Quelle
VERTRAULICHBerlin, 4. April 1939
The Honorable George S. Messersmith
Assistant Secretary of
State
Washington, DC
Sehr geehrter Mr. Messersmith,mir liegt Ihr persönlicher und
vertraulicher Brief vom 17. März vor, dem Sie eine Kopie des von der
Jewish Telegraph Agency ausgefertigten vertraulichen Berichts zur
„Lage der Juden“ vom 6. März 1939 beilegen. Sie machen auf in diesem
Bericht getroffene Feststellungen aufmerksam, die sich Ihrer Meinung
nach auf mich beziehen.Es stimmt, dass ich ein Gespräch mit Mr.
Bernstein geführt habe, dem Korrespondenten der Jewish Telegraph
Agency, der seit der Ausweisung von Ben Smolar, mit dem ich ziemlich
regelmäßig in Verbindung stand, etwa ein Jahr lang hier in
Deutschland tätig war. Bernstein hat in Berlin und Wien sehr gute
Arbeit geleistet und hatte zu meiner Überraschung während der ganzen
Zeit nie mit der Gestapo zu tun. Er ist ein Mann von
außergewöhnlicher Intelligenz und unermüdlicher Energie. Als er mich
kurz vor seiner Abreise aus Berlin wissen ließ, dass er Deutschland
verlassen werde, lud ich ihn und Mrs. Bernstein zum Tee ein, um die
allgemeine Lage mit ihm zu besprechen, wobei es insbesondere meine
Absicht war, ihm vertrauliche Informationen zu übermitteln, die er,
so hoffte ich, zum Wohl potenzieller jüdischer Flüchtlinge aus
Deutschland verwenden würde. Ich wollte ihm auch
Hintergrundinformationen über die Verhandlungen mit auf den Weg
geben, die das Zwischenstaatliche Komitee hier geführt hat, und wenn
möglich durch ihn eine Interpretation der Lage verbreiten lassen,
die einen konstruktiven Effekt haben würde.Es fällt mir sehr schwer,
in einem Brief zu erklären, wie ich die wahre Situation der Juden in
Deutschland einschätze. Das ganze Problem ist eng verwoben mit
unserer eigenen Einwanderungspolitik, und der Erfolg der Arbeit des
Zwischenstaatlichen Komitees liegt mir aus zwei Gründen sehr am
Herzen: Erstens wäre es günstig, den Druck auf uns sowohl innerhalb
als auch außerhalb von Deutschland zu entspannen; und zweitens geht
es darum, die Bedrängnis Tausender unschuldiger Menschen in diesem
Land zu lindern. Ich bin sehr an einer Fortsetzung der Verhandlungen
zwischen dem Zwischenstaatlichen Komitee und den Deutschen
interessiert, weil ich der Meinung bin, dass sich die Deutschen,
solange diese Beziehung aufrecht ist, einen gewissen Grad an
Mäßigung auferlegen werden und so das Los der Flüchtlinge
erleichtert wird. Aus diesem Grund habe ich die Gelegenheit
ergriffen, ein abschließendes Gespräch mit Bernstein zu führen, da
er, so hoffte ich, nach seiner Rückkehr in die Vereinigten Staaten
auf der Grundlage seiner im vergangenen Jahr in diesem Land
gesammelten reichen Erfahrung seine Eindrücke und Überzeugungen
vielen wichtigen Persönlichkeiten in den USA näher bringen würde,
deren Einstellung zum Zwischenstaatlichen Komitee und seiner Arbeit
von großem Gewicht ist, und ich versuchte Bernstein klar zu machen,
wie wichtig es sei, in der amerikanischen Presse keine Kampagne
loszutreten, die bewirken könnte, dass die Deutschen aus Rache die
Verhandlungen mit dem Zwischenstaatlichen Komitee abbrechen und die
physische Verfolgung der Juden mit noch größerer Gewalt als bisher
vorantreiben. Die körperliche Gewalt erhöht den Druck auf uns,
obgleich wohl wahr ist, dass die Juden durch die diversen
gesetzlichen Einschränkungen noch furchtbarer zu leiden haben. Ich
ergreife nun die Gelegenheit, die von Mr. Bernstein getroffenen
Feststellungen zu korrigieren, und Sie werden erkennen, dass ich
falsch zitiert wurde. Gleichwohl bin ich davon überzeugt, dass Mr.
