Kurzbeschreibung

Bereits vier Jahre nach dem Beginn der systematischen Anwerbung konnte der Arbeitsminister Theodor Blank den millionsten „Gastarbeiter“ begrüßen: Er bezeichnet die ausländischen Arbeiter als unverzichtbar für das Florieren der deutschen Wirtschaft und äußert den Wunsch, sie mögen zu einem dauerhaften Charakteristikum des Arbeitsmarktes werden.

Der Arbeitsminister begrüßt den millionsten Gastarbeiter (30. Oktober 1964)

  • Theodor Blank

Quelle

Eine Million Gastarbeiter. Eine nicht unerhebliche Voraussetzung für das Gedeihen der deutschen Wirtschaft

Nahezu eine Million Gastarbeiter findet in der Bundesrepublik Arbeit. Damit hilft eine Million Menschen aus anderen Ländern, unsere Wirtschaft in Gang und auf hohen Touren zu halten. Von Jahr zu Jahr hat sie sich mehr auf die Hilfe der Gastarbeiter eingestellt. Heute sind sie eine nicht unerhebliche Voraussetzung für das Gedeihen der deutschen Wirtschaft.

Diese Million Menschen auf deutschen Arbeitsplätzen trägt mit dazu bei, daß unsere Produktion weiter wächst, unsere Preise stabil und unsere Geltung auf dem Weltmarkt erhalten bleiben. Die Rolle der Gastarbeiter auf dem Arbeitsmarkt wird in den kommenden Jahren sicher noch gewichtiger werden. Der Wunsch nach ausländischen Arbeitskräften ist in vielen Bereichen unserer Wirtschaft weiterhin stark. Unser eigenes Arbeitskräftereservoir wird, wenn wir den Statistikern glauben dürfen, in den kommenden Jahren noch schmaler werden. Die bekannten Veränderungen in unserem Altersaufbau verringern auch den Nachwuchs. Nur 22 v. H. unserer Bevölkerung sind jünger als 15 Jahre. Mit dieser Zahl liegt die Bundesrepublik an vorletzter Stelle in Europa. Schon allein diese Situation macht deutlich, daß wir auch in den nächsten Jahren auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen sind.

Dabei bereitet die Anwerbung und Vermittlung von Gastarbeitern nicht geringe Schwierigkeiten. Am nachdrücklichsten macht sich das in Italien bemerkbar. Schon heute bemüht sich die Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung in den Randgebieten Europas wie Spanien, Portugal, Griechenland und der Türkei nachhaltig um neue Arbeitskräfte. Wir sind, wenn wir unsere Wirtschaft weiter in Gang halten wollen, auf die Gastarbeiter angewiesen. Ich möchte deshalb die Gelegenheit benutzen, den Helfern aus dem Ausland für ihre bisherigen Leistungen herzlich zu danken.

Die Gastarbeiter sind aus dem wirtschaftlichen Leben der Bundesrepublik heute nicht mehr wegzudenken. Sie nehmen vollberechtigt an den sozialen Leistungen der Bundesrepublik teil. Fraglos geben sie auch ihr Bestes, um die hohen Anforderungen in bezug auf Quantität und Qualität, die vom In- und Ausland an die deutsche Wirtschaft gestellt werden, zu erfüllen. Guter Lohn und ihre Sparsamkeit geben ihnen die Möglichkeit, ihre Angehörigen zu unterstützen. Daneben können sie sich durch ihre Tätigkeit bei uns wertvolle Kenntnisse erwerben, die nach ihrer Heimkehr ihrer eigenen Volkswirtschaft wieder zugute kommen.

Sicher gibt es zuweilen Schwierigkeiten mit dem Eingewöhnen, mit den veränderten soziologischen Bedingungen, mit dem deutschen Arbeitsrhythmus, mit der fremden Umgebung, mit Sitten und Gebräuchen. Sicher gibt es zuweilen auch Reibungen mit deutschen Kollegen und deutschen Mitbürgern. Ich möchte dringend an meine deutschen Landsleute appellieren, Verständnis für die Schwierigkeiten der Gastarbeiter zu haben und nicht deren Sitten und Gebräuche mit voreiliger Kritik zu bedenken.

