Kurzbeschreibung

Hans Sachs war ein Berliner Zahnarzt und vor allem ein bekannter Sammler von Werbeplakaten. Nach der Jahrhundertwende gründete er den Verein der Plakatfreunde. Schon bald wurde er zu einem Förderer der grafischen Gestaltung und zu einem scharfen Kritiker der neuen Werbestile. Sachs gab das Mitteilungsblatt der Gesellschaft, Das Plakat, heraus, eine reich bebilderte Rezension neuer Plakatentwürfe. Die Zeitschrift wurde schnell zu einem Prüfstein für die neuen Berufsfelder der Werbung und des Grafikdesigns. In diesem Auszug aus dem Jahr 1911 wendet sich Sachs, der zuvor ein begeisterter Anhänger der amerikanischen „Modernität“ war, gegen den „amerikanischen Stil“, und zwar mit einer Sprache, die seine Kritik mit Ideen aus der populären Ethnografie untermauert und auch die wachsenden internationalen Spannungen widerspiegelt – Spannungen, die schließlich zum Ersten Weltkrieg führten.

Sachs, der Jude war, wurde 1938 von den Nationalsozialisten verhaftet und im Konzentrationslager Sachsenhausen interniert, wurde jedoch freigelassen. Er floh nach New York, wo er seine zahnärztliche Praxis wieder aufnehmen konnte, unterstützt durch die Empfehlung eines seiner ehemaligen Berliner Patienten, Albert Einstein.

Hans Sachs über die Amerikaner und ihren Geschmack in der Werbung (1911)

Quelle

Von graphischer Kunst in Amerika

[] ich gehöre zu jenen, die von dem Amerikaenthusiasmus – dessen Höhepunkt wohl in dem Augenblicke erreicht wird, in dem man zum ersten Male das Land betritt – gründlich geheilt sind; die an Enttäuschungen und Ernüchterungen reich, soweit sie das Studium der Kunst und alles dessen, was mit ihr zusammenhängt, betreffen, zurückgekehrt sind von einem mehrmonatigen Aufenthalt im Lande der unbegrenzten Möglichkeiten, die den Reichtum des Landes, die Ergiebigkeit aller Erwerbsmöglichkeiten, die imposante Art kaufmännischen Verkehrs und was man sonst alles dem Yankee nachrühmen mag, anerkennen und bewundern und doch den Tag preisen, an dem deutsche Kultur, deutsche Behaglichkeit und Ästhetik, Schönheitssinn und Kunstverständnis die tägliche Umgebung bilden.

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Doch um auch diesem kleinen Gebiete ein wenig näher zu kommen, um es richtig beurteilen und würdigen zu können, ist es nötig, ein paar allgemeine Rückblicke auf die Vergangenheit und die Entwicklung dessen zu werfen, was wir „Kunst“ im höheren Sinne nennen, aus ihr und ihrer Vergangenheit in Dollarika heraus ein paar Zusammenhänge mit dem Gedeihen und Blühen der graphischen Künste aufzudecken.

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Denn der Mangel an Schönheitssinn, an ästhetischem Gefühl, spricht sich durchaus nicht etwa in dem aus, was wir einen billigen, einen schlechten, verdorbenen Geschmack nennen, nein, es fehlt überhaupt das Bestreben, praktisches Leben mit Freude am Schauen zu verquicken, das Verständnis für eine Verschönerung, für eine kunstvolle Verfeinerung unsrer Umgebung, unsers Heims, unsrer Gebrauchsgegenstände. Es ist wirklich nicht übertrieben, zu sagen, daß die ästhetischen Bedürfnisse des Amerikaners durch eine sinnreiche Wasserspülung rascher und vollständiger befriedigt werden als durch eine geschmackvolle Fassade.

