Quelle
[…] Meine Herren, eine andere Person, die in unserer Kolonialpolitik eine viel größere, bedeutsamere und einflußreichere Rolle spielte und in einem gewissen Sinne noch spielt, ist der Ihnen allen bekannte Dr. Peters. Herr Dr. Peters war seinerzeit bestimmt, die Landeshauptmannschaft am Tanganjika einzunehmen. Er hat, so viel ich weiß, sich geweigert, diesen Posten anzutreten; das hat genügt, daß man ihn auf Wartegeld setzte. Er befindet sich heute noch in Deutschland, wohl hier in Berlin, genießt ein Ruhestandsgehalt von über 6000 Mark, das er in Gemütlichkeit verzehrt, und benützt die ihm vollständig überlassene freie Zeit, wie Sie wissen, dazu, um in der bekannten Flottenvermehrungsagitation aus Leibeskräften tätig zu sein.
[…]
Ich habe nur aus der Rolle, die der Herr in letzterer Zeit gespielt hat, Veranlassung genommen, mich etwas mehr mit der Vergangenheit desselben bekanntzumachen, und da muß ich sagen, daß das, was ich erfahren habe, – teils als von ihm selbst geschrieben, teils aus Mitteilungen, denen ich vollen Glauben beimesse, – mich in höchstem Grade zur Verwunderung bringt, daß die Reichsregierung, der doch die Dinge, die ich anführen will, nicht gänzlich unbekannt sein können, trotzdem und alledem sich herbeigelassen hat, dem Dr. Peters eine hohe Vertrauensstellung, wie es ein Landeshauptmannsposten am Tanganjika ist, einräumen zu wollen. Was ich allerdings mittlerweile über Herrn Peters erfahren habe, bestimmt mich zu der Anschauung, daß ich es für ein Glück erachte, daß Dr. Peters die Stelle am Tanganjika nicht angenommen hat; denn seine Tätigkeit würde sicher eine ähnliche gewesen sein wie an anderen Stellen in Afrika, wo er tätig gewesen ist. Seine Amtsführung würde eine verhängnisvolle und in jeder Beziehung schädliche gewesen sein.
Meine Herren, vor allen Dingen ist es wichtig, aus den Ausführungen des Dr. Peters selbst, die er in seinem großen Buch mitgeteilt, betitelt „Die deutsche Emin-Pascha-Expedition von Dr. Carl Peters“, das in München und Leipzig im Jahre 1891 erschien, uns etwas Licht über den Herrn zu verschaffen. Er hat das Buch für die Öffentlichkeit bestimmt; man kann also annehmen, daß er die Dinge, die vorgekommen sind, so viel als möglich in einem Licht darzustellen versuchte, daß sie möglichst wenig Anstoß erregen. Und doch muß ich sagen, daß das, was Herr Dr. Peters dort in seinem Buch selbst eingesteht, solcher Art ist, daß nach meiner Auffassung ein Mann, der dessen fähig ist, niemals deutscher Reichsbeamter in einer deutschen Kolonie werden kann und werden darf. („Sehr richtig!“ bei den Sozialdemokraten.) Meine Herren, in dem Buche wird auf Seite 55 zunächst gesprochen von dem Beginn der Expedition. Er erzählt, wie er eine Anzahl Somalis in Sansibar engagierte für seine Expedition zur Aufsuchung Emin Paschas; er gibt dann an, daß er sofort die Anwendung der Körperstrafen eingeführt habe, und daß er dieselben rigoros zur Vollstreckung gebracht habe. Nun muß man Dr. Peters kennen, um zu wissen, was das von ihm selbst gemachte Eingeständnis bedeutet, er habe die von ihm diktierten Körperstrafen rigoros vollstrecken lassen. („Sehr richtig!“ links.)
