Quelle
A. Luther auf dem Reichstag zu Worms
Flugschrift
Allergnädigster Kaiser, hochberühmte Fürsten, was jene zwei Artikel angeht, die mir gestern durch Eure heilige Majestät vorgelegt worden sind, nämlich ob ich die aufgezählten und unter meinem Namen ausgegangenen Bücher als die meinen anerkenne und ob ich auf deren Verteidigung beharren oder widerrufen wolle, so habe ich bezüglich des ersten Punktes meine bereitwillige und klare Antwort bereits gegeben, zu der ich bis jetzt stehe und zu der ich auch in Ewigkeit stehen will: Meine Bücher sind unter meinem Namen und von mir verbreitet worden, wenn nicht inzwischen etwa geschehen ist, daß durch die List und unangebrachte Weisheit der Feinde irgend etwas in ihnen verändert oder sinnentstellend ausgezogen worden ist. Denn etwas anderes kann ich selbst nicht anerkennen, als was mir allein gehört und von mir selbst geschrieben wurde, abgesehen von aller wie auch immer beschaffenen [fremden] Auslegungsarbeit.
Wenn ich nun aber auf den zweiten Punkt antworte, so bitte ich, daß Eure heilige Majestät und Eure Herrschaften es für wert erachten, dessen eingedenk zu sein, daß meine Bücher nicht alle von derselben Art sind.
Es gibt da einige, in denen ich über Glauben und Sitten derart einfach und evangelisch gehandelt habe, daß sogar die Gegner gezwungen waren zuzugeben, daß sie nützlich, unschädlich und offensichtlich wert sind der Lektüre eines Christen. Aber auch die Bulle, die sonst wohl Wütendes und Grausames enthält, bezeichnet einige meiner Bücher als unschädlich, wenn sie sie auch verdammt in einem wirklich ungeheuerlichen Urteil. Deshalb bitte ich, was würde ich tun, wenn ich es unternähme, diese Bücher zu widerrufen, und zwar als einziger unter allen Sterblichen diese Wahrheit verdammte, die Freunde und Feinde in gleicher Weise bekennen, mich also allein dem einmütigen Bekenntnis aller widersetzte?
Eine zweite Art [von Büchern] richtet sich gegen das Papsttum und die Sache der Papisten, das heißt gegen solche, die mit ihren sehr schädlichen Lehren und Beispielen die Christenheit als durch ein doppeltes Übel geistlich und körperlich zerstören. Denn keiner kann es leugnen und verhehlen, weil die Erfahrung aller und die Klagen der ganzen Welt es bestätigen, daß durch die Papstgesetze und Menschenlehren die Gewissen der Gläubigen auf elendeste Weise verstrickt, gequält und gemartert worden sind. Dann wurden auch Besitztümer und Vermögenswerte, vornehmlich in dieser berühmten deutschen Nation, durch unglaubliche Tyrannei verpraßt. Und das geschieht bis jetzt weiter ohne Ende auf unwürdigste Weise. Und selbst in ihren Dekretalen verwahren sie sich davor, daß Papstgesetze und -lehren dem Evangelium oder den Lehrmeinungen der Väter widersprechen; diese würden als irrig und verworfen angesehen werden. Wenn ich also auch diese [Bücher] widerrufen würde, würde ich nichts anderes erreichen, als daß ich der Tyrannei neue Kraft zuführte und so großer Gottlosigkeit nicht nur Fenster, sondern auch Türen öffnete, daß sie weiter und freier um sich griffe, als sie bisher jemals gewagt hätte. Und es geschähe durch das Zeugnis dieses meines Widerrufs, daß das Reich ihrer zucht- und zügellosen Leichtfertigkeit dem elenden Volk auf das unerträglichste und doch unumstößlich aufgerichtet würde […]
Die dritte Art meiner Bücher habe ich gegen einige private und – wie man sagt – besondere Personen geschrieben. Das sind solche, die auch die römische Tyrannei zu verteidigen sowie die von mir gelehrte Frömmigkeit zu erschüttern trachteten. Ich bekenne, gegen diese schärfer als mit der Religion oder mit meinem Beruf vertretbar gewesen zu sein: Doch will ich mich nicht zu einem Heiligen machen; ich streite auch nicht über mein Leben, sondern über die Lehre Christi. Und so habe ich nicht freie Hand, diese Schriften zu widerrufen, weil auch durch diesen Widerruf es wiederum so sein würde, daß Tyrannei und Gottlosigkeit unter meinem Schutz gegen das Volk Gottes regierten und wüteten, und zwar heftiger als sie je geherrscht haben.