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Gerade in Chikago, in dem sich der ungeheure Handelsverkehr der westlichen Hälfte Amerikas zusammenzieht, ist das Jagen nach dem Dollar vielleicht größer als in jeder andern Stadt der Welt. Man rast, man verdient, man geht selbst nachts in den geöffneten Bankhäusern ein und aus, und selbst eine ständige Oper kann sich in dieser Stadt, die die Größe Berlins hat, nicht halten; nur zu einem sechswöchigen Gastspiel erscheint alljährlich das Ensemble der New Yorker Metropolitan Oper in Chikago. Nun ist diese Stadt, wie bekannt, beinahe zur Hälfte eine deutsche Stadt. Die Zahl der dort lebenden Deutschen oder von deutschen Eltern Abstammenden ist größer als die Einwohnerzahl Hamburgs, und man kann sagen, daß die Deutschen bei weitem den Löwenanteil ab der Entwicklung dieser Stadt haben.

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Haben denn alle diese Völker ihre alte Kultur, ihren Schönheitssinn vergessen, haben sie ihn aufgegeben? Sie haben es, manchmal schwer, meist leicht, sind unbewußt in diesem nur der praktischen Arbeit und dem Gelderwerb dienenden Lande aufgegangen, haben sich gegenseitig assimiliert, sind einander ähnlich geworden, haben einen neuen Typ hervorgebracht, den man einem Urteile zugrunde legen muß, das man wie über den Kunstsinn so auch über andre Eigenschaften des Amerikaners abgeben will. Ist es wahr, daß hier ein neuer Typ entstand? Wiederholt ist das Problem erörtert worden, ob unter dem Einflusse der eigenartigen Bodenverhältnisse wie des Klimas tatsächlich eine Verschmelzung der verschiedenen hier zusammenströmenden Elemente erfolgen könne, ob man wirklich von einer amerikanischen Rasse sprechen könne. Dem Professor an der Columbia-Universität, Franz Boas, einem hervorragenden Anthropologen, sind manche Klärungen in dieser wichtigen Frage zu danken. Seine Untersuchungen an Sizilianern und Osteuropäern stellen die Tatsache fest, daß schon in der nächsten Generation der Typus der Nachkommen vollkommen verändert wird. Ja, noch mehr. Sogar Kinder, die kurz nach der Ankunft ihrer Eltern in Amerika geboren werden, entwickeln sich, und zwar in jedem einzelnen Körperteil, in einer Weise, daß sie von ihren früher in Europa geborenen Geschwistern wesentlich verschieden sind. Dies gilt besonders von der Form des Schädels und dem Gesichtsausdruck, der sich rapide zu jenem Typ entwickelt, den wir als den amerikanischen kennen und so charakteristisch finden. So entsteht die Grundlage für eine neue Rassenbildung, so daß wir in der Tat berechtigt sind, von einer selbständigen amerikanischen Rasse zu sprechen, deren Eigenheiten scharf präzisiert und nicht nur in der Verschiedenheit der Sprache und andrer Äußerlichkeiten zu suchen sind. Der Begriff „Kunst“ liegt dieser Rasse noch fern.

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Ich deutete an, daß der Mangel an Verständnis für die schönen Künste seine Erklärung findet. Das Anhäufen der gewaltigen Reichtümer in den Händen weniger Auserwählter mußte die ungesundeste Entwicklung auf geistigem und schöngeistigem Gebiete zur Folge haben. Vom Laufburschen, vom Arbeiter im Röhrenwalzwerk waren über Nacht Millionäre geworden, und zwar nicht bloß in europäischen Zeitungsberichten, sondern in der Tat. []

Unsagbar gering ist die Zahl der Gebäude, bei deren Errichtung Schönheit und Zweckmäßigkeit in gleichem Maße beachtet wurden. Oder sie befinden sich in einer Umgebung, die den ästhetischen Eindruck vollkommen aufhebt oder abschwächt. Sie werden von den ringsum sich aufdringlich breit machenden und übermütig in schwindelnde Höhe sich reckenden Riesenpalästen des Handels erdrückt, so daß man sich befremdet fühlt von einer Schönheit, die ganz unnatürlich in solchem prosaischen Rahmen wirkt. Das Unerfreulichste, Nüchternste und Eintönigste stellen die Wolkenkratzer und leider auch die öffentlichen Gebäude dar. Während bei den erstern noch immer keine neue Lösung versucht wurde, kopieren die öffentlichen Gebäude in meist abgeschwächter Form antike Tempel oder gegenseitig sich selbst. []

