Quelle
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3. Bürgerliche Beschäftigung der Juden.
Ein dritter Punkt, den Herr Dr. P. vom Standpunkt des öffentlichen Interesse aus gegen die Juden geltend macht, ist die bürgerliche Beschäftigung Vieler von ihnen, der Handel, und die Art, wie sie ihn treiben. Dieser Gegenstand führt, von seinem rechten Standpunkte, von einfachen, den allgemeinen Nutzen im Auge habenden staatswirthschaftlichen Grundsätzen aus betrachtet, zu den allereinfachsten legislativen Resultaten, wird aber leider oft verwirrt durch das Einmischen fremdartiger religiöser (oder, wie Hr. Dr. P. sie genannt haben will, nationaler) Beziehungen, woran sich denn vielfach eine Tendenz anschließt, die das Interesse der Wenigen, die Vortheil davon hoffen, die Juden von der Konkurrenz ausgeschlossen zu halten[1], auf Kosten des Nutzens der Gesammtheit der Konsumenten, die von jeder Konkurrenz, da sie unbedingt frei zu wählen befugt sind, Vortheil ziehen, geltend zu machen und diese ihre Absicht unter allerhand Vorspiegelungen zu verhüllen sucht.
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Aber lächerlich ist es, […] als wenn der Handel derjenigen Juden, die einen gesetzlich Jedem erlaubten Handel – denn für den unerlaubten sind Straf-Gesetze da, die auf Juden, wie auf Christen anwendbar sind – treiben, etwas besonderes und besonders schädliches sei. Herr Dr. P. spricht hier von Dingen, von denen er einmal von ferne hat reden hören, ohne einen deutlichen Begriff damit zu verbinden. Er weiß offenbar nicht, wovon er spricht, wenn er z. B. S. 40 das Abschließen von Geschäften zwischen Käufern und Verkäufern, das Makler-Geschäft, als etwas verderbliches, den Juden ganz eigenthümliches darstellt. Jeder, der den Gang kaufmännischer Geschäfte in Handels-Städten nur wenige Augenblicke beobachtet hat, hätte ihm sagen können, daß dort alle Handels-Geschäfte durch Makler abgeschlossen werden, und daß z. B. in Paris der Stand der Waaren= und Wechselmakler (courtiers de commerce, agen[t]s de change) ein sehr geachteter ist.
Herr Dr. P. spricht auch sehr viel vom „Schacher“, und definirt ihn S. 47 als einen „wegen eines unbestimmten wucherlichen Gewinns mit jedem schnell zu erhaschenden Gegenstande getriebener Zwischenhandel.“ Ich will es praktischen Staatsmännern überlassen, zu entscheiden, ob dieser Begriff die nöthige Bestimmtheit hat, um zur Grundlage eines Gesetzes zu dienen. Aber vor Allem ist hier die einfache Frage zu stellen, die allein zu einem Resultate führen kann, und über welche Herr Dr. P. nirgends eine rechte Auskunft giebt, und dadurch die Sache in ein verwirrendes Helldunkel bringt: ist die hier bezeichnete Art des Handels, für Juden und Christen, erlaubt oder verboten? Denn das muß vorausgesetzt werden, daß die Gesetzgebung keines civilisirten[2] Staats mehr den ersteren etwas erlaubt, was sie den zweiten verbietet: und sollte so etwas noch irgendwo existiren, so wäre es die Aufgabe der Gesetzgebung, dergleichen Unkraut sofort mit der Wurzel auszureißen. – Ist sie nun erlaubt, und halten Die, die sie treiben, sich in den Gränzen des gesetzlich erlaubten, so ist es Unsinn, es gegen sie geltend zu machen, daß sie sich eines ihnen gesetzlich freistehenden Erwerbs bedienen. Ist sie aber verboten, wie es allenthalben der Wucher, wie es in manchen Ländern, für Juden und Christen, der Hausirhandel ist, so daß Diejenigen, die sie treiben, sich der Uebertretung eines Gesetzes schuldig machen, nun so bestrafe man sie dafür mit der gesetzlichen Strafe, lasse aber ihr Vergehen Die nicht entgelten, die nichts gemein damit haben. Lauheit in der Anwendung der bestehenden Gesetze, Nachlässigkeit der Richter und Beamten und daraus hervorgehende Straf-losigkeit der wirklichen Uebertreter wird doch wohl eine Gesetzgebung, die auf Ehre hält, nicht als einen legislativen Grund geltend machen wollen? Und wo eine solche Lauheit und Nachlässigkeit gegen gewisse Vergehungen Statt findet, wird sie da nicht mindestens auf gleiche Weise gegen Christen wie gegen Juden geübt? Ist nicht, wo jüdischer Wucher straflos ist, mit dem christlichen dasselbe der Fall?
