Kurzbeschreibung

Das Bildungswesen fiel in den Zuständigkeitsbereich der deutschen Bundesstaaten. Daher sind verlässliche Statistiken für das gesamte Reichsgebiet vor der Jahrhundertwende nur schwer zu bekommen. Die entsprechenden Zahlen für das Königreich Preußen lassen dennoch relativ gute Schätzungen zu, weil über drei Fünftel der deutschen Einwohner dort lebten. Der Schulbesuch nahm in Preußen Ende des 19. Jahrhunderts dramatisch zu. Industrialisierung, Urbanisierung und die ansteigende Zahl der Menschen, die lesen und schreiben konnten, standen in direktem Zusammenhang mit Fortschritten im Bildungswesen, die teilweise auf der Reduzierung der Klassengrößen basierten. Die erste Tabelle zeigt, dass die Zahl der Lehrer von 1864 bis 1901 beinahe um das Dreifache zunahm, während die Anzahl der Schüler sich lediglich verdoppelte. Die Folge war, dass das Verhältnis von Schülern zu Lehrern von 92:1 im Jahr 1864 auf 63:1 im Jahr 1901 fiel. Die zweite Tabelle spiegelt die Lage in den öffentlichen Sekundarstufen wider, die hauptsächlich für Kinder aus dem Kleinbürgertum gedacht waren, aber auch die so genannten höheren Mädchenschulen umfassten. Das Schüler-Lehrer-Verhältnis in diesen Schulen fiel von etwa 41:1 im Jahre 1864 auf etwa 30:1 bis 1901, wobei der stärkste Rückgang in den ersten 15 Jahren stattfand. Die dritte Tabelle kann die vielen Typen von öffentlichen höheren Schulen in Preußen und im Reich nicht völlig angemessen erfassen. Neben den traditionellen Gymnasien, in denen die Schüler Latein, Griechisch und andere Fächer neun Jahre lang lernten, gab es Realgymnasien und Oberrealschulen, die moderne Lehrpläne anboten, mit stärkerer Betonung auf den Naturwissenschaften und neueren Sprachen. Hier lässt sich keine beträchtliche Veränderung des Verhältnisses von Schülern zu Lehrern beobachten.

Staatliches Schulwesen in Preußen: Zahl der Institutionen, Lehrer und Schüler (1864–1913)

Quelle

I. Öffentliche Volksschulen

Jahr

Schulen

Klassen

Lehrer

Schüler

Schüler pro Klasse

Schüler pro Lehrer

Schüler pro 100 Einwohner

1864

25 056

30 805[1]

2 825 322

(92)

15

1871

33 120

48 211[2]

3 900 655

(81)

16

1878

32 299

59 493

4 272 199

72

16

1882

33 040

65 968

59 917

4 339 729

66

72

16

1886

34 016

75 097

64 750

4 838 247

64

75

17

1891

34 742

82 746

71 731

4 916 476

59

69

16

1896

36 138

92 001

79 431

5 236 826

57

66

16

1901

36 756

104 082

90 208

5 670 870

54

63

16

1906

37 761

115 902

102 764

6 164 398

53

60

16

1911

38 684

128 725

117 162

6 572 140

51

56

(16)

Die Bevölkerungszahlen beziehen sich auf den jeweiligen Gebietsstand; nur 1864 und 1871 waren Zähljahre; die verwendeten Daten wurden mittels ‚arithmetischer Interpolation‘ vom Preußischen Statistischen Amt gewonnen; für 1911 war kein Datum verfügbar: es wurde die Zahl für 1910 benutzt und das Ergebnis daher in Klammern gesetzt.

Quelle: Jahrbuch für die Amtliche Statistik des Preußischen Staates (1883): S. 540, 550–59 (für 1864–1882); Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat (1913): S. 392, 393; (1915): S. 6 (Bevölkerung). Deutsche Originaldaten veröffentlicht in Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch II, 2. Ausg. München: C. H. Beck, 1978, S. 157.

II. Öffentliche höhere Schulen

Durch eine Verfügung von 1882 wurde festgelegt, daß in Zukunft ein erfolgreicher Abschluß aller neunklassigen Anstalten, auch wenn sie keinen Lateinunterricht anboten, die Berechtigung zum Studium und zur Ergreifung bestimmter höherer wissenschaftlicher und technischer Berufe gab. Dennoch brachte diese Verfügung keine Vereinheitlichung. Es gab danach die folgenden Typen höherer Lehranstalten:

I. Vollanstalten, deren Abgangszeugnis zum Studium berechtigte, freilich noch unterschieden nach Fächerkombinationen:

1. Gymnasien, mit obligatorischem Lateinunterricht und Griechischunterricht;
2. Realgymnasien, mit obligatorischem Lateinunterricht (meist ohne Griechisch), aber mit stärkerer Betonung der Naturwissenschaften;
3. Ober-Realschulen, ohne Lateinunterricht.

