Forstordnungen: der Wald allein sichert dem Landvolke – ächt mittelalterlich – eine von der Hetzjagd der Concurrenz und der Kleinwirthschaft unberührte Beisteuer zu seinem Bestand. Darum verkehren die Demagogen den Krieg „um“ den Wald so gerne in einen Krieg „gegen“ den Wald: sie wissen, daß man zuerst den Wald niederhauen muß, wenn man mit dem Mittelalter in Deutschland aufräumen will. Und also kommt der Wald bei jeder Volksbewegung am schlimmsten weg. Denn wenn man in unserem raschen Jahrhundert durchschnittlich einen fünfzehnjährigen Zwischenraum von einer Revolution zur andern gelten lassen will, so braucht ein ordentlicher Waldbaum viel längere Zeit, um auszuwachsen; wenigstens wird der unermeßliche Verlust, den das Jahr 1848 durch Verschleuderung, Plünderung und muthwilligen Ruin von Waldeigenthum gebracht hat, bis zu dieser Frist auf natürlichem Wege gewiß noch nicht wieder ausgeglichen seyn.
In Anhalt-Dessau wurde im Jahr 1852 durch eine Verordnung dahin entschieden, daß alle Eichen, die auf Privatgrund stehen, dem alten Herkommen gemäß, landesherrliches Eigenthum bleiben. Der Gegensatz von Feld und Wald ist dadurch als ein ganz ideeller gefaßt; auch der vereinzelte Waldbaum ist für sich noch Wald und hat Waldrecht, wie in entwaldeten Gegenden die Bauern einen vereinzelt stehen gebliebenen Waldbaum häufig noch mit dem Titel ihres „Gemeindewaldes“ auszeichnen.
Die Männer der Staatswirthschaft führen den Beweis, daß unser gegenwärtiger Waldbestand zur Befriedigung des Holzbedarfs keineswegs zu groß, eher zu gering ist. Die grundsätzlichen, die politischen Feinde des Waldes aber zählen uns die alljährlich sich mehrenden Ersatzstoffe des Holzes vor und deuten siegesgewiß auf die nicht mehr ferne Zeit, wo man gar keine Wälder mehr brauchen wird, wo man alles Waldland in Ackerland verwandeln kann, damit jede Scholle in dem civilisirten Europa auch einen Menschen ernähre. Dieser Gedanke, jeden Fleck Erde von Menschenhänden umgewühlt zu sehen, hat für die Phantasie jedes natürlichen Menschen etwas grauenhaft unheimliches: ganz besonders ist er aber dem deutschen Geiste zuwider. Es wäre alsdann Zeit, daß der jüngste Tag anbräche. Emanuel Geibel hat dieses natürliche Grauen vor dem äußersten Maß der jegliche wilde Natur aufsaugenden Cultur in seinem Gedichte „Mythus“ versinnbildet. Er schafft sich eine Sage von dem zum Knechtesdienst gefesselten Dämon des Dampfes. Erst dann wird dieser seine Bande sprengen und mit seiner im Kern der Erde schlummernden titanischen Urkraft die Erde selber zertrümmern, wenn einmal der ganze Ball überzogen seyn wird mit dem Zaubernetze der Eisenbahnen. Bis dahin werden auch alle Wälder in Ackerland umgewandelt seyn.
Es ist eine matte Schutzwehr, welche die Fürsprecher des Waldes ergreifen, wofern sie lediglich aus ökonomischen Gründen die Erhaltung des gegenwärtigen mäßigen Waldumfanges fordern. Die social-politischen Gründe wiegen mindestens eben so schwer. Haut den Wald nieder und ihr zertrümmert die historische bürgerliche Gesellschaft. In der Vernichtung des Gegensatzes von Feld und Wald nehmt ihr dem deutschen Volksthum ein Lebenselement. Der Mensch lebt nicht vom Brode allein. Auch wenn wir keines Holzes mehr bedürften, würden wir doch noch den Wald brauchen. Das deutsche Volk bedarf des Waldes, wie der Mensch des Weines bedarf, obgleich es zur Nothdurft vollkommen genügen mag, wenn sich lediglich der Apotheker eine Viertelohm in den Keller legte. Brauchen wir das dürre Holz nicht mehr, um unsern äußeren Menschen zu erwärmen, dann wird dem Geschlecht das grüne, in Saft und Trieb stehende, zur Erwärmung seines inwendigen Menschen um so nöthiger seyn.