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Von der anderen Seite machen die Gegner der bürgerlichen Gleichstellung der Juden, besonders in den Ländern, wo es sich noch um Gewerbefreiheit handelt, gar kein Geheimniß daraus, daß sie die ausschließenden Gesetze als ein Mittel der Hemmung der Konkurrenz betrachten[3]! Es ist eine traurige, in Deutschland allein heimische Erscheinung, daß bei der Beurtheilung einer Frage, die die edelste Freiheit, die höchsten moralischen Interessen der Menschheit angeht, so erbärmliche Rücksichten einzuwirken im Stande sind. Nie hat ein Britte, nie hat ein Franzose es gewagt, in einer solchen Sache solche Argumente geltend zu machen: und fürwahr nie würde es ein Deutscher gewagt haben, wenn Deutschland eine Gesetzgebung hätte! Nur in den engen Kreisen der allerkleinsten Staaten haben solche Rücksichten je auch nur einen Augenblick das Uebergewicht gewinnen können.
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4. Das Problem also, mit dessen Lösung auf dem Papiere sich Hr. Dr. P., wenn es ihm Vergnügen macht, gern weiter beschäftigen möge, ist im Leben längst gelöst,[4] und die vorliegende Frage ist nicht so zu stellen, ob die Gesetzgebung wohl daran thun werde, die Juden als der Nation des Staates (nach dem Ausdruck des Hrn. Dr. P.) angehörig, anzuerkennen, sondern ob sie wohl daran gethan habe, und ob sie die aus dieser Anerkennung in einfacher Konsequenz nothwendig hervorgehenden Folgen in Wirksamkeit treten lassen solle. Diese Frage ist nun zu erörtern. Was Hr. Dr. P. für seine Ansicht anführt, läuft alles darauf hinaus, daß die Juden nach eigenen Gesetzen leben. Um hier klar zu sehen, ist nichts erforderlich, als daß man solche Gesetze, welche bürgerliche Gegenstände betreffen, von solchen trenne, die von Denen, die sie halten, als aus der Religion einzig und allein hervorgehend, betrachtet werden. Nach eignen Gesetzen über Heirathen,[5] Ehescheidungen, Erbschaften, Kontrakte und ähnliche Verhältnisse leben die Juden sicherlich nicht in dem zwanzigsten, eigne Gerichte zur Entscheidung nach diesen Gesetzen haben sie nicht in dem funfzigsten Theile von Deutschland mehr.[6] Wo dergleichen noch existirt, wird sein kümmerliches Dasein nur durch die unverzeihliche Trägheit einer Gesetzgebung gefristet, die den alten Wust anzurühren sich scheuen muß, um nicht an die Forderungen des Rechts und der Staats-Klugheit, rücksichtlich der Juden überhaupt, gemahnt zu werden. Allenthalben aber wird die Gesammtheit der Juden mit Freuden alles dahin Gehörige aufgeben, wenn man ihnen nur ein beschränktes Bürgerrecht, geschweige denn, wenn man ihnen die volle rechtliche Gleichheit dafür gestattet. Aber in den Staaten, wo die Juden Bürger sind, dürften solche Eigenheiten ohnehin auf keine Weise geduldet werden, da sie der Stellung des Bürgers durchaus widersprechen; die allgemeine Erfahrung zeigt aber auch, daß die Juden ihrer Aufhebung nie und nirgends Schwierigkeiten in den Weg legen.