Bernstein nicht die geringste Absicht hatte, mich falsch zu
zitieren, er machte sich von dem, was ich ihm sagte, keine Notizen
und hatte gewiss vor, meine Bemerkungen so getreu wie möglich
wiederzugeben.Mr. Bernstein hat folgendes berichtet:1) Die
Vereinbarung, die Mr. Rublee mit sich genommen hat, ist das beste
Angebot, das man von den Nazis erwarten kann.2) Die Nazis werden
halten, was sie versprochen haben.3) Das amerikanische Judentum
sollte voll mit dem Plan kooperieren, egal wie abstoßend manche
seiner Bedingungen sein mögen.4) Deutschland hat gelernt, Amerika zu
respektieren, es ist Zeit, dass Botschafter Wilson auf seinen Posten
zurückkehrt, und das amerikanische Judentum sollte nichts
unternehmen, um diese Entwicklung zu verhindern.Was ich gesagt habe,
ist Folgendes:1) Die Vereinbarung, die Mr. Rublee mitgenommen hat,
ist zweifellos das Beste, was man bei den Deutschen erreichen kann
und stellt das Maximum an Kooperation dar (wenn man überhaupt von
Kooperation sprechen kann), mit dem sich die Radikalen einverstanden
erklären wollten. Göring hat diese Zugeständnisse gemacht, ich habe
aber gute Gründe zur Behauptung, dass er in den Augen der Gestapo zu
weit gegangen ist.2) Ich habe nicht gesagt, die Nazis würden ihre
Versprechen halten. Das ist eine allgemeine Feststellung, die
niemand jemals treffen könnte, der die deutsche Situation kennt. Ich
sagte Mr. Bernstein, ich sei mir sehr sicher, dass die Deutschen
sich im Wesentlichen an den Plan halten würden, vorausgesetzt das
Zwischenstaatliche Komitee kann einer erheblichen Anzahl von
Personen die Auswanderung ermöglichen. Ich sagte, dass man sich im
Wesentlichen an den Plan halten würde, weil ich persönlich weiß,
dass sowohl Göring als auch Hitler damit einverstanden sind, weshalb
Personen wie Himmler, Streicher und Goebbels es nicht wagen würden,
ihn zurückzunehmen; ich sagte auch, dass es zweifellos Abstriche
geben und man die Flüchtlinge schikanieren würde, dass man aber
gewiss jene Teile des Plans ausführen würde, die ihnen nützen.3) Ich
erinnere mich nicht, dem amerikanischen Judentum geraten zu haben,
voll mit dem Plan zu kooperieren, egal wie abstoßend manche seiner
Bedingungen sein mögen. Der Zweck meines Gesprächs mit Bernstein
bestand natürlich darin, ihn zu veranlassen, für den Fall einer
Veröffentlichung der Details seinen Einfluss in den Vereinigten
Staaten geltend zu machen, damit der Plan nicht abgelehnt werde,
weil ich in einem solchen Fall nur Chaos voraussehe.4) Nun zum
vierten Punkt: Wie Sie wissen, vertrete ich den Standpunkt, dass es
in Zeiten der Krise und des großen Stresses ratsam ist, im Ausland
so gut wie möglich vertreten zu sein, und zum Zeitpunkt der
Unterhaltung hielt ich es im Interesse aller Betroffenen für
sinnvoll, wenn Botschafter Wilson zurückkäme. Ich bemühte mich
insbesondere darum, Mr. Bernstein zu vermitteln, dass es nicht
empfehlenswert wäre, wenn führende Mitglieder der jüdischen
Gemeinschaft in Amerika Schritte unternähmen, um die Rückkehr des
Botschafters zu verhindern, da die Nationalsozialistischen Führer
dazu neigten, die Juden für die Einbehaltung des Botschafters in
Amerika verantwortlich zu machen. Ich hielt Mr. Bernstein für die
geeignete Person, die Situation in einer Weise zu interpretieren,
die für alle Betroffenen vorteilhaft und hilfreich sein würde. Ich
bin mit Ihnen einverstanden, dass jede Feststellung einer Person mit
langjähriger Erfahrung in Deutschland, die Nazis würden sich an
irgendwelche ihrer Versprechungen halten, als äußerst verwegen und
gewagt angesehen werden muss. Was jegliche Art von Transaktion mit
den Nazis anbelangt, hege ich keine Illusionen über deren
Verlässlichkeit. Das Bulletin beunruhigt mich nicht, weil ich nicht
glaube, dass Bernstein irgendeine Absicht hatte, mich falsch zu
zitieren, insbesondere auch nicht deshalb, weil ich das Gespräch mit
oben erläuterter Zielsetzung arrangiert hatte. In diesem
Zusammenhang möchte ich erwähnen, dass jüdische Führungspersonen
hier der Meinung sind, das allgemeine Klima habe sich seit Mr.
