Quelle
In den letzten Monaten machen sich in Deutschland mehrfach weltbrüderliche Friedensbestrebungen bemerkbar, die scharfe Überwachung erfordern. Die Träger und Förderer dieser Bewegung sind zwar meist Persönlichkeiten von geringem politischem Einfluß. Sie bleiben im allgemeinen auf die Kreise von „Pazifisten“ beschränkt, die schon vor dem Kriege einem verschwommenen Weltbürgertum nachgingen.
Bei der entschlossenen, vaterländischen Haltung des deutschen Volkes ist kaum zu erwarten, daß die Bewegung in breite Schichten eindringen und zu ausschlaggebender Bedeutung gelangen wird. Ihre Duldung in jetziger Zeit muß aber mit Recht in weiten Kreisen Mißstimmung und Widerspruch hervorrufen und kann schließlich den festen unbeirrten Willen zum Durchhalten beeinträchtigen. Es wird nicht verstanden, daß die Erörterung praktischer, vaterländischer Kriegsziele verboten ist, während eine Stimmungsmache für theoretisch unklare weltbürgerliche Friedensgedanken erlaubt sein soll. Besonders unseren kämpfenden Truppen müssen alle Gedankengänge und Bestrebungen solcher Art fern gehalten werden.
Bedenklicher als die Betätigung deutscher Friedensfreunde im Inlande ist ihre Wirkung auf das Ausland. Bei Neutralen wie Gegnern müssen sich falsche Ansichten über die innere Kraft Deutschlands bilden. Mit sichtlicher Freude und Genugtuung wird von feindlicher Seite jede Äußerung, die als Zeichen von Schwäche oder Uneinigkeit ausgelegt werden kann, zur Belebung des Willens und der Hoffnung ausgenutzt, Deutschland niederzukämpfen. Das persönliche und briefliche Wirken der deutschen Friedensapostel im Auslande kann aber auch unmittelbaren Schaden anrichten, ohne daß es ihnen selbst immer voll zum Bewußtsein kommt. Ihre Äußerungen über innerdeutsche politische, wirtschaftliche und militärische Verhältnisse können dem Feinde wichtige Aufschlüsse geben, und es ist anzunehmen, daß feindliche Agenten sich ihr Mitteilungsbedürfnis zunutze machen. Besonders gefährlich muß es erscheinen, daß die anfangs mehr wissenschaftlich auftretende Bewegung neuerdings mit scharf international gerichteten Sozialistengruppen aller Länder Fühlung zu nehmen sucht. Schließlich ist ein derartiges Auftreten von Leuten. die sich als Vertreter der deutschen Intelligenz im Auslande aufspielen, geeignet, die Achtung vor deutschem Wesen und deutscher Tüchtigkeit, die uns das Volk in Waffen errungen hat, zu beeinträchtigen.
Gewiß werden sich viele der in dieser Bewegung tätigen Deutschen von einem unklaren Idealismus leiten lassen, an dem die großen Begebenheiten unserer Zeit spurlos vorbeigehen. Bei manchen mag auch der Drang mitsprechen, eine gewisse internationale Berühmtheit zu erlangen. Die meisten werden nicht erkennen, daß ihre Handlungsweise vielfach an Landesverrat grenzt, da sie geeignet ist, auf Kosten unserer eigenen Widerstandsfähigkeit die unserer Feinde zu stärken. Ein gerichtliches Vorgehen auf Grund des § 89 des St[raf] G[esetz] B[uches] empfiehlt sich aber meist deshalb nicht, weil die daraus entstehenden Prozesse die öffentliche Aufmerksamkeit des In- und Auslandes über Gebühr auf diese Bewegung hinlenken würden. Die nachteiligen Folgen im Auslande würden nur verstärkt werden, ohne daß es dabei vielleicht zu einer wirksamen Verurteilung der Beschuldigten käme.
Andererseits muß aber dem ganzen Treiben nachhaltig entgegengetreten werden. Es ist daher notwendig, den in der Friedensbewegung in unerwünschter Weise hervortretenden Personen das Gefährliche ihrer Handlungsweise unzweideutig klar zu machen und dies in geeigneter Form schriftlich niederzulegen. Zeigen sie sich unbelehrbar, so kann auf Grund des Gesetzes über den Belagerungszustand jede weitere öffentliche Betätigung nach dieser Richtung verboten werden. Durch die Übertretung eines solchen Verbots würden sie sich bereits strafbar machen, wenn ihnen auch ein Vorgehen nach § 89 des St[raf] G[esetz] B[uches] nicht nachgewiesen werden kann. Durch Überwachung des Briefverkehrs läßt sich die nötige Kontrolle ausüben, durch Paßverweigerung und Verbot der Grenzüberschreitung kann ihr Wirken im Auslande unterbunden werden.
Die Anpreisung und Besprechung der Bestrebungen der Friedensfreunde und ihrer Schriften in der Presse muß verhindert werden. Auch Presseangriffe gegen diese Richtung sind unerwünscht und würden sich in Zukunft auch sachlich erübrigen. Die Veröffentlichung und Verbreitung von pazifistischen Schriften und Flugblättern darf nicht geduldet werden. Ihre Versendung in das Ausland oder an die Front ist zu verhindern. Aus dem Auslande eingehende Schriften solcher Art ebenso wie Privatbriefe, die eine Förderung internationaler pazifistischer Ziele bezwecken, sind zu beschlagnahmen.
Eine Übersicht der bisher hier bekannt gewordenen Friedensbestrebungen ist in der Anlage zusammengestellt.
Quelle: Geheimer Erlaß des preußischen Kriegsministeriums vom 7. November 1915 über verschärfte Maßnahmen zur Unterdrückung der bürgerlich-pazifistischen Antikriegsbewegung, Bundesarchiv Lichterfeld, Rep. 30, Berlin C, Polizeipräsidium, Tit. 95, Section 7, Nr. 15854; abgedruckt in Willibald Gutsche, Herrschaftsmethoden des deutschen Imperialismus 1897/8 bis 1917. Berlin-Ost, 1977, S. 243–45.