Kurzbeschreibung

Die Antisemitische Deutsch-Soziale Partei (1889) war ein Zusammenschluss mehrerer antisemitischer Gruppierungen, die beinahe das gesamte vorangegangene Jahrzehnt mit Konflikten untereinander beschäftigt gewesen waren und unabhängige Bünde, Vereine und Parteien gegründet hatten. Die „Grundsätze und Forderungen“ der neuen Partei wurden von einem antisemitischen Kongress gebilligt, an dem 283 Delegierte am 10.–11. Juni 1889 in Bochum teilnahmen. Die Zusammenkunft stimmte einem Programm zu, das die Heterogenität der antisemitischen Bewegung in dieser Zeit unterstrich: Indem es sowohl für ultrakonservative als auch quasi-sozialistische Zielsetzungen eintrat, spiegelte es die unterschiedlichsten Standpunkte solch antisemitischer Teilnehmer wie Max Liebermann von Sonnenberg (1848-1911) und Theodor Fritsch (1852–1933) wider. Otto Böckel (1859–1923), der im Jahr zuvor in den Reichstag gewählt worden war, verließ den Kongress unter Protest, als sein beabsichtigter Parteiname („Antisemitische Partei“) nicht akzeptiert wurde, während die Christlich-Sozialen Anhänger des Hofpredigers Adolf Stoecker (1835–1909) sich vom Programm distanzierten, weil es die Judenfrage explizit unter rassischen Gesichtspunkten formulierte. Die deutschen Juden sollen, so steht zu lesen, dem Fremdenrecht unterstellt werden und das Recht der öffentlichen Bedienstung sei ihnen zu entziehen; auch die jüdische Einwanderung aus Osteuropa gelte es zu stoppen. Parallel räumt das Programm ein, dass man sozialdemokratische Forderungen nach wirtschaftlicher und sozialer Gleichheit nicht rundweg beiseite schieben könne.

Die Antisemitische Deutsch-Soziale Partei, Bochumer Programm (11. Juni 1889)

Quelle

1. Wir würdigen die hohe Bedeutung der christlichen Weltanschauung für die sittliche Entwicklung der Menschheit. Wir kennen die Wechselwirkung, die gerade im deutschen Volke zwischen nationalem und religiösem Leben besteht. Wir gestehen der christlichen Kirche einen sittlichen und sozialen Beruf zu und wollen sie deshalb möglichst von staatlicher Bevormundung befreit sehen. Wir wünschen völlige Glaubens- und Gewissensfreiheit. Alle Gewissensüberzeugungen, auch der außerhalb der Religionsgenossenschaften stehenden Leute, soweit sie nicht gegen das Gesetz verstoßen, haben Anspruch auf Duldung und staatlichen Schutz.

2. Von allen Bürgern und gesellschaftlichen Verbänden wie vom gesamten Staate verlangen wir eine sittlichere und idealere Anschauung von Beruf, Pflichten und Rechten, als diejenige ist, die namentlich seit zwei Jahrzehnten zum großen Schaden unseres Volkes um sich gegriffen hat.

3. Die antisemitische, deutsch-soziale Partei steht auf dem Boden der Reichsverfassung und wünscht sowohl eine starke kaiserliche Gewalt als gewissenhafte Achtung der Rechte der Bundesfürsten.

4. Zur Sicherung der Machtstellung Deutschlands nach außen und zum Schutze der friedlichen Entwickelung vor gewaltsamen Umsturzversuchen bedürfen wir einer starken Heeresmacht zu Lande und zu Wasser. Wir halten unser auf dem germanischen Grundsatz der allgemeinen Wehrpflicht begründetes Volksheer für eine nationale Erziehungsanstalt ersten Ranges und erachten die auf dasselbe verwendeten Geldmittel für kein unfruchtbar angelegtes Kapital, unter der Bedingung, daß die Bedürfnisse des Heeres für Ausrüstung und Verpflegung aus dem eigenen Lande bezogen werden, wodurch die aufgewendeten Millionen wieder dem arbeitenden und schaffenden Volke zufließen.