5. Aber es giebt eine ganz andere Art von Bestimmungen, die auch den Namen von Gesetzen führen – insbesondere die über die Beschneidung, den Sabbath und die Speise-Verbote – auf ähnliche Weise, wie die katholischen Bestimmungen über die Fasten Fasten-Gesetze genannt werden. Diese Bestimmungen werden von den Juden insgesammt als von der Religion ausgehend, betrachtet: denn selbst Diejenigen, – deren Anzahl aller Orten sehr beträchtlich ist, – die davon abweichen, gehen dabei von der Ansicht aus, daß ihre Religion auf einer höheren Entwickelungs-Stufe dieser Aeußerlichkeiten entbehren könne, nicht aber, daß dieselben vom Anfang an mit der Religion in keiner Beziehung gestanden. Hr. Dr. P. nun hält das für einen Grund-Irrthum, und ist der Meinung, daß jene Gesetze schon bei Moses etwas rein politisches, ein Ausfluß rein nationaler Gesetzgebung, die der Religion ganz fremd war, gewesen sein. Wir wollen das einmal zugeben: worauf beruht denn nun unser Irrthum? doch darauf, daß wir Verpflichtungen, die es nicht sind, für Religions-Pflichten halten, nicht darauf, daß wir sie üben, nachdem wir sie für der Religion fremd, für der politischen Gesetzgebung angehörig, erkannt haben. Hr. Dr. P. begeht hier den sonderbaren Fehler, daß er uns unvermerkt seine „richtigere“ Ansicht unterschiebt, während er uns doch so sehr wegen unserer traurigen Begriffs-Verwirrung bedauert. Daß wir[7] jene Gesetze beobachten, weil wir sie, der Ansicht des Hrn. Dr. P. entgegen, für religiöse[8] halten, nicht aber, wie Hr. Dr. P. die Sache dreht, „weil wir uns durch unsere Religion verpflichtet glauben, eine besondere Nation zu bleiben," geht auf's klarste daraus hervor, daß wir uns insgesammt in allen den Beziehungen, die wir als dem bürgerlichen Gesetz angehörend betrachten, für verpflichtet halten, den Gesetzen des Landes unbedingt zu gehorchen, während Keinen von uns sich verpflichtet glaubt, von jenen anderen Gesetzen im Allgemeinen um des Staates willen abzuweichen.
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9. Diese Betrachtung führt mich auf den eigentlichen Wendepunkt der ganzen Theorie des Herrn Dr. P., ohne welchen sie in allen ihren Theilen über den Haufen fällt, nämlich darauf, daß er den Uebertritt zum Christenthum zu einer (und zwar im Grunde zu der einzigen) Garantie Deutscher Nationalität, also aus einem religiösen zu einem politischen Akte macht. Es ist unbegreiflich, wie ein Mann, der sein Leben lang die Trennung von weltlichen und kirchlichen Dingen vertreten hat, auf diesen Abweg gerathen, wie er jenes inhaltreiche Wort: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers, und Gott, was Gottes ist,“ so ganz vergessen konnte, Wie? der Uebertritt zum Christenthum soll nicht die Anerkennung seiner Lehren, seiner Heiligkeit, seines göttlichen Ursprungs, sondern den Wunsch bedeuten, den anderen Bürgern an Rechten gleich zu sein? Solche Windungen und Wendungen glaube ich mit Recht schon früher mit dem Namen „Jesuitismus der Aufklärung“ bezeichnet zu haben. Nur eine tiefe Verachtung der Religion kann sie zum Zeichen für etwas außer ihr liegendes, für etwas Anderes, als sie selbst ist, herabwürdigen wollen. Nur ein hoher Grad von Geringschätzung gegen den Staat kann als Gewähr dafür, daß man ihm angehöre, nicht die Erfüllung der Pflichten, nicht den Gehorsam gegen die Gesetze, die der Bürger ihm schuldig, sondern einen Akt verlangen, der einer ganz anderen Sphäre angehört und angehören muß. Die Religion hat ihren Glauben, der Staat hat seine Gesetze; das Bekenntniß des Glaubens führt zur Religion; der Gehorsam gegen die Gesetze macht zum Bürger des Staates; die Verwirrung beider aber führt zur Verkennung beider, zum Leichtsinn und zur Lüge.[9] Was würde Herr Dr. P. dazu sagen, wenn man in einem katholischen Staate die Ausschließung der Protestanten damit rechtfertigen wollte, daß man verlange, sie sollten durch den Uebertritt zum Katholicismus sich „der Nation des Staates", die aus Katholiken bestehe, anschließen? Würde er nicht ein gewaltiges Geschrei erheben über Intoleranz, über Vermengung von Staats- und Kirchengewalt?[10] Hält er aber seiner Kirche, weil sie ihm einmal als die bessere erscheint, Alles erlaubt, so vergesse er nicht, daß jede andere zu derselben Meinung von sich berechtigt ist.
