Quelle
A. Franz von Stauffenberg an Eduard Lasker (4. November 1881)
München, 4. November 1881.
[…] Was werden wir nun machen.[1] Nach meiner Meinung muß zunächst eine vereinigte Linke konstituiert werden, bestehend aus Nationaliberalen, uns, Fortschritt eventuell auch Volkspartei, die unter vorläufiger Aufrechterhaltung des Fraktionsverbandes vorerst durch Delegierte in gemeinsamem Einvernehmen verhandelt, gegenseitige Anträge sich mitteilt, und überhaupt möglichst gemeinsam handelt. Dies ist das Minimum und die Nationalliberalen können sich dem gar nicht entziehen. Aber es muß jetzt vorbereitet und beiderseitig sondiert werden. Konferieren Sie mit Forckenbeck und schreiben Sie an Haenel und Bennigsen. Ich spiele den Gedanken nächstens in Erlangen aus, wo er gut aufgenommen werden wird. Ich beschwöre Sie, handeln Sie energisch in dem angedeuteten Sinne!
Wie wird es mit der Präsidentenwahl schon stehen! Ein wunderbarer Reichstag! …
Quelle: Paul Wentzcke, Hrsg., Im Neuen Reich 1871–1890. Politische Briefe aus dem Nachlaß liberaler Parteiführer (1926). Osnabrück: Biblio Verlag, 1967. = Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung, herausgegeben von Julius Heyderhoff und Paul Wentzcke, Bd. 2 (Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 24), S. 386.
B. Eduard Lasker an unbekannten Empfänger (evtl. Bennigsen oder Miquel)[2]
Berlin, 8. November 1881.
Unter den veränderten Verhältnissen, welche die Wahlen schon jetzt geschaffen haben, wende ich mich nochmals an Sie, mit demselben Ziel vor Augen, daß die politische Manifestation einer großen liberalen Partei oder mindestens eines gemeinsamen, alle Fraktionen umfassenden Bandes vorbereitet und nicht durch Gegensätze verhindert werde, welche einer bereits geschichtlich gewordenen Vergangenheit angehören. Die Aufgabe ist jetzt etwas schwerer, als in der nunmehr überholten Situation unserer jüngsten Besprechung, aber zu erreichen ist es immer noch. Die Wahlen haben bekundet, daß man in den liberalen Kreisen weit überwiegend eine zugleich entschiedene und in sich maßvolle Politik will; Abwehr der Reaktion, Reinhaltung des liberalen Gedankens, keine ausschließende Tendenz. Wenn irgendein Wort, so war die Mahnung an die Einheit der liberalen Partei und zur entschiedenen Stellungnahme des Beifalls unter den liberalen Hörern sicher. Das Ergebnis der Wahlen zeigt, sogar viel schärfer, als ich gehofft, daß bei einigem und zielbewußtem Wirken eine absolute Mehrheit der Liberalen für den Reichstag auch unter ungünstigen Verhältnissen sich gewinnen läßt. Nach meiner Besprechung werden alle Gruppen der Liberalen zwischen 150 und 160 sich bewegen und die Annahme ist nicht übertrieben, daß bei tüchtiger Organisation, planmäßiger Agitation und friedlichem Zusammenwirken, selbst einzelne örtliche Streitfälle vorbehalten, schon jetzt 15-20 liberale Männer mehr sich hätten gewinnen lassen; und dies läßt schließen, daß wenn bis zur nächsten Wahl die Einigung gelingt und nicht arge Fehler gemacht werden, alsdann die Mehrheit sich erreichen ließe. Ich möchte nun nicht die Hoffnung aufgeben, daß auch Sie die Hand bieten zu einer Verständigung, in welcher alle liberalen Schattierungen Platz finden können. Je größer der Rahmen, um so eingeschränkter muß der Inhalt der Einigung zunächst sein; aber die Politik Bismarcks wird schon nachhelfen, sobald er seine Berechnung, Sie von uns getrennt zu halten, aufgeben muß. Die Erinnerungen an die früheren Gegensätze zwischen uns und einem anderen Teil der Liberalen und die Streiterfahrungen aus der Wahlzeit müssen wir vergessen; sammeln wir uns vorläufig unter einem Notdach, gewöhnen wir uns aneinander, damit wir auch dann zusammenwirken können, sobald die Liberalen zur leitenden Stellung berufen werden. Praktisch denke ich fürs erste nur an einen leitenden Ausschuß, von welchem solche Angelegenheiten, welche einer gemeinsamen Behandlung fähig sind, vertraulich vorberaten werden, wie beispielsweise Wahl des Bureaus (obschon ich persönlich auf die Endentscheidung kein großes Gewicht lege), die Behandlung der Wahlangelegenheiten, die Geschäftsbehandlung wichtiger Regierungsvorlagen und Anträge. Grundsätzlich würde ich die Kenntnisgabe beabsichtigter Anträge zur Pflicht machen. Eine materielle Übereinstimmung in jedem einzelnen Falle wird nicht zu gewinnen und soll auch nicht bedungen sein; noch weniger denke ich an eine sofortige Auflösung der Fraktionsverbände. Die Hauptsache für mich ist, daß die Regierung und die Gegenparteien die Überzeugung gewinnen, daß sie einem in vielen Hinsichten aktionsfähigen Ganzen und nicht bloß Bruchstücken einer liberalen Partei gegenüberstehen.
