Kurzbeschreibung

Paul de Lagarde (1827–1891) war Theologe und Orientalist; er wurde 1869 Professor für orientalische Sprachen an der Universität Göttingen. Politisch war er ein Konservativer und virulenter Antisemit: Seine Schriften sind als Verkörperung der „germanischen Ideologie“ bezeichnet worden, die dem Nationalsozialismus den Weg bereitete. Die folgende Textpassage stammt aus Lagardes Deutschen Schriften. Sie beginnt mit einem Versuch, die drei Teile des Liberalismus, repräsentiert durch die „schwarze“ (katholische), „rote“ (sozialistische) und „goldene“ (jüdische) Internationale, in Verbindung zu bringen. Lagarde attackiert einige der berühmtesten Liberalen und Reformer der deutschen Geschichte und fordert die Bildung einer neuen konservativen Partei, obgleich eine 1876 gegründete Deutschkonservative Partei bereits existierte. Er greift außerdem die 1880 veröffentlichte Erklärung der 75 Berliner Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens gegen den Antisemitismus an: Dies war die liberale Reaktion auf die Vorwürfe des Historikers Heinrich von Treitschke und anderer, die Juden seien ein „Fremdkörper“ in der deutschen Gesellschaft. Für Lagarde waren Juden und Liberale Verbündete, und ein wahrer deutscher Nationalist musste gegen beide vorgehen.

Paul de Lagarde über Liberalismus, Bildung und die Juden: Deutsche Schriften (1886)

  • Paul de Lagarde

Quelle

Die graue Internationale.
Zweiter Band der deutschen Schriften: Februar 1881

Von der schwarzen, der rothen, der goldenen Internationale redet alle Welt: die graue Internationale läuft noch immer unter dem Namen Liberalismus um. Mir scheint es an der Zeit, sie in ihre Rechte einzusetzen. Sie ist vaterlandslos wie alle ihre Schwestern, und darum für jede Nation von äußerstem Unsegen. Sie herrscht allerdings eben so gerne wie die drei andern Glieder der Familie, aber die Macht ist nicht eigentlich das was sie erstrebt: von der Bequemlichkeit und dem Wunsche zu scheinen nährt sie sich: sie mordet, wenn auch ohne es zu beabsichtigen, die Gewissen und die Fähigkeit das Leben als Ganzes zu fassen, und dadurch tötet sie die Persönlichkeit.

Alles was dem Menschen frommt, ist Ergebnis seiner eigenen Arbeit. Diesen Satz werden viele Zeitgenossen nicht bestreiten, obwohl sie seiner Tragweite sich nicht bewußt sind. Die eindringlichste Erläuterung hat er auf einem sehr leicht übersehbaren Gebiete durch die von Frankreich an Deutschland gezahlte Kriegsentschädigung erhalten. Wir würden jene fünf Milliarden Franks sehr wohl haben vertragen können, wenn sie Frank für Frank von uns als Einzelnen verdient worden wären: da sie uns auf Einmal, ohne daß wir etwas dafür geleistet, über den Hals kamen, sind sie uns fremd geblieben, und haben die Fäulniskrankheit hervorgerufen, von welcher wir noch immer nicht gesundet sind, und noch lange nicht gesunden werden. Ganz genau wie mit jenem Gelde verhält es sich nun mit geistigen Gütern. Kein Volk kann die Grundsätze des politischen Lebens, kann die Ergebnisse der Weltkultur äußerlich überkommen: wir können Derartiges niemals wie Vokabeln auswendig lernen, niemals wie einen Regenschirm entlehnen: wir müssen, was wir an geistigen Gütern besitzen wollen, selbst erobern. Der Liberalismus – ich rede natürlich nur von dem deutschen Liberalismus aus eigenster Kenntnis – ist die Weltanschauung derer, welche überallher geistige Güter zusammenschleppen, und dies in dem guten Glauben thun, jene seien darum ihr Eigenthum, weil sie in ihren Truhen und Schreinen liegen. All dieses Gold erweist sich, wie das schon unsre Märchen wissen, dem Besitzer, sowie er es benutzen will, als Kohle, obwohl es an und für sich wirklich Gold war. Alle diese Besitzer machen auf Gesunde den Eindruck Geisteskranker, welche Goldpapier als Geld aufzählen: wo derartige Leute im Leben der Völker zur Geltung kommen, wirken sie im höheren Sinne des Worts entsittlichend, weil sie die Arbeit in Miskredit bringen, weil sie wie einen Lotteriegewinn Schätze denen hinschütten, welche mit diesen Schätzen nichts anzufangen wissen: sie wirken aber auch im gewöhnlichen Sinne des Wortes entsittlichend, weil auch sie selbst nicht wirklich besitzen, was sie zu besitzen meinen, und darum bei ihnen Theorie und Praxis einander stets widersprechen. Diese Liberalen sind die umgekehrten Schlemihle: sie haben den Schatten des Körpers, aber den Körper nicht. Da ich durchaus nicht wünsche, misverstanden zu werden, mache ich darauf aufmerksam, daß ich selbst ganz genau angegeben habe, was ich hier liberal nenne, und daß für mich liberal nicht etwa mit Freiheitsfreund gleichbedeutend ist.

