Kurzbeschreibung

Das Potsdamer Abkommen, das am Ende des Zweiten Weltkriegs von Großbritannien, den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion unterzeichnet wurde, betraf in erster Linie die militärische Besatzung und den Wiederaufbau Deutschlands, sah aber auch die Abrüstung Deutschlands vor, um den deutschen Militarismus auszurotten. In den ersten drei Jahren der Besatzung schritt die deutsche Abrüstung zügig voran, wurde aber zunehmend unpopulär, da viele glaubten, sie würde das industrielle Wachstum Deutschlands bremsen. Nach dem Beginn des Koreakrieges wuchs die Befürchtung (vor allem auf Seiten der USA), dass die Sowjetunion einen offensiven militärischen Feldzug in Westeuropa beginnen würde und dass Europa (und Westdeutschland) nicht in der Lage sein würde, sich gegen einen solchen Angriff angemessen zu verteidigen. Adenauer forderte schließlich, dass Westdeutschland mit Unterstützung der Vereinigten Staaten wieder aufrüsten dürfe. Frankreich lehnte den Vorschlag strikt ab; auch Belgien war dagegen, und das Großbritannien zögerte zunächst, stimmte aber schließlich einem Plan für die deutsche Wiederbewaffnung zu, solange diese im Rahmen eines Bündnisses (in diesem Fall der NATO) erfolgte. Die Wiederbewaffnung Westdeutschlands war von entscheidender Bedeutung für die Stärkung der Elemente der westeuropäischen wirtschaftlichen Zusammenarbeit und trug zur Wiedereingliederung Westdeutschlands in die europäische Gemeinschaft bei.

Gespräch des Bundeskanzlers Adenauer mit dem amerikanischen Hohen Kommissar McCloy (12. Juli 1950)