Der Anfang der Session kann leicht auf lange Zeit über die Beziehungen zwischen den liberalen Fraktionen entscheiden, und es pflegt in den ersten Tagen einer Session, und gar besonders einer neuen Legislaturperiode, sehr drangvoll und eilig herzugehen. Ich möchte die Gestaltungen innerhalb der liberalen Partei nicht dem Zufall anheimgeben, deshalb schreibe ich Ihnen mit der Bitte um eine Andeutung, ob ich mich nicht fruchtlos bemühe, wenn ich Sie in eine Kombination der vorgetragenen Art einschließe. Ich würde jede Ihre Andeutung so lange vertraulich behandeln, bis eine Mitteilung notwendig wird und Sie dieselbe gestatten. Ich schreibe nur für mich, doch glaube ich im Geiste der von mir vertretene politischen Richtung zu handeln und die jetzt nächsten Genossen werden gewiß zustimmen; von Stauffenberg weiß ich es.
Quelle: Paul Wentzcke, Hrsg., Im Neuen Reich 1871–1890. Politische Briefe aus dem Nachlaß liberaler Parteiführer (1926). Osnabrück: Biblio Verlag, 1967. = Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung, herausgegeben von Julius Heyderhoff und Paul Wentzcke, Bd. 2 (Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 24), S. 386–87.
C. An Eduard Lasker[3] (14. November 1881)
Berlin, 14. November 1881
Uns allen, die wir die ungeheure Schwierigkeit der Situation überschauen, muß daran liegen, daß die Liberalen keinerlei Fehler machen. Auch in der Fortschrittspartei, glaube ich, ist Verständnis dafür vorhanden; bei Haenel und Virchow habe ich lebhaften Anklang gefunden. Mit Richter muß direkt unterhandelt werden. Energie und Erfolg haben ihm innerhalb seiner Fraktion eine nicht zu umgehende Stellung gegeben, doch hoffe ich, daß er den ersichtlichen Gefahren und Notwendigkeiten sich nicht verschließen wird und ich erwarte nötigenfalls das Übergewicht auf Seite derjenigen, welche, wie wir, der Verständigung zustreben. Auch wir haben uns über Vorgänge bei den Wahlen zu beschweren; mit der geschäftsmäßigen Behandlung der Stichwahlen waren wir durchaus nicht einverstanden und wir in der Zentralleitung haben jede Abmachung abgelehnt, obschon mehrere Mandate dadurch gefährdet wurden und eines vermutlich dadurch verloren ging. Aber ich (bin) unbefangen genug, die unvermeidlichen Wahltaktfehler nicht in die materielle Politik einwirken zu lassen. Irgendein persönliches Engagement von Ihrer Seite habe ich nicht auf dem Wege der Korrespondenz erzielen wollen, aber ich wollte Sie rechtzeitig in Kenntnis setzen. Langjährige Freundschaft, die im Zusammenwirken gewonnenen Erfahrungen und die Liebe zur Sache lassen mich lebhaft wünschen, daß sie nicht fehlen, wenn eine gesamtliberale Kombination auf vernünftiger Grundlage sich bewirken läßt. Dies hoffe ich. Die eigenen Parteigenossen sind, wie ich inzwischen mich überzeugt habe, der Kombination sehr zugeneigt und betrachten sie als einen Teil unseres Berufes. Sollte dieselbe dennoch scheitern, so haben wir wenigsten den Gewinn, daß wir die Natur der Hindernisse erfahren und das Urteil gewinnen, ob und wie dieselben sich überwinden lassen. Eine aktionsfähige Parteieinheit muß entstehen; diese allein wird den unerhörten Zweideutigkeiten ein Ende machen, welche jetzt für Regierungspolitik ausgegeben wird und häufig genug den Charakter unpassender Scherze annimmt. Schon treten einige Offiziöse wieder mit Lockungen an die „Gemäßigtliberalen“, welchem unerhörten Gaukelspiel ich gar keine Aufmerksamkeit zugewendet, wenn nicht