Quelle
An Emilie Fontane
Bayreuth, d. 28. Juli 1889, Sonntag abend
9 Uhr.
[…]
Es ist jetzt 9 Uhr, und wenn ich bedenke, daß frühestens nach abermals einer Stunde „Parsifal“ zu Ende ist, so weiß ich nicht, wie ich diese Äonen innerhalb des Theaters hätte erleben wollen. Die Ouverture habe ich gehört und im Hinausgehen noch einen glimpse von der ersten Szene gehabt; dann bin ich langsam nach Hause geschlendert (ziemlich weit) und habe gelesen, dann bin ich in die Stadt gegangen und habe erst bei einem Konditor in der Nähe der großen Brücke (gegenüber der Kaserne) und dann bei dem vielgenannten Sammet zum zweiten Male Kaffee getrunken, weil ich doch ’was tun mußte. Dann wieder nach Hause, wo ich zwei Briefe schrieb. Diese Briefe brachte ich zur Post und ging wieder eine halbe Stunde spazieren. Dann las ich, wieder zu Hause angekommen, eine ganze Stunde und habe eben auf meinem Zimmer mein Abendbrot und meinen Tee zu mir genommen und – Parsifal ist trotzdem noch lange nicht aus. Die 1500, die heute drin waren, müssen wundervoll gesund sein, oder 750 davon haben nach drei Tagen – denn es regnet und ist hundekalt – Katarrh, Brechdurchfall, Magenerkältung und Rheumatismus. Der passionierte Mensch hält alles aus; ich meinerseits bin doch fast traurig, auf Reisen (und vielleicht auch sonst) immer ein Schwächling gewesen zu sein. […]
Jetzt ist es 9 Uhr 20, aber Parsifal spielt noch immer. Die Eßzelte sind im Freien; es muß einige Erfrorene geben, sonst ist keine Raison mehr in der Welt.
Wie immer
Dein Alter.
Quelle: Theodor Fontane an seine Frau Emilie Fontane, Bayreuth, 28. Juli 1889; abgedruckt in Theodor Fontane, Werke, Schriften und Briefe, herausgegeben von Walter Keitel und Helmuth Nürnberger, zweiundzwanzig Dünndruckbände in vier Abteilungen. Abteilung IV, Briefe, Bd. 3, 1879–1889. Munich: Carl Hanser Verlag, 1980, S. 706–7.