Quelle

Aufzeichnung[1] über die Besprechung des Herrn Bundeskanzlers mit dem amerikanischen Hohen Kommissar, Mr. McCloy, am 12. Juli 1950 in der Deichmanns Aue[2]. Anwesend waren ferner General Hays und Herr Blankenhorn. Der Bundeskanzler entwickelte ausführlich die besonderen Besorgnisse, die sich für die deutsche Bevölkerung und die Bundesregierung aus der infolge des Korea-Krieges[3] sich ständig zuspitzenden internationalen Lage ergeben.[4] Er wies dabei eindringlich darauf hin, daß daß sich der deutschen Bevölkerung angesichts des Mangels einer ausreichenden Verteidigung besondere Unruhe bemächtigt habe. Dies sei auch der Sinn des Briefes gewesen, den er am 1. Juli 1950 an die Hohe Kommission gerichtet habe.[5] Das Entscheidende an dem sich für Deutschland stellenden Problem der Sicherheit sei es, daß es sich für die Russen auf der einen, für die Westmächte auf der anderen Seite darum handele, für den bereits im Ausbruch befindlichen oder vielleicht auch erst drohenden Dritten Weltkrieg das Potential in die Hand zu bekommen, das nun einmal Westdeutschland hinsichtlich seiner Menschen und seiner industriellen Ausrüstung bedeute. In einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Weltmächten gebe unter Umständen der Besitz dieses deutschen Potentials den Ausschlag.[6] So sei begreiflicherweise die Sorge vor einer plötzlichen Invasion der in der Ostzone befindlichen starken russischen Kräfte innerhalb der Bevölkerung besonders groß. Demgegenüber seien die in Deutschland befindlichen Kräfte numerisch und ausrüstungsmäßig zu schwach. Er habe durch Graf Schwerin aus einer sehr guten Quelle die Nachricht erhalten, daß in den letzten drei Monaten im Raume Guben (Lausitz) sieben zusätzliche russische kriegsstarke Divisionen eingetroffen sind. Man wisse auch, daß die übrigen etwa 23 russischen Divisionen marschbereit seien, daß sie innerhalb von 24 Stunden in Bewegung gesetzt werden könnten.[7] Demgegenüber merke man auf dem Gebiet der Westzonen nichts von irgendwelchen Vorbereitungen. Der Zweck der Aussprachen, die Graf Schwerin und Herr Blankenborn einerseits und General Hays andererseits am Montag nachmittag gehabt hätten[8], sei der, einmal festzustellen, ob nicht irgendwelche Maßnahmen für den Ernstfall sofort eingeleitet werden können, denn unvorbereitet dem Flüchtlingsstrom gegenüberzustehen, der bei einer Invasion der Russen sofort in ungeheurem Ausmaße einsetzen würde, sei für die Bundesregierung unmöglich. Er hoffe, daß eine Verstärkung der Dienstgruppen[9] möglich sei, die bei der amerikanischen und englischen Besatzung heute schon in verhältnismäßig großer Stärke Dienst täten[10]. General Robertson habe ihm anläßlich seiner letzten Gespräche[11] versichert, daß er langsam diese Dienstgruppen auf 70000 verstärken und sie besser ausrüsten und ausbilden lassen wolle. Der Bundeskanzler würde es für sehr erwünscht halten, wenn dies auch von amerikanischer Seite geschehe.