Kurzbeschreibung

Bis zum späten 15. Jahrhundert bestand das Reich hauptsächlich aus Territorien, die von Fürsten regiert wurden, deren Autorität aus einem Bündel oft unterschiedlicher Rechte bestand. Die Anfänge der institutionalisierten Zentralgewalt liegen im späteren 15. Jahrhundert, etwa zeitgleich mit der Reichsreform. In den meisten dieser semi-souveränen Staaten spielten die Stände—Adel, Prälaten, Städte und gelegentlich auch Bauern—eine bedeutende Rolle bei der Konsolidierung der Fürstentümer zu Territorialstaaten. In dem südwestlichen Territorium Württemberg waren die Stände zwischen den 1470 er und 1490er Jahren an der Territorialregierung beteiligt. Das Territorium war bereits 1482 durch die Erklärung seiner Unteilbarkeit gegen weitere Zersplitterung abgesichert worden; es erhielt eine feste Residenz in Stuttgart sowie eine Universität in Tübingen, und mit der Erhebung Württembergs von der Grafschaft zum Herzogtum 1495 wurde die Primogenitur (Erstgeburtsrecht) eingeführt. Die scheinbar reibungslose Umwandlung Württembergs ist der Tatsache zuzuschreiben, dass dessen Städte mächtig und dessen Adel schwach waren. Es gab allerdings eine Krise unter Herzog Ulrich (1487–1550), der wegen seiner immensen Schulden und seiner Reaktion auf einen Bauernaufstand 1514 in Konflikt mit den Landständen geriet. Das Ergebnis war der Tübinger Vertrag, welcher von den am Anfang des Dokuments genannten kaiserlichen Räten verhandelt wurde. Die Stände verpflichteten sich darin, für fast vierzig Jahre für die herzoglichen Schulden aufzukommen und erhielten im Gegenzug weitreichende Zugeständnisse z.B. hinsichtlich der Mitbestimmung bei der Steuererhebung. Das Dokument fungierte bis zu seiner Aufhebung infolge eines Staatsstreichs 1805 als eine Art schriftlicher Verfassung für das Herzogtum Württemberg.

Fürst und Stände—Tübinger Vertrag (1514)

Quelle

Des allerdurchleuchtigsten, grossmechtigsten fürsten und herren hern Maximilian von gots gnaden romischen kaysers zu allen zyten merers des rychs etc. unsers allergnedigsten hern gesandt räte, mit namen wir Jörig grave zu Montfort her zu Bregentzs, Cristof herr zu Limppurg des hailigen rychs erbschenckh semperfry und Johann Schad baider rechten doctor und von gottes gnaden wir Wilhälme bischofe zu Strassburg landgrafe in Elsäss, ouch von denselben gnaden wir Hug bischof zu Costantzs, auch wir nachbenanten Schenckh Valentin her zu Erbach, Florentz von Veningen baider rechten doctor cantzler und Franciscus von Sickhingen von unsern gnedigsten und gnedigen hern hern Ludwig churfürsten und hern Friderichen baiden pfalntzgrafen by Reyn und hertzogen in Bayrn gebrüder, Petter von Uffsess zu Bamberg und Wirtzburg thumbherr, propst zu Chomberg und Ludwig von Hutten ritter von unserm gnedigen hern, hern Lourentzen bischofen zu Wirtzburg und hertzogen zu Francken und Pleyckher Landtschade von mins gnedigen hern hern Philipsen marggraven zu Baden und Rötteln,

gesandt und verordnet räte bekhennen ofenlich in disem briefe und thund kund allermeniglich, nachdem sich zwischend dem durchlenchtigen hochgebornen fürsten und hern hern Ulrichen hertzogen zu Wirttemberg und zu Teckh, grafen zu Mümppelgart etc. unserm lieben hern freund und gnedigen hern ains und den erwürdigen und ersamen prelaten und gemainer landschaft siner lieb und gnaden fürstenthumbs verwanten und unterthanen anderstails etlich spenn und gebrechen gehalten, derenhalb etwas ufruren under gemainer landschaft sich erwegt und begeben, aber darzwischent sovil in der gütin fürgenommen und gehandelt, das dieselbige zu gemainem siner lieb und gnaden usgeschriben landtag alher und zu ferrer handlung gebracht, ouch etwas vil tag her zwischent inen baydersyts gehandelt worden, aber zuletzst für uns zu gütlicher handlung kommen, darinn wir sovil arbait und flys fürgewent und gethon, das wir sie solicher aller und sonderlich mit ir baider tailen gutem wissen und willen in der güte entschaiden und vertragen haben, wie hernach folgt.