5. Solange die soziale Neuordnung unseres Volkes in Berufsgruppen nicht durchgeführt ist, halten wir das für den Reichstag zur Anwendung kommende allgemeine direkte Wahlrecht mit geheimer Abstimmung für das verhältnismäßig beste. Wir halten dasselbe für notwendig, um zu verhüten, daß das Gewissen der besitzenden und gebildeten Klassen einschläft, was leicht geschehen könnte, wenn nicht bei jeder neuen Wahl Gelegenheit geboten würde, der Unzufriedenheit bzw. den Wünschen weiter Kreise des Volkes deutlichen Ausdruck zu geben. In Betreff der Klassenwahlsysteme würde schon die geheime Stimmabgabe als Verbesserung anzusehen sein. Zur Wahrung der freien Abstimmung, die durch gewissenlose, aber schwer durch das Strafgesetz zu ahndende Umtriebe und Listen der politischen Parteiführer oft genug aufgehoben wird, wünschen wir die Einführung amtlich zu liefernder Stimmzettelumschläge. Gewährung bescheidener Diäten für die Reichstagsabgeordneten halten wir für eine notwendige Ergänzung der Wahlfreiheit.

6. Neben der Freiheit der Wahl sehen wir in der Freiheit des Wortes, der Schrift und der Versammlung notwendige Voraussetzungen für die gesunde Entwickelung unserer Verhältnisse. Doch schließt das Festhalten an diesen Freiheiten nicht die Bereitwilligkeit aus, auf dem Wege der Gesetzgebung volksvergiftende und staatsgefährliche Bestrebungen in der Presse und im öffentlichen Leben beseitigen zu helfen.

7. Die Antisemitische Deutsch-soziale Partei stellt in den Vordergrund ihrer Bestrebungen die Judenfrage. Sie sieht in der Judenfrage nicht nur eine Rassen- oder Religionsfrage, sondern eine Frage internationalen, nationalen, sozialpolitischen und sittlich-religiösen Charakters. — Auch in einem deutschsozialistisch eingerichteten Staate würde das Judentum, dessen jahrtausende alte Geschichte die Unmöglichkeit seines Aufgehens in den Völkern beweist, der Pfahl in unserem Fleische sein und durch seine bösen Triebe und Einflüsse unser Volk zerfressen und verschlechtern, unsere Gesetze und Ordnungen durchlöchern. Die Antisemitische Deutsch-soziale Partei erachtet es daher für ihre Pflicht, den volksschädlichen und staatsgefährlichen Einfluß des internationalen Judentums auf allen Gebieten des öffentlichen, gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens mit gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen, das deutsche Volk über die Judengefahr aufzuklären und die Regierung zum Abschlusse internationaler Vereinbarungen, insbesondere gegen die gefahrdrohende Anhäufung des jüdischen Kapitals zu drängen.

Um Licht darüber zu verbreiten, ob in den für die Juden verbindlichen Religionslehren Staatsgefährliches enthalten ist, müßte baldigst von Staatswegen eine wissenschaftliche Untersuchungsbehörde zur Übersetzung des Talmud und der in der rabbinischen Literatur niedergelegten religiösen, rituellen und moralischen Vorschriften eingesetzt werden. Die soziale Neuordnung auf dem Boden der Berufskreise und Erwerbsstände soll es diesen ermöglichen, sittlich untaugliche Bestandteile von sich fernzuhalten, insbesondere sich von dem Eindringen des Judentums durch das Recht der freien Aufnahme und durch Ehrengerichte freizuhalten.

Als ihr Ziel faßt die Antisemitische Deutsch-soziale Partei die Aufhebung der Gleichberechtigung und Stellung der Juden unter Fremdenrecht in Deutschland ins Auge. Die Ausführung dieser Maßregel würde in letzter Linie folgende Wirkung für die Juden haben: Die in Deutschland lebenden Juden dürfen nicht Richter, Lehrer, staatliche oder kommunale Verwaltungs- oder technische Beamte, Advokaten oder Ärzte mit Beamteneigenschaft sein. Juden haben weder aktives noch passives Wahlrecht bei staatlichen oder kommunalen Wahlen. Juden, als gerichtliche Zeugen, dürfen nur auf den streng rituellen, jüdischen Eid vor einem Rabbiner vereidigt werden. Juden können nicht als Geschworene oder Schöffen sitzen oder sonstige deutsche Ehrenämter bekleiden. Die Juden sind vom Dienst im deutschen Heere ausgeschlossen, dafür entrichten sie eine von der betreffenden jüdischen Gemeinde beizutreibende Kopfsteuer. Die Juden werden vom Staate in Ausübung ihrer Religion und religiösen Gebräuche geschützt, soweit dieselben nicht öffentliches Ärgernis erregen oder gegen die Gesetze des Landes verstoßen, wie z. B. die Tierquälerei des Schächtens. Die Ausübung aller gewerblichen Berufsarten, Handwerk, Fabrikarbeit, selbsttätige Ausübung der Landwirtschaft, des Handels, abgesehen vom Hausiergewerbe, bleibt den Juden gestattet. Wenn auch nun diese durchgreifenden Maßnahmen stets im Auge zu behalten sind, so müssen auch folgende vorläufig notwendige Maßregeln dankbar angenommen werden, als: Ausweisung der nicht naturalisierten Juden, Verbot der Judeneinwanderung von Osten, Beschränkung der Juden in der Zulassung zu obrigkeitlichen Stellen usw.

