Kurzbeschreibung

Die Veränderung traditioneller Rollenbilder machte die Eignung von Frauen für bestimmte Berufe zum Thema. Dieser Auszug stammt aus einer Reichstagsdebatte, in der Generalpostmeister Heinrich von Stephan (1831–1897) den konservativen Standpunkt darlegte. Stephan argumentierte, dass es Frauen an Durchsetzungskraft fehle, um an Post- und Eisenbahnschaltern mit den Kunden umzugehen: aus Gründen weiblicher „Empfindlichkeit“, legte Stephan nahe, sollte man Frauen das Gezänk mit Handelsreisenden und ungehobelten Dienstboten ersparen. In diesem Rededuell betonte der Linksliberale Abgeordnete Dr. Wilhelm Löwe, dass Frauen trotz der staatlichen Prüderie das Bedürfnis und das Recht hätten, unabhängig zu sein. Ansonsten sähen sich Frauen mit inakzeptablen Alternativen konfrontiert, wie beispielsweise Prostitution oder dauernder Unterbeschäftigung in gering bezahlten Anstellungen. Löwes Behauptung, Frauen zeigten in der Telefonvermittlung größeres Geschick als Männer, entbehrt daher nicht einer gewissen Ironie.

Die berufliche Beschäftigung von Frauen: konservative und liberale Ansichten (1872)

Quelle

Generalpostmeister Stephan:
[laut Generalpostmeister Stephan:]

Die Frauen seien am wenigsten für die Verkehrsanstalten geeignet; passen könnten sie zwar

z. B. zur Führung von Büchern und Listen in Gerichtsstuben, zur Nachrechnung von Bauanschlägen in Baubüros, zu Arbeiten im Kommunaldienst.

Die Frauen seien bis jetzt nur aus Not angestellt worden, da sich wegen der geringen Bezahlung keine Männer fanden; Voraussetzung sei gewesen, daß die Frauen dieselben geistigen Fähigkeiten mitbrachten wie die Männer.

„Mit den Verkehrsanstalten ist ein Hinaustreten in die Öffentlichkeit unter allen Umständen verbunden, und das möchte ich gerade der Weiblichkeit aus Gründen der Delikatesse erspart wissen. Welche Rencontres am Schalter kommen nicht vor zwischen Postsekretären und Kommis voyageurs! welche Bataillen zwischen den Packmeistern und den Hausknechten, die zur Post kommen! usw. Wir verkehren eben nicht mit nur gebildetem Publikum, die Post steht mit zu vielen Kreisen in Verbindung, als daß wir darauf rechnen könnten, stets ein höfliches Benehmen zu finden, wenn eine Dame am Schalter sitzt.“

Es folgen Hinweise auf die „kernfeste physische Kraft“, die in den Verkehrsanstalten nötig sei; auf „verschiedene andere Verhältnisse“, die Frauen an der Diensterfüllung verhindern könnten, während der Dienst „regelmäßig fortgeht und keine Unterbrechungen duldet“; auf die notwendige Autorität, sie sei schwer zu behaupten gegenüber ausgedienten Unteroffizieren und Sergeanten; auf den Wechsel, verursacht durch ein Ausscheiden der Damen; die Behörde müsse laufend neu suchen und schulen, etwa ein Drittel müsse stets verwendet werden, um ein anderes Drittel anzulernen, denn die Damen werden ausscheiden aus dem Amt, „das nun doch einmal den eigentlichen Lebensberuf der Frau nicht bildet. Ja, wenn man Schranken aufstellen könnte, wenn es ein gewisses Alter gäbe, welches bei den Frauen gegen das Heiraten absolut sicherte, dann wäre die Regelung dieses Punktes ganz einfach, aber ich glaube, [] daß ein solches Alter schwer zu finden sein wird, und wiederum sich einen Revers ausstellen zu lassen, wonach die eintretenden weiblichen Postsekretäre zu einem Verzicht auf das Heiraten sich verpflichten, würde eine Grausamkeit gegen die Jüngeren sein und wider das Naturrecht verstoßen.“

Anerkennenswert seien alle Tendenzen der Frauenbildungs- und Erwerbsvereine, so müsse er doch die Frage stellen: „ob diese ganze Sache nicht bei dem verkehrten Ende angefaßt wird. Wenn es möglich wäre, anstatt des im Erfolg zweifelhaften Wirkens für den direkten Eintritt in das öffentliche Leben, wo sie doch der Natur nach nicht hingehören, die Mittel und Kräfte dafür zu vereinigen und zu verwenden, daß die Männer eher das Ziel eines lohnenden Berufs erreichen und leichter in den Stand gesetzt werden zu heiraten, dann würden die Frauen sicherlich ihrer naturgemäßen Bestimmung in viel ausgedehnterem Maße entgegengeführt werden; und sie brauchten alsdann nicht solche, der Bestimmung des Weibes nicht gemäße Wege zu betreten.“ Die beste Versorgung der Frauen bei der Post sei die Heirat mit einem Postbeamten.

Dr. Löwe (Fortschrittspartei, später Freisinn):
[laut Dr. Löwe:]

Der Generalpostmeister nannte keine sachlichen Gründe gegen die Verwendung der Frauen, „sondern nur allgemeine Anschauungen über Frauen im allgemeinen, die nach meiner Meinung auf Vorurteilen beruhen.“

Hinsichtlich des gemischten Publikums und „schlechten Verkehrs“ sollen die Frauen selbst entscheiden, ob er für sie schlecht sei oder nicht.

