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Integrationsbericht: Im Einwanderungsland angekommen
Integration ist im Alltag weniger kompliziert, als manche politische Debatten glauben machen. „Menetekel von Sozial-Katastrophen“ seien unangebracht, sagt Migrationsforscher Bade bei der Vorstellung des Jahresgutachtens des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen.
Während im politischen Diskurs noch alte Diskussionen über Deutschland als Einwanderungsland, über Assimilation oder „Multi-Kulti“ geführt werden, ist der Integrationsprozess insgesamt reibungsloser und erfolgreicher verlaufen als in europäischen Nachbarländern.
Zu diesem Ergebnis kommt der Sachverständigenrat deutscher Stiftungen für Integration und Migration, der zum ersten Mal ein Jahresgutachten vorgelegt und ein sogenanntes Integrationsbarometer erstellt hat. Dabei hat sich ein belastbares Grundvertrauen der Mehrheitsgesellschaft und der Einwanderer gezeigt.
Zu den überraschenden Befunden gehört, dass Einwanderer Deutschen zum Teil mehr vertrauen als der eigenen Herkunftsgruppe und auch als die Deutschen sich selbst. „Menetekel von Sozial-Katastrophen im Gruppenkonflikt erscheinen deshalb als unangebracht“, sagte der Vorsitzende des Sachverständigenrats, der Migrationsforscher Klaus Jürgen Bade, in Berlin. Nur jeder 20. Einwanderer fühlt sich in Deutschland unwohl, aber jeder 15. Deutsche ist unzufrieden. Unter den Einwanderern der zweiten Generation (auch unter Türken), die in Schulleistungen viel schlechter abschneidet, steigt die Zufriedenheit noch.
Mehr Bildung, kritischere Einstellung
Etwa 25 Prozent der Einwanderer bezichtigen die eigene Gruppe eines mangelnden Integrationsinteresses, 20 Prozent sehen eine Integrationsverweigerung bei den Deutschen. Mit steigendem Bildungsgrad stünden Menschen mit Migrationshintergrund dem Integrationsinteresse der eigenen Gruppe kritischer, dem der Mehrheitsbevölkerung aber weniger kritisch gegenüber, heißt es in dem 252 Seiten umfassenden Bericht.
Eine Aufgabe der religiösen und kulturellen Prägung der Einwanderer wird auch von der deutschen Bevölkerung nicht erwartet. Der Wunsch nach Gleichbehandlung ist unter beiden Gruppen ähnlich hoch (in beiden Fällen über 90 Prozent), Ähnliches gilt für die Förderung ausländischer Schüler.
Hier empfiehlt der Sachverständigenrat zu Recht, dass die Sprachförderung sich nicht auf vorschulische Sprachkurse beschränken darf, sondern über die gesamte Bildungsbiographie fortgesetzt werden muss – auch in der Mittel- und Oberstufe, selbst an der Universität durch Kurse für akademisches Schreiben. Denn der Zusammenhang zwischen deutscher Sprachfähigkeit und Bildungserfolg ist in Deutschland besonders stark ausgeprägt. Nach wie vor sprechen jedoch 44,8 Prozent der Ausländer in der Familie ausschließlich ihre Herkunftssprache. Um so misslicher ist, dass nur 10 Prozent der Ausländerkinder (25 Prozent deutsche Kinder) in der Kindertagesbetreuung zu finden sind und 83 Prozent im Kindergarten. Das Betreuungsgeld lehnt der Sachverständigenrat entschieden ab. Ausgerechnet an den Kindergärten zu sparen, sei ein Zeichen „suizidaler Haushaltsführung“, sagte Bade im Blick auf die Sparvorschläge des hessischen Ministerpräsidenten Koch.
Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Staatsministerin Böhmer, forderte deshalb die Länder auf, „an Intensität und Tempo zuzulegen“. Im Nationalen Integrationsplan hätten sie zugesagt, die Leistungen der ausländischen Schüler bis 2012 anzugleichen. Doch der Nationale Integrationsplan ist unter den Ausländern noch unbekannter als die Islamkonferenz. 60 Prozent haben noch nie davon gehört.