In unsern Walddörfern – und wer die deutschen Gebirge durchwandert hat, der weiß, daß es noch viele ächte Walddörfer im deutschen Vaterlande gibt – sind unserm Volksleben noch die Reste uranfänglicher Gesittung bewahrt, nicht bloß in ihrer Schattenseite, sondern auch in ihrem naturfrischen Glanze. Nicht bloß das Waldland, auch die Sanddünen, Moore, Heiden, die Felsen- und Gletscherstriche, alle Wildniß und Wüstenei ist eine nothwendige Ergänzung zu dem cultivirten Feldland. Freuen wir uns, daß es noch so manche Wildniß in Deutschland gibt. Es gehört zur Kraftentfaltung eines Volkes, daß es die verschiedenartigsten Entwickelungen gleichzeitig umfasse. Ein durchweg in Bildung abgeschliffenes, in Wohlstand gesättigtes Volk ist ein todtes Volk, dem nichts übrig bleibt, als daß es sich mit sammt seinen Herrlichkeiten selber verbrenne wie Sardanapal. Der ausstudirte Städter, der feiste Bauer des reichen Getreidelandes, das mögen Männer der Gegenwart seyn, aber der armselige Moorbauer, der rauhe, zähe Waldbauer, der einsame, selbstgewisse, sagen- und liederreiche Alpenhirt, das sind die Männer der Zukunft. Die Lehre von der bürgerlichen Gesellschaft ist die Lehre von der natürlichen Ungleichheit der Menschen. Ja, in dieser Ungleichheit der Gaben und Berufe wurzelt die höchste Glorie der Gesellschaft, denn sie ist der Quell ihrer unerschöpflichen Lebensfülle. Wie die See das Küstenvolk in einer rohen Ursprünglichkeit frisch erhält, so wirkt gleiches der Wald bei den Binnenvölkern. Weil Deutschland so viel Binnenland hat, darum braucht es so viel mehr Wald als England. Die ächten Walddörfler, die Förster, Holzhauer und Waldarbeiter sind der kräftige, derbe Seemannsschlag unter uns Landratten. Rottet den Wald aus, ebnet die Berge und sperrt die See ab, wenn ihr die Gesellschaft in gleichgeschliffener, gleichgefärbter Stubencultur ausebnen wollt! Wir sehen, wie ganze gesegnete Länder, denen man den schützenden Wald geraubt, den verheerenden Fluthen der Gebirgswasser, dem ausdörrenden Odem der Stürme verfallen sind, und ein großer Theil Italiens, des Paradieses von Europa, ist ein ausgelebtes Land, weil sein Boden keine Wälder mehr trägt, unter deren Schutz es sich wieder verjüngen könnte. Aber nicht bloß das Land ist ausgelebt, auch das Volk. Ein Volk muß absterben, wenn es nicht mehr zurückgreifen kann zu den Hintersassen in den Wäldern, um sich bei ihnen neue Kraft des natürlichen, rohen Volksthumes zu holen. Eine Nation ohne beträchtlichen Waldbesitz ist gleich zu achten einer Nation ohne gehörige Meeresküste. Wir müssen den Wald erhalten, nicht bloß damit uns der Ofen im Winter nicht kalt werde, sondern auch damit die Pulse des Volkslebens warm und fröhlich weiter schlagen, damit Deutschland deutsch bleibe.
