Kurzbeschreibung

Nach der Niederlage Napoleons in Russland im Jahr 1812 entstand wachsender Druck in Deutschland hin zu einem Krieg zur Vertreibung der Franzosen. Dies führte schließlich zur „Völkerschlacht“ bei Leipzig (1813), in der Preußen und Österreich sowie ihre deutschen Verbündeten die Streitkräfte Napoleons besiegten. Im Vorfeld der „Befreiungskriege“ hatte der preußische König einen beispiellosen Aufruf zum freiwilligen Eintritt in die preußische Armee erlassen, deren Reihen auf Frankreichs Geheiß im Frieden von Tilsit (1807) ausgedünnt worden waren. Dieser Text veranschaulicht den ideologischen und rhetorischen Prozess, durch den die preußische Staatstradition von oben nach unten nationalisiert wurde: die einstmaligen Untertanen des Königreichs tauchten nun als freie Bürger auf, an deren Loyalität zu „König und Vaterland“ die Regierung appellierte.

Aufruf Friedrich Wilhelms III. zur nationalen Erhebung, „An mein Volk“ (17. März 1813)

Quelle

An Mein Volk

So wenig für Mein treues Volk, als für Deutsche, bedarf es einer Rechenschaft über die Ursachen des Krieges, welcher jetzt beginnt. Klar liegen sie dem unverblendeten Europa vor Augen.

Wir erlagen unter der Uebermacht Frankreichs. Der Frieden, der die Hälfte meiner Unterthanen mir entriß, gab uns seine Segnungen nicht; denn er schlug uns tiefere Wunden, als selbst der Krieg. Das Mark des Landes ward ausgesogen. Die Haupt-Festungen blieben vom Feinde besetzt, der Akkerbau ward gelähmt, so wie der sonst so hoch gebrachte Kunstfleiß unserer Städte. Die Freiheit des Handels ward gehemmt, und dadurch die Quelle des Erwerbes und des Wohlstandes verstopft. Das Land ward ein Raub der Verarmung.

Durch die strengste Erfüllung eingegangener Verbindlichkeiten hoffte ich, meinem Volke Erleichterungen zu bereiten und den französischen Kaiser endlich zu überzeugen, daß es sein eigener Vortheil sey, Preußen seine Unabhängigkeit zu lassen. Aber meine reinsten Absichten wurden durch Uebermuth und Treulosigkeit vereitelt, und nur zu deutlich sahen wir, daß des Kaisers Verträge mehr noch wie seine Kriege uns langsam verderben mußten; jetzt ist der Augenblick gekommen, wo alle Täuschung über unsern Zustand aufhört.

Brandenburger, Preußen, Schlesier, Pommern, Litthauer! Ihr wißt, was ihr seit 7 Jahren erduldet habt, ihr wißt, was euer trauriges Loos ist, wenn wir den beginnenden Kampf nicht ehrenvoll enden, erinnert euch an die Vorzeit, an den großen Kurfürsten, den großen Friedrich. Bleibet eingedenk der Güter, die unter ihnen unsere Vorfahren blutig erkämpften, Gewissensfreiheit, Ehre, Unabhängigkeit, Handel, Kunstfleiß und Wissenschaft. Gedenkt des großen Beispiels unserer mächtigen Verbündeten, der Russen, gedenkt der Spanier und Portugiesen, selbst kleine Völker sind für gleiche Güter gegen mächtigere Feinde in den Kampf gezogen und haben den Sieg errungen, erinnert euch an die heldenmüthigen Schweizer und Niederländer.

Große Opfer werden von allen Ständen gefordert werden, denn unser Beginnen ist groß, und nicht gering die Zahl und die Mittel unserer Feinde. Ihr werdet jene lieber bringen für das Vaterland, für euren angeborenen König, als für einen fremden Herrscher, der, wie so viele Beispiele lehren, eure Söhne und eure letzten Kräfte Zwecken widmen würde, die euch ganz fremd sind. Vertrauen auf Gott, Ausdauer, Muth und der mächtige Beistand unserer Bundesgenossen, werden unseren redlichen Anstrengungen siegreichen Lohn gewähren!

Aber welche Opfer auch von einzelnen gefordert werden mögen, sie wiegen die heiligen Güter nicht auf, für die wir sie hingeben, für die wir streiten und siegen müssen, wenn wir nicht aufhören wollen Preußen und Deutsche zu seyn.

Es ist der letzte entscheidende Kampf den wir bestehen, für unsere Existenz, unsere Unabhängigkeit, unsern Wohlstand. Keinen andern Ausweg giebt es, als einen ehrenvollen Frieden, oder einen ruhmvollen Untergang. Auch diesem würdet ihr getrost entgegen gehen, um der Ehre willen, weil ehrlos der Preuße und der Deutsche nicht zu leben vermag. Allein wir dürfen mit Zuversicht vertrauen, Gott und unser fester Wille werden unserer gerechten Sache den Sieg verleihen, mit ihm einen sicheren glorreichen Frieden, und die Wiederkehr einer glücklichern Zeit.

FREDRICH WILHEM

Breslau, 17. März 1813

Quelle: Schlesische Priviligirte Zeitung vom 20. März 1813, Nr. 34. S. 1; abgedruckt in Walter Demel und Uwe Puschner, Hrsg. Von der Französischen Revolution bis zum Wiener Kongreß 1789–1815, Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 6. Stuttgart: P. Reclam, 1995, S. 413–16.