Ausländische Schüler schneiden schlechter ab
Ähnlich wie in internationalen Vergleichsstudien (leider wurde die Übergangs-Studie des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung noch nicht rezipiert) – schneiden ausländische Schüler insgesamt schlechter ab. 19,2 Prozent der Jungen verlassen die Hauptschule ohne Abschluss, während Mädchen viel öfter das Abitur erreichen (19 Prozent im Vergleich zu 16 Prozent der Jungen). Marokkaner haben nur halb so große Chancen, die (Fach-) Hochschulreife zu erlangen wie deutsche Jugendliche, bei türkischen und italienischen Jugendlichen ist die Chance noch geringer. Auch Libanesen, Albaner und Serben gehören zu den Problemkandidaten, Russen und Asiaten hingegen nicht. Der Sachverständigenrat fordert in seinem Bildungs-Kapitel, über das äußerst kontrovers diskutiert wurde, deshalb eine hohe Durchlässigkeit des Schulsystems, von kurzschlüssigen Plädoyers für längeres gemeinsames Lernen hat er sich zumindest halbherzig distanziert.
Aufschlussreich ist ein sogenanntes Integrations-Paradox in der Bildung. Während deutsche Eltern positive Erfahrungen mit ethnischer Heterogenität in Institutionen des Bildungssystems haben, sinkt die Bereitschaft der deutschen Bevölkerung mit wachsendem Bildungsniveau, ihr eigenes Kind auf eine Schule mit hohem Einwandereranteil zu geben. Den Schulen wird ein produktiver Umgang mit Heterogenität offensichtlich nicht zugetraut.
Plädoyer für eine „proaktive“ Einwanderungspolitik
Im Arbeitsmarkt gebe es ein „quantitatives und ein qualitatives Migrationsproblem“. Deshalb müsse Deutschland neben einer Bildungs- und Qualifikations-Offensive im Innern eine „proaktive“ Einwanderungspolitik betreiben und vor allem für qualifizierte Einwanderung attraktiver werden. Noch immer ist der Weggang qualifizierter Ausländer größer als der Zugang besonders qualifizierter. Mit höheren formalen Qualifikationen ist es in Deutschland kein Problem für Ausländer, eine Stelle zu bekommen – nur bei Türken scheinen kleinere Unternehmen noch ablehnend zu sein.
Ernüchternd ist, dass 20 bis 30 Prozent der Jugendlichen, die im sogenannten Übergangssystem zur Nachqualifizierung fehlender Abschlüsse waren, auch drei Jahre danach noch keine Ausbildung beginnen. 29 Prozent der ausländischen Jugendlichen kommen gar nicht erst ins Übergangssystem, sondern fallen zunächst völlig aus dem Berufsbildungssystem heraus. Das Übergangssystem sollte in seiner jetzigen Form abgeschafft oder vollständig neu strukturiert werden, fordert der Sachverständigenrat. Er schlägt niedrigschwellige Möglichkeiten für Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss vor.
Für das Integrations-Barometer wurden dieselben Fragen an Einwanderer wie an Deutsche gestellt – dazu gab es eine quotierte Stichprobe von 5600 Befragten in den älteren Einwanderungs-Regionen Rhein-Ruhr, Stuttgart und Rhein-Main, wobei Türken, Aussiedler, Ausländer, die nicht der EU angehören, sowie Afrikaner, Asiaten und Lateinamerikaner befragt wurden. Berlin als relativ „neues“ Einwanderungs-Gebiet fehlt leider, soll aber beim nächsten Integrations-Barometer in zwei Jahren erfasst werden.
Hier gibt es spezifische Probleme durch den Wegfall industrieller Arbeitsplätze, durch hohe Transferabhängigkeit und durch eine hohe Einwanderung von Türken und Flüchtlingen aus den arabischen Staaten. In Berlin ist die Arbeitslosigkeit unter Einwanderern (30 Prozent) auch doppelt so hoch wie in den übrigen Gebieten. Insgesamt ist das Risiko für Ausländer, arbeitslos zu werden, in den Niederlanden drei Mal so hoch wie in Deutschland.
Quelle: Heike Schmoll, „Im Einwanderungsland angekommen“, FAZ.NET Feuilleton, 20. Mai 2010.