Kurzbeschreibung

In diesem Auszug aus seinem Werk Die Familie (1852) übt Wilhelm Heinrich Riehl (1823–1897) scharfe Kritik an „emanzipierten“ Frauen und jeglicher Beteiligung der Frauen am öffentlichen Leben. Unter Hinweis auf die natürlichen Unterschiede zwischen den Geschlechtern fordert er die Frauen auf, neuen Stolz auf ihren „ächten Stand“ als Gattinnen und Hausfrauen zu entwickeln anstatt Frauenvereine zu gründen.

Konservative Kritik am Frauenaktivismus (1852)

  • Wilhelm Heinrich Riehl

Quelle

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Auch in Deutschland traten Frauen auf und machten Profession aus der Lehre der Entfesselung weiblicher Art und Sitte. Wir sehen nicht bloß in Paris, sondern auch in norddeutschen Städten, namentlich in den Jahren 1842–1848, Damen in Männerrock und Hosen, mit Sporen und Reitpeitsche, die wogende Feder auf dem Hut, die brennende Cigarre im Mund durch die Straßen stolziren und in den Bierkneipen zechen. Wir sehen Luise Aston – vor andern der „öffentliche Charakter“ unter dieser Gruppe – ausgewiesen, eine „Märtyrerin“. Sie wird wegen Preßvergehen angeklagt, weil ihre „wilden Rosen“ als zu stacheligt erschienen waren, und steht mannhaft dem Berliner Polizeipräsidenten, Herrn von Puttkammer, Rede, und entwickelt ihm in großer Geläufigkeit ihre politischen, religiösen und socialen Ansichten, nicht ohne einige theoretische Excurse über die Ehe und die Freigebung der Naturrechte der Frauen. Nachgehends wird sie wieder ein Weib und geht mit in den schleswig-holsteinischen Feldzug, um in den Spitälern zu helfen und die verwundeten Krieger zu pflegen. Und diese vielbesprochene Dame war nicht etwa ein tolles Mädchen oder eine alte Jungfer, sondern eine, wenn auch geschiedene Gattin, eine Mutter. Die Ehe wirkt sonst am tiefsten dahin, das Weib weiblich zu bewahren. Die Ueberweiblichkeit aber begreift den Ernst der Ehe nicht mehr; wie in ihr das Geschlecht schrankenlos in seiner Eigenart sich gehen läßt, so auch das Individuum. Da bleibt kein Raum mehr zur Opferwilligkeit für die große Idee der Familie und des Hauses. Jene emancipirte Frau war die Tochter eines deutschen Landpfarrers, in der Einsamkeit des Dorfes erzogen, von früh auf nur ein schwärmerisches Gemüthsleben führend, dann einem reichen, nüchternen englischen Maschinenfabrikanten angetraut, aus ihrer Einsamkeit plötzlich in die fremde große Welt gestoßen. Da waren alle Vorbedingungen zur Ueberweiblichkeit gegeben.

Wenn Tausende von Männern gegenwärtig aus dem socialen Geleise kommen, weil sie, in zärtlichster Besorgniß um sich selbst, die „rechte Existenz“ und den „rechten Beruf“ verfehlt zu haben wähnen: dann werden Tausende von Frauen irre an der natürlichen Stellung des Weibes, weil sie, bei gleicher Selbstverhätschelung in den falschen Ehebund getreten zu seyn glauben. Gerade für den Ernst der Ehe sind wir im Durchschnitt viel zu sentimental gegenüber unserm werthen Ich, zu zärtlich gegen uns selbst. Das wirkt die Ueberweiblichkeit, die auch Männer weibisch macht. Vordem war man fatalistischer, oder, wenn man will, gottergebener, biß die Zähne zusammen und hielt den einmal erwählten Beruf, die einmal geschlossene Ehe als eine in Gottes Rathschluß vollendete Thatsache fest, und so gab es gar keine communistischen Männer und nur wenige emancipirte Frauen. Das ist ja eben das eigentliche Salz der Ehe, daß man, wenn man einmal Ja gesagt hat, nicht wieder Nein sagen kann.

In solchen Erscheinungen wie Luise Aston sehen wir die Frucht unserer ungesunden literarischen Entwickelungen. Aus Ueberweiblichkeit copirt die Dame die Männer, zeigt aber auch zugleich den Männern, wie weibisch sie geworden sind. Die Frau besitzt einen ungleich mächtigeren Nachahmungstrieb als der Mann. Er muß ihr zum Theil die mindere Schöpfungskraft ersetzen. Die Gier, mit welcher so viele literarische Damen gerade der blasirtesten, zerrissensten, innerlich faulsten Poesie der Zeit nachahmend sich zuwenden, gemahnt mich an die russischen Poeten und Künstler, die auch nur solche Schöpfungen des abendländischen Europa, welche tüchtig von der Verderbniß veräußerlichter Cultur angefressen sind, nachzuahmen pflegen.

