Kurzbeschreibung

In den deutschen Gebieten östlich der Elbe beherrschten große Landgüter den landwirtschaftlichen Sektor. Auf ihnen arbeitete eine große Zahl von landwirtschaftlichen Tagelöhnern für geringe Löhne und mit eingeschränkten Möglichkeiten zur Verbesserung ihres Schicksals. Sie zogen häufig umher, wenn die Arbeit knapp wurde, doch allmählich bürgerte sich eine regelmäßigere saisonale Migration ein, wie dies bereits für andere Erwerbsgruppen der Fall war, darunter die in diesem Dokument erwähnten Lippischen Ziegler. Der unten reproduzierte Text stammt aus Franz Rehbeins (1867–1909) Autobiografie, herausgegeben von dem protestantischen Pastor und Sozialreformer Paul Göhre im Jahr 1911. Göhre hatte seinen eigenen Bericht über die drei Monate verfasst, die er verdeckt als Arbeiter in einer Chemnitzer Fabrik verbracht hatte, und unterstützte die Veröffentlichung weiterer Autobiografien aus der Arbeiterklasse. Er wollte die miserablen Lebens- und Arbeitsbedingungen von Landarbeitern in den preußischen Provinzen östlich der Elbe ans Licht bringen, und Rehbeins fesselnde Darstellung erfüllte seine Zielsetzung sehr gut. Hier beschreibt Rehbein sein Leben als landwirtschaftlicher Tagelöhner in Dithmarschen, einer Tieflandgegend entlang der Nordseeküste. Um Rehbeins Eindrücke von den Auswirkungen der Mechanisierung und industrieller Arbeitspläne auf die Arbeit auf dem Lande einzuschätzen, ist es wichtig zu wissen, dass Rehbein längst nicht mehr als Landarbeiter tätig war, als er diesen Bericht verfasste. 1895 verlor er bei einem Dreschmaschinenunfall eine Hand; danach brachte er sich über die Runden, indem er für verschiedene sozialdemokratische Zeitschriften schrieb und als Funktionär bei der Freien Gewerkschaftsbewegung arbeitete. Dennoch ist sein Bericht eine der wenigen erhaltenen Darstellungen des Alltagslebens auf dem deutschen Land.

Franz Rehbein, Landarbeiter (ca. 1890)

  • Franz Rehbein

Quelle

Bald kam der Winter, scharf und strenge.

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Zudem nahm die winterliche Arbeitslosigkeit einen immer größeren Umfang an. Jetzt erst lernte ich erkennen, was es heißt, als ein »freier« und verheirateter Tagelöhner sich in der »gesegneten Marsch« durchbeißen zu müssen.

Kein Bauer hatte mehr etwas für uns Tagelöhner zu tun. Auf den Höfen regte sich nichts. Das Korn war mit der Maschine ausgedroschen; zu kleien gab’s ebenfalls nichts; und das übrige wurde mit ein paar Knechten und Jungens besorgt. Da saßen wir Tagelöhner nun und guckten zum Fenster hinaus. Mich beschlich allmählich ein Gefühl unruhiger Mißmutigkeit, das von Tag zu Tag peinigender wurde, je länger ich herumbummeln mußte. Ein paar Tage und schließlich auch ein paar Wochen hält man es ja in der Stube aus; da läuft einer zum andern, man klöhnt oder spielt Schafskopf und hofft auf einen baldigen Umschlag. Wenn man jedoch an regelmäßige Arbeit gewöhnt ist und die Arbeitslosigkeit gar nicht wieder abreißen will, dann wird’s einem in den vier Pfählen verdammt ungemütlich. Teufel, ist das ein Gefühl, jung, kräftig und arbeitslos in der Kate zu sitzen, wo man doch so gerne arbeiten möchte! Man schämt sich förmlich, sich noch auf der Straße sehen zu lassen.

Es ist, als grinste einen jeder Strauch und jeder Misthaufen schadenfroh an. Dabei schrumpfen die paar Spargroschen immer mehr zusammen; man kann sich schon an den Fingern abzählen, wann der letzte Taler angerissen werden muß; und was dann? Ach wie hübsch voll und schwer kommt einem solch Taler vor, wenn man ihn verdient hat, und wie leicht wird er, wenn man ihn ausgeben muß!