Weil ich jedoch ein Mensch bin und nicht Gott, so kann ich meinen Büchern keinen anderen Schutz geben als mein Herr Jesus Christus selbst seiner Lehre gab, der vor Hannas über seine Lehre befragt und von einem Diener geohrfeigt sagte: „Wenn ich übel geredet habe, so beweise, daß es böse sei.“ Wenn der Herr selbst, der wußte, daß er sich nicht irren konnte, es doch nicht verweigerte, ein Zeugnis gegen seine Lehre zu hören, und sei es auch von dem geringsten Knecht, wieviel mehr muß ich Abschaum, der ich durchaus irrtumsfähig bin, bitten und warten, ob nicht jemand Zeugnis geben will gegen meine Lehre! Deshalb bitte ich durch Gottes Gnade Eure heilige Majestät, hochberühmte Herrschaften oder sonst jedermann, er sei in höchster oder niedrigster Position, der es vermag. Zeugnis zu geben, mich der Irrtümer zu überführen und zu überwinden mit prophetischen und evangelischen Schriften: Ich werde nämlich ganz und gar bereit sein, wenn ich belehrt werde, jeden Irrtum zu widerrufen, und ich werde dann der erste sein, der meine Bücher ins Feuer wirft.
Aus diesem, so meine ich, geht deutlich hervor, daß ich die Auseinandersetzungen und Gefahren oder wissenschaftlichen Streitigkeiten, die aus Anlaß meiner Lehre in der Welt entstanden sind und derentwegen ich gestern schwer und heftig gemahnt worden bin, ausreichend berücksichtigt und erwogen habe. Mir ist es sogar in den Dingen die angenehmste Erscheinung von allen zu sehen, daß wegen des Wortes Gottes Eifer und Streit entstehen. Dieses ist nämlich der Lauf, die Ereignung und Wirkung des Gotteswortes, wie Christus sagt: „Ich bin nicht gekommen, Frieden zu bringen, sondern das Schwert: Denn ich bin gekommen, einen Menschen gegen seinen Vater zu erregen usw.“ Darum sollen wir dessen eingedenk sein, daß unser Gott wunderbar und furchtbar in seinem Rat ist, damit wir nicht gerade danach streben, Streitigkeiten zur Ruhe zu bringen, wenn wir das unter Verdammung des Wortes Gottes anfangen. Dadurch könnte sich eher eine Flut unerträglicher Übel [über uns] ergießen, und es wäre zu befürchten, daß die Regentschaft dieses jungen, herrlichen Fürsten Karl – auf dem nächst Gott viel Hoffnung steht – einen unglücklichen Anfang nimmt. […] Und so empfehle ich mich Eurer heiligen Majestät und Euren Herrschaften mit der demütigen Bitte, es nicht zu dulden, daß ich wegen des Eiferns meiner Feinde ohne Grund in Ungnade komme. […]
Nachdem dies gesagt worden war, erklärte der Sprecher des Reichstags in ziemlich tadelndem Ton, daß ich nicht zur Sache geantwortet hätte. Auch gezieme es sich nicht, das zu erörtern, was einst auf Konzilien schon verdammt und abgeschlossen definiert worden sei: Deshalb werde von mir gefordert, einfach, ohne Umschweife zu antworten, ob ich widerrufen wolle oder nicht.
Darauf ich.
Da also Eure heilige Majestät und Eure Herrschaften eine einfache Antwort fordern, werde ich diese geben ohne Hörner und Zähne, auf folgende Weise: Wenn ich nicht durch Zeugnisse der Heiligen Schrift oder klare Vernunftgründe überwunden werde – denn weder dem Papst noch den Konzilien allein glaube ich, weil es feststeht, daß sie des öfteren geirrt und sich selbst widersprochen haben –, so bin ich überwunden durch die Schrift, die von mir angeführt worden ist. Mein Gewissen ist im Wort Gottes gefangen. Und ich kann und will auch nichts widerrufen, da gegen das Gewissen zu handeln weder sicher noch einwandfrei ist.
