Quelle
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Unsere Bevölkerungspolitik dient dem Frieden
Wenn die Nazis damals durch ihre verderbliche Eroberungspolitik nach außen hin glaubten, den deutschen Lebensraum mit mehr als hundert Millionen Menschen füllen zu können, so machten sie dem deutschen Volke nicht nur die ganze Welt zum Feinde, sondern sie marschierten mit ihren bevölkerungspolitischen Absichten direkt in den Krieg hinein. Die faschistische Bevölkerungspolitik war mit der Lebensraumtheorie, also dem Raub fremder Länder, aufs engste verbunden und bedeutete Krieg. Hinter jeder Geburt stand bereits der Tod. Jeder von uns weiß, wie der schleichende Hunger schon beim Kleinstkind begann, als das kalte und verbrecherische Wort „Kanonen statt Butter“ zu einer Parole der Wiederaufrüstung gemacht wurde. Dem gegenüber stehen unsere friedlichen Wirtschaftspläne, unser friedlicher Aufbau und die Forderung ständiger Verbesserung der Ernährung unseres Volkes und damit der Ernährung von Mutter und Kind auf eigenem Boden und aus eigener Kraft.
Wenn darum im § 1 des Gesetzes gesagt wird, daß zur Verbesserung der materiellen Lage der kinderreichen Familien und zur Förderung des Kinderreichtums staatliche Unterstützungen gewährt werden müssen, so ergibt sich daraus der grundsätzliche Unterschied. Es gibt keinen Vergleich zwischen der Bevölkerungspolitik Hitlers und der der Deutschen Demokratischen Republik. Die faschistische Bevölkerungspolitik diente dem Kriege und dem Untergang, unsere Bevölkerungspolitik dient dem Frieden und dem Wohlstand.
Wenn wir heute und in Zukunft viele Milliarden in unsere Volkswirtschaft für den Aufbau unserer Industrie, für den Aufbau unserer Landwirtschaft, für die Errichtung wissenschaftlicher Institute und vieler pädagogischer Einrichtungen stecken, dann wüßte ich mir, um diesen Aufbau lebendig zu gestalten, nichts besseres, als umfangreiche Mittel aus unserem Staatshaushalt bereitzustellen, für das beste, was wir überhaupt in unserem Volke besitzen: für unsere Mütter, für unsere Kinder und für unsere Jugend. Sie sind die Lebensträgerinnen des Volkes, sind unsere Zukunft und für sie soll alles, was wir tun, getan werden zur Erhaltung des Friedens und zur Hebung des menschlichen Wohlstandes.
Arbeitskräfte für den Fünfjahrplan
Der Fünfjahrplan setzt die Zahl der Beschäftigten in der Volkswirtschaft auf 7,6 Millionen fest. Die Gesamtzahl der Beschäftigten muß sich im Vergleich zu 1950 um 890.000 Personen erhöhen. Der große Bedarf an Arbeitskräften macht eine Erhöhung des Prozentsatzes der arbeitenden Frauen notwendig. Nach dem Fünfjahrplan wird der Prozentsatz der arbeitenden Frauen in der gesamten Volkswirtschaft von 37 Prozent auf 42 Prozent und in der volkseigenen Industrie von 33,3 Prozent auf 42 Prozent erhöht. Ich habe bereits in meiner Begrüßungsansprache auf dem dritten Bundeskongreß des DFD erklärt, daß grundsätzlich alle Berufe und Arbeiten den Frauen zugänglich sind und daß bei Ausarbeitung der Arbeitskräftenachwuchspläne die bevorzugte Einbeziehung der Frauen in qualifizierte Berufe der Elektroindustrie, der Optik und Feinmechanik, im Maschinenbau, im Baugewerbe, im graphischen Gewerbe sowie in der Holz- und Möbelindustrie festzulegen sind. In § 19 des Gesetzentwurfes hat diese Erklärung ihre Verwirklichung gefunden. Ebenso hat die Regierung nach meiner damaligen Erklärung auf dem dritten Bundeskongreß des DFD in § 20 die Voraussetzungen geschaffen, um auch auf dem Lande in steigendem Maße die Frauen am Neuaufbau und an der Gestaltung des gesellschaftlichen Lebens mitwirken zu lassen. Der Aufbau einer neuen Gesellschaft ohne aktivste und gründliche Beteiligung breiter Schichten der Frauen ist heute unmöglich.