Menschen und Völker schreiten auf zwei Wegen vorwärts. Entweder so, daß in langsamem Wachsthume sich jedes Höhere aus dem nächst Tieferen, jedes Vollkommenere aus dem nächstweniger Vollkommenen entwickelt, oder aber so, daß, nachdem elementare Gewalt den ungenügenden Zustand der Dinge über den Haufen geworfen hat, in Folge des Unglücks die Betroffenen, welche nunmehr vor dem hellen Tode stehn, sich gezwungen finden, alle ihre Kräfte zur Herstellung eines genügenden Zustandes einzusetzen. Menschen und Völker kommen also zu ihrem Ziele entweder so, wie die Pflanze zu dem Ihren kommt, oder aber wie der Schiffbrüchige zu dem Seinen, der auf einer Planke des zerschellten Schiffes treibt, und einen Fetzen Segel mit der äußersten Anstrengung und dem schärfsten Nachdenken dazu nutzt, daß er ihm zur rettenden Küste zu gelangen helfe.

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Aus dem Gesagten ergibt sich ganz von selbst, daß Deutschland dem verfallen mußte, was ich Liberalismus nenne: daß wohlwollende Menschen mit und ohne amtlichen Auftrag sich bemühten, zu importieren, was im Vaterlande nicht gewachsen war, und doch nothwendig schien. Griechen und Römer, das alte und das neue Testament, die Verfassungen aller möglichen Länder haben dem armen Unstern helfen sollen: daran hat Niemand gedacht, daß nur von unten auf, durch unbedingte Wahrhaftigkeit, unsre Zustände gebessert werden können: nicht durch Kennenlernen der wirklichen oder vermeintlichen Güter Anderer, sondern durch thatsächliche Beseitigung unsrer Mängel und Fehler und durch thatsächlichen Erwerb derjenigen Güter, welche nicht Fremde, sondern wir selbst wirklich brauchen. Keiner Nation nützt irgend welches Gut eines fremden Volkes, weil es ein Gut, sondern nur, weil es Ihr ein Gut ist. Kann doch auch der einzelne Mensch nicht alle Speise essen, die es auf Erden gibt, und soll er doch nur diejenige Speise genießen, welche ihm frommt, und in dem Maße, in welchem sie ihm frommt, weil er sonst seine Fähigkeit zu verdauen, und also zu leben, ganz verlöre.