Mit verhaltenem Grimm sieht man dann auf die gewichtigen Bauern, die unbekümmert um die steigende Not der Tagelöhner zu ihren »Visiten« oder Vergnügungen fahren. Den dampfenden Pferden kann man vor Fett keine Rippe auf dem Leibe zählen, während man selbst den Leibriemen von Tag zu Tag enger schnallt. Merkwürdige Gedanken beschleichen einen dann. Da sitzt man als armer Schlucker und will gerne arbeiten; diejenigen aber, für die man sich im Sommer für geringen Lohn abschindet, zucken jetzt gleichmütig die breiten Achseln – was können sie dafür, daß sie keine Arbeiter gebrauchen können?

Viele Tagelöhner begannen sich schon in Schulden zu zehren; sie holten bei den Dorfhökern zu Borg, oder ließen sich von bekannten Bauern einen kleinen Barvorschuß geben, den sie im Sommer wieder abarbeiten wollten. Dies geht bei den meisten übrigens jeden Winter so, und nicht wenige – besonders die mit starker Familie – mußten womöglich gar den ganzen Sommer über krebsen, damit sie nur die Schulden vom vorigen Winter los wurden; kam dann der neue Winter, so waren sie bald wieder blank, und die Borgwirtschaft ging von vorn los. Wer aber gar nichts mehr geborgt bekam, dem blieb nichts weiter übrig, als sich an die Armenkasse des Kirchspiels zu wenden; ja es war sogar durchaus nichts Seltenes, daß die Tagelöhnerkinder mit dem Bettelkorb von Hof zu Hof geschickt wurden.

Nachgerade wurde mir der durch die Arbeitslosigkeit geschaffene Zustand unerträglich. Sollte ich etwa auch schon anfangen, mich in Schulden zu setzen? Lieber wollte ich mich eine Zeitlang von Weib und Kind trennen und zusehen, ob ich vielleicht auswärts Arbeit bekäme. Mit noch einigen anderen Tagelöhnern wanderte ich deshalb die acht Stunden Wegs nach dem damals im Bau befindlichen Nord-Ostseekanal und wurde dort auch als Erdarbeiter eingestellt. Hier blieb ich bis zum Frühjahr, von wo ab es dann wieder bei den Landwirten der Marsch etwas zu tun gab. Doch schon im Vorsommer setzte abermals eine Periode der Arbeitslosigkeit ein, so daß ich es vorzog, bis zur Ernte auf einer Ziegelei Arbeit zu nehmen. Dort war ich beim »Ausrüsten« beschäftigt, zu einem Wochenlohn von 20 Mark. Die Arbeitszeit währte dafür aber auch von morgens 4 bis abends 8 Uhr mit einer Gesamtpause von 2 Stunden, also 14 Stunden täglich. Von hier ging ich nur über Sonntag nach Hause. Die Woche über aß ich mit den im Betriebe tätigen Lippeschen Zieglern zusammen in der »Kommunje«, d. h. jeden Tag, den Gott werden ließ: Erbsen, und immer wieder Erbsen! Noch heute wird mir’s ganz erbsig im Magen, wenn ich nur daran zurückdenke.

Für die Zeit der Ernte hatte mich mein früherer Bauer »Peiter Pink« schon einige Wochen vorher angenommen. Meine Frau half mir dort treulich mit. Bis dahin wollte ich immer nicht, daß sie mitarbeiten sollte, denn es widerstrebte mir, sie ebenfalls mit ins Joch zu spannen; meiner Ansicht nach mußte der Mann allein so viel verdienen können, wie zum Lebensunterhalt der Familie notwendig war, besonders wo es sich bei uns erst um eine kleine Familie handelte. Doch mein Weibchen meinte, man könne nicht wissen, wie es wieder zum Winter werde; sie ließ es sich nicht nehmen, während der Ernte mitzuschaffen. Unsern Jungen fuhren wir in einem für alt gekauften Kinderwagen mit aufs Feld, dort wurde er hinter den Hocken gepackt, und dann konnte er schlafen, spielen oder schreien, solange er Lust hatte; er mußte es beizeiten anwerden, daß er nur ein Tagelöhnerkind war.