vorgestern ein nicht unerheblicher Abgeordneter der freikonservativen Fraktion im Abgeordnetenhause Rickert, wie dieser berichtet, mit allem Anschein von Ernst anvertraut hätte, die Bildung einer Regierung aus Nationalliberalen und Freikonservativen wäre nie so nahe gewesen, wie gerade jetzt. Das steht auf einer Linie mit den Zweideutigkeiten, welche die Offiziösen und Bismarck selbst täglich in die Welt setzen, die jetzt aber niemand mehr täuschen, außer dem Kreis derjenigen, welche getäuscht sein wollen. Nicht allein die politische Moral fordert, daß diesen Zweideutigkeiten ein Ende gemacht wird.
Ihren Brief habe ich als ein Offenhalten der Entscheidung mir ausgelegt. Sollten Sie abzulehnen geneigt sein, so bitte ich, mir dies unumwunden mitzuteilen. Wenn Sie aber in die Erwägung eintreten, so bitte ich, mir, sobald nur nach Ihrer Ankunft möglich, eine Gelegenheit zur weiteren Besprechung zu geben. Es sind schleunige und erkennbare Schritte nötig, und besonders die Konstituierungen am Anfang und die Wahlgeschäfte bieten eine unwiederbringliche Gelegenheit zu gemeinsamen Schritten.
Quelle: Paul Wentzcke, Hrsg., Im Neuen Reich 1871–1890. Politische Briefe aus dem Nachlaß liberaler Parteiführer (1926). Osnabrück: Biblio Verlag, 1967. = Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung, herausgegeben von Julius Heyderhoff und Paul Wentzcke, Bd. 2 (Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 24), 387–88.
D. Karl Schrader an Franz von Stauffenberg (21. August 1884)
Zoppot, 21. August 1884.
Sie wollen von mir etwas über die gegenwärtigen politischen Anschauungen des Kronprinzen wissen? Leider kann ich Ihnen davon weniger sagen, als ich sonst gekonnt haben würde, denn ich habe ihn und auch die Kronprinzessin seit längerer Zeit nicht gesehen. Man ist am Kronprinzlichen Hofe sehr vorsichtig mit Beziehungen zu liberalen Leuten geworden; es ist dort, wie es scheint, die Parole ausgegeben, alles zu vermeiden, Bismarck zu reizen. Bunsen[4] hat ähnliche Erfahrungen gemacht. Der Hofstaat ist gewechselt, die neuen Leute Radolin[5] wie Lyncker und schon früher Sommerfeld sind konservativ und scheinen es für ihre Aufgabe zu halten, ihre Herrschaften von liberalen Einflüssen zu befreien. Ich fürchte auch, daß man den Kronprinzen vor unserer Partei wegen ihrer Stellung zum Heerwesen ängstlich gemacht hat; er mag auch selbst nicht frei von der Besorgnis sein, daß wir zu radikal werden möchten und vor allen Dingen bieten wir dem künftigen Herrscher nicht das, woran ihm alles gelegen sein muß, eine starke zur Übernahme der Regierung befähigte und von dem Vertrauen der Bevölkerung getragene Partei. Wir werden es werden, aber wir sind es noch nicht, und wenn man mit einer nahen Zukunft rechnen muß, so kann man nicht daran denken, viel Hoffnung auf etwas dann voraussichtlich noch nicht Vorhandenes zu setzen. Immer klarer tritt zudem die überwältigende Macht Bismarcks im Inneren hervor; die Deutschen sind viel zu kurze Zeit an politisches Leben gewöhnt, um politische Fragen ruhig zu beurteilen und politische Zwecke maßvoll zu verfolgen. Unsere politische Erziehung muß – und wird – wie bei allen anderen Völkern erst durch Erfahrungen übler Art vollendet werden. Vor allem aber ist Bismarcks Stellung dem Auslande gegenüber eine so bedeutende, daß auch der künftige Kaiser nicht daran wird denken können, Bismarck kurzer Hand zu verabschieden, er wird versuchen müssen, mit ihm zu leben.