Die Bewohner der deutschen Walddörfer haben fast durchweg ein ungleich eigeneres, frischeres geistiges Gepräge als in den reinen Felddörfern. Hier steht meist mehr feister Wohlstand grell neben größerer Entartung der Sitten als dort. Die Walddörfer sind oft sehr arm, aber der mißvergnügte Proletarier haust viel öfter in den reinen Felddörfern. Die letzteren sind volkswirthschaftlich, die ersteren social-politisch von größerer Wichtigkeit. Der Waldbauer ist roher, händelsüchtiger, aber auch lustiger als der Feldbauer; es wird oft da ein genialer Lump aus ihm, wo aus dem schwerfälligen Feldbauer ein herzloser Geizhals geworden wäre. Die Erhaltung oder Vertilgung der alten Volkssitten und Trachten folgt nicht so sehr dem Gegensatze von Bergland und Flachland, als von Waldland und Feldland; wofern man unter jenes auch die Heiden, Moore und andere wüste Gegenden einbegreift. Das Waldland ist der Heerd der volksthümlichen Kunst; der Waldbauer singt mit den Vögeln des Waldes noch durch lange Geschlechter seinen eigenen Sang, wenn dem benachbarten Felddörfler das Volkslied schon weitab verklungen ist. Ein Dorf ohne Wald ist wie eine Stadt ohne historische Bauwerke, ohne Denkmäler, ohne Kunstsammlungen, ohne Theater und Musik, kurz ohne gemüthliche und künstlerische Anregung. Der Wald ist der Turnplatz der Jugend, oft auch die Festhalle der Alten. Wiegt das nicht mindestens ebenso schwer als die ökonomische Holzfrage? In dem Gegensatze von Feldland und Waldland tritt die einfachste und natürlichste Vorstufe der deutschen socialen Vielgestaltung und Vielfarbigkeit zu Tage, jener Fülle der eigensten Volkscharaktere, darin die zähe Verjüngungskraft unserer Nation geborgen liegt.
Die Zopfzeit hatte kein Auge für den Wald, sie hatte entsprechend auch kein Verständniß für das Naturleben im Volke. Sie versetzte die fürstlichen Lustschlösser überall in deutschen Gauen aus den waldigen Bergen hinaus in das entwaldete Flachland. Die Kunst der Zopfzeit war aber auch eine fast durchaus undeutsche. Den Künstlern des Zopfes war der Wald zu unordentlich in der Anlage, zu buckelig in den Formen, zu dunkel in der Farbe. Als ein flaches Beiwerk der Landschaft wird er in den Hintergrund geschoben, während die Landschaftsmaler der vorhergegangenen großen Kunstperiode ihre Waldbilder so recht aus der Tiefe der Waldeinsamkeit heraus gemalt haben. Kein Künstler romanischen Stammes hat den Wald gemalt wie Ruisdael und Everdingen; sie setzen sich in ihren besten Bildern geradezu mitten in's Dickicht hinein. Poussin und Claude Lorrain haben großartige Studien am Wald gemacht, Ruisdael aber kann den Wald von Kindesbeinen an auswendig wie das Vaterunser.
Die französisirte Hagedorn-Gleim'sche Lyrik singt Waldlieder, als ob sie auf's Hörensagen hin sich nach dem Wald sehne. Da kommt mit dem wiedererstandenen Volkslied und dem wiedererweckten Shakespeare, der des Waldes Herrlichkeit tiefer als Alle poetisch ausgekundet hat, die englische Gartenkunst, die Nachbildnerin der freieren Waldnatur, nach Deutschland; gleichzeitig schlägt Goethe den ächten Waldton in deutscher Dichtung wieder an, den er dem Volksliede abgelernt, und von dem Augenblick, wo den Poeten der Wald nicht mehr zu unordentlich erschienen ist, erscheint ihnen auch das derbkräftige Volksthum nicht mehr zu unsauber und struppig zur künstlerischen Gestaltung. Der herrliche neueste Wiederaufschwung der Landschaftsmalerei knüpft sich auf's engste an die erneute Vertiefung der Künstler in das Waldstudium. So musicirten auch zur Zeit, da Goethe seine besten Lieder dichtete, Mozart und Haydn, gleichfalls offenen Herzens für das Volkslied, als ob sie's „den Vögeln abgelauscht,“ nämlich den Vögeln im Walde, nicht wie eine neueste Zweigschule romantischer Miniaturpoeten den Vögeln, die in vergoldeten Käfigen im Salon ihr krankes Lied schlagen.