Bald klangen die Sichten im Korn, die Halme fielen. Mit meinem Schwager war ich gemeinsam beim Hauen tätig, meine Frau band hinter uns beiden die Garben. Soweit das Auge reichte, überall dasselbe Bild: Kornfeld an Kornfeld, und darauf in emsiger Tätigkeit Männer, Frauen und Kinder; die Männer nur in Hemd und Hose, die Frauen hochgeschürzt, den schattenden Sonnenhut in den Nacken gedrückt. Alles rührt fleißig die Hände, denn aus der Erntearbeit soll der Hauptverdienst des ganzen Jahres kommen. Reift das Korn schnell nacheinander, so erreicht der Hauerlohn eine annehmbare Höhe, mitunter bis zu 20 und 25 Mark für den Dithmarscher Morgen. Der Binderlohn beträgt die Hälfte, da ein Binder so viel aufbinden und in Hocken setzen soll, wie zwei Hauer abhauen. Da auf den Hauer durchschnittlich zwei bis zweieinhalb Morgen, und auf den Binder das Doppelte dieser Morgenzahl pro Woche gerechnet werden, so können es Mann und Frau in der Erntezeit unter Umständen tatsächlich auf ein paar Hundert Mark Verdienst bringen, zumal unter dem Druck der Akkordarbeit. Reifen die verschiedenen Kornarten aber langsam hintereinander, so daß hinter der einzelnen Frucht noch womöglich Tage des Aussetzens zu erwarten sind, so gibt es nicht selten nur 16, 14, ja selbst nur 12 Mark Hauerlohn pro Morgen und die Hälfte fürs Binden. Trotz äußerster Anspannung der Arbeitskraft ist es dann nicht möglich, einen nennenswerten Extragroschen zusammenzubringen, und manche Tagelöhnerfamilie sieht schon von da an dem kommenden Winter mit vermehrter Sorge entgegen. Daher deucht einem die Erntezeit auch immer viel zu kurz; kaum daß sie begonnen, ist sie auch schon wieder zu Ende. Solange die Ernte aber währt, kennt der Tagelöhner nur einen Grundsatz: schaffen, schuften und schinden. Hier wird das Wort zur Wirklichkeit: Akkordarbeit ist Mordarbeit! Die Selbstantreiberei geht dann so weit, daß man dem Tag nicht 24, sondern am liebsten 48 Stunden lang wünschen möchte.

Schon um 3 Uhr morgens ging ich von zu Hause fort; nach einem halbstündigen Fußmarsch war ich auf dem Felde. Etwa um 6 Uhr wurde das erste Frühstück gegessen, das meine Frau inzwischen nachgebracht hatte. Wir arbeiteten nämlich auf eigene Kost, wie dies die meisten Tagelöhner tun, die ihre Angehörigen zur Arbeit mitnehmen. Es gibt dann auf den Morgen Acker ein paar Mark mehr, und da für die Familie doch sowieso gekocht werden muß, so nimmt man als verheirateter Mann schon lieber das Bargeld als die Kost vom Bauern.

Ist es gutes Wetter, so schafft die Arbeit. Zwar bis gegen 8 oder 9 Uhr vormittags sind dem Hauer fast regelmäßig die Knie vom Tau durchnäßt; dann aber geht es flotter weg. Ungleich schlimmer aber ist der Binder daran, denn die tauigen Garben durchnässen ihm beim Zusammenschnüren die Kleider auf der ganzen Vorderseite. Besonders leiden beim Binden die Hände; in der Taunässe werden sie weich und empfindlich, sie sehen aus wie die Hände einer Waschfrau, die den ganzen Tag im Wasser kladdern muß. Die Nägel arbeiten sich dann ab und verursachen Schmerz, und die Fingerspitzen werden »durchgegriffen«; oftmals verletzt man sich die Hände an den scharfen Stoppeln oder schneidet sich an flachgedrückten Halmen die Finger entzwei. Sobald der Tau aber abgetrocknet ist, werden die Disteln »krall«, und je höher die Sonne steigt, desto schärfer stechen sie. In den ersten Tagen brennen dem Binder die Hände oft dermaßen, daß er sie kaum zu lassen weiß, erst hernach wenn sie ganz voller Disteln und kleiner Stoppelwunden sitzen, stumpft sich das Gefühl mehr und mehr ab. Wie manchesmal habe ich da im Stillen meine Frau bedauert. Doch was half’s; auf dem Lande darf man nicht empfindlich sein, sonst verdient man nichts, und – die Erntewochen müssen wahrgenommen werden.