Erwägungen dieser Art scheinen mir zu dem veränderten Verhalten geführt zu haben; innerlich, glaube ich, ist die Veränderung nicht groß und darüber werden Sie sich wohl selbst bald vergewissern. Es ist auch ganz menschlich, daß, je näher der Moment rückt, zu welchem die Verantwortung der Staatsleitung den Kronprinzen trifft, er auch desto zurückhaltender wird, um sich nicht in einer ihn im entscheidenden Momente hindernden Weise zu engagieren. Ich bemerke dabei, daß die persönlichen Beziehungen von uns keineswegs geliebt sind, aber meine politische Stellung ist unbequem und deshalb bin ich nur mit Vorsicht zu gebrauchen.
Deutschland wird die ihm sehr nützliche Lehre empfangen, daß es alle wirklichen, d. h. dauernden politischen Errungenschaften nur seiner eigenen Arbeit, nicht Geschenken von oben verdanken kann. Die Arbeit und Opfer, welche wir in den Jahren 1866 bis 1878 gebracht haben, sind noch zu wenig solche des ganzen Volkes gewesen, um von diesem so gewürdigt zu werden, daß es sich deren Resultate nicht nehmen läßt.
Sie sehen schon aus diesen Betrachtungen, daß ich die Lage unserer Partei nicht hoffnungsvoll ansehe. Wir sehen bei der Wahlvorbereitung fast täglich, wie die mittleren Klassen sich fürchten, und wie engherzig sie sind. Sie wollen nicht kräftig bei den Wahlarbeiten sich beteiligen, und vor allem, sie stellen uns keine Kandidaten. Die große Masse der Wähler ist gut; ich zweifle gar nicht, daß wir, wenn wir eine tüchtige Agitation zustande brächten und vor allen Dingen gute Kandidaten hätten, unsere Sache sehr gut stände. Aber nicht allein ist es schwer, neue aufzufinden, auch unsere alten Mitglieder sind müde; Kapp, Stengel, Struve, Thomsen z. B. haben definitiv abgelehnt und jede solche Ablehnung kostet uns wahrscheinlich einen Wahlkreis; Friedberg[6] verlieren wir dadurch, daß Hahn die Zustimmung seines Verwaltungsrates, auf die er vier Wochen gewartet hat, nicht bekommen hat, denn wir haben absolut keinen Ersatzmann für ihn[7]. Alles steckt sich hinter Vorwände. Bald wird Richters[8] Person vorgeschoben, um die Niederlegung oder Nichtannahme einer Kandidatur zu motivieren, bald sind es geschäftliche Interessen, Abneigung gegen Wahlkampfarbeit usw.