Der Wald allein läßt uns Kulturmenschen noch den Traum einer von der Polizeiaufsicht unberührten persönlichen Freiheit genießen. Man kann da doch wenigstens noch in die Kreuz und Quere gehen nach eigenem Gelüsten, ohne an die patentirte allgemeine Heerstraße gebunden zu seyn. Ja ein gesetzter Mann kann da selbst noch laufen, springen, klettern nach Herzenslust, ohne daß ihn die altkluge Tante Decenz für einen Narren hält. Diese Trümmer germanischer Waldfreiheit sind in Deutschland fast überall glücklich gerettet worden. Politisch freiere Nachbarländer, wo die widerwärtigen Zäune der fessellosen Wanderlust gar bald ein Ende machen, kennen sie nicht mehr. Was hilft dem nordamerikanischen Großstädter seine Polizeilosigkeit in den Straßen, wenn er nicht einmal im Wald der nächsten Umgegend frei umherlaufen kann, da ihn dort die gräulichen Fenze despotischer als ein ganzes Regiment Polizeidiener überall auf den geweisten Weg bannen? Was helfen den Engländern ihre freien Gesetze, da sie nur gefesselte Parke, da sie kaum noch einen freien Wald haben? Der Zwang der Sitte ist in England und Nordamerika einem deutschen Manne unerträglich. Da die Engländer nicht einmal mehr den freien Wald zu schätzen wissen, so ist es kein Wunder, daß sie fordern, man solle zu dem Eintrittsgeld, welches man für Theater- und Concertbesuch bezahlt, auch noch einen schwarzen Frack und eine weiße Halsbinde mitbringen. Deutschland hat eine größere Zukunft der socialen Freiheit als England, denn es hat sich den freien Wald gerettet. Den Wald ausrotten könnte man vielleicht in Deutschland, aber ihn sperren, das würde eine Revolution hervorrufen. Aus dieser deutschen Waldfreiheit, die so fremdartig aus unsern übrigen modernen Zuständen hervorlugt, strömt tieferer Einfluß auf Sitte und Charakter aller Volksschichten als mancher Stubensitzer sich träumen läßt. Unserm großstädtischen Leben merkt man es andererseits freilich auch in tausend Zügen an, wie weit sich der ächte Wald von diesen Städten zurückgezogen hat, wie entfremdet ihre Insassen dem Wald geworden sind.
Den freien Wald und das freie Meer hat die Poesie mit tiefsinnigem Wort auch den heiligen Wald und das heilige Meer genannt, und nirgends wirkt darum diese Heiligkeit der unberührten Natur ergreifender, als wo der Wald unmittelbar dem Meere entsteigt. Wo der Wogenschlag des brandenden Meeres mit den rauschenden Wipfeln der Bäume zu einem Hymnus zusammenbraust, aber auch in dem lautlosen, mittägigen Schweigen des deutschen Gebirgswaldes, wo der Wanderer, meilenweit von jeder menschlichen Niederlassung entfernt, nur den Schlag des eigenen Herzens in der Kirchenstille der Wildniß hört, da ist der rechte heilige Wald. Doch selbst für den freien, heiligen Wald gibt es in Deutschland Prachtstücke polizeilichen Humors. Wenn man auf der Insel Rügen in den von den Norddeutschen als eine Art Urwald gepriesenen uralten Buchenforst der Granitz tritt, so leuchtet dem Wanderer an einem mächtigen Baumstamm eine Tafel entgegen mit der Inschrift: daß man in diesem Wald nur umhergehen dürfe in Begleitung eines fürstlich Putbusischen Forstaufsehers zu 5 Sgr. die Stunde. Die Schauer eines Urwaldes in forstpolizeilicher Begleitung zu 5 Sgr. die Stunde genießen, das kann doch nur ein geborener Berliner. Es ist eine seltsame Begriffsverwirrung, wenn viele die Waldrodungen in dem Deutschland des 19. Jahrhunderts noch wie ein Urbarmachen des Bodens, wie einen Akt der inneren Colonisation ansehen, durch den das gerodete Stück überhaupt erst der Cultur gewonnen würde! Der Wald ist für uns nicht mehr die Wildniß, aus der wir in's geklärte Land hinausstreben sollen, sondern eine wahrhaft großartige Schutzhege unserer eigensten volksthümlichen Gesittung. Darum nannte ich ihn die wilde Cultur des Bodens im Gegensatz zu dem zahmen Feldbau. Den Waldboden roden, heißt bei uns nicht mehr ihn urbar machen, sondern nur eine Form des Anbaues mit einer andern vertauschen. Wer den Werth einer Bodencultur nur nach den Procenten ihres Reinertrags schätzt, der wird freilich Waldflächen roden wollen, um sie „urbar“ zu machen. Wir schätzen aber die verschiedenen Formen der Bodencultur nicht bloß nach ihrem Geldwerth, sondern auch nach ihrem ideellen Gehalte. Der vielgestaltige Landesanbau ist eine der tiefsten Wurzeln unseres Reichthums an individuellen socialen Gebilden, und damit der Lebensfülle unserer Gesellschaft selber.
