Kurzbeschreibung

Dieser Text eines Pastors aus Schleswig-Holstein illustriert, welche unterschiedlichen Formen landwirtschaftliche Arbeit annehmen konnte. Darüber hinaus wird die Beziehung zwischen Arbeitskräften und Betriebsführung in der Agrarwirtschaft deutlich, wo Arbeiter nur über geringe Aufstiegschancen verfügten und kaum Schutz oder Rechte genossen. Die Abwanderung in die Stadt war jedoch nicht endgültig, weil Saisonarbeiter in Notzeiten oft aufs Land zurückkehrten.

Landarbeit in Schleswig-Holstein (1911)

  • P[astor] Schlee-Heide

Quelle

Man kann wohl vier Kategorien von Arbeitern unterscheiden:

a) hiesige Landarbeiter, die bei manchen Maschinen in einer Zahl von 6 bis 10 Mann den festen Stamm bilden; doch gilt es als Manko, als Kolonnenarbeiter bei der Maschine zu stehen.

b) hiesige Arbeiter aus der Stadt, von denen manche verkommene Bummler sind, und die wegen ihrer Streikneigung und Unverschämtheit von den Maschinenmeistern gefürchtet sind.

c) Wanderarbeiter aus dem Osten, mit dürftiger Schulbildung, aber fleißig und anspruchslos.

d) Veteranen der Landstraße, schiffbrüchige Existenzen, die früher bessere Tage sahen, aus allen Berufen und Ständen, unter ihnen einzelne Adlige und Akademiker, die, wenn nur der Schnapsteufel sie nicht reitet, fleißig arbeiten, willig sind, und sich bei Tisch bescheiden benehmen. Christliche Rettungsarbeit findet hier kein aussichtsloses Feld.

Das Dreschen beginnt hier fast gleichzeitig mit der Ernte, und im November verstummt allmählich das Surren der „Dampfer“. Die Dreschsaison umfaßt also die vier Monate August bis November. Doch sind es zur Hauptsache die beiden mittleren Monate. Gegen früher hat sich die Dreschzeit immer mehr verkürzt. Im Spätherbst haben die Hofbesitzer der Marsch mit dem Kohlversand zu tun.

Eine Dreschmaschine oder „Garnitur“ oder „Zug“ braucht zu ihrer Bedienung 18 bis 28 Mann, durchschnittlich 25. Eine bevorzugte Stellung nehmen der Maschinenmeister und der Heizer ein. Diese beiden essen mit am Tisch des Landwirtes und erhalten nachts ein Bett. Wie der Vorsitzende des Vereins der vereinigten Dreschmaschinenbesitzer vor wenigen Jahren mitteilte, gab es in den vier Kreisen (Norderdithmarschen, Süderdithmarschen, Steinburg und Rendsburg) rund 170 Dampfdreschmaschinen, wozu eine Bedienung von mindestens 3000 Arbeitern erforderlich ist. Wenn auch inzwischen die Zahl der Garnituren erheblich gestiegen ist, so gab es doch im letzten Herbst ein Ueberangebot von Maschinen, und deren manche hat zwischendurch stillgestanden.

Hier ist allgemein der Stundenlohn üblich, während in anderen Teilen der Provinz nach Tagelohn gearbeitet wird. Der Stundenlohn bringt in die Arbeit noch mehr Unstetigkeit hinein. Auch wird der Arbeitstag dadurch über Gebühr ausgedehnt, da die Besitzer ihre Maschinen gern ausnutzen wollen. Nach einer Polizeiverordnung darf nur bis abends 8 Uhr gedroschen werden, doch steht sie mehr nur auf dem Papier, da die Strafen niedrig zu sein pflegen. Neunzig Dreschstunden und mehr in der Woche sind wohl keine Seltenheit! Dazu kommen noch die Umzüge von einem Hofe zum anderen, von einem Dorf ins andere. Die Arbeiter bekommen aber nur die Dreschstunden, nicht die Umzüge bezahlt. Bei freier Kost betrug der Stundenlohn in diesem Sommer 25 Pfg., im vorigen 30 Pfg., im Jahre 1908 sogar noch 30–40 Pfg. Müssen die Arbeiter sich selbst beköstigen, weil in einzelnen Fällen ein Hof die Beköstigung nicht übernehmen kann oder will, so bekommen sie 10 Pfg. Zuschlag für die Stunde, wofür sie sich aber meist nur Schnaps und vielleicht etwas Brot kaufen. Wird auf freiem Felde gedroschen, so beträgt der Stundenlohn 5 Pfg. mehr, weil wegen des Morgentaus und der Niederschläge Stunden ausfallen. Außer dem Heizer erhält der Einleger einen um 10 Pfg. erhöhten Lohn.