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10. Es giebt nur eine Taufe, die zur Nationalität einweihte: das ist die Taufe des Bluts in dem gemeinsamen Kampf für Freiheit und Vaterland! „Ihr Blut hat sich mit dem unsrigen auf den Schlachtfeldern vermischt“, das war das Machtwort, womit man in den Französischen Kammern die letzten ohnmächtigen Regungen von Unduldsamkeit und Abneigung zu Boden schlug. Auch die Deutschen Juden haben sich diesen vollgültigen Anspruch auf Nationalität vollgültig erworben. Die Juden sind in Deutschland allenthalben kriegspflichtig; sie waren es allenthalben vor den Befreiungs-Kriegen. Es haben in diesen Kriegen Juden als Freiwillige sowohl, wie als Kriegspflichtige, in verhältnißmäßiger Anzahl, in den Reihen der Deutschen gekämpft; es hat sich in den Heeren verschiedener Staaten eine nicht unbeträchtliche Anzahl durch persönliche Auszeichnung Ehrenstellen erworben. Es ist ein notorisches Faktum, daß z. B. in Preußen im Laufe des Krieges mehrere solche Fälle vorgekommen, daß man hingegen seit der Zeit des Friedens keine solche Avancements mehr hat Statt finden lassen, vielmehr den Juden in der Armee die Taufe als eine unerläßliche Bedingung jeder Beförderung vorgeschrieben worden:[11] ein unabweislicher Beleg für die doppelte Wahrheit, daß sich Juden im Kriege für das Deutsche Vaterland wirklich ausgezeichnet haben, und daß sie nur durch wirkliche Auszeichnung Beförderung zu erhalten im Stande sind. Und gerade die gesetzliche Möglichkeit des Avancements ist es, von der die Gesetze mehrerer Deutscher Staaten, z. B. Badens, die Juden ausschließen, und diese Ausschließung ist gerade einer von den Punkten, auf deren Aufhebung das Bestreben nach bürgerlicher Gleichstellung am entschiedensten gerichtet ist. Man hat es nirgends verschmäht, auf den zu Ehren der im Befreiungs-Kriege gefallenen Krieger errichteten Denkmälern die Namen der Juden neben die der Christen zu setzen;[12] man würde es abermals nicht verschmähen, wenn das Deutsche Vaterland seine Söhne wieder zu den Waffen riefe! Aber den Lohn der Ehre für die Tapferkeit seiner Söhne, wenn sie nicht christlichen Glaubens sind, hat das Vaterland vieler Orten nicht zu ertheilen! Die Waisen der Gefallenen haben nicht den Trost, daß ihr Vater für das Vaterland, dem sie im vollen Sinne des Worts als gleich berechtigte Bürger angehören, sein Leben hingegeben! Der letzte Seufzer der Sterbenden wird nicht durch den Gedanken erheitert, daß ihre Waisen Kinder des Vaterlandes sind, das ihnen den Vater geraubt; er kann ihnen nur ein Stiefvaterland hinterlassen, das sie, wo es ihre Rechte gilt, als Fremde betrachten möchte! Das ist das geltende Recht, das sind die Gesetze, die man vor Eurem Gewissen, Deutsche Gesetzgeber, durch künstliche Phrasen rechtfertigen will. Fragt Euer Gewissen: es wird Euch antworten!
Anmerkungen
Quelle: Gabriel Riesser, Vertheidigung der bürgerlichen Gleichstellung der Juden gegen die Einwürfe des Herrn Dr. H. E. G. Paulus: den gesetzgebenden Versammlungen Deutschlands gewidmet. Altona: Johann Friedrich Hammerich, 1831, S. 25, 29–31, 33–34, 42–45, 53–54, 56–57. Online verfügbar unter: http://mdz-nbn-resolving.de/urn:nbn:de:bvb:12-bsb10571144-0