Kurzbeschreibung

In dem folgenden Auszug aus seinem politischen Glaubensbekenntnis aus dem Jahr 1820 entwickelt Clemens Fürst von Metternich das Argument weiter, das er in seinem Brief an Friedrich Gentz vom 17. Juni 1819 darlegt hatte. Besonders macht er Intellektuelle aus dem Mittelstand für revolutionäre Umstürze verantwortlich, während das einfache Volk die Autokratie eher hinnähme. Der Text entstammt einer Sammlung von politischen Schriften Metternichs, die posthum von seinem Sohn herausgegeben wurden. Metternich schrieb seine politischen Abhandlungen wie auch seine Memoiren auf Französisch.

Auszug aus Clemens Fürst von Metternichs politischem Glaubensbekenntnis (1820)

  • Clemens Wenzel Lothar von Metternich

Quelle

Gibt es denn noch Heilmittel gegen das Übel, und welche könnten es sein?

Wir glauben, daß es grundsätzlich für jedes Übel ein Heilmittel gibt und daß die Kenntnis der wahren Natur des einen zur Entdeckung des anderen führt. Wenige Menschen jedoch halten sich mit dem genauen Studium jenes Übels auf, das sie sich zu bekämpfen vorgenommen haben. Es gibt kaum jemand, der nicht von Leidenschaften beeinflußt ist oder unter dem Joch von Vorurteilen steht; und es gibt eine große Zahl, die verleitet von außenstehenden, oftmals brillianten, Schmeichlern an noch viel gefährlicheren Ufern fischt; wir hören, daß vom Geiste eines Systems die Rede ist; dieser stets falsche, aber unermüdliche, unverschämte und zur Selbstbeschränkung unfähige Geist ist befriedigend für die Menschen, die von ihm durchdrungen sind (da sie eine von ihnen selbst erschaffene Welt bewohnen und regieren), aber umso gefährlicher für die Bewohner der wirklichen Welt, die sich so sehr von der durch den Geist des Systems erschaffenen unterscheidet.

Es gibt noch eine weitere Sorte von Menschen, die ein Übel nur nach seiner äußeren Form erfaßt, indem sie seine Einzelerscheinungen mit dem Grundübel verwechselt und die sich damit begnügt, nebensächliche Symptome zu bekämpfen anstatt ihre Bemühungen auf die Quelle des Übels zu richten.

Es ist unsere Pflicht, uns darum zu bemühen, die eine wie die andere dieser Klippen zu umschiffen.

Das Übel existiert, und es ist groß. Wir glauben nicht, es besser definieren zu können in seinem einfachen Ursprung und seiner ständig, überall und immer agitierenden Art, als daß wir uns nicht zum Sklaven von Mutmaßungen gemacht hätten, dieses unzertrennlichen Begleiters des Halbwissens, dieses Vehikels eines vermessenen Ehrgeizes, in Zeiten der Schwierigkeiten und des Aufruhrs so leicht zu befriedigen.

Dieser moralische Krebsschaden hat hauptsächlich die mittleren Gesellschaftsklassen ergriffen. Und nur in ihren Kreisen finden man die eigentlichen Koryphäen der Partei.

Die breite Mehrheit des Volkes bietet ihm kaum eine Angriffsfläche und wird sie auch nicht bieten. Die Aufgaben, denen diese Klasse, das wahre Volk, verpflichtet ist, sind viel zu beständig und zu positiv, als daß es sich in die Ungewissheit der Abstraktion und des Ehrgeizes hineinwerfen würde. Das Volk weiß, was am meisten zu seinem Glück beiträgt, nämlich, daß es sich auf das Morgen verlassen kann. Denn die Zukunft ist der ausschließliche Lohn für die Leiden und Sorgen des Gestern. Es sind ihrem Wesen nach einfache Gesetze, die einen gerechten Schutz der wichtigsten Güter, der Sicherheit des Einzelnen und der Familien sowie des Eigentums versichern. Das Volk fürchtet sich vor der Unruhe, die dem Gewerbe schadet und die ihm in ihrem Gefolge ständig neue Belastungen aufnötigt.

