Quelle
Ballonbrief an eine schwedische Dame
[…]
Hier ergeht es mir präzis,
Wie den Leuten in
Paris.
Dicker deutscher Ideologen.
Weltumsturz auf
Zeitungsbogen,
Fahnenhissen, Hurraschrein,
Ein „Gesang“:
„Die Wacht am Rhein“,
Ist der Ring, um mich
gezogen.
Traun, es wird in diesem Kreis,
Ihrem Freund
oft kalt und heiß.
Wackre Bierbankdiplomaten,
Schmor’n
ihm seinen Hundebraten,
Und in unsres Stadtblatts
Spalten,
Wo Versköche rastlos walten,
Stellt die
Hauskost weit in Schatten
Gallische Ragouts von Ratten.
[…]
Also Not, warum’s verschweigen,
War’s im Grunde, was mich
trieb,
Daß ich diese Zeilen schrieb;
Mag der Luftballon
denn steigen.
Tauben waren nicht zu haben;
Sind sie
Hoffnungsvögel doch,
Und in diesem klammen Loch,
Hausen
Eulen nur und Raben.
Doch durch solche
Nachtgesellen,
Kann man Damen nichts bestellen.
[…]
Groß ist dies schier unbedingt;
Offen steht der Menschheit
Mund;
Ob aus diesem offnen Rund,
Auch zugleich ein Aber
springt.
Wie ein Zweifel ringt sich’s los:
Ist dies
Große wirklich groß?
Ja, was macht ein Werk wohl
groß?
Nicht, was es an Großem wirkt,
Sondern was in
seinem Schoß,
An Persönlichem sich birgt.
Und nun die Germanenschar,
Wie sie Sturm läuft auf
Paris!
Wer steht klar in der Gefahr?
Wem gebührt der
Kranz? Wer wies,
Uns den Zauber der Person,
Daß ihn
Millionen Munde,
Jubelnd im Gesang verklärten?
Regiment
und Eskadron,
Stab (mit anderm Wort Spion),
Haufen
losgelassner Hunde,
Sind dem Wild auf seinen Fährten.
[…]
Und des Tages Männer dann,
Diese Fritze,
Blumenthale,
Diese Herren Generale,
Wie sie heißen, Mann
für Mann!
Unter Preußens Todesfarben,
Dem schwarzweißen
Trauerflor,
Bricht aus rauher Taten Larven,
Kein
Liedschmetterling hervor.
Seide wird vielleicht
gesponnen,
Doch kein Falter fliegt sich sonnen.
Just der
Sieg birgt den Verlust.
Preußens Schwert wird Preußens
Rute.
Niemals hebt sich eine Brust,
Einem Rechenstück
zugute.
Nichts mehr bleibt im Lied zu sagen,
Seit ein
Volksaufstand, beflügelt,
Von erhabnem Wagemute,
Ward
zur Stabsmaschinerie,
Kleingetüftelt,
kleingekügelt,
Seit v. Moltkes Hand erschlagen,
Jede
Kampfespoesie.
So dämonisch ist die Macht,
Die den Weltlauf kam zu
lenken:
Sphinx, auf ihrer Weisheit Wacht,
Stirbt an
ihrem eignen Denken.
Jeder Sieg der Ziffer rächt sich,
Nur zu bald wird dies
Geschlecht sich,
Jähem Gegenwind erlegen,
Nicht mehr
rühren, nicht mehr regen.
[…]
Quelle: Henrik Ibsen, „Ballonbrief an eine schwedische Dame“, übersetzt [aus dem Dänischen] von Christian Morgenstern, in Henrik Ibsen, Sämtliche Werke, herausgegeben von Julius Elias und Paul Schlenther. Berlin: S. Fischer Verlag, 1921, S. 80–93.