Kurzbeschreibung

Nach dem Pogrom gegen die Juden im November 1938 machte das NS-Regime die Juden für die Zerstörungen der Pogromnacht (auch als „Kristallnacht“ bezeichnet) verantwortlich und belegte die Opfer mit hohen Geldstrafen. Viele Familien, die sich seit 1933 gegen eine Auswanderung gesträubt hatten, entschlossen sich nun, Deutschland zu verlassen. Einige Eltern ließen ihre Kinder nach England evakuieren. Als Reaktion auf den offensichtlichen Zusammenbruch von Recht und Ordnung in Deutschland lockerte die britische Regierung nach dem 9. November 1938 die Einwanderungsbeschränkungen für jüdische Kinder. Die Schiffe, die von niederländischen Häfen aus jüdische Kinder in Sicherheit brachten, wurden als „Kindertransporte“ bekannt. Die folgenden transkribierten Postkarten stammen von jüdischen Kindern, die mit den Kindertransporten aus Deutschland flohen. Der erste Transport startete am 1. Dezember 1938, weniger als einen Monat nach dem Novemberpogrom. Diese Auszüge, ein kleiner Teil einer umfangreichen Sammlung von 365 Augenzeugenberichten in der Wiener Library in London, zeigen, dass die Flucht aus dem Reich (wenn auch nur für kurze Zeit) möglich war. Tausende von Kindern gelangten wohlbehalten nach England. Während diese Dokumente überwiegend positiv sind – viele beschreiben eine freundliche und hilfsbereite Aufnahme – wurden nach Ausbruch des Zweiten Weltkrieges 1939 mehr als 1.000 Kinder von den britischen Behörden als „feindliche Ausländer“ interniert. Später, als die Beschränkungen für „feindliche Ausländer“ 1941 gelockert wurden, konnten viele der älteren Kinder, die inzwischen das Erwachsenenalter erreicht hatten, in der britischen Expeditionsarmee dienen, die zur Befreiung des europäischen Kontinents beitrug.

Postkarten von den Kindertransporten (1938-1939)

Quelle

Herrn J.W., Berlin-Spandau.

Liebe Eltern!

Bin jetzt in Holland gut angekommen. Die Leute sind sehr gut. Wir haben von den Holländern Mittag und Brause bekommen. Sie freuen sich mit uns. Sind bald an der Küste. Es ist 568 Uhr abends. Ich kann sehr schlecht hier schreiben. Schreibe noch. Es ist nur eine Nachricht von mir. Wir haben uns alle eingefunden. Gruß Euer Sohn Horst.

Herrn Dr. J., Hamburg - Othmarschen.

Meine geliebten Eltern!

Wir sind schon in Holland, wo wir entzückend und fabelhaft bewirtet sind. Die Leute sind rührend. Fotografiert sind wir auch. Wenn ich die Zeitung bekomme, bekommt Ihr ein Bild. Es ist zu schön alles. Wir denken viel an Euch. Dies ist nur mal wieder ein Lebenszeichen, in dem Ihr seht, wie prächtig es uns geht. Alles alles Liebe 100 Küsse Euer Pitt. Wir sind sehr vergnügt und haben gesungen. Herzlichst Werner.

Frau R. E., Altona.

Liebe Recha!

Wir sind so weit gut angekommen. Alles ist in Ordnung. Die Kinder sind froh und vergnügt. Ihr kleiner Falck ist süß. Ihnen herzliche Glückwünsche und Grüßt Herzliche Grüße Ihre Toni, Lizzy. Viele herzliche gute Wünsche, uns geht es gut, Ihre Erna. Herzliche Glückwünsche alles Gute. Hier ist es schön. Irma.

Herrn K.S., Kloppenburg.

Vor dem Besteigen des Dampfers nach England. Meine lieben Bedauernswerten. Es ist nach holländischer Zeit 3/4 7 Uhr. Ihr werdet staunen, dass wir schon wieder schreiben, aber auch wir kommen aus dem Staunen nicht heraus. Kaum waren wir in Holland, da hielt der Zug, und Frauen brachten Gemüse, und könnt Ihr Euch denken, wie das schmeckte. Das war nicht alles, da gab es Sprudel, Schokolade, Körbe voll Brötchen und Äpfel. In jeder Station gibt es Süßigkeiten, und alle Holländer begleiten uns bis ans Schiff. Entschuldigt, dass ich schmiere. Um 1 Uhr heute Nacht gehen wir aufs Schiff. Leider könnt ihr nicht gucken, wie gut wir es haben. In Eile Eure Ruth. Gleich gehen [wir] auf See, darum nur viele Grüße und Küsse Eure Euch liebhabende Hildegard.

Herrn A. R., Bunde.

Meine Lieben!

Wir sind hier in Rotterdam, und da wir wieder Karten bekommen haben, wollen [wir] Euch auch mal schreiben. Heute Donnerstag um 9 3/4 Uhr sind wir von Hamburg abgereist. Als wir in Oldenzaal ankamen, bekamen wir Gemüse mit Fleisch und Trinken. Ihr glaubt nicht, wie uns das gemundet hat. In jeder Station haben wir was bekommen. Es gefällt uns sehr gut. Gleich gehen [wir] auf See. Nun will [ich] schließen. Viele Grüße und Küsse, Hildegard.

Herren des Paulinenstifts, Hamburg.

Meine lieben Herren!

