Kurzbeschreibung

Der Journalist Kurt Goldstein, selbst Holocaust-Überlebender, berichtet für den Rundfunk der DDR im April 1961 über den Beginn des Eichmann-Prozesses in Jerusalem. Wir geben hier einige Ausschnitte aus seinem Bericht wieder. Nachdem er die Anklagepunkte in allen Details verliest, kommentiert er diese mit Hinweisen auf die zahlreichen weiteren NS-Täter, die nicht auf der Anklagebank saßen und von denen viele nun hochrangige Positionen in der westdeutschen Politk, Bürokratie, Justiz und Wirtschaft innehatten. Insbesondere nennt er hier Hans Globke, den Chef des Kanzleramtes unter Adenauer, gegen den die DDR-Justiz zwei Jahre später einen Schauprozess in Abwesenheit führen sollte, bei dem die BRD mit dem NS-Regime gleichgesetzt wurde.

DDR-Rundfunkbericht über den Eichmann-Prozess (11. April 1961)

Quelle

 /Goldstein: Das waren die ersten Minuten des Prozesses gegen Adolf Eichmann, der heute Morgen um 9 Uhr hier in Jerusalem begann. Endlich, um 9 Uhr, wurde Adolf Eichmann in den Gerichtssaal geführt, und nachdem er in seinem Glaskasten, begleitet von drei Polizisten, die ihn bewachten, Platz genommen hatte, trat das Hohe Gericht ein. An seiner Spitze der Moshe Landau, Richter am Obersten Gericht. Ein Mann, der im Jahre 1912 in Danzig geboren war, an der Londoner Universität studierte, 1933 nach Israel übersiedelte und hier seinen Weg als Richter gemacht hat. Zu seiner Seite stehen als Richter Herr Dr. Benjamin Halevi, im Jahre 1906 in Weißenfels an der Saale am 6. Mai 1910 geboren, der an der Berliner Universität seinen Doktor der Rechte magna cum laude im Jahre 1933 machte, seit November 1933 hier in Israel lebt und auch hier als Richter tätig war. Und schließlich als dritter Richter Herr Yitzhak Raveh, 1906 in Aurich in Ostfriesland geboren, der ebenfalls an der Universität in Berlin und Halle studierte. Generalstaatsanwalt ist Herr Gideon Hausner, der im Jahre 1915 in Polen geboren wurde, 1927 nach Israel kam und hier im Land an der Hebräischen Universität in Jerusalem und an der Rechtsschule in Jerusalem seine Entwicklung als Jurist begann.

Nachdem Adolf Eichmann über die Person befragt wurde, begann die Verlesung der Anklageschrift. Und ich muss ihnen sagen, meine Hörerinnen und Hörer, beim Anhören der Anklageschrift wurden wohl ausnahmslos alle Journalisten zutiefst ergriffen, und mir selbst ging es so, dass ich all das, was ich in den Jahren 1941 bis 45 in Auschwitz und Buchenwald erlebt hatte, noch einmal miterleben musste. 

Hier die Punkte der Anklage. Im ersten Punkt heißt es: Der Angeklagte verursachte in der Zeit von 1939 bis 1944 die Tötung von Millionen Juden in seiner damaligen Eigenschaft als Beauftragter für die Ausführung des Nazi-Planes zur physischen Vernichtung der Juden, der als sogenannte „Endlösung der Judenfrage“ bekannt ist. Unmittelbar nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde der Angeklagte zum Leiter eines Referats der Gestapo in Berlin bestellt, das beauftragt war, die Juden Deutschlands und der übrigen Achsenländer sowie deren besetzten Gebiete zu erfassen, zu deportieren und zu vernichten.

Es heißt dann weiter, in den Achsenländern und deren besetzten Gebieten bediente sich der Angeklagte der auswärtigen Vertretungen Deutschlands an den einzelnen Orten, und zwar in ständigem Benehmen mit den besonderen Abteilungen des deutschen Auswärtigen Amtes in Berlin. 

