Kurzbeschreibung

Diese Erklärung des Nationalvereins zu einer deutschen Verfassung verdeutlicht die von ihm vertretene Ansicht, dass ein deutscher Nationalstaat nur auf Grundlage einer liberalen Reformregierung in Preußen möglich sei.

Der Nationalverein zur deutschen Verfassungsfrage (1860)

Quelle

Das deutsche Volk wird seinen Anspruch auf bundesstaatliche Einheit, welcher durch das Gesammtorgan des Bundes und alle einzelnen deutschen Regierungen anerkannt ist und in der Reichsverfassung von 1849 seinen rechtlichen Ausdruck gefunden hat, nimmermehr aufgeben.

Hiernach erkennt es der Nationalverein für seinen Beruf, auf die Schaffung einer einheitlichen Centralgewalt und eines deutschen Parlaments mit allen gesetzlichen Mitteln hinzuwirken. Zu den Befugnissen der Centralgewalt gehört vor Allem die militärische Obergewalt und die ausschließliche Vertretung gegenüber dem Ausland.

Der Nationalverein erwartet, daß jeder deutsche Volksstamm willig die Opfer bringen werde, die zu Erreichung der Größe und Einheit Deutschlands nöthig sind. Das preußische Volk muß vor allem darthun, daß es trotz seiner glänzenden Geschichte und trotz der Großmachtstellung des preußischen Staats sich als Theil des deutschen Volkes fühle und daß es gleich jedem andern Staate Deutschlands der deutschen Centralgewalt und Volksvertretung sich unterordne.

Wenn die preußische Regierung die Interessen Deutschlands nach jeder Richtung thatkräftig wahrnimmt und die unerläßlichen Schritte zur Herstellung der deutschen Macht und Einheit thut, wird gewiß das deutsche Volk vertrauensvoll die Centralgewalt dem Oberhaupt des größten reindeutschen Staates übertragen sehen.

Der Nationalverein gibt keinen Theil des deutschen Bundesgebietes auf. Er erkennt die deutschen Provinzen Österreichs als natürliche Bestandtheile des Vaterlands und wird mit Freude den Augenblick begrüßen, welcher den Anschluß dieser Provinzen an das geeinigte Deutschland möglich macht.

Die Gemeinsamkeit des Bluts, der Geschichte, der Interessen weisen uns auf die innigste Verbindung mit ihnen hin, auf eine durch Übereinstimmung der politischen Institutionen und durch den ungehemmtesten geistigen und wirtschaftlichen Verkehr inniger als bisher geknüpfte Verbindung. Der Verein wird aber auch, falls die Macht der Verhältnisse und unbesiegbare Hindernisse die deutschen Theile Österreichs vom gleichzeitigen Anschluß an den deutschen Bundesstaat abhalten, sich hiedurch nicht hindern lassen, die Einigung des übrigen Deutschlands anzustreben.

Wie dieser auch in der nächsten Zukunft das Verhältniß dieser Provinzen zu dem übrigen Deutschland gestalten mag: der Verein hält fest an der Zuversicht, daß jener unvertilgbaren inneren Gemeinschaft auch die rechte Form der äußeren politischen Einigung auf die Dauer nicht fehlen kann.

Quelle: Verhandlungen der ersten Generalversammlung des deutschen Nationalvereins, 1860, S. 15f; abgedruckt in Ernst Rudolf Huber, Hrsg., Deutsche Verfassungsdokumente, 18511900, Band 2, Dokumente zur deutschen Verfassungsgeschichte, dritte neubearbeitete und vermehrte Auflage. Stuttgart: W. Kohlhammer, 1986, S. 108–09. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung des Kohlhammer-Verlags.