Ich kann nicht anderst, hie stehe ich. Gott helf mir! Amen.
B. Habsburgs Willensbekundung
Erklärung Kaiser Karls V.
Ihr wißt, daß ich von den allerchristlichsten Kaisern der edlen deutschen Nation abstamme, von den katholischen Königen Spaniens, von den Erzherzögen Österreichs, von den Herzögen Burgunds, die alle bis zum Tode treue Söhne der römischen Kirche waren. Sie waren immer Verteidiger des katholischen Glaubens, der heiligen Gottesdienste, der Dekrete, Weisungen und heiligen Sitten zu Gottes Ehre, zur Mehrung des Glaubens und zum Heil der Seelen. Nach ihrem Ableben sind uns durch natürliches Recht und Erbe die genannten heiligen katholischen Pflichten überkommen, um dafür nach ihrem Beispiel zu leben und zu sterben. Als wahre Nachahmer dieser unserer Vorfahren haben wir durch die Gnade Gottes bis jetzt gelebt. Deshalb bin ich entschlossen, alles das zu erhalten, was meine Vorfahren und ich selbst bis in die Gegenwart hinein erhalten haben, und zwar besonders das, was durch meine Vorfahren angeordnet worden ist auf dem Konstanzer Konzil und anderweitig; denn es ist sicher, daß ein einzelner Bruder in seiner Meinung irrt, die gegen die ganze Christenheit in ihrer mehr als tausendjährigen Geschichte bis hin zur Gegenwart steht, der zufolge die ganze Christenheit sich ständig im Irrtum befunden hätte. Deshalb bin ich fest entschlossen, dafür meine Reiche und Herrschaften, meine Freunde, meinen Leib, mein Blut, mein Leben und meine Seele einzusetzen.
Denn es wäre eine große Schande für mich und Euch, die Ihr die edle und angesehene deutsche Nation verkörpert, wenn in unserer Zeit, in der wir durch Vorrecht und Vorrangstellung als Verteidiger und Beschützer des katholischen Glaubens bestellt sind, nicht [nur] Häresie, sondern bereits der Verdacht auf Häresie oder Minderung der christlichen Religion durch unser Versäumnis nach uns einkehre in die Herzen der Menschen, zu unserer und unser Nachfolger immerwährenden Unehre.
Und nachdem ich die halsstarrige Antwort, die Luther gestern in unser aller Beisein gegeben hat, vernommen habe, erkläre ich Euch, daß ich es bereue, so lange das Vorgehen gegen Luther und seine falsche Lehre aufgeschoben zu haben. Ich bin nicht gewillt, ihn noch weiter anzuhören, aber ich beabsichtige, ihn sogleich gemäß dem Wortlaut des Mandats zurückzuschicken, unter Einhaltung seines Geleits, ohne daß er predigen und das Volk von seiner schlechten Lehre unterrichten und irgendeine Bewegung hervorrufen darf. Wie ich oben gesagt habe, bin ich gewillt, gegen ihn als einen notorischen Häretiker einzuschreiten. Ich fordere Euch auf, Euch in dieser Sache als gute Christen zu erklären, wie Ihr es zu tun gehalten seid und mir es zugesagt habt. Ausgefertigt von meiner Hand am 19. April 1521.
Carolus.
