Kurzbeschreibung
Die Situation der geschätzten 700.000 ungarischen Juden
verschlechterte sich im Lauf der 1930er Jahre zusehends, da die
konservativ-nationalistische Regierung unter Admiral Miklós Horthy
(1863-1957) unter dem wachsenden Einfluss des Naziregimes stand. Ende
der 1930er Jahre erließ die ungarische Regierung eine Reihe
antijüdischer Gesetze, welche den Juden nicht nur die Bürgerrechte
verwehrten, sondern auch deren berufliche und wirtschaftliche
Perspektiven erheblich einschränkten. Nachdem Ungarn im November 1940
auf Seite der Achsenmächte in den Krieg eingetreten war, wurden jüdische
Männer im wehrpflichtigen Alter zu mobilen Arbeitsbatallionen
eingezogen, wo sie unter lebensbedrohlichen Bedingungen zur Arbeit an
kriegsrelevanten Projekten gezwungen wurden. Allein durch dieses
Programm kamen mindestens 27.000 Juden ums Leben. Im Sommer 1941 wurden
außerdem schätzungsweise 20.000 ungarische Juden in die von Deutschland
besetzte Ukraine deportiert und von sogenannten „Einsatzgruppen“,
mobilen Exekutionstruppen, deren Aufgabe es war, die neu besetzten
Gebiete von Juden zu „säubern“, erschossen.
Dennoch glaubte sich die Mehrzahl der ungarischen Juden zeitweilig
vor der Vernichtungsmaschinerie der Nazis in Sicherheit. Mit der
Besetzung Ungarns durch Deutschland am 19. März 1944 wurde allerdings
deren Irrtum deutlich. Das neu eingesetzte Regime der
Nazi-Kollaborateure forderte die Festnahme und Auslieferung aller Juden.
Mitte Mai 1944 begannen die ungarischen Behörden in enger Zusammenarbeit
mit Adolf Eichmann und der Sicherheitspolizei die systematische
Deportation der ungarischen Juden. Im Lauf der nächsten zwei Monate
wurden schätzungsweise 440.000 Juden deportiert. Die Mehrzahl wurde nach
Auschwitz verschleppt, wo die meisten von ihnen bereits kurz nach der
Ankunft ums Leben kamen.
Dieses Foto zeigt die Ankunft eines Transports ungarischer Juden aus
der Karpatoukraine, die seit dem Münchener Abkommen zu Ungarn gehörte.
Noch auf dem Bahnsteig schloss sich die Selektion in zur Zwangsarbeit
„Einsatzfähige“ oder „nicht mehr Einsatzfähige“ an; letztere wurden
direkt in die Gaskammern geführt.
Das Foto stammt aus dem „Auschwitz-Album“, einer Sammlung von 193
Bildern, die die Ankunft und Selektion von mindestens einem Transport
jüdischer Deportierter im Mai/Juni 1944 dokumentiert. Die von
SS-Hauptscharführer Bernhardt Walter und seinem Assistenten
Unterscharführer Ernst Hofmann gemachten Aufnahmen wurden von der SS in
einem Album mit dem verharmlosenden Titel „Umsiedlung der Juden aus
Ungarn“ zusammengestellt. Walter und Hofmann arbeiteten als Fotografen
für den Erkennungsdienst des Lagers und waren dafür verantwortlich,
Fotos und Fingerabdrücke der für den Arbeitsdienst selektierten
Gefangenen zu erstellen.
Unter den nach Auschwitz Deportierten aus der Karpatoukraine befanden
sich auch die 18jährige Lili Jacob (1926-1999) und ihre Familie. Nach
ihrer Befreiung im April 1945, die sie als Zwangsarbeiterin im KZ
Dora-Mittelbau erlebte, fand sie dort das Album in einer verlassenen
SS-Baracke. Auf einzelnen Fotografien erkannte sie sich selbst und
einzelne Mitglieder ihrer Familie (u.a. zwei ihrer Brüder und ihre
Großeltern). Im Ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess (1963-1965) trat
sie als Zeugin auf legte dem Gericht das Album vor. 1980 stiftete Lili
Jacob das „Auschwitz-Album“ der Gedenkstätte Yad Vashem.