„So lange Sie aber kein Gesetz für gute Familiensitte und Ordnung geben, das den Mädchen verbietet, Ladenmädchen, Kellnerinnen oder gar Schankmädchen zu werden, in Bierkneipen aufzuwarten, in Restaurationen und Gastwirtschaften den Verkehr mit den Gästen zu unterhalten, so lange, glaube ich, haben wir kein Recht, vom Staate die Prüderie zu verlangen, daß er sie nicht hinter dem Schalter stehen lassen darf, um Briefe in Empfang zu nehmen, damit sie nicht einer etwaigen Konversation mit Kommis voyageurs ausgesetzt sind. Bedenken Sie doch, meine Herren, was Sie tun, wenn Sie die Wege für ehrlichen Erwerb der Frauen beschränken. Glauben Sie denn, daß es besser für die Gesellschaft und besser für die armen Personen ist, wenn Sie dieselben auf die Straße werfen, der Prostitution zum Opfer, als daß sie in unangenehme Geschäftsverhältnisse, etwa in eine unangenehme, ihr Zartgefühl verletzende Unterhaltung mit unverschämten Leuten an dem Schalter geraten?“

Die Quelle der Prostitution sei nicht vorzugsweise Liederlichkeit, sondern Armut; wenn man über die Erwerbsfähigkeit der Frauen entscheide, dann müsse man diesen Zusammenhang zwischen Prostitution und Erwerbstätigkeit deutlich sehen. - Nachdem die Gewerbefreiheit es den Frauen freigestellt habe, Kräfte zu erproben und nach Fähigkeit Stellen auszufüllen oder zu scheitern, sei es fehl am Platze – „daß wir aber die Vorsehung spielen, [] erst prüfen, wie viele Nachtwachen die Person vertragen kann, ob ihre Kräfte für den Dienst ausreichen und ob sie nicht Eigenschaften besitzt, die sie für den Dienst unpassend machen?“ – Bei dem Manne geschehe es auch nicht, und was die Klatschsucht und Eitelkeit der Männer anbelange, so sei diese bei Männern ebenso verbreitet wie bei Frauen; er als praktischer Arzt wisse es!

Er verweist auf die positiven Erfahrungen in Süddeutschland, v.a. in Baden, dort habe Mathy die Frauen wegen der Billigkeit ihrer Arbeitskraft eingestellt – wenn der Generalpostmeister dies ablehne, so stimme er zu, denn: „wenn die Frau die gleiche Arbeit leistet wie ein Mann, so soll sie auch die gleiche Bezahlung bekommen und in jeder Weise ebenso angestellt sein, wie der Mann angestellt ist.“

Für den Telegraphendienst seien die Frauen ganz besonders geeignet; die Erfahrungen in England und Baden hätten bewiesen, daß die Frauen geschickter seien als die männlichen Anwärter; wenn der Generalpostmeister Qualität wolle, dann solle er die Einstellung von Frauen erwägen und an die Frauen dieselben geographischen und orthographischen Anforderungen stellen wie an die Männer. Anschließend müsse der Versuch die körperliche Tauglichkeit beweisen.

Abwarten müsse man auch, ob die Frau heirate oder nicht und ob sie im Falle der Heirat aus dem Dienst ausscheiden solle – „die Frauen stehen doch dann unter dem Disziplinargesetz, und wenn sie ihren Dienst deshalb, weil sie sich verheiratet haben, schlecht vollziehen, so setzen Sie sie ab.“

Militäranwärter seien zwar nötig und müßten untergebracht werden, jedoch bei den von Militäranwärtern freibleibenden Stellen solle ihnen der Zugang unter denselben Bedingungen ermöglicht werden wie den Männern.

„Ich halte es für wichtig für die ganze Entwicklung unserer Gesellschaft, für wichtig gerade dem Materialismus unserer Zeit gegenüber, daß wir das Gefühl wahrer Selbständigkeit auch in den weiblichen Kreisen wecken, daß wir ihnen den trostlosen Gedanken nehmen, daß sie immer nur ein Anhängsel an die Familie bleiben müssen, wenn sie nicht durch die Ehe selbst eine bilden. So kommen sie auf den Gedanken, daß sie wünschen müssen, um jeden Preis in die Ehe zu gelangen, damit sie nur zu einer anständigen bürgerlichen Stellung im Leben gelangen können. Ich halte es im Gegenteil für eine Aufgabe der Gesetzgebung und der Staatseinrichtungen, ihnen die Möglichkeit zu geben, selbständig zu werden, ihr Brot sich in ehrlicher Weise selbst zu erwerben, weil wir im anderen Falle fürchten müssen, der Unsittlichkeit Tor und Tür zu öffnen.“

Bei der Abstimmung über die Petition wurde der Antrag angenommen, die Petition „dem Herrn Reichskanzler zur Berücksichtigung bei Besetzung von Stellen innerhalb der Verkehrsanstalten des Reiches, welche für weibliche Personen geeignet sind, zu überweisen.“

Quelle: Bericht über die Reichstagsdebatte am 13.5.1872 betr. Petition des Verbandes deutscher Frauenbildungs- und Erwerbsvereine um Zulassung der Frauen zum Eisenbahn-, Post- und Telegraphendienst, Frauen-Anwalt, 3. Jg., Nr. 6 (September 1872), S. 183ff.; abgedruckt in Margrit Twellmann, Die Deutsche Frauenbewegung im Spiegel repräsentativer Frauenzeitschriften. Ihre Anfänge und erste Entwicklung, 2 Bde., Bd. 2, Quellen 1843–1889. Meisenheim am Glan: A. Hain, 1972, S. 451–53.

Die berufliche Beschäftigung von Frauen: konservative und liberale Ansichten (1872), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/reichsgruendung-bismarcks-deutschland-1866-1890/ghdi:document-549> [07.11.2024].