Der Liberalismus ist durch den Minister Altenstein und seinen Rath Johannes Schulze in die preußischen Schulen eingeführt, und von Preußen aus über ganz Deutschland verbreitet worden. Das ist nicht das kleinste unter den auf unserm Vaterlande lastenden Misgeschicken. Unsere Jugend beherrscht keine Sprache, sie kennt keine Litteratur, sie hat nicht einmal die Hauptwerke unsrer großen Dichter wirklich in Ruhe gelesen und zu verstehn gesucht: aber sie hat die Quintessenz alles dessen was je gewesen ist, in der Form von Urtheilen zugefertigt erhalten, und sie stirbt am Ende ihrer Schulzeit vor Langerweile. Sie ist so überfüttert mit Notizen, so ungeschult in der Auffassung geistiger Vorgänge und schriftstellerischer wie rednerischer Leistungen, daß sie auf der Universität einem freien Vortrage, sei derselbe noch so durchdacht und noch so klar, zu folgen außer Stande ist, und daß ihr deswegen Jahr aus Jahr ein in so gut wie allen systematischen Vorlesungen diktiert wird.

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Man hat oft genug den Wunsch gehegt, eine konservative Partei zu gründen. Auch wer dies gethan, war selbst den Liberalismus nicht los, gegen welchen er doch zu kämpfen vorhatte. Die Gründung einer konservativen Partei ist eben auch eine Gründung wie alle anderen Gründungen, und wenn vielleicht auch zunächst irgend ein vermögender Geist aus seinen persönlichen Mitteln soviel hergäbe, um den Schein eines Erfolges hervorzurufen, auf die Dauer müßten die Dividenden bei dieser Gründung so gut ausbleiben, wie sie bei anderen Gründungen ausbleiben müssen. Nur die Natur lebt und zeugt, der Wille des Menschen kann das Erdreich von Steinen und Dornen säubern und kann es umgraben, er kann den Samen ausstreuen, aber nicht der menschliche Wille ist es, der die Saat aus dem von Gott mit Keimkraft ausgestatteten Samen in Gottes Luft und unter Gottes Thau und Sonne wachsen und gedeihen läßt.

Die konservative Partei – wenn ich einmal von Partei reden muß – wird an dem Tage entstehn, an welchem das königlich preußische Unterrichtswesen Altensteinscher Konfession über den Haufen geworfen, die Parteipresse zerstört, die Kirchenbildung frei gegeben, an welchem Familienehre als nothwendiges Erfordernis der Volksehre anerkannt, an welchem als unwiderrufliches Grundgesetz unsres Lebens verkündet worden ist, daß nur persönliche, verantwortliche, planmäßige Arbeit Werthe schafft, daß Alles was der Einzelne nicht selbst erwirbt, ihm und seiner Umgebung nicht zum Segen, sondern zum Unsegen gereicht, daß aber auch für Geist und Seele Niemand mehr bedarf, als was er selbst erarbeitet, weil niemals das Ergebnis und der Arbeitsstoff des Lebens, sondern immer nur das Leben das ist, worauf es ankommt.

Eine besonders entnervende Wirkung hat der Liberalismus auf die heut zu Tage im Mannesalter stehenden Gelehrten ausgeübt.

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Die jetzt im Mannesalter stehenden Gelehrten sind so gut wie Alle in einer religionslosen Atmosphäre aufgewachsen, die Religion aber ist es, welche dem Menschen eine Lebens- und Weltanschauung gibt, und es ist sehr schwer, daß Jemand, der nicht schon als Jüngling eine Lebens- und Weltanschauung irgend welcher Art besessen hat, als Aelterer sich eine solche verschaffe. Jene Gelehrten haben in Folge des beregten Mangels ihrer Erziehung niemals das Bedürfnis nach einer Weltanschauung empfunden, und sind so auf leicht erklärbare Weise dazu gelangt, liberal zu werden, das heißt, die einzelnen Fakta und deren Ordnung als das allein Nothwendige und das in diesem unverständlichen Leben allein zu Erreichende anzusehen.