[12] Um aber unsere Wünsche, Pläne und Ideen für die Verteidigung mit den Alliierten zweckmäßig besprechen zu können, sei ein ständiger Kontakt zwischen deutschen und alliierten Sachverständigen nötig. Er wäre dankbar, wenn ein solcher Kontakt so rasch wie möglich eingerichtet werden könnte. Herr McCloy antwortete auf die Ausführungen etwa folgendermaßen: Er teile durchaus die Sorgen des Herrn Bundeskanzlers. Zweifellos seien bei einer Invasion der Russen, wenn sie morgen erfolge, die alliierten Kräfte nicht ausreichend. Er mache aber darauf aufmerksam, daß er alles in seinen Kräften Stehende tue, um die Besatzungstruppen durch die Herbeiführung von Spezialtruppen aus Amerika zu verstärken. Er begrüße die Idee, die Dienstgruppen zu verstärken und habe entsprechende Weisungen an den amerikanischen Oberbefehlshaber, General Handy[13], bereits gegeben. Auch sei er einverstanden damit, daß ein ständiger Kontakt zwischen deutschen militärischen Sachverständigen und alliierten Stellen erfolge. Er halte es für zweckmäßig, wenn dieser Kontakt zunächst zwischen Herrn Blankenborn, Graf Schwerin und General Hays erfolge.[14] Er bitte, dem General Hays alle deutschen Anregungen auf den verschiedenen Gebieten zu unterbreiten, damit dieser die weitere Zusammenarbeit mit den amerikanischen Kommandostellen veranlasse.[15] Er selbst bezweifle es außerordentlich, ob eine deutsche Aufrüstung zweckmäßig sei. Es widerstrebe ihm innerlich, eine deutsche Armee wiederherzustellen, deren Führung zweifellos versuchen würde, die langsam sich entwickelnde Demokratie im militaristischen Sinne zu beeinflussen. Er mißtraue den deutschen Generälen, die nichts hinzugelernt hätten und die allzu leicht den demokratischen Staat ihren Zwecken dienstbar machen würden. Ehe also dieser demokratische Staat nicht stärker gefestigt sei, solle man besser von einer Wiederaufrüstung nicht reden. Ganz abgesehen davon, daß es zweifelhaft sei, ob die Russen untätig einer deutschen Aufrüstung zuschauen würden. Er glaube nicht, daß ein Angriff der Russen bevorstehe. Von den Verstärkungen im Raume Guben habe er noch nichts gehört. Seine Informationen deuteten darauf hin, daß die russischen Truppen in diesem Sommer nicht marschieren würden. Er sehe aber wohl ein, daß man mit allen Eventualitäten rechnen müsse. Er glaube, daß die kriegerische Auseinandersetzung, die wohl unvermeidbar sei, nicht vor Mitte 1951 oder gar erst 1952 beginne.[16] Allerdings machten ihm die Truppenkonzentrationen an der jugoslawischen Grenze und die Bewegungen der tschechoslowakischen Armee Besorgnisse. Man sei sich amerikanischerseits nicht darüber klar, wie man die Bewegungen der tschechoslowakischen Armee auslegen solle. Ob es sich hier um Manöver handele, die einer Reorganisation der tschechischen Armee dienten, oder ob es sich um einen Aufmarsch mit der Richtung auf Süddeutschland handele. Der Bundeskanzler erwiderte mit Nachdruck, daß etwas geschehen müsse, um die Verteidigung dieses für Westeuropa und damit auch für die Vereinigten Staaten so wichtigen Westdeutschland zu sichern. Gehe es einmal verloren, so sei es unendlich schwer, die abendländische Welt gegenüber der Sowjetunion zu verteidigen. Die Russen würden nicht zögern, das deutsche Potential gegenüber dem Westen einzusetzen. Die Entwicklung in Korea habe der Autorität und dem Prestige der Vereinigten Staaten stark geschadet. Er hoffe, daß diese Rückschläge dazu dienten, daß die Vereinigten Staaten ihre Vorbereitungen in allen Teilen der Welt nunmehr intensivierten.[17]