Die Mitarbeit der Frauen muß auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens in der Deutschen Demokratischen Republik zu einer Selbstverständlichkeit werden. Die Frauen sind nicht nur für die berufliche Mitarbeit in der volkseigenen Industrie oder in der Landwirtschaft, sondern für alle Gebiete der Regierungs- und Verwaltungsarbeiten zu qualifizieren.
Gegenwärtig wird der Aufbau in der Deutschen Demokratischen Republik durch die Mitarbeit von Frauen noch in zu geringem Umfange gefördert, obwohl es leuchtende Vorbilder in vielen Dienststellen der Ministerien und Verwaltungen gibt. An der Spitze der Planung wirkt eine Frau mit. Eine Anzahl Frauen leitet wichtige Hauptabteilungen und Abteilungen in den Ministerien der Deutschen Demokratischen Republik und der Länder; zwei Frauen sind Mitglieder des Präsidiums der Provisorischen Volkskammer; 51 Frauen sind Abgeordnete der Provisorischen Volkskammer; eine Frau ist Staatssekretär im Volksbildungsministerium, eine Frau Vizepräsident des Obersten Gerichtshofes.
Es gibt in den fünf Ländern der Deutschen Demokratischen Republik (Stand März 1950)
276 weibliche Bürgermeister,
43 weibliche Kreisräte,
25 weibliche Stadträte und
2 weibliche Oberbürgermeister.
In allen Zweigen des Berufslebens haben die Frauen bewiesen, daß sie in der Lage sind, „ihren Mann“ zu stehen, haben sie bereits bedeutende und hervorragende Leistungen beim demokratischen Aufbau vollbracht. […]
Ein neues Familienrecht notwendig!
Dann ging Ministerpräsident Otto Grotewohl auf die einzelnen Bestimmungen des Gesetzes ein, die wir an anderer Stelle im Wortlaut veröffentlichen. Auf Abschnitt II des Gesetzes, „Ehe und Familie“ eingehend, erklärte er:
Die Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik hat mit den Bestimmungen über Gleichberechtigung von Mann und Frau eine Rechtsstellung für die Frau geschaffen, wie sie sie nie zuvor in Deutschland gehabt hat. Die Verfassung hat sich nämlich nicht darauf beschränkt, den Grundsatz der Gleichberechtigung zu proklamieren, sie hat vielmehr – wie auch bei den übrigen den Bürgern verliehenen Rechten – reale Garantien für deren Verwirklichung geschaffen.
Der in der Verfassung aufgestellte Grundsatz der Gleichberechtigung von Mann und Frau stand zunächst im Gegensatz zum Bürgerlichen Gesetzbuch, das auf dem Grundsatz der Bevorrechtung des Mannes beruht. Um sofort die weitere Anwendung des Bürgerlichen Gesetzbuches sowie sonstiger Gesetze, die dem Grundsatz der Gleichberechtigung entgegenstehen, zu verhindern, wurde in der Verfassung ausdrücklich in Artikel 7 und Artikel 30 die Bestimmung aufgenommen, daß alle Gesetze, die die Gleichberechtigung von Mann und Frau beeinträchtigen, aufgehoben sind. Durch diese klare Entscheidung der Verfassung war es seit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik nicht mehr möglich, Gesetze anzuwenden, die die Frau in ihrer Rechtsstellung gegenüber dem Manne benachteiligen.
Auch hier offenbart sich wieder der Unterschied zwischen der Verfassung der Deutschen Demokratischen Republik, die die demokratischen Rechte der Bürger tatsächlich garantiert, gegenüber der damaligen scheindemokratischen Verfassung der Republik von Weimar. Auch die Verfassung von 1919 proklamierte – allerdings mit der Beschränkung auf die staatsbürgerlichen Rechte – den Grundsatz der Gleichberechtigung der Geschlechter. Tatsächlich aber wurden alle Gesetze, die die Frau in ihren Rechten beschränkten, weiterhin angewendet und erst die Gründung der Deutschen Demokratischen Republik machte diesem Zustand ein Ende.