Daraus ist weiter die antichristliche und irreligiöse Färbung der deutschen Gelehrsamkeit entsprungen. Wer eine Weltanschauung sein nennt, besitzt sie entweder als ein Geschenk der Religion seiner Kindheit, oder als einen Erwerb der harten Kämpfe, welche er als Mann um einen neuen Glauben geführt hat. Jede Weltanschauung ist religiös, weil die Welt nur als ein durch eine überwaltende Natur oder einen höchsten, klarsten, reinsten Willen Gesetztes und Zusammengefaßtes ein Ganzes ist: jede religiöse Anschauung erhebt den Anspruch die ausschließlich richtige und genügende, oder aber eine unbedingt richtige und wichtige Seite eines noch nicht bekannten Ganzen zu sein. Daher hat jeder Streit der nicht der Reactionspartei angehörenden Nicht-Liberalen wider die Liberalen die Wärme eines Kreuzzuges, eben darum jeder Streit der Liberalen gegen jene die höhnische Kälte und den bigotten Haß des Unglaubens. Die heut zu Tage im Mannesalter stehenden Gelehrten werden nicht leugnen, daß ihnen jedem nicht liberal gesinnten Gelehrten gegenüber, und wäre derselbe der freidenkendste, wohlwollendste, tüchtigste Mensch, in voller Seele unbehaglich zu Muthe wird: jede Gesammtanschauung schmeckt ihnen nach dem Mittelalter. Sie mögen in der Theorie dem Christenthume und der Religion noch so viel Gerechtigkeit widerfahren lassen, im Herzen sind sie Heiden, und sogar froh darüber, Heiden zu sein. Das ist aber ein Rückschritt: man hat das Recht über das Christenthum hinauszugehn, aber nicht das Recht hinter ihm zurückzubleiben.

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Der Sachverhalt wird noch deutlicher, wenn wir auf die neben uns wohnenden Juden blicken. Es ist bekannt, daß dieselben sich in großer Zahl und mit vielem Eifer die moderne Bildung anzueignen bemühen: der Erfolg ihrer Bemühungen ist nicht der gewesen, sie über sich hinauszuheben: mit ehrenwerthen Ausnahmen, welche die Regel nur bestätigen, sind sie trotz aller Bildung Juden geblieben: unser aus so verschiedenen Elementen zusammengewachsenes, in keiner Weise unduldsames Volk sieht sie noch heute trotz aller ihrer Bildung als Fremde an.

Was nützte uns das preußische Unterrichtswesen? sind unsre Zustände trotz seiner da? was nützte uns Falks Kulturexamen? sind die ihm unterworfen gewesenen jungen Geistlichen auch nur um eines Haares Breite besser als ihre Vorgänger, welche sich nach der Schulzeit keine frische Ladung Kultur in die Schädel gepackt haben?

Was ergibt endlich die liberale Wissenschaft als eben das, was man – das heißt, die unerzogene, ihren Leidenschaften hingegebene Masse – wünscht und weiß? Wer aber der Zeit nicht etwas bietet, was über die Zeit hinausreicht und hinausführt, was eben darum der Zeit unbequem ist, der hat seinen Lohn dahin.

Drei Dinge sind der Ertrag unsrer Bildung: schlechte Augen, gähnender Ekel vor allem was war, und die Unfähigkeit zur Zukunft.

Es wird erlaubt sein, am Schlusse dieser nur zur Erweckung des eigenen Nachdenkens meiner Leser geschriebenen Zeilen auf die jetzt brennend gewordene Judenfrage einzugehn, da diese Frage nur von denen richtig beantwortet werden kann, welche meine Grundanschauung über den Werth der Bildung theilen.

Die Aufregung ist unter der Jugend eine allgemeine: die älteren Generationen denken meistens wie der Nachwuchs, verhalten sich aber aus verschiedenen Ursachen still.

Einige siebzig Berliner, darunter nicht ganz wenige Mitglieder der preußischen Akademie der Wissenschaften, haben jene Aufregung durch eine am 12 November 1880 abgegebene Erklärung zu beschwichtigen gesucht: es ist dringend zu wünschen, daß die wissenschaftlichen Leistungen dieser Männer mehr taugen als ihre politischen: zu schreiben haben sie nicht verstanden, und den Thatsachen thun sie – was selbst in der Erregung des Augenblicks Führern nicht erlaubt ist – auf das Aergste Gewalt an.