Der Wald stellt ein aristokratisches Element in der Bodencultur dar. Er gilt mehr durch das, was er vorstellt, als durch das, was er schafft und einträgt. Nur der Reiche kann Waldwirtschaft treiben, ja oft ist nicht einmal der Reichste reich genug dazu, und der Staat, als der Inbegriff des Landesreichthums, ist darum mit Recht der erste und größte Waldbesitzer. Waldbau bloß für das lebende Geschlecht treiben, ist eine armselige Heckenwirthschaft; die großen Bäume erzieht man für kommende Geschlechter. Darum ist der Wald in erster Linie Gegenstand der Volkswirtschaft und erst dann der Privatwirtschaft. In dem Wald wird für das Ganze gesorgt; er soll über alles Land möglichst gleichmäßig vertheilt seyn, denn seine Schätze widerstreben der Beweglichkeit des Verkehrs. Das sind Gedanken, die einen ächten Waldwirth stolz machen können auf seinen eigenartigen Wald.
Für die Gegner der Erhaltung eines großen geschlossenen Grundbesitzes wird der Wald allezeit der ärgste Stein des Anstoßes seyn, denn mit dem Walde wird sich niemals eine auch nur scheinbar ausgiebige Kleinwirthschaft durchführen lassen. Beim Feldbau läßt sich über die Vortheile der Kleingüterei streiten, wer aber das armselige eines in's Kleine getriebenen Waldbaues nicht sehen will, der muß sich die Hände vor beide Augen halten. In dem Maße als der Waldbau in's Kleine gearbeitet, d. h. als er ausschließlich darauf hin angelegt wird, aus möglichst geringem Kapital in möglichst kurzer Frist die größtmögliche Rente herauszuschlagen, verliert der Wald sein geschichtliches Gepräge, seinen Cultur-Einfluß auf die sociale und ästhetische Erziehung des Volks und die Charakterunterschiede der Gesellschaft.
Deutschland sondert sich nicht in der Weise in Feld- und Waldland, daß etwa ein Theil fast ausschließlich der Waldcultur, der andere dem Feldbau gewidmet wäre. Der Gegensatz von Feld und Wald besteht vielmehr überall, er durchkreuzt die natürlichen Scheidungen von Berg- und Flachland und besondert solchergestalt den Boden des gesammten deutschen Reiches in einer Weise, wie sich dessen kein anderes Land Europa's rühmen kann. Dazu stellt sich Feldbau und Waldwirtschaft an sich wieder in allen möglichen berechtigten Formen dar. Die ganze Stufenleiter von der Spatencultur bis zu den größten geschlossenen Gütern ist auf deutschem Boden in den buntesten Exempeln durchgeführt und in den Formen der Waldwirtschaft sind wir noch weit zerspaltener als in unserer politischen Wirthschaft. In dieser beispiellosen Vielgestalt des Bodenbaues ist nicht nur die wunderbar reiche Gliederung unserer Gesellschaftszustände vorgebildet, sondern auch der eigenthümlichen Biegsamkeit, Vielseitigkeit und Empfänglichkeit deutscher Geistescultur und Gesittung die natürlichste Wurzel gegeben.