Die Männer der gehobenen Gesellschaftsklassen, die sich der Revolution verschreiben, leiden entweder an falschem Ehrgeiz, sind geistig verworren oder, im weitesten Sinne des Wortes, verloren. Außerdem ist ihre Karriere doch gewöhnlicherweise kurz. Sie sind die ersten Opfer politischer Reformen und die kleine Zahl unter ihnen, die überlebt, spielt die Rolle des von seinen Untergebenen verachteten Höflings welcher in die vordersten Reihen des Staates aufgestiegen ist.

Frankreich, Deutschland, Italien und Spanien bieten heutzutage eine Fülle an Beispielen von dem, was wir gerade dargelegt haben.

Wir glauben nicht, daß heutzutage in Frankreich neue Umstürze mit dem direkten Ziel einer Revolution zu befürchten sind – außer Palastrevolutionen sowie in den obersten Rängen der Regierung –, wenn man die ausgeprägte Abneigung des Volkes gegenüber allem berücksichtigt, was die Ruhe stören könnte, derer es sich nach all dem Leiden und den Katastrophen erfreut.

In Deutschland, wie in Spanien und Italien, erwarten die Menschen nichts als Frieden und Ruhe.

In diesen vier Ländern stammen die Unruhestifter aus der Reihen der Reichen, den echten Kosmopoliten, die sich ihre Profite auf Kosten jeglicher Ordnung sichern; außerdem denen der Beamten, Gebildeten, Anwälten sowie einzelner, die der öffentlichen Erziehung vorstehen.

Diesen vermittelnden Klassen schließen sich noch die von falschem Ehrgeiz geleiteten an, deren Zahl in höheren Gesellschaftskreisen umso beachtlicher ist, in niedrigeren Kreisen jedoch niemals so sehr.

Außerdem gibt es kaum eine Zeit, in der sich den Umstürzlern nicht eine bestimmte Gelegenheit zum Zusammenrufen bietet.

Dieser Ruf besteht seit dem Jahre 1815 in dem nach einer Verfassung. Doch man sollte sich nicht täuschen lassen: Dieser Begriff, der einer breiten Interpretation offen steht, wäre nur unvollständig verstanden, würde man annehmen, daß die Umstürzler ihm in verschiedenen Regierungsformen unterschiedslos den gleichen Sinn zuweisen würden. Dies ist keineswegs der Fall.

In den reinen Monarchien hat es die Bedeutung einer „Nationalvertretung“, in den Ländern, die seit kurzem einem Repräsentativsystem unterliegen, verschreibt es sich der Herausbildung und Gewährleistung von Rechtskatalogen und Grundgesetzen.

In dem einzigen Staat, der über eine alte Nationalvertretung verfügt, verfolgt es ein Reformziel.

Überall steht es für Wandel und Aufruhr.

Zusammengefaßt bedeutet es für eine reine Monarchie, daß „der Stand der Gleichheit oberhalb Eurer Köpfe verläuft, daß Eure Vermögen in andere Hände übergehen und daß Euer über Jahrhunderte befriedigtes Bestreben Platz macht für ungeduldige und bislang unterdrückte Bestrebungen.“

In einem einer neuen Regierungsform unterworfenen Staat bedeutet es, „daß bislang befriedigte Bestrebungen solchen des Morgen weichen, und die Folgen erleben wir schon.“

In England schließlich, dem einzigen Staat der dritten Kategorie, vereinigt der Ruf nach Versammlung – derjenige nach Reform – die beiden Bedeutungen.

Dem unparteiischen Betrachter bietet sich daher ein zugleich bedauernswertes wie bizarres Europa.

