Quelle
Aufzeichnung[1] über die Besprechung des Herrn Bundeskanzlers mit dem amerikanischen Hohen Kommissar, Mr. McCloy, am 12. Juli 1950 in der Deichmanns Aue[2]. Anwesend waren ferner General Hays und Herr Blankenhorn. Der Bundeskanzler entwickelte ausführlich die besonderen Besorgnisse, die sich für die deutsche Bevölkerung und die Bundesregierung aus der infolge des Korea-Krieges[3] sich ständig zuspitzenden internationalen Lage ergeben.[4] Er wies dabei eindringlich darauf hin, daß daß sich der deutschen Bevölkerung angesichts des Mangels einer ausreichenden Verteidigung besondere Unruhe bemächtigt habe. Dies sei auch der Sinn des Briefes gewesen, den er am 1. Juli 1950 an die Hohe Kommission gerichtet habe.[5] Das Entscheidende an dem sich für Deutschland stellenden Problem der Sicherheit sei es, daß es sich für die Russen auf der einen, für die Westmächte auf der anderen Seite darum handele, für den bereits im Ausbruch befindlichen oder vielleicht auch erst drohenden Dritten Weltkrieg das Potential in die Hand zu bekommen, das nun einmal Westdeutschland hinsichtlich seiner Menschen und seiner industriellen Ausrüstung bedeute. In einer Auseinandersetzung zwischen den beiden Weltmächten gebe unter Umständen der Besitz dieses deutschen Potentials den Ausschlag.[6] So sei begreiflicherweise die Sorge vor einer plötzlichen Invasion der in der Ostzone befindlichen starken russischen Kräfte innerhalb der Bevölkerung besonders groß. Demgegenüber seien die in Deutschland befindlichen Kräfte numerisch und ausrüstungsmäßig zu schwach. Er habe durch Graf Schwerin aus einer sehr guten Quelle die Nachricht erhalten, daß in den letzten drei Monaten im Raume Guben (Lausitz) sieben zusätzliche russische kriegsstarke Divisionen eingetroffen sind. Man wisse auch, daß die übrigen etwa 23 russischen Divisionen marschbereit seien, daß sie innerhalb von 24 Stunden in Bewegung gesetzt werden könnten.[7] Demgegenüber merke man auf dem Gebiet der Westzonen nichts von irgendwelchen Vorbereitungen. Der Zweck der Aussprachen, die Graf Schwerin und Herr Blankenborn einerseits und General Hays andererseits am Montag nachmittag gehabt hätten[8], sei der, einmal festzustellen, ob nicht irgendwelche Maßnahmen für den Ernstfall sofort eingeleitet werden können, denn unvorbereitet dem Flüchtlingsstrom gegenüberzustehen, der bei einer Invasion der Russen sofort in ungeheurem Ausmaße einsetzen würde, sei für die Bundesregierung unmöglich. Er hoffe, daß eine Verstärkung der Dienstgruppen[9] möglich sei, die bei der amerikanischen und englischen Besatzung heute schon in verhältnismäßig großer Stärke Dienst täten[10]. General Robertson habe ihm anläßlich seiner letzten Gespräche[11] versichert, daß er langsam diese Dienstgruppen auf 70000 verstärken und sie besser ausrüsten und ausbilden lassen wolle. Der Bundeskanzler würde es für sehr erwünscht halten, wenn dies auch von amerikanischer Seite geschehe.[12] Um aber unsere Wünsche, Pläne und Ideen für die Verteidigung mit den Alliierten zweckmäßig besprechen zu können, sei ein ständiger Kontakt zwischen deutschen und alliierten Sachverständigen nötig. Er wäre dankbar, wenn ein solcher Kontakt so rasch wie möglich eingerichtet werden könnte. Herr McCloy antwortete auf die Ausführungen etwa folgendermaßen: Er teile durchaus die Sorgen des Herrn Bundeskanzlers. Zweifellos seien bei einer Invasion der Russen, wenn sie morgen erfolge, die alliierten Kräfte nicht ausreichend. Er mache aber darauf aufmerksam, daß er alles in