Deutschland hat durch die in neuerer Zeit aus Gründen der Noth oder kurzblickender Finanzweisheit immer weiter getriebene künstliche Umwandlung des stolzen Laubholzhochwaldes in kurzlebige Nadelwälder mindestens ebensoviel von seinem eigenthümlichen Waldcharakter verloren als durch die völlige Rodung ungeheurer Waldflächen. In den alten Forstordnungen wird auf den Schutz der Eichen mit Recht ein besonderes Gewicht gelegt. Selbst der deutsche Reichstag beschäftigte sich in diesem Sinn bereits im 16. Jahrhundert mit der „Holzsparkunst.“ Die wenigen Waldculturarten, welche einigermaßen eine Zerstückelung zulassen, wie etwa die örtlich vorkommende Haubergswirthschaft, wo auf demselben Land im Wechsel Waldbau und Ackerbau getrieben wird, oder die im Geldpunkte so rasch ergiebige Eichenschälwirthschaft, diese wenigen, der Zerstückelung günstigen Wirthschaftsarten heben an sich schon den Begriff des Waldes in unserm Sinne auf. Ein Eichenschälwald, der, sowie er einigermaßen kräftig in's Holz treibt, auch dem Wanderer alsbald nur dünne abgeschälte Stämmchen mit verdorrten Laubresten entgegenstreckt, unterbrochen von dem dazwischenwuchernden kümmerlichen Raumholz von Haselhecken und Hainbuchen, ein Hauberg, in welchem Feld- und Waldcultur vollständig durcheinander geworfen wird, ist eigentlich gar kein rechter Wald mehr. Das werthvollste, anderswie durchaus noch nicht zu ersetzende Werkholz der wuchtigen Eichen- und Buchenstämme, dieser eigenste Schatz des Waldes, kann nur da erzielt werden, wo eine reiche Körperschaft, die hundert Jahre lang auf Zinsen warten kann, den Waldbau betreibt.
Die alte Zeit hatte einen richtigen Blick für diesen aristokratischen Charakter des Waldes, indem sie denselben zum bevorrechteten Tummelplatz fürstlicher Lust erkor und das Waidwerk adelte, obgleich es beim Licht einer philosophischen Studirlampe besehen, doch eigentlich gar so etwas nobles nicht ist, wenn sich ein im glättesten Schliff der Sitte glänzender Hof zeitweilig in die Barbarei des Urwaldes zurückzieht und im getreuesten Nachbild des rohen Jägerlebens gleichsam die Uranfänge der Civilisation von vorn wieder durchbuchstabirt. Um keinen Titel wurde von deutschen Reichsfürsten erbitterter gestritten, als um den eines „Reichsoberjägermeisters.“ Die centralisirende Gewalt des Königthums erprobte sich auf fränkisch-deutschem Boden am ersten und entschiedensten in der Errichtung von Bannforsten. Des Königs Wald stand von da an unter einem höheren und wirksameren Schutze als unter dem des gemeinen Rechtes. Ein schlagenderes aristokratisches Vorrecht als das der Bannforsten ist gar nicht denkbar, und doch hat es Deutschland diesem Einzelvorrechte zu danken, daß es noch so grün bei uns aussieht, daß unsere Berge nicht entwaldet sind wie die italienischen, daß Land und Volk nicht ausgelebt und ausgetrocknet ist, daß noch so herrlich große Waldstrecken als geschlossenes Ganze später in die Hände des Staates übergehen konnten.
Aber an diese aristokratische Waldlust knüpfte sich auch die mittelalterliche Waldtyrannei. Die Waldbäume und das Wild wurden schonender behandelt, als die Saatfelder und die Bauern. Wollte ein grausamer Herr den Bauer recht empfindlich züchtigen, dann schickte er ihm das Wild über den Hals, und die Jagd, welche das Wild erlegen sollte, zertrat noch, was dieses nicht gefressen hatte. Der Krieg um den Wald drängte dem Bauersmann recht heiß die Frage auf, ob sich denn die alten Vorrechte der Aristokratie auch wirklich vor Gott und Menschen rechtfertigen ließen? Von G. A. Bürger besitzen wir ein Gedicht, welches das nackte Recht der Arbeit dem historischen Standesrecht in so schneidender Weise entgegensetzt, daß man es, wenn es heute erschiene, ohne Zweifel als ein communstisches beschlagnahmen würde. Diese alte Probe moderner social-demokratischer Poesie greift aber für jene Zeit ganz charakteristisch ihr Thema aus dem „Krieg um den Wald;“ sie führt den Titel: „Der Bauer an seinen durchlauchtigsten Tyrannen.“ Weil der fürstliche Jäger den Bauer unter dem Hurrah der Jagd durch das zerstampfte Saatfeld getrieben, darum kommt der Bauer in dem Gedicht mit einemmal zu der gefährlichen Frage: „Wer bist du, Fürst?“