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Dr. Peters hatte also, wie bemerkt, eine Anzahl Somalis als Träger und Soldaten auf der Expedition mitgehabt. Die Leute sind, wie das bei den anstrengenden Märschen und bei den schweren Lasten, die sie zu tragen hatten, zu erwarten war, zum Teil nach mehr oder weniger langer Zeit ihres Dienstes überdrüssig geworden und haben sich bei den verschiedensten Gelegenheiten zu drücken versucht, indem sie ihre Lasten im Stiche ließen und flohen. Das ist ja allerdings eine sehr unangenehme Sache für einen Mann, der eine solche Expedition zu unternehmen sich vorgenommen hat. Aber, meine Herren, was geschah nun? Um die Leute von weiteren Desertionen abzuschrecken, fordert Dr. Peters die Gallas, unter denen er sich in jenem Augenblick befand, auf, die entlaufenen Somalis, falls sie nicht zu ihm zurückkehren wollten, einfach niederzumachen. („Hört! Hört!“ links. Unruhe rechts.) Nun, erachten Sie das als einen humanen Akt, daß Leute, die, nachdem sie begriffen haben, sie können die schweren Anstrengungen, die ihnen zugemutet werden, auf die Dauer nicht aushalten und sich der übernommenen Verpflichtung entziehen, jetzt damit bestraft werden, daß man einen so wilden und kriegerischen Stamm wie die Gallas beauftragt, wenn ihnen einer der Flüchtlinge der Karawane begegne, ihn niederzumachen? Können Sie das mit der Humanität, mit der Menschlichkeit, mit christlicher Gesinnung vereinbaren?
[…]
Auf Seite 197 seines Buchs teilt Peters mit, daß einer seiner Leute, die er aus Sansibar mitgenommen, infolge der großen Anstrengungen die Auszehrung bekam. Was aber mit dem armen Teufel geschah, darüber berichtet er also: Leider blieb an diesem Abend einer meiner Träger aus Daressalam zurück. Er hatte lange an der Auszehrung gelitten, und ich hatte ihn längst von seiner Last befreit. Die Löwen, welche des Nachts lauter denn sonst hinter uns brüllten, ließen über das Schicksal des Armen leider keinen Zweifel übrig. („Hört! Hört!“ links.) Mit solchen Worten wird ein Mann, der im Dienste des Dr. Peters stand, bis seine Kräfte ihn vollständig verließen, abgetan! Er ist ermüdet, unfähig, den Marsch weiterzumachen, niedergesunken; man läßt ihn niedersinken, und die dem Zuge folgenden Löwen haben während der Nacht ihn aufgefressen. Das war den Dank für seine Mühe im Interesse christlicher Zivilisation! (Bewegung.)
[…]
Meine Herren, ungefähr 2 Jahre nach den eben geschilderten Vorgängen, Ende 1891, befand sich Dr. Peters auf einer Expedition nach dem Kilimandscharo. Er ließ sich dort für einige Zeit nieder, und das erste, was er neben der Errichtung seiner eigenen Hütte tat, war die Errichtung eines Galgens, um gewissermaßen seine Herrscherstellung in jener Gegend zu dokumentieren. Nun hatte Dr. Peters zu jener Zeit, wie das bei den Zivilisatoren drüben in Afrika mit Ausnahme der Missionare, wie ich wieder hervorhebe, fast ausnahmslos die Regel ist, eine Eingeborene als Beischläferin erworben. Wie er sie erworben hat, lasse ich dahingestellt. Diese Beischläferin war ein sehr schönes Dschaggamädchen, namens Gidschagga, die Schwester des Häuptlings Manamia in Mamba. Gidschagga mochte von den erzwungenen Zärtlichkeiten des Dr. Peters nicht sehr befriedigt sein und sie knüpfte ein intimes Verhältnis an mit einem seiner Diener mit Namen Mabrucki. Das erfuhr Dr. Peters und jetzt gab er sofort den Befehl, das junge Mädchen und den jungen Mann an den Galgen zu hängen (Bewegung), weil das junge Mädchen ihm gegenüber einen Vertrauensbruch begangen habe. Der Offizier der betreffenden Expedition, der Leutnant Bronsart von Schellendorff, der noch jetzt in Ostafrika ist, wurde beauftragt, die Exekution an den beiden jungen Leuten zu vollziehen. Er weigerte sich dessen, er sagte sich wohl: Es handelt sich um einen Mord, darauf lasse ich mich nicht ein, das verträgt sich mit meiner Offiziersehre, mit meiner Ehre als Mensch nicht, ich gebe mich nicht dazu her – er weigerte sich also. Darauf wird der Lazarettgehilfe kommandiert, und obgleich die beiden jungen Leute kniefällig um ihr Leben bitten – es hilft nichts, sie werden aufgehängt. (Bewegung. „Hört! Hört!“ links.)
