Kurzbeschreibung

Rosa Luxemburg (1871–1919) und andere radikale Sozialisten brachen Ende 1914, als ein Verhandlungsfriede mit Russland nicht zustande kam, mit den Sozialdemokraten wegen deren Unterstützung des Krieges. Luxemburg charakterisierte den Ersten Weltkrieg als einen imperialistischen Krieg konkurrierender Kapitalinteressen und fasste den Zusammenschluss der Arbeiterklassen aller Welt in einer Revolution gegen die nationalistischen Kräfte der Bourgeoisie ins Auge.

Rosa Luxemburg: Der Krieg und die Arbeiterklasse (Januar 1916)

  • Rosa Luxemburg

Quelle

Berlin, 1. Januar 1916

[] 12. Angesichts des Verrats der offiziellen Vertretungen der sozialistischen Parteien der führenden Länder an den Zielen und Interessen der Arbeiterklasse, angesichts ihrer Abschwenkung vom Boden der proletarischen Internationale auf den Boden der bürgerlich-imperialistischen Politik, ist es eine Lebensnotwendigkeit für den Sozialismus, eine neue Arbeiterinternationale zu schaffen, welche die Leitung und Zusammenfassung des revolutionären Klassenkampfes gegen den Imperialismus in allen Ländern übernimmt.

Sie muß, um ihre historische Aufgabe zu lösen, auf folgenden Grundlagen beruhen:

1. Der Klassenkampf im Innern der bürgerlichen Staaten gegen die herrschenden Klassen und die internationale Solidarität der Proletarier aller Länder sind zwei unzertrennliche Lebensregeln der Arbeiterklasse in ihrem welthistorischen Befreiungskampfe. Es gibt keinen Sozialismus außerhalb der internationalen Solidarität des Proletariats und es gibt keinen Sozialismus außerhalb des Klassenkampfes. Das sozialistische Proletariat kann weder im Frieden noch im Kriege auf Klassenkampf und auf internationale Solidarität verzichten, ohne Selbstmord zu begehen.

2. Die Klassenaktion des Proletariats aller Länder muß im Frieden wie im Kriege auf die Bekämpfung des Imperialismus und Verhinderung der Kriege als auf ihr Hauptziel gerichtet werden. Die parlamentarische Aktion, die gewerkschaftliche Aktion, wie die gesamte Tätigkeit der Arbeiterbewegung muß dem Zweck untergeordnet werden, das Proletariat in jedem Lande aufs schärfste der nationalen Bourgeoisie entgegenzustellen, den politischen und geistigen Gegensatz zwischen beiden auf Schritt und Tritt hervorzukehren, sowie gleichzeitig die internationale Zusammengehörigkeit der Proletarier aller Länder in den Vordergrund zu schieben und zu bestätigen.

3. In der Internationale liegt der Schwerpunkt der Klassenorganisation des Proletariats. Die Internationale entscheidet im Frieden über die Taktik der nationalen Sektionen in Fragen des Militarismus, der Kolonialpolitik, der Handelspolitik, der Maifeier, ferner über die gesamte im Kriege einzuhaltende Taktik.

4. Die Pflicht zur Ausführung der Beschlüsse der Internationale geht allen anderen Organisationspflichten voran. Nationale Sektionen, die ihren Beschlüssen zuwider handeln, stellen sich außerhalb der Internationale.

5. In den Kämpfen gegen den Imperialismus und den Krieg kann die entscheidende Macht nur von den kompakten Massen des Proletariats aller Länder eingesetzt werden. Das Hauptaugenmerk der Taktik der nationalen Sektionen ist somit darauf zu richten, die breiten Massen zur politischen Aktionsfähigkeit und zur entschlossenen Initiative zu erziehen, den internationalen Zusammenhang der Massenaktion zu sichern, die politischen und gewerkschaftlichen Organisationen so auszubauen, daß durch ihre Vermittlung jederzeit das rasche und tatkräftige Zusammenwirken aller Sektionen gewährleistet und der Wille der Internationale so zur Tat der breitesten Arbeitermassen aller Länder wird.

6. Die nächste Aufgabe des Sozialismus ist die geistige Befreiung des Proletariats von der Vormundschaft der Bourgeoisie, die sich in dem Einfluß der nationalistischen Ideologie äußert. Die nationalen Sektionen haben ihre Agitation in den Parlamenten wie in der Presse dahin zu richten, die überlieferte Phraseologie des Nationalismus als bürgerliches Herrschaftsinstrument zu denunzieren. Die einzige Verteidigung aller wirklichen nationalen Freiheit ist heute der revolutionäre Klassenkampf gegen den Imperialismus. Das Vaterland der Proletarier, dessen Verteidigung alles andere untergeordnet werden muß, ist die sozialistische Internationale.

Quelle: Rosa Luxemburg, „Die Aufgaben der internationalen Sozialdemokratie,“ in Ernst Meyer, Hrsg., Spartakus im Krieg: Die illegalen Flugblätter des Spartakusbundes im Krieg. Berlin, 1927, S. 111–12.; abgedruckt in Wolfdieter Bihl, Deutsche Quellen zur Geschichte des Ersten Weltkrieges. Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 1991, S. 176–77.