Kurzbeschreibung

Admiral Alfred von Tirpitz (1849–1930) war der Hauptarchitekt der massiven Aufrüstung der deutschen Kriegsmarine vor dem Ersten Weltkrieg. Während des Krieges drängte Tirpitz, der zum Staatssekretär im Reichsmarineamt ernannt worden war, auf einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg, obwohl die deutsche Kriegsflotte seinerzeit gar nicht über genügend Schiffe verfügte, um diese Politik umzusetzen. Er wurde 1916 aus dem Reichsmarineamt entlassen, weil er Kanzler Bethmann Hollweg (und damit auch die Regierung Kaiser Wilhelms) beharrlich und offen kritisierte. Bethmann Hollweg lehnte den uneingeschränkten U-Boot-Krieg ab, weil er befürchtete, dass dies die Vereinigten Staaten in den Krieg hineinziehen würde. Tatsächlich hofften die Oberste Heeresleitung (OHL) und nationalistische Politiker, Bethmann Hollweg durch Tirpitz zu ersetzen, doch Wilhelm II. lehnte dies entschieden ab. Im Herbst 1917 wurde Tirpitz (zusammen mit Wolfgang Kapp) einer der Gründer und Vorsitzender der radikal-nationalistischen Deutschen Vaterlandspartei. Kaum ein Jahr nach Tirpitz' Entlassung befahl Wilhelm II. unter dem Druck der OHL der deutschen Kriegsmarine, ab dem 1. Februar 1917 einen uneingeschränkten U-Boot-Krieg zu führen, was bedeutete, dass alle Schiffe, einschließlich Handels- und Passagierschiffe sowie Schiffe unter der Flagge neutraler Länder, ohne Vorwarnung versenkt würden.

Auf dieser Tonaufnahme vom Januar 1918 liest Tirpitz einen bearbeiteten Auszug aus einer Rede vor, die er erstmals am 24. September 1917 auf dem ersten Parteitag der neu gegründeten Deutschen Vaterlandspartei in Berlin gehalten hatte. Die Aufnahme stammt von dem Sprachwissenschaftler Wilhelm Doegen, der für die Preußische Staatsbibliothek eine Sammlung von Sprachaufnahmen führender Politiker und anderer bekannter Persönlichkeiten anlegte. In seiner Rede rechtfertigt Tirpitz nicht nur die deutsche Marineaufrüstung und den uneingeschränkten U-Boot-Krieg als Verteidigung gegen die imperialistische Expansion Großbritanniens, sondern suggeriert auch, dass Deutschland mit der Invasion des neutralen Belgiens lediglich dem französischen Militär zuvorgekommen sei. Deutschland führe Krieg, so behauptet er, nicht nur aus nationalem Interesse und zu seiner Verteidigung, sondern auch gegen die „Tyrannei des Anglo-Amerikanismus”. Die Vereinigten Staaten waren im April 1917 als Folge des uneingeschränkten U-Boot-Krieges in den Ersten Weltkrieg eingetreten, für den Tirpitz beharrlich und aggressiv eingetreten war.

Anmerkung: Tirpitz’ Verwendung des lateinischen Zitats Germaniam esse delendam [Deutschland muss vernichtet werden] bezieht sich auf einen Artikel mit dem Titel „England and Germany“, der im September 1897 in der britischen Wochenzeitung The Saturday Review erschien. Der Artikel beschrieb die seiner Meinung nach anti-britische Außenpolitik Bismarcks und schloss mit diesem Satz, einer Abwandlung des berühmten Ausspruchs des römischen Senators Cato d. Ä., Carthaginem esse delendam (oft verkürzt zu Carthago delenda est). Tirpitz endet mit der (für Ende 1917) absurd optimistischen Behauptung: „Den militärischen Sieg haben wir in der Hand. ... Auch der politische Sieg wird uns mit Sicherheit werden, wenn wir das Herz und den bewussten Willen dazu haben. ... Deutschland, wach auf, deine Schicksalsstunde ist gekommen!“