Es drängt sich hier schon die erste Frage auf, die mit der ganzen Anklageschrift gestellt wird: Wo sind Eichmanns Mittäter auf der Anklagebank? Hier sitzt Eichmann allein. Aber er sitzt stellvertretend für alle die, die gemeint sind, die angesprochen sind, die angeklagt sind, wenn es in der Anklageschrift immer wieder zu jedem Punkt der Anklage heißt: „Verbrechen, die Eichmann und andere begingen“. Hier sind es eindeutig jene Diplomaten des Auswärtigen Amtes, jene Botschafter, Gesandten und Gesandtschaftssekretäre, die gestern Hitler dienten und heute im Bonner Auswärtigen Amt hohe Funktionen bekleiden.

Der erste Punkt der Anklageschrift gipfelt in der Feststellung, all diese Verbrechen konnten nur auf der Grundlage der Nürnberger Gesetze begangen werden. Diese Gesetze wurden gemacht, um Millionen Juden ihrer Menschenrechte zu berauben und sie zu ermorden. Ich sagte schon einmal, meine Hörer und Freunde, auf der Anklagebank sitzt Adolf Eichmann, angeklagt sind Eichmann und andere. Wer hat die Nürnberger Gesetze mit verfasst, wer hat sie kommentiert? Auf der Anklagebank bleibt ein Platz frei. Er gehört Herrn Dr. Hans Joseph Maria Globke, der durch seine Mitarbeit an den Nürnberger Rassengesetzen, durch seine Kommentierung der Rassengesetze die Grundlage für die Verbrechen Eichmanns und aller anderen geliefert hat. Er fehlt auf der Anklagebank, und das wird auch hier im Gerichtssaal von zahlreichen Journalisten Israels, des Auslands und auch von westdeutschen Journalisten offen ausgesprochen.

Nun endlich weist die Anklageschrift auf solche Scheußlichkeiten hin, wie sie auch gerade auf der Grundlage der von Globke ausgearbeiteten Verordnungen möglich wurden. In der Anklageschrift heißt es dazu etwa: „Seit 1942 ordnete der Angeklagte zusammen mit anderen“ – hier fehlt der Name Globke in der Anklageschrift, aber hier sei er ausgesprochen – „Maßnahmen an, deren Zweck die Verhinderung von Geburten bei den Juden in Deutschland und in den von ihm besetzten Gebieten waren. Die Weisung des Angeklagten an den Leiter des jüdischen Ältestenrats im Konzentrationslager Theresienstadt von 1943 bis 44 war bezüglich des Geburtenverbots im Lager und der Schwangerschaftsunterbrechung durch künstliche Abtreibung in allen Fällen und in allen Stadien der Schwangerschaft“.

Nachdem die Anklageschrift verlesen worden war, erhob sich Herr Dr. Servatius, um die Richter als befangen abzulehnen.  Er erklärte, die Ausschließung eines Richters kann sich ergeben, wenn ein Richter selbst oder ein Angehöriger durch die mit der Anklage vorgebrachten Taten verletzt sein sollte. Eine solche Vermutung liegt nahe, meinte er. Sie ergibt sich daraus, dass das ganze jüdische Volk in die Katastrophe der Vernichtung einbezogen wurde. Und er forderte, es möge entweder ein deutsches oder ein neutrales Gericht gebildet werden. Es erhebt sich doch die einfache Frage: Wer soll denn über Eichmann zu Gericht sitzen? Wurden nicht das ganze deutsche Volk, wurden nicht alle Völker Europas durch die Verbrechen der Hitler, Himmler und Göring, der Speidel und Heusinger, der „Panzermeyer“ [Kurt Meyer] und Kesselring, der Ramcke und wie sie alle geheißen haben, wurden nicht alle Völker durch ihre Verbrechen betroffen?

Gewiss, es gab einen kleinen Kreis, der nicht betroffen war. Das sind jene Kriegsverbrecher selbst, mögen sie nun militärische Ränge gehabt haben oder mögen sie in der Justiz Hitler gedient haben, mögen sie Lautz oder Schlegelberger heißen. Mag es der Herr Dr. Dallinger sein, der gestern im Nazi- Reichsjustizministerium arbeitete und heute als Ministerialrat ins Bundesjustizministerium in Bonn übergewechselt hat. Mag es ein Oberstaatsanwalt Berner aus Karlsruhe, ein Dr. Stumpf vom Bundesarbeitsgericht in Kassel oder ein Senatsrat Krefeld von der Senatsverwaltung für Justiz in West-Berlin sein, die alle gestern im Nazi-Reichsjustizministerium saßen und heute verantwortliche Posten in der Bonner Justiz übernehmen.