[1] Nemlich und zum ersten söllent die landschaft für sich obgemeltem hertzog Ulrichen fünf jar lange die nesten ains jeden jars geben und raichen zway und zwaintzig tusend guldin, dartzu söllent im die prelaten, stift, clöster, ouch die ämpter Mümpelgart, Nürtingen, Plamont und Rychewylr ouch geben und raychen, als vil by denselben allen erraicht werden mag, und sölichs alles, so die angezögten fünf jar lang allenthalp, wie obstet, gefellt, söllent zu hertzog Ulrichs wachender schuld und zu stattlicher bezalung der gilten bewendt werden.

[2] Darnach und nach usgang der fünf jaren obgemelt söllent gemaine landschaft mit sampt den prelaten, stiften, clöstern, ouch den ämptern Mümpelgart, Nürtingen, Plawmont und Rychenwyler, so vil by denselben ämptern ouch erlangt werden mag, achtmal hundert tusend guldin houptguts zu ablösung der zins unnd gilten, damit das fürstenthumb beswert ist, uf sich nemen und bezalen, wie hernach folgt. Also das die landschaft für sich daran söllent geben zway und zwantzig tusend guldin aines yeden jars, so lang bis obangezögt summa, achtmal hundert tusend guldin bezalt und abgelöst ist. Daneben söllent die prelaten, stift, clöster und obbestimpt ämpter jedes jars geben, als vil by denselben allen erlangt werden mag. Und was also von den prelaten und ämptern jarlichs gefellt, das soll in die achtmal hundert tusent guldin gerechnet und daran abgezogen,

[3] also was zu yeder zyt jars von solicher somm achtmal hundert tusent guldin der verschribnen gilten obbestimt abgelöst werden, dieselben söllent in hertzog Ulrichs seckel alltzyt gefallen.

[4] Und zu empfahung sölicher järlichen raychung, als nemlich der ersten fünf jaren, auch nachfolgender landsteur der achtmal hundert tusent guldin söllent sonder personen, so vormals mit ämptern ynnemens und usgebens nit beladen sind, von hertzog Ulrichen und der landschaft mit verpflichtung geordnet werden, solicher raychung der ersten fünf jare fürter zu den wachenden schulde und bezalung der gilten und nachmals die landsteuer zu ablosung der zins und gilten, damit das fürstenthumb beswert ist, und nit anders wahin trewlich zu wenden und zu keren und dernhalb alle jar gemeltem hertzog Ulrichen und der landschaft ufrichtlich redlich rechnung zu tund.

[5] Und hieruf soll hertzog Ulrich us sondern gnaden, die er zu siner landschaft tregt, den landschaden, so bisher im gebruch gewesen, yetzo abthun und nachlassen, also das der hinfüro nit mer hegert werden oder sein soll. Doch das dise nachlassung des landschadens und die bezalung der ersten zway und zwaintzig tusend guldin ains mit dem andern zugeen und beschehen.

[6] Der houptkrieg halben, so die zu rettung land, leut und siner herzog Ulrichs verwandten, zu handhabung siner ober- und herlicheit, ouch gerechtigkait, hilf und haltung siner aynung bisher angenomen und beschlossen, und der ihenen, so er fürter seins gefallens dem fürstenthumb zu gut annemen und thun mag, fürgenomen wölten werden, so soll das geschehen mit rat und wissen gemeiner landschaft. Würde aber hertzog Ulrich usserhalb der obgemelten stück ainich krieg fürnemen und yemand us freundschaft oder sunst fürschub oder hilf thun, so soll dasselbig geschehen mit rat, wissen und willen gemainer landschaft, sover anders hertzog Ulrich von inen hilf haben wölt. Und sol in allen stücken hertzog Ulrich wie sine voreltern die liferung geben, desglychen die landschaft mit iren lyben, fürung und anderm dienen, wie von alter herkomen und by hertzog Ulrichs voreltern ouch geschehen ist, alles ungevarlich.