Dr. Peters hat nun später, als diese Handlungsweise selbst weit in Afrika ungeheures Aufsehen erregte und auch für uns Deutsche – wie ich noch nachweisen werde – böse Folgen gehabt hat, erklärt, die jungen Leute habe er nicht hängen lassen wegen des Verhältnisses, das sie hinter seinem Rücken miteinander gehabt, sondern sie hätten sich der Verräterei insofern schuldig gemacht, als sie Spionendienste geleistet hätten. Meine Herren, wäre das der Fall gewesen, hätte Dr. Peters beweisen können, nur durch Mutmaßungen beweisen können, daß die beiden jungen Leute sich eines solchen Verrats schuldig gemacht hätten, dann würde jedenfalls der kommandierende Offizier, Leutnant Bronsart von Schellendorff, sich keinen Augenblick besonnen haben, die Exekution an den Verrätern zu vollziehen. („Sehr richtig!“ links.) Das wäre sogar seine Pflicht gewesen. Er hat es aber nicht getan, und das ist der erste Beweis dafür, daß die Sache nicht so liegen kann, wie Dr. Peters behauptet hat; im anderen Falle würde der Leutnant Bronsart von Schellendorf wegen grober Disziplinwidrigkeit und Verweigerung des Gehorsams angeklagt worden sein („Sehr wahr!“ links.) Nichts von alledem wird aber in den Akten der Kolonialabteilung zu finden sein.
Kurze Zeit darauf wollte Dr. Peters einen Besuch bei der englischen Mission in Moschi machen. Darauf schreibt ihm der Bischof Tucker als Leiter der dortigen Mission, mit einem Mörder wolle er nichts zu tun haben. („Hört! Hört!“ links. Bewegung.) Der Bischof lehnt also den Verkehr mit Dr. Peters ab, indem er ihn des Mordes bezichtigt. Dr. Peters ist natürlich diese Sache sehr unangenehm und schreibt darauf an den Bischof Tucker einen Brief folgenden Inhalts, daß er mit dem aufgehängten Mädchen gewissermaßen nach afrikanischem Gebrauch verheiratet gewesen sei, und daß ihm nach afrikanischem Recht zustand, die Ehebrecherin mit dem Tode zu bestrafen. (Große Bewegung.)
