Quelle
Quelle: „Reichstag“, Meyers
Konversations-Lexikon, 5. Auflage. Leipzig,
1899.
https://archive.org/details/bub_gb_NrUfAQAAIAAJ/page/n877/mode/2up
Diese vielfarbige Wahlkarte aus dem populären 17-bändigen deutschen Nachschlagewerk Meyers Konversations-Lexikon zeigt die komplizierten Wahlergebnisse der deutschen Reichstagswahlen vom Juni 1898. Die verschiedenen Farben markieren die dominante politische Partei in jedem Wahlbezirk Deutschlands.
Diese Karte veranschaulicht eine Reihe komplexer politischer Sachverhalte.
Erstens stützten sich die meisten großen Parteien auf regionale Stärken. Die (katholische) Zentrumspartei war beispielsweise im ländlichen Bayern im Südwesten Deutschlands vorherrschend, während die Konservativen im ländlichen Ostpreußen dominierten. Mitteldeutschland und das Rheinland waren liberaler. Die Sozialdemokraten gewannen unterdessen in Städten wie Hamburg und Berlin sowie in anderen Industriestädten wie Mannheim oder Elberfeld-Barmen (das später zu Wuppertal wurde).
Zweitens gab es zwar fünf große politische Parteien (Konservative, Nationalliberale, Katholisches Zentrum, Liberale, Sozialdemokraten), aber auch eine Vielzahl von Splitterparteien, darunter Parteien der Sonderinteressen für Polnischsprachige, Elsässer, Dänen, hannoversche Separatisten (Welfen), Landwirte usw. Diese Splitterparteien des Kaiserreichs waren Vorboten jener Splitterparteien, welche die deutsche Wahlpolitik in der Weimarer Republik der 1920er Jahre plagen sollten.
Drittens zeigt die eingebettete Grafik „Fraktionen des Deutschen Reichstags, 1871–1898“ die Entwicklung der verschiedenen Parteien im Laufe der Zeit. Wir sehen den stetigen Niedergang der Nationalliberalen, die in den 1870er Jahren die dominierende Partei gewesen waren (sie unterstützten Bismarcks Kulturkampf gegen die Katholiken sowie seine Sozialistengesetze), diese Position jedoch 1880 verloren, als sich ihr linker Flügel abspaltete; bei den Wahlen von 1898 waren die Nationalliberalen nun weitgehend Verbündete der Großindustrie. Ebenso sehen wir den Niedergang der Konservativen nach ihrer Blütezeit Mitte der 1880er Jahre. Und wir erkennen den allmählichen, aber stetigen Aufstieg der Sozialdemokraten, die nach den Wahlen von 1898 zur zweitgrößten Partei im Reichstag wurden.
Ebenso wichtig ist jedoch, was auf der Karte nicht dargestellt wird: die Stärke der Sozialdemokraten nach absoluten Stimmen. Im Jahr 1898 erhielt die Sozialdemokratische Partei die meisten Stimmen in Deutschland – über 2.107.100, was 27 % der Gesamtstimmenzahl entspricht. Aufgrund der Unwägbarkeiten des Wahlkreisverteilungssystems (mit Mehrheitswahlrecht für jeden Bezirk) erhielten die Sozialdemokraten nur 56 Sitze (von 397). Die größte Partei im Reichstag, die katholische Zentrumspartei, erhielt bei 106 Sitzen nur 18,8 % (1.455.100) der Stimmen – eine halbe Million weniger Stimmen als die Sozialdemokraten, aber fast doppelt so viele Sitze aufgrund der günstigen Wahlkreisaufteilung.
Quelle: „Reichstag“, Meyers
Konversations-Lexikon, 5. Auflage. Leipzig,
1899.
https://archive.org/details/bub_gb_NrUfAQAAIAAJ/page/n877/mode/2up
Internet Archive