Die furchtbaren Strafen, mit welchen im Mittelalter Forstfrevler und Wilddiebe bedroht waren, erklären sich nur als der Ausfluß der Erbitterung zweier um den Wald kriegführenden Parteien. In diesem Kriege war das Standrecht erklärt. Der Wilddieb fühlte sich in seinem Rechte wie der Pirat, beide wollen keine gemeinen Diebe seyn. Ich stellte oben den Wald mit dem Meere zusammen: die frühere barbarische Bestrafung der Piraten läuft gleichfalls parallel der grausamen Züchtigung der Waldfrevler. Der letztere glaubt noch immer häufig genug, daß er nur ein durch Gewalt ihm entrücktes Eigenthumsrecht mit List und Gewalt sich wieder hole. Es gibt ganze Dörfer, ganze Landstriche in Deutschland, wo die Sitte heute noch Wilddieberei und Holzfrevel scharf unterscheidet von gemeinen, beschimpfenden Verbrechen. Einen Hasen in der Schlinge zu fangen, ist für diese Bauern so wenig etwas Entehrendes, als für einen Studenten den Nachtwächter zu prügeln. Darin steckt der uralte Hintergedanke des „Krieges um den freien Wald.“ Im Walde weiß das aufgestachelte Landvolk in bewegter Zeit den Staat oder auch den einzelnen großen Grundbesitzer an seiner empfindlichen Seite zu packen. Wir sahen, wie im Jahre 1848 ausgedehnte Waldschläge planvoll verwüstet – nicht geplündert – wurden; man hieb den Wald nieder und ließ die Stämme absichtlich liegen und verderben, man brannte ihn ab, um mit jedem Tagewerk weiter verbrannten Waldes eine neue „Volksforderung“ zu erzwingen. Die alte Sage des Krieges um den Wald war wieder einmal leibhafte Geschichte geworden.
Und dieser ewige Unruhstifter Wald, der aber, wie bemerkt, bei den Unruhen selber immer am schlimmsten wegkommt, ist doch zugleich ein so mächtiger Schutzwall historischen Herkommens. Nicht bloß ein altes Volksthum, auch die ältesten Reste geschichtlicher Denkmale hat er uns schirmend bewahrt. Viele der merkwürdigsten alten Namen sind in den Benennungen der Waldreviere uns erhalten geblieben, und wenn einmal die deutsche Sprachwissenschaft mit dem Durchforschen der Dörfer- und Städtenamen fertig geworden ist, dann wird sie sich den Namen der Waldreviere, die meist weit weniger gewechselt haben als der Feldmarken, als einer neuen, reichen Quelle zuwenden. Fast nur unter dem Schutze des Waldesdickichts sind die Ringwälle jener Völker, welche in einer vorgeschichtlichen Zeit in unsern Gauen gesessen, dazu die Gräber und Opferstätten unserer Vorfahren als älteste Denkmale für die Gegenwart erhalten worden. Und während man im Namen einer reinen Fabrikcultur die deutschen Wälder vertilgen möchte, haben sie allein in ihrem Schatten die frühesten redenden Zeugen vaterländischer Industrie uns bewahrt. In den mittelrheinischen Waldgebirgen findet man häufig auf abgelegenen Hügelköpfen, fern von Bächen und Wasserlauf, große Schlackenhaufen. Es sind dieß die Stätten der uralten vielleicht als Hand- oder Trethütten betriebenen „Waldschmieden,“ von denen unsere Heldensage singt, die Stätten der ersten rohen Anfänge unserer seitdem so mächtig entfalteten Eisenindustrie. So hebt die älteste Kunde des deutschen Fabrikwesens, wie unserer ganzen Gesittung, bei dem Walde an.
Jahrhunderte lang war es eine Sache des Fortschrittes, das Recht des Feldes einseitig zu vertreten; jetzt ist es dagegen auch eine Sache des Fortschrittes, das Recht der Wildniß zu vertreten neben dem Rechte des Ackerlandes. Und wenn sich der Volkswirth noch so sehr sträubt und empört wider diese Thatsache, so muß der volksforschende Social-Politiker trotzdem beharren und kämpfen auch für das Recht der Wildniß.
Quelle: Wilhelm Heinrich Riehl, Die Naturgeschichte des Volkes als Grundlage einer deutschen Social-Politik. Erster Band, Land und Leute (1854). Fünfte verbesserte Auflage. Stuttgart: J.G. Cotta, 1861, S. 42-59. Online verfügbar unter: https://hdl.handle.net/2027/mdp.39015065990007