Kurzbeschreibung

Der Dichter und Dramatiker Andreas Gryphius (1616–1664) wurde in Glogau in Schlesien geboren. Nach seinem Studium in Leiden und verschiedenen Reisen durch Europa kehrte er nach Schlesien zurück, wo er den Rest seines Lebens verbrachte. Er gilt als der bedeutendste Dichter des deutschen Barock und ist besonders für seine Sonette berühmt. Sein Werk ist geprägt von den Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges und der damit einhergehenden Zerstörung, dem Elend und der religiösen Verfolgung. Während des Krieges schrieb er dieses Sonett mit dem Titel „Menschliches Elende“. Das Gedicht greift das für die barocke Lyrik typische vanitas-Motiv auf und vermittelt einen Eindruck davon, wie die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges das Weltbild seines 21-jährigen Autors und vieler seiner Zeitgenossen prägten.

Andreas Gryphius, Menschliches Elende (1637)

Quelle

Was sind wir Menschen doch? ein Wohnhaus grimmer Schmertzen.
Ein Ball deß falschen Glücks / ein Irrlicht dieser Zeit.
Ein Schauplatz herber Angst / besetzt mit scharffem Leid /
Ein bald verschmeltzter Schnee und abgebrante Kertzen.

Diß Leben fleucht davon wie ein Geschwätz und Schertzen.
Die vor uns abgelegt deß schwachen Leibes Kleid
Und in das todten-Buch der grossen Sterbligkeit
Längst eingeschrieben sind / sind uns auß Sinn und Hertzen.

Gleich wie ein eitel Traum leicht auß der acht hinfällt /
Und wie ein Strom verscheust / den keine Macht auffhält:
So muß auch unser Nahm / Lob Ehr und Ruhm verschwinden /

Was itzund Athem holt / muß mit der Lufft entflihn /
Was nach uns kommen wird / wird uns ins Grab nach zihn
Was sag ich? wir vergehn wie Rauch von starken Winden.

Quelle: Andreas Gryphius, Sonette, Lissa, 1637. Aufnahme: Invitation to German Poetry. By Gustave Mathieu and Guy Stern. Read by Lotte Lenya. Dover Publications (IPG1/2), 1959. Internet Archive https://archive.org/details/lp_invitation-to-german-poetry_lotte-lenya/disc1/01.01.+Band+1%3A+Unter+Der+Linde%3B+Menschliches+Elende%3B+Das+Rosenband%3B+Der+Tod+Und+Das+Madchen%3B+Abendlied.mp3

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