Der Arbeitstag beginnt zwischen 3 und 4½ Uhr. Der Wasserträger sucht dann einen jeden an der Stelle des Heubodens auf, wohin er ihm am Abend heimgeleuchtet hat, und rüttelt ihn wach. Der geweckte Mitarbeiter wischt sich Haar und Heu aus dem Gesicht, womit seine Morgentoilette beendet ist. Fürs Waschen ist er nicht; angeblich bekommt er davon spröde Haut. Nachdem er dann erstmal ein oder zwei große Schnäpse heruntergeschüttet hat, geht er mit nüchternem Magen an die Arbeit, bis es um fünf oder sechs Uhr den Morgenkaffee gibt. Alle zwei Stunden gibt es „gegen den Staub“ einen „Wachtmeister“, den der Landwirt liefern muß, will er die Arbeiter halten. Dabei sind für die Runde etwa zwei Weinflaschen voll Kümmel nötig.

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Der Sonntag ist die Klippe dieser Leute, er bringt sie aus Rand und Band. Sie können kein Geld in Händen haben und kommen nicht eher ins Gleichgewicht, als bis völlige Mittellosigkeit sie wieder an die Maschine treibt, während sie in der Mitte der Woche die besten Arbeiter sind und sich willig leiten lassen wie große Kinder.

So reiht sich Woche an Woche. Der Lohn wird bis Montag früh verjubelt. Wenn dabei auch Bäche von Kümmel fließen, so ist es doch ein dunkler Punkt, wo das viele Geld eigentlich bleibt. Häufig genug mag freilich eine solenne Weinkneipe stattfinden. Auch sind sie im Spendieren sehr freigebig.

In den letzten Wochen der Dreschsaison nehmen die Arbeiter Anläufe zum Sparen, indem sie bei dem Maschinenmeister, zuweilen von diesem ermuntert, einen Teil ihres Verdienstes stehen lassen. Denn im Grunde wollen die meisten sparen, aber alle verlassen unsere Gegend ebenso bettelarm, wie sie hergekommen sind. Die Verlockung und Verleitung sind im Kreise der Kollegen so groß, daß sie einfach nicht widerstehen können. Es kommt häufig genug vor, daß sie 60 Mark haben anstehen lassen, und doch wurde am Schluß fast alles durchgebracht und das wenigste für Winterkleidung angelegt. Dabei ist die Kleidung meist erbärmlich. Mancher geht ohne Hemd auf dem Leibe in den Winter hinein, ja, es sind Fälle vorgekommen, wo fremde, vielleicht von weiter hergereiste Arbeiter sich an die 200 Mark aufgespart hatten und sich bis an den Schluß wacker hielten, und dann packte sie doch noch die Verführung.

Quelle: P[astor] Schlee-Heide, „Wohlfahrtspflege für Drescharbeiter“, in Schleswig-Holsteinisches Kirchenblatt, Lunden, 12, Nr. 23 (4. Juni 1911), S. 221–23.; abgedruckt in Jens Flemming, Klaus Saul und Peter-Christian Witt, Hrsg., Quellen zur Alltagsgeschichte der Deutschen 1871–1914. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1997, S. 135–37.

Landarbeit in Schleswig-Holstein (1911), veröffentlicht in: German History in Documents and Images, <https://germanhistorydocs.org/de/das-wilhelminische-kaiserreich-und-der-erste-weltkrieg-1890-1918/ghdi:document-650> [26.09.2025].