Anmerkungen

[1] Die Gesprächsaufzeichnung wurde von Ministerialdirektor Blankenhorn am 15. Juli 1950 gefertigt
[2] Sitz des amerikanischen Hohen Kommissars in Bonn.
[3] Vgl. dazu Dok. 81, Anm. 2.
[4] Bereits am 11. Juli 1950 trug der Bundeskanzler seine Lagebeurteilung dem britischen Hohen Kommissar vor. Dazu gab der amerikanische Hohe Kommissar McCloy am 14. Juli 1950 folgende Informationen von Kirkpatrick über die Haltung von Adenauer weiter: „[...) he feared the revival of an attitude among the Germans, particularly if the news from Korea continued bad, that they had better modify their policy regarding Russia unless the Allies took steps to convince the Germans that some opportunity would be afforded them to defend their country in the event of emergency. He said that he acknowledged that any thought of creating a German army as such was out of the question, at least as long as France remained with no substantial army, but that some provision should be made to maintain stability in West Germany in the event of a Volkspolizei attack from the east and that opportunity should be given to Germans to play some part if such a development occurred. He is also concerned naturally with a Soviet attack and he makes the same point if the attack should take such a form. The Chancellor also complained that he had no knowledge of Allied plans in the event of an attack and felt there should be exchanges between a representative of the Allies and a representative of the German Government to deal with these emergency plans." Vgl. den Drahtbericht an Außenminister Acheson; FRUS 1950, IV, S. 696 f.
[5] Vgl. Dok. 81.
[6] Ähnlich äußerte sich der Bundeskanzler am 11. Juli 1950 gegenüber dem britischen Hohen Kommissar. Aus dem Bericht von Kirkpatrick über die Ausführungen von Adenauer notierte der französische Stellvertretende Hohe Kommissar Bérard am 13. Juli 1950: „II fait valoir que l'Allemagne représente encore un potentiel militaire considérable qui compromettrait les chances de victoire de l'Amérique s'il tombait aux mains des Russes." Vgl. BÉRARD, Ambassadeur, Bd. 2, S. 336.
[7] Am 2. August 1950 bekräftigte der Berater in Sicherheitsfragen, Graf von Schwerin, die Angaben: „Es liegen Meldungen vor, daß seit etwa 10–14 Tagen bei den russischen Besatzungstruppen der Ostzone eine Bevorratung mit Betriebsstoff für Düsenjäger, Panzer- und Mot.-Truppen stattfindet, die über das Maß normaler Versorgung für Übungszwecke weit hinausgeht. Es wird weiter gemeldet, daß eine Zuführung von frisch eingetroffenen jungen Rekruten stattgefunden hat []. Die laufende weitere Auffüllung der russischen Jagdverbände mit Düsenjägern wird erneut bestätigt. Die seinerzeit von den Amerikanern bezweifelte Aufstellung eines neuen Korps-Verbandes (3 Divisionen) seit dem Frühsommer dieses Jahres im Raume südlich Frankfurt/Oder hat ebenfalls ihre Bestätigung gefunden." Vgl. VS-Bd. 24 (Büro Staatssekretär); Β 150, Aktenkopien 1950.
[8] Zum Gespräch vom 10. Juli 1950 vgl. Dok. 87.
[9] Zu den Dienstgruppen bei den Besatzungstruppen der drei Westmächte vgl. Dok. 61, besonders Anm. 5.
[10] Korrigiert aus: „tue“.
[11] Zum Gespräch vom 6. Juni 1950 vgl. Dok. 65.
[12] Vgl. dazu weiter Dok. 107.
[13] Korrigiert aus: „Handley“.
[14] Der amerikanische Hohe Kommissar McCloy berichtete am 14. Juli 1950 an Außenminister Acheson: „Indeed, I have already told Handy that I have no objection to the enlistment of aliens in the army in the event of emergency and I understand that he is about to request permission to do this. Moreover, I have agreed that Hays can act as the Allied representative to receive any proposals from Adenauer's representatives for the safety of the government and the employment of German volunteers in the event of an emergency. While my view is that we should make plans to permit Germans to fight with us if an emergency arose, we should make no commitment in this regard unless we know we have the equipment and the means to enable them effectively to do so." Vgl. FRUS 1950, IV, S. 698.
[15] Zu den weiteren Besprechungen des Ministerialdirektors Blankenhorn und des Beraters in Sicherheitsfragen, Graf von Schwerin, mit dem amerikanischen Stellvertretenden Hohen Kommissar Hays und für das am 17. Juli 1950 übermittelte Aide-mémoire vgl. Dok. 93, Dok. 94 und Dok. 97.
[16] Vgl. dagegen die Ausführungen des französischen Hohen Kommissars François-Poncet am 15. Juli 1950 gegenüber Ministerialdirektor Blankenborn; Dok. 92.
[17] Am 13. Juli 1950 erörterten die Alliierten Hohen Kommissare die Besorgnisse des Bundeskanzlers Adenauer. Dazu informierte der amerikanische Hohe Kommissar McCloy am 14. Juli 1950 den amerikanischen Außenminister Acheson: „Both Kirkpatrick and Poncet expressed the belief that continued bad news from Korea would cause Western Germans to become more restive, dilute their enthusiasm for Adenauer's Western policy, and create pressure to change it [] Kirkpatrick pled as a minimum step for the immediate approval of an effective German auxiliary force which would at least be able to deal with refugees and assist in keeping order while the Allied armies composed themselves for an attack []. While I naturally discount somewhat Kirkpatrick's and Adenauer's concern in view of the possibility that Kirkpatrick may only be pressing in another form the British desire for the rearmament of Germany and that Adenauer may only be seeking means to strengthen his government by the creation of a federal police force and using the Korean incident as a gambit for this purpose, I feel that continued bad news from Korea and the likely increase of rumors in the Balkans and perhaps from Czechoslovakia will tend to unseat the general stability of the population which now exists.“ Vgl. FRUS 1950, IV, S. 697. 2.

Quelle: „Gespräch des Bundeskanzlers Adenauer mit dem amerikanischen Hohen Kommissar McCloy, 12. Juli 1950“, in Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. 1949/50. September 1949 bis Dezember 1950 – 1997. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte Hauptherausgeber Hans-Peter Schwarz Mitherausgeber Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey. R. Oldenbourg Verlag München 1997, S. 246–49. Online verfügbar unter: https://www.degruyter.com/view/product/220730.