Überall finden wir Völker, treu Gott und ihrer Herrschaft ergeben, die einzig dem Wunsch nach Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung Ausdruck geben und mit Befremden den Versuchungen und Überredungen der Umstürzler gegenüberstehen, die sich ihre Freunde nennen und die sie in unerwünschte Veränderungen hineinziehen wollen!

Die Regierungen haben ihren festen Standpunkt verloren; verschreckt, verängstigt und irregeführt durch diese Rufe von Seiten der gesellschaftlichen Mittlerkräfte, welche, zwischen König und Volk sitzend, das Zepter des einen brechend und die Stimme des anderen usurpierend, sich aller Mittel des Thrones bemächtigt haben; dieser Klasse, die so häufig vom Volk nicht anerkannt wird, wenn sie sich anmaßt, in seinem Namen zu sprechen, und die dennoch so sehr gehört, geliebkost und gefürchtet wird; wobei ein einziges Wort sie in die Unbedeutendheit verweisen könnte.

Wir beobachten, daß diese Mittlerklasse sich in blindem Eifer und mit einer Erbitterung geriert, die eher von ihrer eigenen Furcht zeugt als daß sie Vertrauen in den Erfolg ihrer Unternehmungen fördert; und zwar mit allen Mitteln, die ihr angemessen erscheinen, um ihren Durst nach Macht zu stillen und sich dazu verwendet, die Könige davon zu überzeugen, daß deren Rechte sich darauf beschränken, auf einem Thron zu sitzen, ebenso wie es das Recht dieser Kaste sei, zu regieren und all das anzugreifen, was über Jahrhunderte an Heiligem und Gutem auf die Menschheit gekommen ist; und den Wert der Vergangenheit zu verneinen und sich selbst zum Schöpfer der Zukunft zu ernennen. Wir beobachten, wie sich diese Klasse alle Masken überzieht, sich je nach ihren Bedürfnissen vereinigt oder spaltet, sich untereinander bei Angriffen beisteht und am nächsten Tag jeweils über jeden neuen Sieg lästert. Sie ist es, die sich der Presse bemächtigt, diese befehligt und sie nur benutzt, um Gottlosigkeit und Ungehorsamkeit gegenüber den Gesetzen der Religion und des Staates zu preisen, und die sich selbst vergißt bis zur Grenze, daß sie Mord als Pflicht predigt – wenn man es so will.

Eine ihrer Koryphäen in Deutschland definiert die öffentliche Meinung folgendermaßen: „Der Geist der Partei wurzelt fest im Willen des Menschen“; eine Richtlinie, die nur allzu oft praktisch umgesetzt wird und zuwenig von den Menschen erkannt wird, die zugleich das Recht und die Aufgabe haben, die Gesellschaft vor ihren eigenen Fehlern und ihren eigenen Schwächen zu schützen sowie vor den Verbrechen des Klüngels, der so tut als ob er in ihren Interessen handelt.

Das Übel liegt klar zutage: Die Mittel, deren sich die zerstörerischen Umstürzler bedienen, sind im Prinzip so verwerflich, sie sind derartig kriminell in ihrer Anwendung, sie bergen sogar eine Reihe von Gefahren für die Umstürzler selbst, so daß die Menschen mit verengtem Blick, deren Kopf und Herz von Umständen gebrochen ist, die stärker waren als ihre Berechnung und ihr Mut, dies als das Ende der Gesellschaft ansehen, was ein erster Schritt hin zu einer besseren Ordnung der Dinge werden kann. Diese schwachen Menschen werden zur Vernunft kommen, zumindest wenn nicht stärkere Menschen als sie sich vorschieben, ihren Platz einnehmen und ihren Sieg doch noch erkämpfen.

Wir sind überzeugt, daß die Gesellschaft nicht mehr gerettet werden kann ohne starke und kräftige Hingabe von seiten jener Regierungen, die in ihren Überzeugungen und Handlungen noch frei sind.