Ich habe den Wunsch, daß ihnen das Einleben erleichtert werden möge. Die Bundesregierung ist bemüht, alles zu tun, um die Situation der ausländischen Arbeitnehmer weiter zu verbessern und ihre Wünsche, soweit sie realisierbar sind, zu erfüllen. Unsere besondere Sorge gilt der Familienzusammenführung. Ich mache mir keine Illusionen; es wird einige Zeit dauern, bis das geschafft ist. Aber ich kann den Gastarbeitern versichern, daß wir alles tun werden, um ihnen das Leben bei uns möglichst erträglich zu machen. Die Darlehen der Bundesanstalt für Arbeitsvermittlung und Arbeitslosenversicherung für den Bau von Arbeiterwohnheimen in Höhe von 200 Mill. DM haben schon wertvolle Hilfe gebracht. Die Nürnberger Anstalt hat dazu weitere 50 Mill. DM als Darlehen für den Bau von Familienwohnungen für Gastarbeiter bereitgestellt.

Wir sind daran interessiert, daß die Gastarbeiter längeren Aufenthalt bei uns nehmen. Die Statistiken beweisen, daß diese Erwartung berechtigt ist. Von den Ende 1963 bei uns beschäftigten Gastarbeitern, lebten fast zwei Drittel ein Jahr und länger in Deutschland. Fast ein Viertel arbeitete schon seit drei Jahren bei uns. Aus den Saisonarbeitern sind weitgehend Dauerarbeiter geworden. Wir begrüßen das aus Gründen der Stabilität, der Eingewöhnung und des glatten Ablaufs der Arbeit in den Betrieben.

Auch auf den übrigen Gebieten werden wir nicht untätig sein. Das bewährte System der sozialen Sicherung in der Bundesrepublik steht weitgehend auch den Gastarbeitern zur Verfügung. Sie erhalten den gleichen Rechts- und Sozialschutz wie ihre deutschen Kollegen. Den meisten von ihnen wird Kindergeld nach deutschen Maßstäben gewährt. Unter bestimmten Voraussetzungen können sie sogar Mitglied des Betriebsrats werden. Die Bundesregierung wird es sich auch in Zukunft angelegen sein lassen, die Gastarbeiter kulturell in unsere Gemeinschaft zu integrieren. Dabei begrüßen wir die wertvolle Arbeit der Kirchen. Presse und Rundfunk sind bemüht, die Gastarbeiter in ihrer eigenen Sprache zu informieren, um so eine ständige Brücke zwischen ihnen und ihren Heimatländern zu schlagen. Die Bundesregierung ist dankbar für diese Initiativen.

Zuweilen hört man Sorgen, die anschwellende Zahl der Gastarbeiter bedeute eine Überfremdung. Davon kann ernsthaft keine Rede sein. Gemessen an den rd. 22 Millionen Beschäftigten in unserer Wirtschaft ist die eine Million Gastarbeiter immer noch eine vergleichsweise geringe Zahl. Etwas über 4 v. H. aller an deutschen Arbeitsplätzen stehenden Männer und Frauen kommen aus anderen Ländern. Ich möchte hier auch auf die Erfahrungen in der Schweiz verweisen, die rd. 800.000 Gastarbeiter beschäftigt und dabei gute Erfahrungen und Ergebnisse erzielt. Daß die eine Million gern und freudig bei uns ihre Arbeit tut und gern in Deutschland ist, möchte ich als einen Beweis dafür werten, daß wir auch in Zukunft gut und gedeihlich zusammenarbeiten. Die Gastarbeiter haben bei uns den Beweis dafür erbracht, daß die Verschmelzung Europas und die Annäherung von Menschen verschiedenster Herkunft und Gesittung in Freundschaft eine Realität sind. Dafür schulden wir ihnen Dank.

Quelle: Theodor Blank, „Eine Million Gastarbeiter. Eine nicht unerhebliche Voraussetzung für das Gedeihen der deutschen Wirtschaft“, in Bulletin (Presse- und Informationsamt der Bundesregierung), Nr. 160, 30. Oktober 1964, S. 1480.