Es fällt Niemandem in Deutschland ein, wie jene Leute behaupten, sich in Betreff der Juden gegen die sogenannte Toleranz zu versündigen: die Fähigkeit der Deutschen intolerant zu sein scheint durch die Leistungen der Falkschen Epoche erschöpft: Niemand hat jemals die in Deutschland wohnhaften Juden gehindert, ihre Söhne zu beschneiden, koscher zu essen, den Schabbeß und alle jüdischen Feiertage zu halten.

Daß es, wie jene Notabeln versichern, Christen aller Parteien gibt, denen die Religion die frohe Botschaft vom Frieden ist, wird man nicht bestreiten mögen: wünschenswerth wäre eine nähere Erläuterung dieses Satzes, der so wie er da steht, das Wesen des christlichen Glaubens nicht ausdrückt.

Daß der jüdische Stamm einst der Welt die Verehrung des einigen Gottes gegeben hat, ist nicht wahr. Einmal weiß die Mehrzahl der Bewohner unsrer Erde – Welt sagt man für Erde nur, wenn man nicht nachdenkt – sie weiß von einem einigen Gotte noch heute nichts, da die Mehrzahl dieser Bewohner, wie der jüdische Ausdruck lautet, heidnisch ist: sodann lehnt auch die christliche Kirche in so gut wie allen ihren Gestalten den Glauben an den einigen Gott ab, da sie an den dreieinigen Gott glaubt, und da sie denjenigen, der diesem ihrem Glauben gegenüber vom einigen Gotte redet, als geflissentlichen Feind ihres durch die faselnde Phrase von der frohen Botschaft vom Frieden nicht charakterisierten Wesens ansieht: drittens haben die Juden den angeblich einigen Gott selbst erst spät entdeckt, da der Dekalog Jahwe als einen Gott neben andern Göttern kennt, der Vers des Gesetzes V 6, 4 philologisch äußerst schwer zu verdauen ist, und die grobdrähtige Leiblichkeit des den ersten Menschen nach seiner Statur und seinem Aussehen knetenden, im Paradiese spazieren gehenden, bei Abraham Kalbsbraten essenden, dem Moses sich von der Nordseite zeigenden Judengottes einem etwa vorhandenen Monotheismus der Juden jeden Werth nimmt: da erst die Verquickung jüdischer Formeln mit platonischen Gedanken das hervorgebracht hat, was man anständiger Weise Monotheismus nennen darf: da endlich dieser so zur Existenz gebrachte Monotheismus philosophisch wie gemüthlich schlechthin nichts zu bedeuten hat.

Daß die Juden ein deutscher Stamm sind – auch das erfahren wir von jenen Notabeln –, möchte nicht Vielen einleuchten. Ebenso dürfte Bedenken erregen, daß jene großen Gelehrten als das gemeinsame Ziel aller Angehörigen des deutschen Reiches die Ausgleichung aller innerhalb der deutschen Nation – zu der übrigens die Juden nicht gehören – von früher nachwirkenden Gegensätze ansehen: eine gewisse Ausgleichung ist vielleicht Vorbedingung des Glücks, aber sicher nicht das Glück selbst, und wer nicht Meyerbeer heißt, wird ansprechendere Musik kennen als die in Oktavengängen ohne Nebenstimmen, also ohne Harmonie, sich abspielende.

Von Werth ist das Auftreten dieser Herren nur insoferne, als es die Stärke der von ihnen verurtheilten Bestrebungen erweist: denn auf einzelne Vorkommnisse des Neides, der Rohheit, des Uebermuthes pflegt man nicht mit einem Pronunciamento zu antworten, das kaum weniger anspruchsvoll auftritt als das der Secession, und dessen Unterzeichner von sich schwerlich eine besonders bescheidene Meinung hegen, also um eine Kleinigkeit ihre erlauchten Namen nicht in den Kampf werfen werden.