C. Die Reichsacht gegen Luther und seine Anhänger
Das Wormser Edikt
Am ersten zu Lob dem Allmächtigen und Beschirmung des christenlichen Glaubens, auch des römischen Bischofs und Stuhls gebührlichen Ehre, in Kraft des Amts unser kaiserlichen Wirdigkeit, Hochheit und Auktorität, derzu mit einhelligem Rat und Willen unser und des heiligen Reichs Kurfürsten, Fürsten und Stände jetzo hie versammelt, haben wir zu ewiger Gedächtnus dies Handels, zu Vollstreckung des Dekrets, Sentenz und Verdammnus laut der Bullen, so unser Heiliger Vater Papst, als dieser Sachen ordenlicher Richter, hat ausgehen lassen, den gedachten Martin Luther, als von Gotts Kirchen abgesündert Gelide und einen verstopten [= verstockten] Zertrenner und offenbarn Ketzer von uns und Euch allen und jedem insonderheit zu achten und ze halten erkennet und erkläret, und tun das wissentlich in Kraft dies Briefs. Und gebieten darauf Euch allen und jedem besonder bei den Pflichten, damit Ihr uns und dem heiligen Reiche verwandt seid, auch Vermeidung der poenae criminis laesae majestatis [= Strafe für Majestätsverbrechen] und unser und des Reichs Acht und Aberacht und darzu Privierung [= Abnahme] und Entsetzung aller Regalia, Lehen, Gnaden und Freiheiten, so Ihr bisher von unsern Vorfahrn, uns und dem heiligen Reiche in einigen Weg gehabt, von römischer kaiserlicher Macht ernstlich mit diesem Brief und Willen, daß Ihr samentlich und sonderlich nach Verscheinung [= Verlauf] der obberührten zwainzig Tag, die sich auf den vierzehenten Tag dies gegenwurtigen Monats Mai enden, den vorgemeklten Martin Luther nit hauset, hofet, ätzt, tränket, noch enthaltet, noch ihme mit Worten oder Werken heimlich noch offenlich keinerlei Hilf, Anhang, Beistand noch Fürschub beweiset, sonder wo Ihr ihne alsdann ankommen und betreten und dessen mächtig sein mügt, ihn gefänglichen annehmet und uns wohlbewahrt zusendet oder das zu tun bestellet oder uns das zum wenigsten, so er zuhanden bracht würdet, unverzogenlich verkündet und anzeiget und ihne dazwischen als fänglichen behaltet, bis Euch von uns Bescheid, was Ihr ferrer nach Ordnung der Recht gegen ihme handeln söllet, gegeben und Ihr umb solich heilig Werk, auch Euer Mühe und Kosten ziemliche Ergötzlichkeit emphahen [= empfangen] werdet. Aber gegen seinen Mitverwandten, Anhängern, Enthaltern, Fürschiebern, Gönnern und Nachfolgern und derselben beweglich und unbeweglich Güter sollet Ihr in Kraft der heiligen Konstitution und unser und des Reichs Acht und Aberacht dieser Weise handeln: nämlich sie niederwerfen und fahen [= fangen] und ihre Güter zu Eurn Handen nehmen und die in Eurn Eigennutz wenden und behalten ohn männiglichs Verhinderung, es sei dann, daß sie durch glaublichen Schein anzeigen, daß sie diesen unrechten Weg verlassen und päpstliche Absolution erlangt haben.
Ferrer gebieten wir Euch allen und Eur jedem insonders bei den vorgeschrieben Poenen [= Strafen], daß Eur keiner des obgenannten Martin Luthers Schriften, von unserm Heiligen Vater Papst, wie obsteht, verdammt, und all ander Schriften, die in Latein und Deutsch oder in ander Sprach bisher durch ihne gemacht sein oder hinfür gemacht werden, als bös, argwöhnig und verdächtlich und von einem offenbarn, hartnäckischen Ketzer ausgegangen, kauf, verkauf, lese, behalt, abschreib, druck oder abschreiben oder drucken lasse, noch seiner Opinion [= Ansicht] zufall, die auch nit halt, predig noch beschirme, noch das in einig ander Weg, wie Menschensinn das bedenken kann, unterstehe, unangesehen, ob darin etwas Guts, den einfältigen Menschen damit zu betriegen, eingeführt wäre. Dann wie die allerbeste Speis, so mit einem kleinen Tropfen Gifts vermischet, von allen Menschen gescheuet, so viel mehr sollen soliche Schriften und Bücher, in den so manig [= manch] der Seelen Gift und Verdammnus eingeführt sein, von uns allen nit allein vermieden, sonder auch die von aller Menschen Gedächtnus abgetan und vertilgt werden, damit sie niemands schaden oder ewiglich töten.
Quelle: Detlef Ploese und Guenther Vogler, Hrsg., Buch der Reformation. Eine Auswahl zeitgenössischer Zeugnisse (1476–1555). Berlin: Union Verlag, 1989, S. 245–53.