Desgleichen sind wir überzeugt, daß dies noch geschehen kann, wenn die Regierungen sich der Wahrheit gegenüber aufgeschlossen zeigen, sich von Illusionen befreien, ihre Reihen schließen und sich ohne jede Zweideutigkeit deutlich und explizit auf eine Linie richtiger Grundsätze begeben.

Bei einem solchen Verhalten werden die Monarchen zunächst ihre Pflichten ausüben können, wie sie ihnen von Jenem aufgegeben worden sind, indem Er ihnen die Macht anvertraut hat, nämlich sie beauftragt hat, über die Einhaltung der Gerechtigkeit und der Rechte des Einzelnen und der Gesamtheit zu wachen, Irrwege zu vermeiden und sicher auf den Pfaden der Wahrheit zu wandeln. Indem sie sich ausserhalb der Leidenschaften befinden, die die Gesellschaft aufrütteln, sind sie in Krisentagen hauptsächlich dazu aufgerufen, die Wirklichkeit ihrer falschen Erscheinung zu entkleiden und sich als das zu zeigen, was sie sind: Väter, bekleidet mit der vollen Autorität, die dem Oberhaupt der Familie zusteht, um zu beweisen, daß sie es verstehen, in Zeiten der Trauer gerecht, weise und deshalb auch stark zu sein, und daß sie angesichts des Spiels der Umstürzler und der daraus erwachsenden Fehler, die auf fatale Weise zur Niederlage der Gesellschaft führen müssen, das Volk nicht im Stich lassen, das zu regieren ihre Pflicht ist.

Der Augenblick, in dem wir diese Gedanken hier niederschreiben, ist einer dieser Krisenmomente; diese Krise hat ein großes Ausmaß; sie wird entscheidend sein, je nachdem für welche Seite man Partei ergreift.

Es gibt eine gemeinsame Verhaltensregel für Menschen wie für Staaten, die sich aufgrund der Erfahrung von Jahrhunderten wie des Alltäglichen herausgebildet hat; diese Regel besagt: „Man solle nicht in aufgewühltem Zustand über Veränderungen nachdenken; die Weisheit besagt, daß man sich in solchen Momenten auf die Erhaltung des Überkommenen beschränkt.“

Mögen doch die Monarchen dieses Prinzip gründlich beherzigen und alle ihre Beschlüsse davon geprägt sein. Mögen doch ihre Handlungen, ihre Maßnahmen und sogar ihre Reden der Welt diese Entschlossenheit verkünden und beweisen; sie werden überall Verbündete finden. Indem die Regierungen das Stabilitätsprinzip durchsetzen, werden sie keineswegs die Fortentwicklung des Guten ausschließen, denn Stabilität bedeutet nicht Unbeweglichkeit. Es ist jedoch Pflicht derer, die mit der schweren Aufgabe des Regierens beauftragt sind, das Wohlergehen der Völker zu mehren. Es ist Aufgabe der Regierungen, nach Bedarf und Zeit hier das richtige Maß zu finden. Es ist nicht möglich, von Weisheit bestimmte Reformen zu verwirklichen, indem die Umstürzler sich gegenüber der legitimen Macht auf Konzessionen verständigen, zu denen sie weder das Recht haben, sie zu fordern, noch über die Fähigkeit verfügen, sie billigerweise einzuhalten. Unser sehnlichster Wunsch ist es, daß sich alles Gute, das machbar ist, erreichen läßt – was jedoch nicht Teil des Guten ist, soll nicht mit diesem verwechselt werden – und daß das wahrhaft Gute ausschließlich von denen verwirklicht wird, die sich unter dem Recht der Autorität vereinigen und über die Mittel zur Umsetzung verfügen. Dies muß auch der ernsthafteste Wunsch der Völker sein, die nur allzusehr auf ihre Kosten gelernt haben, den Wert bestimmter Phrasen und den wahren Charakter bestimmter Schmeicheleien einzuschätzen.