Wenn man es für denkbar erachtet, sich durch Anlernung gewisser Redensarten und durch Kenntnisnahme von bestimmten Thatsachen zu bilden, dann ist es natürlich gleichgültig, ob der so gebildete Mensch als Rohmaterial aus einem Rationalistenhause Preußens oder aus einer Talmudistenfamilie des russischen Polens hervorgegangen ist. Das Evangelium stellt aber an den Menschen nicht die Forderung gebildet zu sein, sondern die andere, sehr viel gewichtigere, aufs Neue geboren zu werden: ich habe schon früher darauf hingewiesen, daß Jesus zum Judenthume sich verhält wie Copernicus zu Ptolemaeus, daß er auf das Verlangen nach der Wiedergeburt eben durch das Judenthum gekommen sein wird, dessen inhaltlose, hölzerne Tautologie ihm vermuthlich dadurch nicht wirklich überwunden werden zu können schien, daß man ihr wie einem Mannequin irgend welche Gewänder überhienge. Die beiden Feinde Graetz und Geiger sind darin einig, den Pharisäismus als die höchste Blüthe anzusehen, deren ihre Nation fähig ist: Jesu Wort bei Matthaeus 23, 27 übt, wie an den Pharisäern, so an den modernen Bildungsschwindlern die schneidende Kritik, welche man von dem Urheber des bei Johannes 3, 3 verzeichneten Ausspruches erwarten durfte.

Nun befinden sich die Juden vor jener Forderung Jesu und der gesammten christlichen Kirche – ich meine, daß auch Socinianer, Unitarier und Protestanten neuesten Schlages sich ihr zu unterwerfen nicht anstehn werden – sie befinden sich vor dieser Forderung in einer sehr viel ungünstigeren Lage als alles Uebrige, was vom Weibe geboren wird. Der natürliche Mensch ist dem geistigen Leben gegenüber zunächst nur indolent, der Semit, vor allem der Jude, ist ihm gegenüber von Hause aus feindlich. Gerade darum ist dies der Fall, weil aus hier nicht zu nennenden Ursachen das Evangelium zunächst den Semiten, näher den Juden, gepredigt worden ist. Wer wie Israel, und durch Israel und den Koran Arabien, ein gewisses Maß geistigen Lebens schon vor dem Evangelium besessen hat, der kann dem Evangelium gegenüber nicht gleichgültig sein: er wird durch dessen Verkündigung entweder sehr viel besser oder aber sehr viel schlechter als er war. Das ist der tiefste Grund der Erfolglosigkeit, welche christlicher Mission gerade Muhammedanern und Juden gegenüber eigenthümlich ist: Juden und Muhammedaner sind nicht so nahe unter dem Nullpunkte, wie andere nicht wiedergeborene Menschen, sondern gerade in Folge ihrer einst vorhandenen Beziehungen zur Wahrheit ganz erheblich tiefer in der Minus-Scala als alle Andern: sie sind nicht, wie andre Menschen, krank, sondern verhärtet. Es gibt Menschen und Völker, denen Jesus, wie er selbst es gesagt hat, zum Gerichte gekommen ist.

