Kurzbeschreibung

Ein wesentlicher Bestandteil der Nazifizierung der deutschen Kunst war die völlige Ablehnung des „Kosmopolitismus“ oder dessen, was die Nazis als kulturelle Dekadenz der Weimarer Zeit ansahen, nicht nur in Deutschland, sondern in ganz Europa und dem Rest der Welt. Nach der nationalsozialistischen Weltanschauung stellte der unkritische Genuss populärer (und insbesondere städtischer) Kultur – von der Jazzmusik über den Hollywood-Film bis hin zur abstrakten und modernistischen bildenden Kunst – eine direkte Bedrohung für die Volksgemeinschaft dar.

Eine besondere Zielscheibe der nationalsozialistischen Kritik war die angebliche „Amerikanisierung“ der europäischen und deutschen Gesellschaft durch den Film. Die Nationalsozialisten warfen Hollywood vor, seine Filme durch Glanz und Glamour und die Förderung von „Showgirl-Kitsch“ zu verwässern, und forderten die Öffentlichkeit auf, sich Filme anzusehen, die ihrer Ansicht nach ein „authentischeres“ Bild der Welt vermittelten. In diesem Auszug bespricht ein nationalsozialistischer Kritiker den österreichischen Film Maskerade als positives Beispiel. Die Hauptrolle spielte Paula Wessely, eine in Österreich geborene Schauspielerin, die als ernsthaftes Talent gelobt wird, gerade weil sie nicht dem amerikanischen Schönheitsstandard entsprach, sondern einen authentischeren „deutschen“ Stil im Kino vertrat.

NS-Filmkritik: „Das Publikum ist keineswegs so töricht“ (1934)

Quelle

Im Berliner Gloria-Palast kann man zur Zeit etwas sehr Merkwürdiges erleben; dort läuft ein Film, dessen Hauptdarstellerin nichts weniger als eine Filmschönheit ist. Und stets, wenn diese Hauptdarstellerin, der alle Reize von Hollywood mangeln, erscheint, gerät das Publikum in Begeisterung und applaudiert zum Abschluß jeder Szene. Man könnte allen Filmproduzenten nur raten, einmal zu einer der gewöhnlichen Abendvorstellungen zu erscheinen. Sie würden dort sehen können, daß die übliche Antwort, das Filmpublikum verlange die platinblonden Mädchen mit den Fliegenbeinen um die Augen und den Blick vom Vamp bis zum Zahnpasta-Plakat, eine schlechte Antwort ist. – Es handelt sich hier um den ausgezeichneten Film “Maskerade” und um Paula Wessely, die weitaus hervorragendste Schauspielerin des weiblichen Bühnennachwuchses, die hier zum ersten Mal auf der Leinwand erscheint, und die ganz schlicht und unmittelbar mit einer erstaunlichen Kraft der Menschendarstellung ein einfaches junges Mädchen zeigt, es geht eine Bewegung durch den Zuschauerraum, – so sind die Menschen von ihrem Spiel gepackt. Warum? Weil sie in einem guten Film eine große Schauspielerin sehen. – Es ist nicht das erste Mal, daß man so etwas erleben kann. Aber es ist zum mindesten ein sehr seltener Fall, auch in deutschen Filmen, daß man sich nicht auf die mehr oder weniger reizvolle Chargenspielerin stützt, sondern auf die große Darstellerin. Der Erfolg gab der Wiener Filmgesellschaft recht. Das Publikum ist keineswegs so töricht, wie man uns immer glauben machen will. Es hat zuweilen einen recht guten Instinkt, wenn es etwa die toternsten Stellen eines neuen Kinodramas, das auf Maschinenrummel gestellt war und dessen Banalität im gesprochenen Wort einen erschütternden Ausdruck fand, durch lautes Gelächter unterbrach. Oder wenn es hier die Leistung einer wirklichen Schauspielerin beklatscht und zum Schluß sichtlich innerlich angerührt das Theater verläßt. Wir sollten uns heute in Deutschland darauf besinnen, und statt der sensationellen Effekte die wirkliche künstlerische Leistung zu Wort kommen lassen, wie es leider doch recht selten ist. Das kann ernst geschehen, aber auch – und das ist für den Film besonders wichtig – mit Heiterkeit. Dann würden wir uns auch bei den anspruchsvollen Menschen in der Welt den führenden Platz erringen, der uns zukommt.

Quelle: Deutsche Allgemeine Zeitung, Reichs-Ausgabe. Berlin, 26. August 1934, S. 1.