Alfred von Tirpitz über den U-Bootkrieg gegen Großbritannien (24. Januar 1918)

Quelle

Mit der Entwicklung unserer Industrie, unseres Handels und Exports hängt eng zusammen, dass wir den abgerissenen Faden der Hansa wieder aufnahmen und auf die See hinaus gingen. Nur durch starke Berührung mit der See können wir den für uns nötigen, weltumspannenden geistigen Horizont gewinnen. Ich meine nicht den im Himmel oder im Abstrakten, sondern den für den Erdenmenschen auch notwendigen hier auf der Erde.
Unsere wirtschaftliche Entwicklung ging in den letzten Jahrzehnten, unterstützt von deutschem Fleiß, deutscher Wissenschaft, mit Riesenschritten vorwärts. Darin lag der Stein des Anstoßes für England. Und zwar umso stärker, je mehr seine Trustmagnaten die ganze Welt als die Zitrone betrachteten, die auszupressen sie das alleinige Monopol hätten.
Noch ehe wir eine in Betracht kommende Seemacht hatten, noch ehe ein Flottengesetz da war, das ist festzuhalten, tat sich eine politische Gruppe in England zusammen, die auf ihre Fahne schrieb: Germaniam esse delendam .
Die von uns erklärte Seesperre durch die U-Boote ist keine Vergeltungsmaßregel, obwohl wir sie bei dem brutalen Zerreißen alles Seerechts durch England wohl als solche bezeichnen könnten. Unsere Seesperre ist vielmehr unser legales Recht. England sieht aber aus einer gewissen puritanischen Gedankenrichtung heraus alles als Unrecht und sogar als Frevel an, was ihm als auserwähltem Volk ungünstig ist, alles als Recht, was ihm günstig.
Auch hat seine politische Leitung es meisterhaft verstanden, den Völkern etwas von dieser Auffassung durch geschickte Propaganda und, wo erforderlich, durch das Haus einzubläuen. Die rücksichtslose, piratenhafte Behandlung der neutralen Schifffahrt ist nichts. Die Knebelung Portugals, die brutale Niederwerfung Griechenlands, welches nur den Frieden für sich wollte, ist ganz in der Ordnung. Als wir aber dem Durchmarsch der Franzosen und Engländer durch Belgien zuvor kamen, nannte man es ein Verbrechen, das nur Barbaren und Hunnen ausüben könnten. Doch kurz vor seinem Tode hat mir der Generaloberst von Moltke gesagt, dass er vollständig orientiert gewesen sei über die Stellungnahme Belgiens beim Ausbruch eines etwaigen Weltkrieges.
Wer vor dem Kriege die Reden französischer aktiver Minister in belgischen Städten bei offiziellen Gelegenheiten und die sonstigen Vorgänge dort - ich erinnere nur an die Befestigungsfrage von Vlissingen - aufmerksam verfolgt hatte, konnte es auch so wissen. Dem Staate Belgien ist unter seinem Verhalten Recht geschehen und nicht Unrecht. Das muss einmal klipp und klar ausgesprochen werden!
Der gewaltige Kampf, den Deutschland jetzt führt, geht nicht um Deutschland allein. Er geht in Wahrheit um die Freiheit des europäischen Kontinents und seiner Völker. Gegen die alles verschlingende Tyrannei des Anglo-Amerikanismus. Den militärischen Sieg haben wir in der Hand. Unsere tapfere Volkswehr zu Wasser und zu Lande erwirkt ihn.
Auch der politische Sieg wird uns mit Sicherheit werden, wenn wir das Herz und den bewussten Willen dazu haben. Deutschland kämpft wie ein großes Ideal. Deshalb möchte ich in alle Gaue unseres Vaterlandes hinausrufen: Deutschland wach auf, deine Schicksalsstunde ist gekommen!

Quelle: Alfred von Tirpitz, Erklärung zum U-Boot-Krieg gegen Großbritannien, Aufnahmedatum: 24. Januar 1918. Stiftung Deutsches Rundfunkarchiv

DRA