8. Die Antisemitische Deutsch-soziale Partei erschöpft aber nicht ihr Programm in der bloßen Bekämpfung der Juden, sondern sie will auch schöpferisch an der Neuorganisation unseres Volkes und Staates auf wirtschaftlichem und geistigem Gebiete mitarbeiten. Der Brennpunkt der „sozialen Frage“ besteht in dem bisher rechtlich unvermittelten, beharrlich verkannten und verhängnisvoll unbeachteten Gegensatze zwischen Besitzesherrschaft und Besitzesabhängigkeit oder zwischen „Kapital und Arbeit“. Es muß daher auch jede den „inneren Frieden“ fördernde Sozialreform gutgeheißen und unterstützt werden. Wir fordern Beschränkung aller derjenigen Freiheiten, die dem aussaugenden, nicht werteschaffenden Judentum Vorschub leisten und den schaffenden, ehrlich arbeitenden Deutschen schwer schädigen.

Alle praktischen Vorschläge auf Beseitigung oder Milderung dieses Gegensatzes finden unsere bereitwillige Unterstützung, von welcher Seite sie auch ausgehen mögen. Es ist ein Gebot der Gerechtigkeit und politischen Notwendigkeit, die Forderungen der Sozialdemokratie unbefangener als bisher zu prüfen. Das Sozialistengesetz hat sich als verhältnismäßig unwirksam gegen die Ausbreitung der Sozialdemokratie erwiesen, und weil wir glauben, daß eine verbesserte Gesetzgebung gegen Ausschreitungen genügende Handhaben bietet, sind wir für Aufhebung desselben. Der machtliche und wirtschaftliche Gegensatz zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer kann nur durch eine unter Mitwirkung der beiderseitigen Beteiligten herbeigeführte allgemeine Regelung und Feststellung der gesamten Arbeits- und Dienstverhältnisse der letzteren, sowie der für dieselben zu gewährenden und von ihnen zu beanspruchenden Mindest- Arbeits- und Dienstentschädigungen, Gehälter und Löhne, beseitigt oder ausreichend geschlichtet werden.

9. Folgende Forderungen verdienen die gewissenhafteste Prüfung und Erledigung: a) Weiterer Ausbau der Krankenkassen, Unfall-, Invaliden- und Altersversorgungsgesetze. Staatliche Fürsorge für unverschuldet Arbeitslose, für Witwen und Waisen; b) Maximalarbeitstag nach den Verhältnissen der Eigenart der einzelnen Betriebe; c) Beschränkung der Frauen- und Kinderarbeit; d) Sonntagsruhe in größtmöglichem Umfange; e) strenge Überwachung des Fabriks-, Bergwerkswesens usw.; f) staatliche Einigungsämter für Lohn- und sonstige Streitigkeiten.

10. Die Entwickelung des herrschenden wirtschaftlichen Systems ist, wie unter anderem die neuesten großen Arbeitseinstellungen beweisen, auf einem Punkte angelangt, wo dasselbe als eine öffentliche Gefahr anerkannt werden muß. Die Deutsch-soziale Partei erachtet es daher als eine patriotische Pflicht, auf eine zeitgemäße Neuordnung der Erwerbsverhältnisse hinzudrängen. Der Gedanke, unter Leitung und Mitwirkung der Staatsgewalt die gewerblichen Aktienunternehmungen in den bedeutendsten Produktionszweigen in genossenschaftliche Betriebe umzuwandeln und der Gedanke der Verstaatlichung der Grundbuchschulden mit allmählicher Ablösung bedarf einer ernstlichen Prüfung.