Respekt für alles Existierende; Freiheit für alle Regierungen, über das Wohlergehen ihres eigenen Volkes zu wachen; ein Bündnis aller Regierungen gegen die Umstürzler in allen Staaten; Verachtung für die sinnentleerten Worte, die zur Parole der Wortführer der Umstürzler geworden sind; Respekt gegenüber der auf legalen Bahnen fortschreitenden Entwicklung der Institutionen; Zurückweisung von Seiten der Monarchen für jegliche Unterstützung oder Hilfe für parteiliche Menschen, gleich hinter welcher Maske sie sich verbergen; zum Glück gehen die Überzeugungen der Monarchen in diese Richtung; die Welt könnte gerettet werden, wenn sie jene in Handeln umsetzen würden; sie ist aber verloren, tun sie es denn nicht.

Die Einigkeit unter den Monarchen ist das grundlegende Fundament der Politik, das heute verfolgt werden muß, um die Gesellschaft vor ihrer totalen Zerstörung zu bewahren.

Was ist das genaue Ziel, auf das diese Politik gerichtet sein muß? So sehr dieser Frage Bedeutung zukommt, so sehr ist es notwendig, sie zu lösen. Ein Prinzip mag wichtig sein, doch erhält es an Wert erst durch seine Anwendung.

Die Ursprünge des Übels, das die Welt niederdrückt, wurden von uns dargelegt durch eine Ausarbeitung, die keinen anderen Anspruch hat als eine Skizze zu sein. Auf die andauernden Ursachen des Übels wurde hierin hingewiesen; wenn es sich in Bezug auf die Beziehungen von Einzelpersonen als Hochmut darstellt, so glauben wir zugleich, daß, auf die Gesamtgesellschaft angewendet, wir das bestehende Übel mit der Ungenauigkeit der Ideen bezeichnen können, die ständig von einem Zuviel und einer Verallgemeinerung angeleitet sind. Betrachten wir nunmehr, was die Gesellschaft heute aufwühlt.

Alles, was bis heute als unumstößliche Grundsätze angesehen wurde, wird angegriffen und verdreht.

Im religiösen Bereich sollen menschliches Urteil und Analyse den Glauben ersetzen; die christliche Moral soll das Gesetz Christi ersetzen, so wie es durch die kirchlichen Autoritäten ausgelegt worden ist.

Dies ist letztendlich der Zweck, dem sich mit glühendem Eifer in der katholischen Kirche die Jansenisten und ein Haufen einzelner Sektierer widmen, die sich eine Religion ohne Kirche wünschen; innerhalb der protestantischen Kirchen gibt es die Methodisten, die selbst wiederum in fast soviele Untergliederungen aufgesplittert sind wie es Einzelmitglieder gibt; schließlich die aufgeklärten Verfechter der Bibelgesellschaften und die sogenannnten Unierten, Verfechter eines Zusammenschlusses von Lutheranern und Calvinisten in einer evangelischen Gemeinschaft.

Das Ziel, das diesen Menschen allen gemein ist, egal welcher Religion sie äußerlich angehören, besteht in der Verdrehung der Autorität. Auf moralischem Gebiet wollen sie die Seelen frei lassen, genauso wie diejenigen unter den politischen Revolutionären sich nicht auf das Kalkül ihrer persönlichen Bestrebungen beschränken, sondern auch Menschen befreien wollen.

Auch wenn die gleichen zerstörerischen Elemente, die heutzutage unsere Gesellschaft aufwühlen, während all der Jahrhunderte bestanden hätten – denn jede Epoche gebiert unmoralische Bestrebungen, Heuchler, Hirnverbrannte, Verbildete und Ränkeschmiede –, so besitzt doch die unsere, einzig durch die Tatsache der Presselizenz, mehr als alle vorangegangenen Epochen ein Verbindungsmedium der Verführung und großen Übereinstimmung, das zügig eingesetzt werden kann und geeignet ist, verschiedene Klassen zu erreichen.