Eines der unangenehmsten Dinge in der Ernte sind die Regentage. Dann kommt man und kommt mit der Arbeit nicht vorwärts, so gerne man auch will. Solange es nur fein herniederrieselt, geht’s noch, man fragt nicht viel darnach; regnet es aber Strippen, oder gießt ein Gewitterschauer herunter, so daß man bald keinen trockenen Faden mehr an sich hat, dann muß man doch die Arbeit unterbrechen. Dann sitzt man da hinter den Hocken in nassen Kleidern und lauert, daß es sich aufhellen soll, kaum aber ist eine Flage vorüber, so kommt eine neue, womöglich noch stärkere. Den Körper durchschüttelt ein unbehagliches Gefühl; halb schwitzt man, halb friert man. Scheint dann endlich die Sonne wieder, so heißt es mit verdoppelter Anspannung ans Werk gehen; denn das Versäumte muß soweit wie möglich eingeholt werden. Knapp gönnt man sich die Zeit zum Essen. Mit vermehrter Wucht schwingt der Arm die scharfe Sichte; Schwad legt sich an Schwad, betropft vom Schweiß des Schaffenden. Garbe um Garbe schnürt die Binderin mit flinker Hand, kaum daß sie sich aufrichtet, um einen tieferen Atemzug zu tun. Und wie oft muß die Sichte fallen, und wieviel Garben sind zu binden, ehe ein Morgen Land in Hocken steht!

Endlich spät, spät abends, wenn die ermüdenden Glieder schon fast den Dienst versagen, wird das Tagewerk beendet. Längst ist die Sonne untergegangen und nebeliges Abenddunkel lagert über den Feldern, dann erst wird Feierabend gemacht. Die Natur verlangt schließlich ihr Recht, der Körper muß neue Kräfte sammeln. Etwa eine Stunde bevor wir Mannsleute mit der Arbeit aufhielten, trat meine Frau mit ihrem Kinderwagen den Heimweg an, um das Essen gar zu haben, wenn ich um 9 oder 10 Uhr nach Hause kam. Öfters arbeitete ich allerdings auch die ganze Nacht hindurch, nur daß ich eine oder zwei Stunden im Hocken ruhte. Denn da es in der Regel – besonders bei schwerem Korn – die Kraft einer Frau übersteigt, so viel hochzustellen wie zwei Hauer niederlegen können, so hockte ich nach meinem eigentlichen Feierabend noch immer die Garben auf, die meine Frau nicht zu bewältigen vermochte, und nach Regentagen mußte ich dann zuweilen eine Nacht mit zu Hilfe nehmen, um tagsüber mit meinem Nebenmann, dessen Frau krankheitshalber nicht mittun konnte, in gleichem Zug zu bleiben.

Das Einfahren wurde dann im Tagelohn verrichtet, wobei es auch die Kost auf dem Hofe gab. Alles was an Wagen und Gespannen vorhanden war, wurde in Stand gesetzt, um den Erntesegen unter Dach und Fach zu bringen, und dann hieß es auch da: was hast du, was kannst du? Mit Bienenfleiß wird Wagen auf Wagen beladen und entladen, und mit voller Fuhre geht es im scharfen Trab, damit keine unnützen Pausen entstehen. Die Pferde werden jetzt nicht geschont, und die Menschen schonen sich von selber nicht; wissen sie doch, was unter Umständen von ihrem Fleiß und ihrer Ausdauer abhängt. Kommt gar der Landwirt und sagt: »Lüd’, dat Wedderglas is fullen, de Regen hangt uns bövern Kopp«, dann wird kaum mehr ein Wort während der Arbeit gesprochen. In der Scheune hört man nur noch das tickende Aufklappen der Forken und das keuchende Atmen der Abstaker und Zuschmeißer. Kaum ist der entladene Wagen von der Diele geschoben, so rollt auch schon ein neuer, voller herein, denn auch auf dem Felde tun Aufstaker und Lader, was sie können, um Acker auf Acker zu räumen. So geht’s, mitunter bis in die sinkende Nacht. Ach, nach solchem Tage, aus dem häufig genug anderthalbe werden, fühlt man des Abends seine Glieder; man weiß, was man getan hat. Meine Frau wurde danach öfters derartig von Müdigkeit übermannt, daß ihr die Augen zufielen, wenn sie unserem Kinde die Brust gab.

Einen Trost nach so viel anstrengender Arbeit gewährte uns jedoch die Auszahlung unseres gemeinsamen Ernteverdienstes. Mit einer gewissen Befriedigung drückten wir die schönen harten Taler in der Tasche, als wir nach erfolgter Ablohnung unserem Hüttchen zustrebten, an den Stoppelfeldern vorüber, auf denen wir so manchen Schweißtropfen vergossen hatten.