Wir sind augenblicklich im Zug quer durch Holland. Auf der ersten holländischen Station wurden wir herzlich empfangen. Frauen kamen mit Riesen-Töpfen, feilem und Gabeln. Wir bekamen Gemüse mit koscher[em] Fleisch, fabelhaft geschmeckt. Auf jeder weiteren Station bekamen wir andere Sachen, jeder einen Apfel, Brötchen und eine Tafel Schokolade. Unsere Uhren haben schon alle holländische Zeit. Ediths Geschwister besuchten uns schon. Viele Grüße für alle, besonders für G., sendet Euch Eure Gerda. Gruß und Kuss Oavideljus. Der Anfang ist gut. Alles Gute. Gruß Ilse. Viele Grüße von Wolff. Gruß Lilly und Margit, Gruß Clärchen und Eva.

Frl. E. R., Hamburg.

Liebes Fräulein R.!

Der Zug wackelt sehr. Die Holländer haben uns so gut bewirtet, dass ich direkt schon richtige Lust doch noch bekommen habe, nach England zu fahren, denn ich glaube, dass es dort auch so sein wird. Wir sind drei Mal von der Presse photographiert worden. In Holland gab es prima Essen, sogar Fleisch. Uns geht es allen prima. Die Fahrt geht mit Musikinstrumenten sehr gut vorwärts. Alle lassen vielmals grüßen. Grüßen Sie alle. P. S. Ger und Sie selber seien vielmals gegrüßt von Ihrer Davicde.

Fr. M. Z., Oldenburg.

Meine Lieben!

Es ist 8 Uhr, und wir [sind] gerade in Rotterdam. Es ist fabelhaft. Wie wir gerade in Holland waren, haben wir warmes Essen und Saft bekommen. Frau M. aus Bremen mit ihrer Tochter war auch da, und sie lässt Euch vielmalsgrü ßen. An jeder Station haben wir was bekommen. Wir haben schon viele Freunde und Freundinnen, die wir alle durch Be suche kennengelernt haben. Grüße alle, die nach uns fragen Hans geht immer mit seinen Freunden spazieren und ist sehr artig. Die Freunde kannte ich schon von Wilhelminenhöhe. Viele Grüße... Israelitisches Waisenhaus, Hannover. Meine Lieben! Wie geht es Euch? Ich bin auf der Reise nach England. Wir sind sofort in Rotterdam. Um Mitternacht gehen wir aufs Schiff... Das war eine Störung, der Zug hat eine Biegung gemacht. Meine Adresse schreibe ich von England. Also nochmals, seid innig gegrüßt von Eurem Fritz.

Frau J. G., Berlin.

Meine geliebte Mutti!

Ich schreibe Dir von Rotterdam aus. Noch eine halbe Stunde, und wir fahren mit dem Schiff. Wir wurden in Holland sehr freundlich aufgenommen und haben dort Essen bekommen. Ich schreibe Dir nächstens einen ausführlichen Brief. Ich bin gesund und munter. Grüße alle von mir, Tante Erna, Fr., nebst anderen und alle anderen, die ich kenne. Küsse von Röschen.

Familie S.B., Frankfurt (Oder).

Liebe Eltern!

Gut in Holland angekommen. G. ist sehr lustig. Wir gehen gleich aufs Schiff. In Holland haben wir Mittag, Brause und Schokolade bekommen. Nun seid recht recht herzlichst gegrüßt und geküsst von Eurem L. Familie M. M., Leipzig. Bin eben von Rotterdam weggefahren, wir sind überall in Holland furchtbar nett empfangen worden, in Oldenzaal verpflegt. Sind etwa 200 Kinder Benheim, Photo nicht mitnehmen konnte, weil von Anfang November gekauft, kann nicht gut schreiben, da im Zug, viele Grüße und Küsse Edgar. Fahren über Hoek van Holland nach Harwich (England). Muss schnell machen, da wir gleich da sind.

Frl. M. F., Berlin.

Liebe M. und lieber Herr Fr.!

Wir fahren augenblicklich in Rotterdam ein. Nach englischer Zeit ist es jetzt 8 Uhr. Onkel Alexander war am Schlesischen Bahnhof. Morgen früh landet das Schiff in England. Nächstens mehr. Vielmals Dank für alles und viele Grüße von Ihrem Edmund. Ich fühle mich wie lange nicht mehr. Grüße an Frau G.

Frau Else P., Hamburg.

Meine liebe Else, liebe Kinder!

Die Fahrt war sehr schön, [wir] wurden überall sehr aufmerksam aufgenommen. Wir sind gleich in Rotterdam. Herr und Frau K. sind sehr heb und fahren mit. Herzliche Grüße und Küsse Euer Gatte und Vater. Allen Heimgenossen herzliche Grüße.

Frau K. W., Berlin.

Jetzt steigen wir bald auf das Schiff um, wir freuen uns schon auf die kalte Seefahrt, und wenn ihr die Karte erhaltet, ist die Schifffahrt schon überstanden. Also, liebe Mama, nicht nachträglich bedauern. In Holland wurden wir sehr gut empfangen. Warmes Essen, Limonade, Schnecken und Schokolade, und die Bedienung vorzüglich, einfach herrlich. Näheres im folgenden Brief. Mir geht es wirklich herrlich. Da ich mich anziehen muss zur Schifffahrt, muss ich schließen. Das Essen habe ich noch fast vollständig. Viele Grüße und Küsse von Else. 

Quelle: Transkribierte Postkarten, 1938-1939, The Wiener Holocaust Library Collections. https://www.pogromnovember1938.co.uk/viewer/fulltext/93816/de/

https://wienerholocaustlibrary.org/