Kurzbeschreibung
In der Friedrichsruher Fassung der
Proklamierung des Deutschen
Kaiserreiches nahm sich Anton von Werner noch größere Freiheiten
bezüglich historischer Tatsachen als er dies in der Schloßfassung und
dem Holzstich von 1880 getan hatte. Das Friedrichsruher Gemälde hatte
die preußische Königsfamilie im Februar 1885 als Geschenk für Bismarcks
bevorstehenden 70. Geburtstag (1. April 1885) in Auftrag gegeben. Wie
auf den Holzschnitt aus dem Jahr 1880 wird Bismarck in seiner weißen
Kürassieruniform gezeigt (die er, wie in der vorangegangenen
Bildunterschrift erklärt, am 18. Januar 1871 gar nicht trug). Ebenso
wird er in denselben schenkelhohen Kürassierstiefeln gezeigt, und seine
gebieterische Haltung bleibt größtenteils unverändert. Doch dieses
Gemälde aus dem Jahr 1885 unterscheidet sich vom 1880er Holzschnitt
durch mindestens ein bekleidungstechnisches Detail – die Medaille
Pour le mérite, die Bismarck erst
1884 verliehen worden war, taucht nun an der Uniform auf. Diese
Ergänzung ist nicht die einzige beachtenswerte Änderung. Beispielsweise
rückt mehr als in den früheren Versionen der Szene der preußische
Generalstabschef Helmuth von Moltke weiter in den Vordergrund, und der
preußische Kriegsminister Albrecht von Roon, der an jenem Tag wegen
eines Katarrhs nicht anwesend war, wurde in die versammelte Menge
eingefügt. Wie Matthew Jefferies aufgezeigt hat, ist es bemerkenswert,
dass alle zentralen Figuren in der Friedrichsruh-Fassung aussehen wie in
den 1880ern, nicht wie im Jahr 1871. Daher wurde ihr Wert als
Momentaufnahme eines Ereignisses 14 Jahre zuvor zwangsläufig gemindert.
Wichtig ist allerdings, sich zu vergegenwärtigen, dass die verschiedenen
Ausführungen von Werners
Proklamierung gleichermaßen den
Wünschen der einzelnen Auftraggeber Rechnung trugen wie dem Gedanken der
historischen Wahrheit. Soweit diese Version als ein Geburtstagsgeschenk
für Bismarck intendiert war, ist es völlig selbstverständlich, dass er
im Mittelpunkt stehen und von seinen engsten Freunden und Kollegen
umgeben sein würde. Ebenso folgerichtig ist es, dass bis zum Jahr 1885
die in der Schlossfassung gezeigte schlichte und eher hastige
Proklamation sich in eine weitaus lebendigere und symbolträchtigere
Darstellung der Reichsgründung – und seines „Gründers“ – umwandeln
sollte. Das Gemälde befindet sich weiterhin auf Bismarcks ehemaligen Gut
Friedrichsruh.