[7] Und ob ain landskrieg obgemelter mass angenomen und man hilf darzu thun müste, das dann dieselbig zyt dise yetzige angenomne hilf ainen stillstand haben soll, doch unabbrüchlich disem zusagen bis zu end der kriegshilf. Dergestalt soll es ouch gehalten werden, wa ein regierender fürst, das got verhüt, gefangen würde, und soll die landschafft alsdann zu erledigung irs regierenden landsfürsten treuwlich helfen und soliche hilf mit irem rat und wissen fürgenotnen werden, wie dann by hertzog Ulrichs voreltern geschehen ist.

[8] Damit ouch der gemain man den last so viel lydenlicher und williger tragen, so soll inen hertzog Ulrich ainen fryen zug gnediglich vergönden und zulassen, doch also das in den nesten fünf, jaren niemands von der landschaft us dem land ziehen.

[9] Wöllt aber jemands in sölcher zyte sine kind us solichen verhyraten, der soll des macht haben mit abzug des zehenden pfennings aller hab, die das usgestürt kind hinus nimpt und solicher abzug des zehenden pfennings soll hertzog Ulrichen in den fünf jaren in sinen seekel gefallen.

[10] Wölicher aber nach usgang sölicher fünf jaren in den andern nestfolgenden fünf jaren hinus ziehen oder sine kind hinus hyraten wölt, der soll das zu thun macht haben mit abzug des zehenden pfennings, wie obsteet.

[11] Wölicher aber nach usgang yetz gemelter zehen jar in nestfolgenden zehen jaren hinus ziehen wölt, der soll den zwaintzigsten pfenning zu abzug geben,

[12] und fürous wer nach den zwainzig jaren hinus zühet, der soll für den abzug zu geben nichtz schuldig, sonnder alsdann fry sein.

[13] Und was also nach verschynung der ersten fünf jaren von abzug gefallet, soll der landschaft zu hilf der zway und zwaintzig tusend guldin zufallen und komen.

[14] Und hieruf söllent land, leut, schloss, stett und dörfer one rat, wissen und willen gemainer landschaft nit mer versetzt oder verendert, aber doch ob sich erschainten eehefig not und ursachen, söllent in sölicher bewilligung ouch betracht und angesenhen werden, ouch gemaine landschaft nit schuldig sein sich fürter mer als mitschuldner zu verschryben und zu besiglen.

[15] Derglychen soll ouch ainich schatzung oder sunst ander unordenlich hilf oder beschwerde, wie die namen haben mügen, fürter uf prelaten oder landschaft nit mer gelegt werden. []

[17] Es soll ouch niemands in pynlichen sachen, wa es eer, lyb oder leben antrifft, anders dann mit urtail und recht gestraft oder getötet, sonder ainem yeden nach sinem verschulden rechts gestattet werden, es were dann in fellen, darin die kayserlichen recht anders zu thond zulassen, und mit gefengnus und frag soll es, wie von alter herkomen ist, gehalten werden. []

[19] Und ob hertzog Ulrich und sein bruder on manlich eeliche lybserben mit toud abgieng, so soll alsdann die obgemelt hilf toud und ab sein, aber nit destweniger die obbestimpten fryhaiten in allweg beständig sein und plyben, doch das die schulden und gilten uf dem fürstenthumb steen, ouch die, so hertzog Ulrich und des bruder hinter inen verlassen würden, vor allen dingen von den gefellen und nutzungen des fürstenthumbs usgericht und bezalt werden.

[20] Und sollent die obangezögt fryhait von hertzog Ulrichen und darnach für und für von aller herschaft allweg in anfang irs regimentz zu halten, des ir brief und sigel, darinnen sie sich by iren fürstlichen wirden im wort der wahrheit dieselben fryhait zu halten verpflichten sollen, gemainer landschaft übergeben werden und davor sie ynzulassen oder inen gehorsami zu laisten nit schuldig sein.

[21] Dagegen söllen gemaine landschaft gemeltem hertzog Ulrichen, sin erben und nachkhomen regierenden globen und schweren, wie inen fürgehalten wirdet von worten zu worten also lutende. []

[23] Und söllent hieruf hertzog Ulrich und gemaine landschaft römisch kayserlich majestat unsern allergnedigsten hern sollicher aller obgeschribner vertreg und fryhaiten gnugsam berichten und ir majestat daruf in undertenigkait bitten gnediglich zu confirmiern und bestetigen. []

Quelle: Paul Sander und Hans Spangenberg, Hrsg., Urkunden zur Geschichte der Territorialverfassung. Neuauflage, Stuttgart, 1965, S. 56–61, Nr. 176.