Schon oft habe ich auseinandergesetzt, daß jede Religion, so lange sie lebt, behaupten muß die allein wahre zu sein. Danach würde ich auch dem Judenthume Intoleranz nachsehen, aber doch nur dem Judenthume, welches Religion wäre. Allein ein solches Judenthum kenne ich seit fast zwei Jahrtausenden nicht als officielle Synagoge, ich kenne solches Judenthum stets nur als die Religion Einzelner, deren Dasein niemand bestreiten darf, der sich erinnert, daß auch Jesus ein Jude war, und daß nach Jesu Wort der Geist wo er will wehet. Dadurch daß die Kirche die Aufgabe in die Hände nahm, welche die späteren Propheten ihrem Volke gestellt, und welche dies Volk nicht hatte lösen können, dadurch daß die Kirche diese Aufgaben ebenso vertiefte und vergeistigte, wie die Platoniker des Pentateuchs plumpsinnliche Erzählung von der Gottbildlichkeit des Menschen vertieft und vergeistigt hatten, und dadurch, daß Israel nicht Wort haben wollte, daß es mit Recht das Heft aus den Händen habe geben müssen, dadurch ist Israel so tief gesunken, nur die Herrschaft über alle Völker als sein Ideal anzusehen, nicht aber die Herrschaft als die von selbst kommende Folge des Segens zu erwarten, welchen es der Erde gebracht hätte. Das nachchristliche Israel verhält sich zu der geschichtlichen Entwickelung, wie der neue Schelling zu Hegel, wie Beust und Harry Arnim zu Bismarck, das heißt, es ist ein impotenter Neider und Kläffer.

Man täuscht sich übrigens sehr, wenn man meint, die Judenfrage sei eine Religions- oder Toleranzfrage: sie ist ebenso sehr eine Machtfrage, wie die katholische Frage eine Machtfrage ist, nur daß Rom den Katholicismus wenigstens in Deutschland noch nicht so überwuchert hat, wie das antievangelische Judenthum es mit dem alten Israel seit Jahrhunderten gethan. Auch Geldbesitz und die Monopolisierung der Presse sind für das moderne Judenthum nicht Selbstzweck, sondern nur Mittel der Herrschaft.

Unsre Aufgabe den Juden Deutschlands gegenüber – es ist ein Unglück, daß wir diese Juden nicht von den ihnen gleichen Juden der übrigen Länder scharf scheiden können – unsre Aufgabe wird uns nicht von der Nächstenliebe, sondern (man vergleiche die Thora V 15, 3 17, 15 23, 20 21) von der Feindesliebe diktiert. Diese Feindesliebe aber wäre feige, wenn sie nicht vor allen Dingen die thatsächliche Lage der Dinge klar zeichnen, und wenn sie nicht aussprechen wollte, daß Juden in dem so viele fremde Elemente enthaltenden Deutschland sehr wohl aufgenommen werden können, und auch vielfach, und zwar zur herzlichen Freude ihrer Freunde, bereits aufgenommen worden sind, daß sie aber nur um den Preis aufgenommen werden können und dürfen, dem asiatischen oder aegyptischen Kastenwesen der Kohns und Levis, das seine Proselyten nur als Juden zweiter Klasse ansehen muß, ihrem Pochen auf vorzugsweises Begnadigtsein, ihren Ansprüchen auf Weltherrschaft, der Verbindung mit ihren außerhalb Deutschlands wohnenden Blutsverwandten, ihrer aus einer werthlosen statistischen Notiz und den groteskesten Riten bestehenden Religion rückhaltslos zu entsagen. Aber auch unsere Nächstenliebe wäre feige, wenn sie nicht den Deutschen sagte, daß Deutschland die bei ihm Sohnschaft suchenden Juden mit seinen alten Kindern zu verschmelzen nur dann im Stande sein wird, wenn es den gäng und gäben Ansichten über den Werth der, wie die Redensart lautet, freimachenden Bildung Valet gesagt, und statt dieser befreienden Bildung die innerlich bindende neue Geburt aus dem heiligen Geiste heraus und in sein eigenstes, geschichtlich gewordenes Wesen hinein als das Nothwendige erkannt und an sich erlebt hat. So deutlich mich dies ausgedrückt zu sein dünkt, setze ich doch, um ja alle Misverständnisse hintanzuhalten, neben diese Sätze noch ausdrücklich die in ihnen schon liegende Erklärung hin, daß ein bloß äußerlicher Austritt aus dem seit 1800 Jahren ganz und gar unmöglichen Judenthume, das fast zwei Jahrtausende lang der Geschichte nichts gebracht hat, was auch nur einen Deut werth gewesen wäre, und ein bloß äußerlicher Eintritt in das nicht als das Ergebnis einer ungefähr zweitausendjährigen Geschichte gefaßte Deutschland unnütz, ja geradezu schädlich ist.