Wir sind sicherlich nicht die einzigen, die sich fragen, ob eine Gesellschaft mit Pressefreiheit überhaupt leben kann – dieser der Welt bis zur zweiten Hälfte des Siebzehnten Jahrhunderts unbekannten Geißel, die zudem bis auf wenige Ausnahmen einzig auf England, diesem von Europa durch das Meer wie auch durch seine Sprache und seine sonderbaren Sitten getrennten Teil, beschränkt war.

Der erste von den in ihrem Willen, wie auch in der Einigkeit ihrer Wünsche und ihres Urteils, geeinten Monarchen zu befolgende Grundsatz muß sein, die Stabilität politischer Institutionen der ungeordneten Bewegung entgegenzustellen, die sich des Geistes bemächtigt hat; die Unverrückbarkeit der Grundsätze gegenüber der Manie ihrer Interpretation; der Respekt vor den Gesetzen gegenüber ihrer Verdrehung.

Die feindlichen Umstürzler sind in zwei sehr verschiedene Gruppen aufgeteilt. Die eine ist die der Gleichmacher, die andere die der Doktrinäre.

Vereint in der Zeit des Umsturzes, trennen sie sich hernach wieder. Die Regierungen haben die Pflicht, sie zu kennen und richtig einzuordnen.

In der Gruppe der Gleichmacher befinden sich willensstarke und entschlußfreudige Männer. Die Doktrinäre weisen keine von diesen in ihren Rängen auf. Wenn auch die erste Gruppe am Tage des Geschehens stärker zu fürchten ist, so stellt die zweite Gruppe doch eine größere Gefahr dar in der Phase der trügerischen Ruhe, die vorausgeht: wie beim echten Gewitter, so auch in der Gesellschaftsordnung. Ständig abstrakten, niemals auf echte und einfache Bedürfnisse anwendbaren Ideen hingegeben, sogar im Widerspruch zu diesen Bedürfnissen stehend, sind es die Menschen dieser Klasse, die nicht aufhören, das Volk mit ihren eingebildeten und vorgetäuschten Sorgen aufzuwiegeln und schließlich die Regierungen anzustacheln, vom richtigen Weg abzuweichen. Die Welt möchte von Fakten und nach Maßgabe der Gerechtigkeit regiert werden und nicht durch Phrasen und Theorien. Das erste Bedürfnis einer Gesellschaft ist es, von einer starken Obrigkeit aufrechterhalten zu werden (jede Obrigkeit ohne echte Gewalt verdient nicht den Namen) und sich nicht selbst zu regieren. Zählt man die Zahl der Gefechte, die sich die Parteien in den gemischten Regierungen liefern, und der Beschwerden auf dem Rechtsweg, der durch einen Missbrauch der Macht in einem christlichen Staat offen steht, so wendet dieser Vergleich nichts zugunsten der Doktrinäre. Das erste und wichtigste Anliegen für die Mehrheit eines Staates ist die Unverrückbarkeit des Rechts, seine ununterbrochene Geltung und seine Unveränderlichkeit. Mögen die Regierungen so regieren, daß sie die Grundlagen ihrer alten wie neuen Institutionen aufrechterhalten, denn wie zu allen Zeiten ist es gefährlich, hieran zu rühren; dies ist nicht nur heute und in der allgemeinen Aufruhr eine nützliche Sache.