Rublees Besuch merklich entspannt, und ich hoffe sehr, dass dies
nicht aufhört.Die Gestapo hat in Verbindung mit der Jüdischen
Gemeinde eine Reihe von Auswanderungsbüros eingerichtet, die in
Berlin täglich zwischen 180 und 200 Personen auf die Auswanderung
vorbereiten. Der wichtigste Teil in diesem Verfahren ist die
Ausstellung eines Passes für diese Leute. Die Aushändigung eines
Passes ist gleichbedeutend mit einer strengen Warnung, das Land zu
verlassen. Seit Einrichtung dieser Büros sind schätzungsweise
10-15.000 Menschen in Berlin auf diese Weise vorbereitet worden, und
das wird nach den sehr akkuraten Informationen von Würdenträgern der
Jüdischen Gemeinde mit einer Rate von etwa 200 Personen täglich
fortgesetzt. Ich mache mir große Sorgen darüber, wie der Druck
ausfallen wird. Ich wäre überhaupt nicht überrascht, wenn er eine
Form annehmen könnte, die eine geordnete Auswanderung unmöglich
machen würde. Die Deutschen fühlen sich gewiss keineswegs
verpflichtet, irgendeine ihrer im Rahmen der Vereinbarung mit dem
Zwischenstaatlichen Komitee eingegangenen Verpflichtungen
einzuhalten, solange es keinen bindenden Nachweis für die Anzahl der
Auswanderer gibt, die das Ausland aufzunehmen bereit ist. Bis zum
gegenwärtigen Zeitpunkt ist der diesbezügliche Bericht, den Mr. Pell
den Deutschen versprochen hat, noch nicht eingetroffen. Dr. Wohlthat
möchte Mr. Pell nochmals sprechen und hat ihn für Donnerstag dieser
Woche eingeladen. Von Pell habe ich allerdings keine neue Nachricht,
ob er zu kommen beabsichtigt. Ich fürchte, die Deutschen könnten
schließlich die Ergebnisse der Bemühungen des Zwischenstaatlichen
Komitees als so gering einschätzen, dass sie die ganze Vereinbarung
platzen lassen und daran gehen, die Judenfrage auf ihre eigene Weise
zu handhaben. Es kann natürlich nur eine interne Lösung der
Judenfrage in Deutschland geben, und ich glaube, sie sind dabei, das
Problem auf diese Weise anzugehen. Die Lösung wird natürlich so
aussehen, dass sie alle leistungsfähigen Juden in Arbeitslager
stecken, das Vermögen der gesamten jüdischen Bevölkerung
konfiszieren, die Juden isolieren, den Druck auf die gesamte
Gemeinschaft erhöhen und sich von so vielen wie möglich durch Gewalt
entledigen werden.Hinsichtlich der Einwanderungsarbeit sehe ich mit
Erleichterung, dass alles glatt vonstatten geht und die
Registrierungen sich allmählich ihrem Ende zuneigen, weshalb ich
hoffe, dass im Laufe der Zeit eine Reduzierung des Personals möglich
sein wird. Ich werde Ihnen bei anderer Gelegenheit mehr über die
Probleme im Zusammenhang mit den Visa-Abteilungen berichten.Mit sehr
freundlichen Grüßen,
Ihr
[gezeichnet] Raymond [Geist]
Quelle: Raymond Geists Bericht an George Messersmith über die interministerielle Konferenz im Reichsluftfahrtministerium und die Zukunftspläne des NS-Regimes für die Juden (4. April 1939). George S. Messersmith Papers, Item 1187, University of Delaware Library, Newark, Delaware. Raymond H. Geist, Berlin, to G.S. Messersmith, Washington, DC, April 4, 1939.