Es ist sehr verführerisch, hier eine Parallele zwischen den Slaven und den Frauen zu ziehen. Die Slaven sind ein gemüthliches, häusliches, in der Selbstbeschränkung zufriedenes Volk, ganz nach guter Frauen Art, singen gern und gut und tanzen noch besser, halten fest an väterlicher Sitte und haben viel passive Tapferkeit, wie das alles auch bei guten Frauen seyn soll. Aber es fehlt ihnen der erfinderische und künstlerisch selbstschöpferische Geist. Dafür sind sie wunderbare Virtuosen in der Nachahmung; gerade wie die Frauen. Wenn sie – die Slaven – aber einmal beginnen, fremde Art nachzuahmen, dann werden sie wahrhaft zügellos in der Aufnahme des Ausländischen, vor dem sie sonst spröde sich abschließen. Also: national und conservativ in den Sitten, im ruhenden Seyn und Wesen; fessellos dem Fremden hingegeben in der Productivität. Das ist auch Frauen-Art, und bei diesem Geschlecht so wenig ein innerer Widerspruch wie bei jenem Volk.

Aber nicht bloß bei den sogenannten emancipirten Damen, auch bei Frauen ganz entgegengesetzter Art bricht die Ueberweiblichkeit hervor und steckt uns mit ihrem marklosen Wesen an. Als im vorigen Jahrhundert der Pietismus von einem deutschen Schloß und Herrenhause zum andern zog, waren es vorzugsweise die Gräfinnen und Baronessen, welche die neue weiche, schwärmerische Gemüthsstimmung hegten, dieselbe dann noch weicher und kranker auf die Männer wieder zurück leiteten, den Pfarrer spielten, als seyen sie ordinirt und nach Außen auf‘s trefflichste Propaganda machten für ihre Partei. Das war auch Ueberweiblichkeit, die in‘s Männliche umschlug und unter deren Einfluß die ganze Sache verdarb.

Viele unserer heutigen milden und frommen Frauenvereine zur Heilung von allen möglichen sittlichen und socialen Schäden trifft derselbe Vorwurf. Der rechte Frauenverein ist das Haus. Wenn eine wohlhabende Frau einsam steht, dann soll sie sich vorerst umschauen, ob in ihrer Sippe keine Familie ist, bei der sie als „alte Tante“ einziehen kann und mitarbeiten am Hause. Es ist dieß immer noch ein stolzerer und weiblicherer Wirkungskreis denn Präsidentin mehrerer Frauenvereine zu seyn. Kann sie nicht alte Tante werden, dann gibt es vielleicht ein Kloster, wo sie arme Kinder erziehen und als in einem großen Hause mit den andern Nonnen zusammenleben und wirken kann. Schickt es sich aber auch mit dem Kloster nicht, dann möge sie in Gottes Namen Frauenvereine gründen und leiten. Ich weiß recht wohl, wie viel Frauenmilde, Frauenbarmherzigkeit, Frauenaufopferung in solchen Vereinen als in einem köstlichen Gefäß geborgen liegt. Ich weiß aber auch, daß gar oft das überweibliche Gelüsten die Männer nachzuahmen dahinter spuckt und daß die großartigsten Gedanken umfassender Association zur Hülfe in unsern socialen Nöthen häufig travestirt werden in diesem weiblichen Vereinswesen und dadurch unmöglich gemacht. Es gibt auch viele Frauen, die dadurch ihrem Hause ohne Gewissensbisse zu entschlüpfen wähnen, daß sie in einen milden, frommen Verein gehen. Aber ihr Gewissen wird eines Tages wach werden und wird ihnen sagen, daß eine Frau nicht gerecht werden kann vor dem Herrn, wenn sie nicht vorher gerecht worden ist vor ihrem Hause. Es ist am Ende bloß ein kleiner Unterschied, durch Erziehung und Lebensgewohnheit bedingt, ob man sich dem Hause entzieht, indem man im Verein sich mit Plänen zur Aufhülfe der nothleidenden Klassen unterhält oder im Literatenklubb über Freiheit und Gleichheit räsonnirt.

Ein merkwürdiges Zeugniß, wie ganz und gar der Begriff von dem Ernst und der Würde des Eheberufs in der zimperlichen Ueberweiblichkeit untergegangen ist, liegt darin, daß sich feine Damen am meisten geschmeichelt fühlen, wenn sie Einer gar nicht für Hausfrauen oder Mütter hält. Es ist hier bei dem weiblichen Berufe ganz dieselbe Erscheinung, wie wenn der Schneider sich schämt, ein Schneider zu heißen – ächtes sociales Philisterthum! Wo ist doch der Stolz der Frauen hingekommen auf den Ehestand als den „ächten Stand“, auf den Segen einer zahlreichen Familie und Verwandtschaft, auf das Haus mit allem was dazugehört, auf die selbstgesponnene Leinwand, auf deren Menge die Frauen vordem so ehrgeizig erpicht waren, wie der Bauer auf den größten Misthaufen. Denn beides war das sicherste Wahrzeichen glänzender Wirthschaft.

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Quelle: Wilhelm Heinrich Riehl, Die Familie, 2. Auflage. Stuttgart und Augsburg: J. G. Cotta, 1852, S. 67–71.