Gleich nach den Haupterntewochen nahm ich Arbeit bei der Dreschmaschine an. []

Nicht jeder Hof hat seine Maschine, wie die Großgüter, auch gibt es keine Genossenschaftsmaschinen, wie anderswo. Die Dreschmaschinenbesitzer sind vielmehr selbständige Unternehmer, die sich eine eigene Maschine entweder gegen Bar oder auf Abzahlung anschaffen. Sie nehmen sich auch selbständig die nötigen Mannschaften an und ziehen nun mit ihrem bemannten Geschütz von Hof zu Hof, mit dessen Bauern der Drusch vereinbart war. []

Was die Dreschmaschinenarbeit selber betrifft, so ist sie eine der anstrengendsten und aufreibendsten, die man sich denken kann. Stunden, nur Stunden schinden, ist hier die Losung. Je mehr Stunden am Tage, desto eher wird der Bauer die Maschine wieder los, desto weniger Mahlzeiten braucht er den Leuten zu geben. Je mehr Stunden der Maschinenmeister erzielt, desto mehr Korn kann er zum Ausdrusch übernehmen, und desto höher ist sein Profit. Je mehr Stunden die Leute zusammenrackern, desto größer ist der Wochenverdienst. Spätestens um 4 Uhr morgens wird angefangen, nicht selten aber auch schon um 3 Uhr, und dann geht es den ganzen lieben langen Tag rastlos fort, mindestens bis 8 Uhr abends; sehr häufig aber wird es 9 und 10 Uhr, öfters sogar 11 und 12 Uhr nachts. Pausen gibt es nur, solange die Essenszeit dauert, einschließlich der Schmierpausen insgesamt höchstens eine Stunde des Tags. Das Abendessen verursacht keine Pause, denn dies wird erst nach beendeter Tagesarbeit eingenommen, ganz gleichgültig wie spät es auch werde.

Bei der Arbeit geht es »immer feste weg«, was der Schinderkasten nur schlucken kann. Der Mensch muß mit der Maschine fort, er wird ihr Sklave, wird selbst zum Maschinenteil. Vergegenwärtigt man sich das ununterbrochene Heulen und Brummen der Dreschtrommel, sowie den fast undurchdringlichen Staub, den sie entwickelt, dann kann man sich denken, was diese Art Maschinendrescherei für den Mann bedeutet. Der Staub haftet, besonders wenn das Korn viel Regen bekommen hat, fast zentimeterdick auf den Leuten; oft können sie kaum aus den Augen sehen; die Augen sind denn auch häufig verschwollen und entzündet. Ebenso ist die Nase vom Einatmen der Staubmassen förmlich verstopft, und beim Ausspeien kommen ganze Klumpen schwärzlichen Schleimes zum Halse heraus. Außerordentlich fest setzt sich der Staub auf die bei der schweren Arbeit stark schwitzende Haut und verursacht ein unangenehmes Jucken und Brennen, so daß es einem zumute ist, als säße der ganze Körper voller Ameisen.

Hat man in diesem Zustand seine 15, 16 oder 18 Stunden heruntergerissen, so ist man im wahren Sinne des Wortes todmüde. Vor Ermattung bringt man das Abendessen kaum noch herunter; am liebsten würde man sich sofort zum Schlaf ausstrecken. Doch an Schlaf ist gleich nach Feierabend nur dann zu denken, wenn die Maschine mehrere Tage auf einem Hofe bleibt. Sehr häufig muß aber noch spät abends oder mitten in der Nacht von einem Hof zum anderen gezogen werden, manchmal gar nach einem Stunden weit entfernten Dorfe, und wenn’s Glück gut ist, noch dazu bei strömendem Regen. Fährt sich dann zu allem Überfluß das Geschütz auf den durchweichten schlickigen Marschwegen auch noch fest, so ist erst recht nicht an Ruhe zu denken. Mit Wuchtbäumen werden dann Lokomobile und Dreschkasten wieder flott gemacht, und alle Mann müssen mit in die Speichen greifen oder an Stricken und Ketten ziehen, um den Pferden tatkräftige Hilfe zu leisten. Ist man endlich an Ort und Stelle, so wird die Maschine bei Laternenschein wieder fix und fertig zum Dreschen klar gemacht, und dann erst kann jeder sehen wo er ein Lager findet, um noch ein paar Stunden zu ruhen.