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Niemand vermag sich dem Einflusse eines in völligem Ernste von allen Seiten auf ihn eindringenden Lebens zu entziehen. Sind die Juden in Deutschland zur Zeit noch ein fremder Körper, so beweist dieser Umstand, daß das Leben Deutschlands nicht energisch und nicht ernst genug ist: dann hat aber die Nation die Pflicht, diesem sehr erheblichen Mangel abzuhelfen. Jeder uns lästige Jude ist ein schwerer Vorwurf gegen die Echtheit und Wahrhaftigkeit unsres Deutschthums. Allerdings kann die Nation nicht energisch und ernst sich selbst leben – dies sich selbst verstehe ich sowohl als Accusativ wie als Dativ –, wenn die Regierungen ihr nicht den Ballast vom Halse und von der Seele nehmen, mit welchem wohlmeinender, aber sehr einfältiger Liberalismus sie drückt – das preußische Unterrichtswesen und das Staatskirchenthum sind mit die schlimmsten Stücke dieses Liberalismus –: unsre Juden aber werden auch selbst dann, wann jener Ballast abgethan sein wird, nicht aufhören Juden zu sein, wenn unsre Regierungen nicht außer jenem Liberalismus auch die grauenhafte Schuldenmacherei in Staat und Gemeinden abstellen, auf deren Procenten das Judenthum seine materielle Existenz mühelos und verächtlich begründet hat: die Juden bleiben Juden, weil wir zu gebildet sind, sie bleiben Juden nicht allein durch unsre Schuld, sondern auch durch unsre Schulden. Die Beantwortung der deutschen Judenfrage wird vorbereitet werden nicht durch die Ministerien der Justiz und des Innern, sondern durch die des Kultus – man verstehe mich wohl: ich sage nicht, des Unterrichts – und der Finanzen: sie wird zu Ende geführt werden nur durch das deutsche Volk, in welchem dasselbe heiße, das fremde Eis schmelzende Leben auch im Frieden pulsieren muß, welches im letzten Kriege selbst die unter uns wohnenden Palaestinenser dienstpflichtigen Alters in die Bahn deutschen Empfindens und deutschen Handelns zu unsrer großen Genugthuung hineingerissen hat.

Nur Antiliberale sind wirkliche Judenfreunde, wie nur Antiliberale wirkliche Freunde Deutschlands sind. Juden und Liberale sind naturgemäß Bundesgenossen, denn jene wie diese sind nicht Naturen, sondern Kunstprodukte. Wer nicht will, daß das deutsche Reich der Tummelplatz der Homunculi werde, der muß gegen Juden und Liberale – dies Wort in dem oben angegebenen Sinne genommen – Front machen.

Ich fasse zusammen:

Das höchste Lob, welches des deutsche Volk ertheilt, ist das der Echtheit. Urtheile man, wie dies Volk über diejenigen denken muß, welche sich ihm als die Gebildeten gegenüberstellen: urtheile man, mit welchen Gefühlen es unsre Zustände in Staat, Schule und Kirche betrachten wird: mache man sich klar, wie Deutsch den Deutschen das neue Reich vorkommt.

Zur Echtheit können wir uns nicht allein verhelfen: die Regierungen müssen dadurch das Ihre für uns thun, daß sie geflissentlich alles künstlich Gemachte fortschaffen, und daß sie mit dem sicheren Blicke sachverständiger Liebe das Wachsen dessen befördern, was aus dem von Schutt gereinigten alten Boden emporkeimen wird: noch sind die Wurzeln unsres Wesens lebendig.

Quelle: Paul de Lagarde, „Die graue Internationale“ (Februar 1881), in Deutsche Schriften. Gesamtausgabe letzter Hand. Göttingen: Dieterichsche Verlagsbuchhandlung, 1886, S. 399–414.