Mögen sie gegenüber ihrem Volk diese Entschlossenheit zeigen, und mögen sie dies durch Taten tun. Mögen sie die Doktrinäre innerhalb ihres Landes zum Schweigen bringen und ihre Verachtung gegen sie Aussenstehenden gegenüber zum Ausdruck bringen. Mögen sie in ihrem Vorgehen und ihren Handlungen nicht nachgeben auf den Verdacht hin, daß sie Fehlern billigend oder gleichgültig gegenüber stehen; mögen sie niemanden glauben lassen, daß es auf die Erfahrung nicht mehr ankäme und diese risikobehafteten Versuchen Platz zu machen habe. Mögen sie genau und klar in jeder ihrer Aussagen sein und nicht versuchen, etwas dadurch zu gewinnen, daß sie den Umstürzlern, die nichts im Sinn haben als die Zerstörung jeglicher Macht, die nicht die ihre ist, Zugeständnisse machen – denn Zugeständnisse bringen gar nichts außer daß sie deren Ansprüche auf Macht noch erhärten.

Mögen sie in den Zeiten der Aufruhr noch viel zurückhaltender sein als sonst auf ihrem Weg zu echten Verbesserungen, aber nicht gebieterisch von den Bedürfnissen des Augenblicks in Anspruch genommen zu sein, damit sich das Gute nicht schließlich gegen sie wendet, was oftmals dann passiert, wenn eine Regierungsmaßnahme von Furcht diktiert gewesen zu sein scheint.

Mögen sie schließlich nicht das Gute, das sie für ihr Volk tun, mit Zugeständnissen an die Umstürzler verwechseln, indem sie einen Teil ihrer Verwaltung, die nach einer solchen Maßnahme verlangt hat, angesichts der anerkannten Bedürfnisse verändern.

Mögen sie den Finanzen ihres Landes genaueste Beachtung schenken, um ihren Völkern durch eine Erleichterung der öffentlichen Abgaben schmackhaft zu machen, daß das Wohlergehen eines friedlichen Staates keine Illusion, sondern Realität ist.

Mögen sie gerecht, aber stark, wohlwollend, doch streng sein.

Mögen sie die religiösen Grundsätze in all ihrer Reinheit bewahren und nicht erlauben, daß das Dogma angegriffen wird und die Moral nach dem Gesellschaftsvertrag oder den Vorstellungen einfacherer Sektierer ausgelegt wird.

Mögen sie die Geheimgesellschaften, diesen Wundbrand der Gesellschaft, auslöschen.

Mögen sich schließlich die großen Herrscher wieder in ihrem Bund zusammenschließen und der Welt beweisen, daß er besteht und nichts als wohltätig ist; denn dieser Bund sichert den politischen Frieden in Europa; möge er nicht nur für die Aufrechterhaltung der Ruhe stark sein in einer Zeit, in der soviele Angriffe gegen ihn gerichtet sind; mögen die Grundsätze, zu denen sie sich bekennen ebenso väterlich und beschützend für die Guten wie bedrohlich für die Störenfriede der öffentlichen Ordnung sein.

Die Regierungen kleinerer Mächte werden in einem solchen Bund einen Anker für ihr eigenes Heil erkennen, und sie werden danach eifern, sich ebenfalls anzuschließen. Die Völker werden daraus Vertrauen und Mut schöpfen und die Geschichte wird die weitreichendste und heilbringendste Befriedigung aller Zeiten demonstrieren, denn dieser Friede wird auf den ersten Blick in allen noch aufrecht stehenden Ländern tragfähig sein; er wird nicht ohne entscheidenden Einfluß bleiben für alle die, die von einer bevorstehenden Subversion bedroht sind und selbst für die Wiedererhebung derer, die schon von der Geißel der Revolution betroffen wurden.

Jeder wichtige Staat, der sich entschließt, die gegenwärtige Aufruhr zu überleben, bewahrt sich auch noch gute Aussichten auf Rettung.

Ein starker Bund der Staaten, basierend auf den Grundsätzen, die wir gerade ausgeführt haben, wird die Aufruhr selbst besiegen.

Quelle: Clemens Wentzel Lothar von Metternich, Aus Metternich’s nachgelassenen Papieren, Band 3, herausgegeben von Richard von Metternich-Winneburg. Wien: Wilhelm Braumüller, 1880–84, S. 410–20.

Übersetzung: Karen Riechert (aus dem Französischen)