Da für so viele Menschen auf den einzelnen Höfen kein Bettzeug vorhanden ist, so bekommen nur der Meister, der Heizer und die beiden Einleger eine Bettstatt, die übrigen Leute müssen sich im Stroh oder Heu oder Kaff verkriechen, wie sie es nun gerade vorfinden. Wie uns armen Teufeln mitunter zumute war, wenn wir mit durchnäßten Kleidern die kalten Herbstnächte im Stroh kampieren mußten, mag sich jeder selbst ausmalen. Ehe man sich eingenestelt hat und halbwegs warm geworden ist, klappern einem die Zähne mitunter hörbar im Munde, und gerade dann wenn man im besten Schlaf ist, ruft die Dampfpfeife schon wieder zu neuer Arbeit. Damit die Zeit nicht verschlafen wird, hat der Wasserträger die Nachtwache, er besorgt auch das rechtzeitige Anheizen der Lokomobile. Sind die Mannschaften nach dem Weckruf nun glücklich alle aus ihrem Strohlager hervorgekrochen, so fährt jeder mal kreuzweis mit dem Ärmel über die noch halbgeschlossenen Augen, und gleich darauf geht die Drescherei ihren Gang. An Waschen und Kämmen denkt niemand; es wäre auch überflüssig, denn schon nach wenigen Minuten wäre doch alles wieder wie vorher; höchstens könnte man sich die Augen noch mehr verderben wie schon ohnehin, weil sich der Staub gleich dick auf die feuchten Augenlider setzt und dort seine ätzende Wirkung ausübt.

Die erste Arbeit des Maschinenmeisters am Morgen ist, daß er jedem seiner Leute einen »groten Kööm« einschenkt. Der Fusel muß die infolge der kurzen Nachtruhe erschlaffte Energie wieder beleben. Und wirklich, das Gesöff tut Wunder. Hat erst jeder auf den nüchternen Magen einen gehörigen Kümmel hinter die Binde gegossen, so erneuern sich zusehends die trägen Lebensgeister, und mit dem Brummen der Dreschtrommel verrichtet alles ganz mechanisch seine Arbeit wie am vorigen Tage: die Zuschmeißer werfen die Garben nach der Maschine, die Bandschneider ziehen ihre Messer durch die Garbenbänder, die Einleger lassen die losen Garben durch die Trommel gleiten, die Binder schnüren das ausgedroschene Stroh in Bunde, die Kornträger schleppen wie Automaten Sack auf Sack nach dem Boden, der »Kaffmajor« windet sich mit einem vollen Laken durch das Gewühl, und auf dem Hümpel hebt sich Bund auf Bund in regelmäßiger Reihenfolge. Endlich graut der Morgen, die trüben Öllaternen werden verlöscht, ein Pfiff ruft die Leute zur Frühkost: die ersten zwei Stunden des neuen Tages hat man hinter sich.

Nach 20 Minuten ist wieder alles an seinem Platze, und nun geht es in ununterbrochener Tätigkeit, höchstens mit einer kurzen Schmierpause dazwischen, bis zum Mittag. Hastig wird alsdann das Essen gegabelt und gelöffelt, denn kaum hat man den letzten Happen hinuntergewürgt, so pfeift’s auch schon wieder zur Arbeit. So viel Zeit, um seinen Löffel abzuwaschen, hat man nicht; man kann ihn nur ablecken oder mit knapper Not am Zipfel des staubigen Kittels abwischen. Um 4 Uhr ist Vesper, und Feierabend –? nun, das weiß nur der Maschinenmeister.

So wiederholt sich das Spiel einen Tag wie den andern. Da auch meistens des Sonntags gearbeitet wird, so kann es passen, daß man drei Wochen in einer Tour in Staub und Dreck abreißt, ohne sich auch nur ein einziges Mal richtig zu waschen oder in einem Bette auszuruhen. Riskiert man es aber doch einmal, den Kopf in einen Eimer Wasser zu stecken, so muß man sich in der Regel an seinem eigenen Kittel oder an einem alten Kornsack abtrocken; denn ein Handtuch geben die Bauern dazu nicht her, das ist ihnen zu schade für die Leute. Schließlich befindet man sich in einer Verfassung, daß einem selbst der schmierigste Zigeuner noch wie ein Edelmensch erscheint.

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Quelle: Franz Rehbein, Das Leben eines Landarbeiters, herausgegeben und eingeleitet von Paul Göhre. Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena, 1911, S. 232–41.