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Fidel Castro trumpft gegenüber den Vereinigten Staaten in einer abenteuerlichen Weise auf: Beschlagnahme der drei ausländischen Ölraffinerien, weil sie sich weigerten, sowjetisches Rohöl zu verarbeiten, Konfiszierung der großen internationalen Hotels in Havanna, die Drohung, auch das gesamte übrige amerikanische Vermögen zu enteignen. Dieses herausfordernde Verhalten des Diktators eines kleinen Landes gegenüber der stärksten Wirtschaftsmacht der Erde ist nur möglich, weil sich Castro in dem Kräfte-und-Ränke-Spiel zwischen Ost und West der Unterstützung Moskaus und Pekings sicher weiß. Vor allem aber zeigen die Vorgänge in Kuba wieder einmal mit aller Deutlichkeit, wie schutzlos im Grunde ausländisches Privateigentum, besonders in Entwicklungsländern, ist.
Die ganze Nachkriegszeit ist gekennzeichnet durch eine Fülle von Übergriffen und Willkürakten gegen das ausländische Privateigentum. Aus der langen Liste der Fälle sei nur an die Verstaatlichung des Sueskanals erinnert, an die „Ägyptianisierung“ der ausländischen Banken, Versicherungsgesellschaften und Handelshäuser, an die Enteignung der Holländer in Indonesien und an die Nationalisierung der ausländischen Elektrizitätsgesellschaften in Argentinien. In allen diesen Fällen ist der Eigentumsentzug durch ein offizielles staatliches Dekret verfügt worden. Aber wahrscheinlich noch häufiger ist die stillschweigende Enteignung, die sich meistens in der Weise vollzieht, daß durch alle möglichen Beschränkungen und Schikanen ausländischen Firmen das Leben immer schwerer gemacht wird, bis sie schließlich kapitulieren und sich dazu bereitfinden, ihre Anlagen und Einrichtungen dem betreffenden Staate für ein Butterbrot zu überlassen.
Freilich darf auch nicht verschwiegen werden, daß zur internationalen Diskreditierung des Privateigentums gerade auch diejenigen westlichen Industriestaaten, die über besonders umfangreiche Investitionen in anderen Ländern verfügen, durch ihr Verhalten in der ersten Nachkriegszeit beigetragen haben. Die Verstaatlichung des Kohlenbergbaus in England und Frankreich oder die Beschlagnahme des deutschen Auslandsvermögens, die trotz der Bestimmungen der Haager Landkriegsordnung heute noch nicht rückgängig gemacht worden ist, sind bedauerliche Abirrungen vom Pfade der Tugend. Damit sind auch anderen Ländern für ein Vorgehen gegen ausländisches Eigentum wohlfeile Argumente geliefert worden. Auch ist es trotz verschiedener Ansätze in den internationalen Organisationen, im Völkerbund und in den Vereinten Nationen, nicht gelungen, einen eindeutigen und verbindlichen Rechtsschutz für private Vermögensanlagen im Ausland zu schaffen. Heute wird im allgemeinen einem souveränen Staat das Recht der Verstaatlichung zuerkannt, wenn das öffentliche Interesse einen solchen Schritt erfordert und der ausländische Eigentümer gebührend entschädigt wird. Aber was heißt in Wirklichkeit schon öffentliches Interesse und ausreichende Entschädigung? Das sind Kautschukbegriffe, mit denen jeder Willkürakt als scheinbar rechtmäßig getarnt werden kann. Auch Castro will die amerikanischen Eigentümer entschädigen, aber mit kubanischen Staatsschuldverschreibungen, die erst in dreißig Jahren getilgt werden sollen.
Dabei mußte es gerade vom Standpunkt der Entwicklungsländer als eine der größten Torheiten angesehen werden, eine unfreundliche Haltung gegenüber ausländischen Investoren einzunehmen. Sie müßten bei ihrem riesigen Kapitalbedarf in ihrem eigenen Interesse alles tun, um ausländische Firmen am wirtschaftlichen Aufbau ihres Landes zu interessieren. Denn günstiger als auf diese Weise können sie das so begehrte Auslandskapital und zugleich das mindestens ebenso wichtige „know how“ überhaupt nicht erhalten. Auch ist es barer Unsinn, wenn die kommunistische Propaganda den Entwicklungsländern ständig einzureden versucht, die privaten ausländischen Investoren verfolgten keinen anderen Zweck, als das Land auszubeuten und an die Stelle der früheren staatlichen Kolonialherrschaft nunmehr eine „privatkapitalistische“ Beherrschung der Wirtschaft zu setzen. Genau das Gegenteil ist richtig. Eine private Firma, die sich in einem Entwicklungsland engagiert, will dort Geschäfte, aber keine Politik machen. Dagegen verfolgt die kommunistische Wirtschaftshilfe, wie jedermann weiß, in erster Linie politische Ziele und erst an zweiter Stelle wirtschaftliche Interessen.
Erfreulicherweise ist in den letzten Jahren in fast allen Entwicklungsländern – selbst in solchen mit sozialistischen Anschauungen, wie beispielsweise Indien – die Einsicht gewachsen, welch wertvolle Aufbauhilfe ausländisches Privatkapital leisten kann. Zugleich hat auch die Erkenntnis an Boden gewonnen, daß für die Heranziehung von ausländischem Privatkapital nicht so sehr eine hohe Rendite, sondern vor allem die Sicherheit, die ihm in dem einzelnen Lande geboten wird, entscheidend ist. Fast alle Entwicklungsländer haben daher auch mittlerweile Gesetze erlassen, die ausländischen Investoren einen Transfer ihrer Gewinne und Zinsen sowie nach einer gewissen Zeit auch die Rückführung des Kapitals gestatten. Ohne Zweifel tragen diese Maßnahmen dazu bei, die Anlage von ausländischem Privatkapital attraktiver zu machen. Aber ebenso unverkennbar ist, daß bei vielen Firmen der westlichen Industrieländer noch immer eine starke Scheu besteht, sich mit größeren Summen in der Mehrheit der Entwicklungsländer zu engagieren. Kann man es ihnen verdenken, wenn sie sich sagen: was nützen alle gesetzlichen Zusicherungen, wenn immer die Gefahr besteht, daß eine neue Revolutionsregierung ans Ruder kommt, die sich an die alten Versprechungen nicht mehr hält?
Um jedoch an solchen Bedenken nicht den Kapitalexport in die Entwicklungsländer scheitern zu lassen, sind einige westliche Industriestaaten, so die Bundesrepublik und die Vereinigten Staaten, sogar so weit gegangen, von sich aus ihren Firmen, die in Entwicklungsländern investieren, für den Fall einer Enteignung eine Entschädigung zu garantieren. Damit wird den Firmen das politische Risiko zwar weitgehend abgenommen; aber es bleibt, daß auch eine solche Entschädigung niemals ein Ersatz für die aufgewandte Mühe und Arbeit sein kann. Schließlich hat kein Unternehmen ein Interesse daran, in einem Entwicklungsland unter widrigsten Umständen einen Betrieb aufzubauen, um dann, wenn die Anlage läuft, wieder hinausgeworfen zu werden. Alle diese Bedenken und Befürchtungen haben durch das abenteuerliche Vorgehen des kubanischen Diktators neue Nahrung erhalten; allen anderen Entwicklungsländern wird damit ein schlechter Dienst erwiesen.
Quelle: Hans Roeper, „Fidel Castro schädigt die Entwicklungsländer“, Frankfurter Allgemeine Zeitung. 7. Juli, 1960, S. 1.