Auch das sogenannte Grundgesetz des Bonner Marionettenstaates behauptet, Männer und Frauen seien gleichberechtigt. Aber die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Frau ist schon deshalb zurückgesetzt, weil sie nicht die gleichen Möglichkeiten der beruflichen Ausbildung hat und weil sie bei gleichen Leistungen nicht den gleichen Lohn erhält wie der Mann. Aber das Bonner Kolonialregime enthält der Frau auch die ihr gebührende familienrechtliche Gleichstellung vor. Während das sogenannte Grundgesetz in seinen ersten Artikeln (Art 3) die Gleichberechtigung feierlich proklamiert, läßt es in seinen Schlußbestimmungen (Art 117) ausdrücklich zu, daß das entgegenstehende Recht noch bis zum 31. März 1953 in Kraft bleiben kann und infolgedessen auch heute noch angewendet wird. Die Verhältnisse in Westdeutschland bestätigen also erneut den schon von August Bebel aufgestellten Satz, daß die Befreiung der Frau nur in einer wahren Demokratie möglich ist.
Mit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik wurde in diesem Teil Deutschlands, vor allem auf dem Gebiete des Familienrechts, eine völlig neue Lage geschaffen. Es ist deshalb erforderlich, ein neues Familienrechtsgesetz zu erlassen. Das vorliegende Gesetz über den Mutter- und Kinderschutz und die Rechte der Frau beauftragt in seinem Artikel 18 mit dieser Aufgabe das Ministerium der Justiz. Dieses Ministerium hat seine Arbeiten so zu beschleunigen, daß die Regierung noch in diesem Jahre die Vorlage der Volkskammer einreichen kann.
Alle Berufe stehen offen!
Zum III. Abschnitt „Die Frau in der Produktion und der Schutz ihrer Arbeit“ wiederhole ich meine bereits getroffene Feststellung. Ohne die gleichberechtigte Einbeziehung der Frau in das Wirtschaftsleben gibt es keine gesellschaftliche Gleichberechtigung. Sie gibt Millionen Frauen die Möglichkeit, ihr Leben nach eigenem Wunsch und Willen zu gestalten und sich eine eigene Stellung in der Gesellschaft zu erarbeiten. Grundsätzlich sind alle Berufe und Arbeiten den Frauen zugänglich zu machen. Die Vorurteile, die gegen den Einsatz der Frauen, in vielen Fällen noch bestehen, sind energisch zu bekämpfen.
Wenn wir die Verhältnisse in den kapitalistischen Staaten oder in dem von diesen kapitalistischen Mächten besetzten Westdeutschland und West Berlin betrachten, können wir feststellen, daß trotz der formalen Gleichberechtigung der Geschlechter große Unterschiede bei der Entlohnung bestehen. Die Frauen erhalten bei gleicher Arbeit einen weit geringeren Lohn. Zum Beispiel betrug in Westdeutschland im März 1950 der Durchschnittslohn für Männer pro Stunde 134,0 Pfennig und der Durchschnittslohn für Frauen pro Stunde nur 86,1 Pfennig. Das sind also nur 66 Prozent des normalen Lohnes.
Mit der Parole „Die Frau gehört ins Haus“ werden die Frauen von der Ausbildung zu qualifizierten Fachkräften abgehalten und damit von leitenden Positionen in Staat und Wirtschaft ausgeschlossen. Auch die Frage der „Doppelverdiener“ wird mit dieser Parole beantwortet und damit die Frau zum Dienstmädchen des Mannes herabgewürdigt.
Solange die Frau aber nicht die Möglichkeit hat, sich die theoretischen und praktischen Kenntnisse für leitende Positionen in Staat und Wirtschaft anzueignen, ist an eine politische und wirtschaftliche Gleichberechtigung nicht zu denken.