seinen Kräften Stehende tue, um die Besatzungstruppen durch die Herbeiführung von Spezialtruppen aus Amerika zu verstärken. Er begrüße die Idee, die Dienstgruppen zu verstärken und habe entsprechende Weisungen an den amerikanischen Oberbefehlshaber, General Handy[13], bereits gegeben. Auch sei er einverstanden damit, daß ein ständiger Kontakt zwischen deutschen militärischen Sachverständigen und alliierten Stellen erfolge. Er halte es für zweckmäßig, wenn dieser Kontakt zunächst zwischen Herrn Blankenborn, Graf Schwerin und General Hays erfolge.[14] Er bitte, dem General Hays alle deutschen Anregungen auf den verschiedenen Gebieten zu unterbreiten, damit dieser die weitere Zusammenarbeit mit den amerikanischen Kommandostellen veranlasse.[15] Er selbst bezweifle es außerordentlich, ob eine deutsche Aufrüstung zweckmäßig sei. Es widerstrebe ihm innerlich, eine deutsche Armee wiederherzustellen, deren Führung zweifellos versuchen würde, die langsam sich entwickelnde Demokratie im militaristischen Sinne zu beeinflussen. Er mißtraue den deutschen Generälen, die nichts hinzugelernt hätten und die allzu leicht den demokratischen Staat ihren Zwecken dienstbar machen würden. Ehe also dieser demokratische Staat nicht stärker gefestigt sei, solle man besser von einer Wiederaufrüstung nicht reden. Ganz abgesehen davon, daß es zweifelhaft sei, ob die Russen untätig einer deutschen Aufrüstung zuschauen würden. Er glaube nicht, daß ein Angriff der Russen bevorstehe. Von den Verstärkungen im Raume Guben habe er noch nichts gehört. Seine Informationen deuteten darauf hin, daß die russischen Truppen in diesem Sommer nicht marschieren würden. Er sehe aber wohl ein, daß man mit allen Eventualitäten rechnen müsse. Er glaube, daß die kriegerische Auseinandersetzung, die wohl unvermeidbar sei, nicht vor Mitte 1951 oder gar erst 1952 beginne.[16] Allerdings machten ihm die Truppenkonzentrationen an der jugoslawischen Grenze und die Bewegungen der tschechoslowakischen Armee Besorgnisse. Man sei sich amerikanischerseits nicht darüber klar, wie man die Bewegungen der tschechoslowakischen Armee auslegen solle. Ob es sich hier um Manöver handele, die einer Reorganisation der tschechischen Armee dienten, oder ob es sich um einen Aufmarsch mit der Richtung auf Süddeutschland handele. Der Bundeskanzler erwiderte mit Nachdruck, daß etwas geschehen müsse, um die Verteidigung dieses für Westeuropa und damit auch für die Vereinigten Staaten so wichtigen Westdeutschland zu sichern. Gehe es einmal verloren, so sei es unendlich schwer, die abendländische Welt gegenüber der Sowjetunion zu verteidigen. Die Russen würden nicht zögern, das deutsche Potential gegenüber dem Westen einzusetzen. Die Entwicklung in Korea habe der Autorität und dem Prestige der Vereinigten Staaten stark geschadet. Er hoffe, daß diese Rückschläge dazu dienten, daß die Vereinigten Staaten ihre Vorbereitungen in allen Teilen der Welt nunmehr intensivierten.[17]
Anmerkungen
Quelle: „Gespräch des Bundeskanzlers Adenauer mit dem amerikanischen Hohen Kommissar McCloy, 12. Juli 1950“, in Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland. 1949/50. September 1949 bis Dezember 1950 – 1997. Herausgegeben im Auftrag des Auswärtigen Amts vom Institut für Zeitgeschichte Hauptherausgeber Hans-Peter Schwarz Mitherausgeber Helga Haftendorn, Klaus Hildebrand, Werner Link, Horst Möller und Rudolf Morsey. R. Oldenbourg Verlag München 1997, S. 246–49. Online verfügbar unter: https://www.degruyter.com/view/product/220730.