Aber gerade weil wir eigentlich eine gute Position haben, weil wirklich Konservative, Regierung, Nationalliberale so wenig Gutes bieten können und weiten Kreisen so viel Böses, z. B. durch die Getreidezölle, in Aussicht stellen, so können wir immer noch unsere Wahlschlacht mit ganz leidlichem Erfolge kämpfen, d. h. ohne zu große Verluste aus ihr hervorgehen, wenn wir unsere Vorteile energisch benutzen und viel Arbeit an die Sache setzen. Aber gerade bezüglich unserer Führer verfolgt uns das Unglück! Forckenbeck ist wahrscheinlich zu keinem Hervortreten zu bringen; er wird im letzten Momente in seinem Wahlkreise reden und vielleicht sich selbst von der Unterschrift des Wahlaufrufes drücken; Haenel ist gerade jetzt, wo die Arbeit am nötigsten, auf Urlaubsreise gegangen; Sie sind durch Ihre Kur verhindert. Wer bleibt nun außer Rickert und Richter? Bamberger hat einige unvorsichtige Wendungen schwer zu bereuen; er hat genug zu tun, sie vergessen zu machen, und kann nicht den Einfluß üben, den er sonst haben würde; Richter schadet uns durch zu starkes Hervortreten vielleicht mehr, als er nützt und Rickerts Arbeitskraft ist nicht unbegrenzt. Sie würden so ungemein viel nützen, wenn Sie auch nur ab und zu, vielleicht in Ihrer Nähe einmal sprechen oder einen Brief an Wähler schreiben möchten, der zur Veröffentlichung benutzt werden kann. Man hat gestern den dringenden Wunsch ausgesprochen, daß Sie in Bambergers Wahlkreise[9] reden möchten. Das wäre ja leicht zu machen. Könnten Sie das nicht tun?
Rickert und vielleicht auch ich kommen nächstens dorthin. Könnten Sie nicht dort mit uns zusammentreffen?
Vor allen Dingen aber ist es notwendig, daß Sie bei der Aufstellung des Wahlaufrufes mitwirken, die nach meiner Meinung möglichst bald stattfinden müßte. Wenn wir mit einem kräftigen, sowohl gegen die Regierung usw. energisch abwehrenden als auch so viel angängig positive Ziele zeigenden Aufrufe vorgehen, so zwingen wir auch die Nationalliberalen, Farbe zu bekennen und damit nehmen wir ihnen einen guten Teil ihrer Kraft, die eben in der Unbestimmtheit ihrer politischen Stellung beruht. Ein guter Wahlaufruf ist aber nur unter Ihrer Mitwirkung herzustellen, wir werden sonst viel zu sehr nach der Richterschen Richtung gedrängt. Wir werden, wenn dessen Einfluß überwiegt, einen altfortschrittlichen Wahlaufruf erhalten und durch denselben einfach auf den Boden der alten Fortschrittspartei gestellt werden. Den Aufruf müßten wir aber in Berlin machen, sonst haben wir Forckenbeck nicht dabei und jetzt darf uns keiner, der unserer Richtung angehört, fehlen.
Es ist ja ein grosses Opfer für Sie, eine weite Reise zu machen, aber ich glaube, es muß gebracht werden, denn jetzt steht nicht bloss die Zukunft unserer Partei und der politische Ruf derjenigen, welche die Fusion gemacht haben, auf dem Spiel, sondern die Wahlen entscheiden auf lange Zeit hinaus über den Gang unserer ganzen inneren Politik.
Nach den Zeitungen wird in dieser Woche wahrscheinlich Beschluß über den Wahltermin gefaßt werden und dieser wird gewiß so knapp als möglich angesetzt, etwa auf die zweite Dekade Oktober; wir müßten also in der ersten Hälfte September mit dem Wahlaufrufe hervorkommen. Würden Sie nicht in der Zeit einige Tage für eine Berliner Reise übrig haben?
Schreiben Sie mir, bitte, bald einige Zeilen nach Berlin, wohin ich am 25. dieses Monats zurückkehre – mit Rickert, weil wir dann Sitzung des geschäftsführenden Ausschusses haben – damit die Zusammenberufung als Zentralkomitee, welchem der Erlaß des Aufrufes obliegt, möglichst nach Ihren Intentionen geregelt werden kann.
Anmerkungen
Quelle: Paul Wentzcke, Hrsg., Im Neuen Reich 1871–1890. Politische Briefe aus dem Nachlaß liberaler Parteiführer (1926). Osnabrück: Biblio Verlag, 1967. = Deutscher Liberalismus im Zeitalter Bismarcks. Eine politische Briefsammlung, herausgegeben von Julius Heyderhoff und Paul Wentzcke, Bd. 2 (Deutsche Geschichtsquellen des 19. Jahrhunderts, herausgegeben von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften, Bd. 24), S. 417–19.