Die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik hat deshalb bestimmt, daß bei der Ausarbeitung der Nachwuchspläne die bevorzugte Einbeziehung und Ausbildung der Frauen in allen qualifizierten Berufen festzulegen ist. Die volkseigenen Betriebe haben für das planmäßige Anlernen von Frauen und für ihre Ausbildung zu qualifizierten Facharbeiterinnen zu sorgen. Die Frauen sollen unter der Anleitung von besonders qualifizierten Facharbeitern und Ausbildern durch Kurse und Arbeitsberatungen von der Verrichtung einfacher bis zur selbständigen Erledigung komplizierter Arbeiten geschult werden. Die für den Besuch von Fachkursen und Fachschulen für Stipendien vorgesehenen Mittel müssen zu einem größeren Anteil als bisher für Frauen zur Verfügung gestellt werden. Die Berufung bewährter, demokratisch gesinnter Frauen in leitende Stellungen muß kühner und im weitaus stärkeren Maße vorgenommen werden. Die Leistungen der mit verantwortlichen Aufgaben betrauten Frauen, ich denke hierbei an unsere Bürgermeisterinnen, Direktorinnen in Betrieben und unsere weiblichen Funktionäre in den Organisationen und Verwaltungen, haben bewiesen, daß die Frauen durchaus die Fähigkeiten haben und mit der Größe ihrer Aufgaben wachsen.
Auch unseren Frauen auf dem Lande gilt die Sorge der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik. Durch systematische Schulung müssen sie befähigt werden, in bedeutend stärkerem Maße als bisher am demokratischen Neuaufbau unserer Verwaltung und am gesellschaftlichen Leben mitzuwirken. Daher ist es notwendig, mehr Frauen in die Leitung der volkseigenen Güter und Maschinenausleihstationen zu berufen und ihnen verantwortliche Aufgaben zu übertragen. Auch die vielen alleinstehenden Bäuerinnen verdienen unsere Hilfe und Unterstützung. Sie stehen in ihren betrieblichen Leistungen keineswegs hinter den Männern zurück und haben mit ihren erzielten Erfolgen den Beweis für ihre berufliche und menschliche Tüchtigkeit erbracht.
Im Gesetz ist daher vorgesehen, daß zur Entlastung der Landarbeiterinnen und Bäuerinnen Gemeinschaftseinrichtungen, wie Waschanstalten, Nähstuben und Kindertagesstätten zu erstellen sind.
Alleinstehende kinderreiche Bäuerinnen, in deren Wirtschaft keine weiteren arbeitsfähigen Personen vorhanden sind, genießen besondere Vorrechte. Dazu werden binnen eines Monats entsprechende Anweisungen vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft erlassen. Für die bisher vollbrachten großen Leistungen zur Sicherung der Ernährung unseres Volkes glaubt die Regierung am besten ihren Dank abstatten zu können, indem sie ihre Fürsorge für die Landarbeiterinnen und Bäuerinnen auf das höchste vertretbare Maß steigert.
Bei der Verwirklichung der Gleichberechtigung der Frau ist die Anteilnahme der Frau an der produktiven Arbeit entscheidend. Auch die Arbeit der Frau ist Voraussetzung für den Wohlstand und das Glück der Menschen. Sie ist Voraussetzung für ein besseres Leben und damit auch ein Teil des Kampfes für die Herstellung der Einheit Deutschlands und die Festigung des Friedens.
Die Frau tritt aus dem engen Haushalt ihrer Familie immer mehr heraus. Aus dem eigenen Haushalt wird der Staatshaushalt, aus dem Staatshaushalt wird der Wirtschaftsplan und seine Erfüllung.
Alle Hemmnisse, die bisher die Entfaltung der Kräfte der Frau hinderten, werden beseitigt. Nur durch die wirtschaftliche Freiheit kann die Frau zur politischen Freiheit gelangen und gleichberechtigtes Mitglied der Gesellschaft werden. Dieses Gesetz gibt den deutschen Frauen diese Möglichkeit. Mögen sie es zu nutzen lernen zum Segen ihrer Kinder, ihrer Familie, ihres Volkes und der ganzen friedliebenden Menschheit.
Quelle: Neues Deutschland Nr. 227 vom 28. September 1950, S. 1–3. Mit freundlicher Genehmigung der Neues Deutschland Druckerei und Verlag GmbH Berlin; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hsrg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949–1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/42.