Meine Herren, das Wunderbare an diesem Briefe ist, daß ein Vertreter der deutschen Kultur und deutscher Zivilisation in Afrika auf einmal afrikanische Rechte für sich in Anspruch nimmt, („Sehr gut!“) sich auf den Boden der Barbaren stellt und sagt: Ich bin ja hier eures gleichen, ich handle so, wie ihr handelt; jetzt verlange ich dasselbe Recht zu haben wie ihr; das Mädchen hat mir gegenüber, da ich eigentlich ihr Mann war, die Ehe gebrochen, und da habe ich das Recht, den Übeltäter an den nächsten Baum zu hängen, wie ich es getan habe. Nun ist aber das folgende dabei zu beachten: In Afrika gibt es nicht einmal ein solches Gewohnheitsrecht in bezug auf Ehebrecher und Ehebrecherinnen. Wer einigermaßen afrikanische Kulturzustände kennt, weiß, daß ein Ehebruch im europäischen Sinne in Afrika von einer Frau begangen und zur Kenntnis ihres Mannes gekommen, höchstens und nichts weiter als eine Tracht Prügel zur Folge hat. Die Frau an den Galgen hängen, wird dem Mann gar nicht einfallen, weil ihm dabei zugleich ein Wertobjekt, ein Arbeitsinstrument verlorengeht – denn die Weiber müssen vorzugsweise arbeiten und die täglichen Bedürfnisse liefern. Das ist zweifellos. Im Innern Afrikas sind die Ehebegriffe gegenüber unseren Begriffen so lax und so himmelweit verschieden, daß eine sogenannte Ehebrecherin wegen ihres Ehebruchs zu töten, keinem einzigen Afrikaner, weder einem Häuptling noch sonst jemand einfallen würde. Ich habe in dieser Beziehung sehr interessante Mitteilungen erhalten. Aber wichtig ist doch, daß Dr. Peters sich jetzt auf die Stufe des afrikanischen Eingeborenen zu stellen sucht und sich dem Bischof gegenüber, der doch die Verhältnisse kennt und wohl den richtigen Maßstab für die Handlungsweise des Dr. Peters zu finden gewußt hat, zu rechtfertigen versucht.
[…]
Diese Handlungsweise des Dr. Peters ist in Afrika allgemein bekannt, sie wird dort seit Jahren erzählt und taucht immer und immer wieder auf. Wenn nun einem Menschen, dem man solche Dinge nachsagt, eine hohe verantwortliche Stellung in den Kolonien seitens des deutschen Reichs zugedacht wird, die er nur nicht innehat, weil es ihm nicht paßte, sie anzunehmen, wenn dieser ferner eine Rolle spielt, die er in Deutschland notorisch spielt, dann ist es notwendig, daß die Anklagen genau auf ihren Grund untersucht werden. („Sehr richtig!“ links.) Neben den Akten der church missionary society, in denen der Brief des Dr. Peters veröffentlicht ist, nenne ich als Zeugen folgende Personen: 1. neben dem Bischof Tucker von der jetzt aufgelösten Station Moschi die Herren Hamilton und Kenrick, 2. von der englischen Mission in Taveta den Herrn Steckel, 3. von der katholischen Mission der Väter vom heiligen Geist in Kilema den Pater Gomengingen, 4. den bayerischen Premierleutnant von Pechmann, der, als die Hängegeschichte passierte, beim Dr. Peters war, 5. den Afrikareisenden Dr. Oscar Baumann, jetzt österreichischer Konsul in Sansibar, 6. den Leutnant Bronsart von Schellendorff und den Unteroffizier, Lazarettgehilfen Wiest, Sergeant Wilhelm, Unteroffizier Brockelt und Unteroffizier Wittstock. Weiter nenne ich folgende Herren, die während jener Zeit in Ostafrika waren oder kurz darauf hinkamen und ebenfalls von der Hängegeschichte gehört haben, den Maler Kunert, den Grafen von Schweinitz, Professor Dr. Volkens, Herrn von Eltz, Dr. Stuhlmann.
Das ist also eine große Zahl von Zeugen, die ich mich für verpflichtet erachte, hier zu nennen, damit die Reichsregierung in die Lage kommt, die Sache genau untersuchen zu können und nachzuweisen, ob an diesen äußerst schweren Beschuldigungen, den schwersten, die man überhaupt einem Menschen nachsagen kann, etwas Wahres ist.
[…]
Quelle: August Bebel, „Rede vor dem Deutschen Reichstag, 13. März 1896“, Stenographische Berichte über die Verhandlungen des Reichstags, 9. Legislaturperiode, IV. Session 1896/97, Zweiter Band. Berlin: 1896, S. 1432–35; abgedruckt in August Bebel, Ausgewählte Reden und Schriften, 14 Bde., Band 4, Reden und Schriften. Januar 1896 bis Dezember 1899, Hrsg. Anneliese Beske et al. München: K.G. Saur, 1995, S. 7–14.