II. Höhere Schulen, die keine Vollanstalten waren, und deren erfolgreicher Abschluß nicht zum Studium berechtigte. Dabei handelte es sich einmal um einen siebenklassigen Typ, der als Vorbereitung für den Besuch von Vollanstalten verstanden wurde und entsprechend untergliedert war.

Einen Bildungsabschluß eigener Art (mit Abgangsprüfung und der Berechtigung zu einjährigem Militärdienst) ermöglichten überdies die höheren Bürgerschulen nach einer sechsklassigen Ausbildung (ohne Latein); sie wurden durch Verfügung des zuständigen Ministers 1892 zur Vorbereitungsanstalt der Ober-Realschulen. Dieselbe Verfügung bewirkte außerdem eine schärfere Akzentuierung der Schultypen nach Fremdsprachenkombinationen und Naturwissenschaften über die Lehrpläne.

Zu den höheren Lehranstalten wurden demnach gezählt: Gymnasien und Progymnasien, Realgymnasien, von 1859 bis 1882 Realschulen I. Ordnung (neunklassige Vollanstalten) mit Latein, Oberrealschulen, die neunklassigen Vollanstalten ohne Latein seit 1877 und Realprogymnasien, Realschulen, die vor 1882 Realschulen II. Ordnung bzw. höhere Bürgerschule genannt wurden.

Mit diesen Schulen ist das gesamte über die sogenannte mittlere Ausbildung hinausführende Schulwesen in der folgenden Tabelle erfaßt, freilich mit Ausnahme der Mädchenschulen dieses Niveaus, die aber noch im Jahre 1913 einschließlich der Privatschulen nicht mehr als 3 939 Schülerinnen hatten. Vorschüler und Vorschullehrer wurden mitgezählt.

Jahr[3]

Anstalten

Lehrer[4]

Schüler

Schüler pro Lehrer

Schüler pro 100 Einwohner

1864

264

3 810

78 718

20,7

0,41

1871

414

5 941

119 641

20,1

0,49

1875

454

6 669

135 777

20,4

0,53

1880

493

7 502

145 575

19,4

0,53

1885

525

8 724

151 541

17,4

0,54

1890

549

156 796[5]

0,52

1896

576

8 365

156 472[6]

18,7

0,48

1900

627

8 852

176 268

19,9

0,51

1906

745

11 119

227 349

20,4

0,60

1910

824

12 549

260 019

20,7

0,65

1913

881

13 731

275 165

20,0

Anmerkungen

[1] Nur vollbeschäftigte Lehrer; die Lehrerinnen—für 1864 2 815 und für 1871 3 848—können nicht nach vollbeschäftigten und Hilfslehrerinnen aufgegliedert werden; ab 1878 vollbeschäftigte Lehrer und Lehrerinnen.
[2] Inclusive nicht vollbeschäftigter Hilfslehrer, schätzungsweise 2 000.
[3] Die Angaben beziehen sich jeweils auf den Stand des Wintersemesters vom angegebenen zum darauffolgenden Jahr.
[4] Bis 1885 Vollbeschäftigte und Hilfskräfte zusammen, ab 1896 nur vollbeschäftigte Lehrkräfte.
[5] Bei Schwarz hier auf Grund eines Additionsfehlers: 166 796.
[6] Schwarz (S. 226) nennt hier eine Schülerzahl von 165 060, deren Quelle unerfindlich bleibt, während 1893 die Angaben dort mit denen unserer Quelle übereinstimmen.

Quelle: Jahrbuch für die Amtliche Statistik des Preußischen Staates (1883): S. 397 (für 1864–1880); O. Schwarz, Der Staatshaushalt und die Finanzen Preußens, Bd. 2, Die Zuschußverwaltung. Berlin, 1900, S. 228 (für 1885) und S. 226 (für 1890); Statistisches Jahrbuch für den Preußischen Staat (1913): S. 416. Abgedruckt in Gerd Hohorst, Jürgen Kocka und Gerhard A. Ritter, Sozialgeschichtliches Arbeitsbuch II, 2. Ausg. München: C. H. Beck, 1978, S. 159–60.