11. Gleichen Schritt damit muß eine organische Umgestaltung unseres öffentlichen und Privatrechtswesens halten. Die deutschen Rechtsgrundsätze der Achtung der Persönlichkeit um ihrer selbst und des Bestandes des Staates willen müssen das römische Recht der bloßen Besitztitel verdrängen. Bis aber dieses Ziel erreicht ist, dürfen die schreienden Notstände innerhalb großer Kreise unseres Volkes nicht ohne Abhilfe bleiben.

12. Die Antisemitische Deutsch-soziale Partei tritt für Herabminderung der Gerichts-, besonders der Anwaltskosten, Beseitigung des Anwaltszwanges, Schutz der Privatpersonen gegen Beleidigung und Beschimpfung durch die gegnerischen Advokaten vor Gericht, Aufhebung der Münzprägungs- und Banknotenprivilegien für Privatpersonen und Gesellschaften, Verstaatlichung der Aktiengesellschaft „Reichsbank“, gründliche Reform des Börsenwesens, neue Hypotheken- und Subhastationsordnung ein.

13. In betreff der Handwerkerfrage tritt die Antisemitische Deutsch-soziale Partei für Aufhebung bzw. Beschränkung der zügellosen Gewerbefreiheit ein und befürwortet die Einführung des obligatorischen Befähigungsnachweises für alle, die als Arbeitgeber ein Handwerk betreiben wollen.

14. Der Kaufmannsstand muß gegen die unreelle Konkurrenz durch eine Revision der Konkursordnung, Beschränkung des Hausierhandels, Verbot der Schleuderbazare und Abzahlungsgeschäfte, Verschärfung der Betrugsparagraphen gegen verlogene Reklame, falsche Preisnotierungen, Warenvermischung und Warenverfälschung geschützt werden. Jüdische Kaufleute dürfen nicht Mitglieder der Handelskammern sein.

15. Der Bauernstand bedarf des Schutzes durch Herabminderung der Grundsteuer, der gerichtlichen Taxen und Stempel bei Verträgen über Liegenschaften und Besitzveränderungen, des Schutzes gegen Güterschlächter und Wucherer durch eine wirksame Wuchergesetzgebung mit Festsetzung des Zinsfußes auf einen höchstzulässigen Satz und Verpflichtung zur Entschädigung der Ausgebeuteten, des Schutzes gegen die durch Börsenspiel bedingten Schwankungen der Getreidepreise durch eine wirksame Börsengesetzgebung.

16. Der unmittelbare Einkauf von den Landwirten und Gewerbetreibenden unter Beseitigung alles Zwischenhändlerwesens ist weiter auszubilden und auch auf alle anderen staatlichen Lieferungen auszudehnen.

17. Die Antisemitische Deutsch-soziale Partei ist nicht so kurzsichtig, einzelner Mißerfolge wegen die gesamte Kolonialpolitik als verfehlt zu verwerfen; sie glaubt aber, daß die Erwerbung von gesunden Landstrichen, wo gute Lebensbedingungen für Deutsche vorhanden sind, wichtiger wäre als die Anlagen von Handelsfaktoreien und Plantagen.

18. Die Antisemitische Deutsch-soziale Partei hält eine grundsätzliche Abkehr der staatlichen Finanzverwaltung von dem Borgsystem für dringend geboten, damit Deutschland vor dem in einzelnen Ländern bereits in verderblichster Weise hervortretenden Einfluß des jüdischen Großkapitals auf die Regierungen bewahrt bleibe. Wir fordern eine progressive Einkommen- und Erbschaftssteuer auf Grundlage der Selbsteinschätzung mit strengen Strafbestimmungen für falsche Vermögensangaben.

Quelle: Antisemitische Korrespondenz, Jg. 4, Nr. 53 (23. Juni 1889); abgedruckt in Felix Salomon, Die deutschen Parteiprogramme, Heft 2, Im deutschen Kaiserreich 18711918, Wilhelm Mommsen und Günther Franz, Hrsg. 4. Aufl. Leipzig und Berlin: B. G. Teubner, 1932, S. 14–18.