Raum und Zeit stehen mir nicht in genügendem Maße zu Gebote, noch weitere Einzelheiten zu schildern, die den ästhetisch Empfindenden, Künstlerisches Suchenden aufs peinlichste berühren. []

Alles gehört z.B. hierher, was mit der Reklame und ihrer Betätigung durch graphische Erzeugnisse zusammenhängt, auch Bücher, Zeitungen und Zeitschriften und manches andre mehr.

Uns allen gilt Amerika als Land der schreienden Reklame, der lauten Anpreisung, der geschmacklosen Überhebung; und doch wird man gut tun, diese Begriffe ein wenig einzuschränken, sich mit dem Gedanken vertraut zu machen, daß auch im Lande der verblüffenden Tricks, der exzentrischen Bluffs von Jahr zu Jahr die Freude an ihnen und damit ihre Wirksamkeit im Abnehmen begriffen ist, daß sie anfangen, ihren Zweck zu verfehlen bei einem nur mit der grauen Wirklichkeit des Lebens, nur mit realen, nüchternen Dingen rechnenden Volke. Nicht etwa, als ob man sich der unästhetischen Seite dieser Art von Reklame bewußt würde, denn wo sie verschwindet, tritt Langeweile und Eintönigkeit an ihre Stelle. Nicht mehr auf Schritt und Tritt begegnet man den ins Ungemessene dimensionierten Ankündigungen und Plakaten, auf denen uns in lautester Weise verkündet wird, wo wir den „hervorragendsten Arzt“, die „beste Stiefelwichse“, die „einzig wasserdichten Lederjacken“ finden. So schlimm ist’s wirklich nicht mehr und war es, glaube ich, nie so recht; was man davon hörte, war wohl immer ein bißchen übertrieben; ich habe in einem halben Jahre, das ich in New York, Boston, Chikago, Baltimore und Washington verbrachte, nicht einmal eine Verkehrsstockung, nicht einmal eine größere Menschenansammlung gesehen, wie sie sich etwa vor Schaufenstern, „Mammutplakaten“ usw. gestaut haben sollen.

Vor fast zwanzig Jahren, als von England und Frankreich her die Plakatkunst allenthalben ihren Einzug hielt, da schien sich selbst in Amerika das Verständnis dafür zu etablieren, daß es unter Umständen wirkungsvoller sein konnte, sich mit einer schönen oder künstlerisch ausgestatteten Reklame nur an einen bestimmten Kreis von Interessenten zu wenden, als mit marktschreierischen an die ganz große Masse, die wohl solche Reklame bewundert oder bestaunt, auch Mund und Ohren weit aufreißt, aber als Käufer der betreffenden Sachen kaum in Betracht kommt. []

Die wenigen Bildplakate, die heute noch erscheinen, sind süßlich und kitschig, meist Varieté- und Zirkusplakate, die, was viel sagen will, unsre deutschen Zirkusplakate an Geschmacklosigkeit noch erheblich übertreffen.

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Aus allem bisher Gesagten geht klar hervor, das die Zahl ausübender Künstler auf dem Gebiete der Graphik und angewandten Graphik ebenfalls sehr gering ist. []

Quelle: Hans Sachs, „Von graphischer Kunst in Amerika,“ Archiv für Buchgewerbe Bd 48, Hft 6 June 1911, (Nachdruck in Mitteilungen des Vereins Deutscher Reklamefachleute Nr. 33 (1912), S. 161–166.

Hans Sachs über die Amerikaner und ihren Geschmack in der Werbung (1911), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-wilhelminische-kaiserreich-und-der-erste-weltkrieg-1890-1918/ghdi:document-5472> [26.09.2025].