Kurzbeschreibung

Dieser Abschnitt eines 1891 verfassten Rückblicks anlässlich des 25. Gründungstags des Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts (1866) zeigt, wie sich dessen Aktivitäten auf die Verbesserung der Berufschancen mittelständischer Frauen konzentrierten. Obwohl er angesichts eines männlichen Gründers und zumeist männlicher Vorstandsmitglieder mitnichten eine feministische oder oppositionelle Gruppe darstellte, erregte er dennoch Aufsehen und wurde sogar von der preußischen Kronprinzessin Viktoria unterstützt.

Gründung des Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts (Rückblick, 1891)

Quelle

III. Die Begründung des Vereins zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts.

Der Vorstand und Ausschuß des Centralvereins füllte seine Sitzung am 8. November 1865 gänzlich mit der Beratung der Denkschrift aus und kam nach recht eingehenden Erwägungen zu dem Beschlusse, der Verein sei berechtigt und verpflichtet, die Frauenfrage in der in der Denkschrift besprochenen Richtung in die Hand zu nehmen, durch Schrift und Rede dafür zu wirken und sofort eine mit der nächsten Generalversammlung zu verbindende öffentliche Besprechung der hochwichtigen Angelegenheit zu veranlassen. Zur weiteren Beratung der Sache wurde eine Kommission bestellt, welche überaus fleißig arbeitete und welcher aus dem Publikum zahlreiche Zuschriften und Anerbietungen zugingen, ein Beweis, daß die Angelegenheit sofort viel Anklang gefunden hatte. In ihrer am 15. November 1865 abgehaltenen Sitzung einigte man sich darüber, die Genehmigung der folgenden Sätze zu empfehlen:

1. Obschon das Wirken der Frauen in der Familie die ursprünglichste und wichtigste Aufgabe des weiblichen Berufs ist und bleibt, so dürfen dem weiblichen Geschlechte gewerbliche Berufstätigkeit nicht verschlossen werden.

2. Das weibliche Geschlecht, welches in Deutschland zur Zeit weniger als in anderen Ländern gewerblich beschäftigt ist, eignet sich vollkommen zur erwerbsmäßigen Beschäftigung bei den meisten Handels- und technischen Verrichtungen.

3. Da sich der Lohn nach den Leistungen zu richten hat, so ist es nicht gerechtfertigt, die Arbeit der Frauen bei gleichen Leistungen niedriger als die der Männer zu bezahlen.

4. Um diejenigen Mädchen, welche auf Grundlage einer vollständigen Ausbildung sich einem gewerblichen Berufe widmen wollen, dazu geschickter zu machen und ihre Leistungen einträglicher, wird die Errichtung von Fortbildungs- (Fach-)Schulen für dieselben empfohlen.

5. Die Teilnahme der Schülerinnen an dem auf die notwendigen Lehrgegenstände zu beschränkenden Unterricht bleibt bezüglich der verschiedenen Gegenstände dem freien Ermessen überlassen. Zur Erlernung hat die Schule, so weit wie nötig, nur Gelegenheit zu bieten.

6. Neben dem Unterricht empfiehlt sich für die Vorbildung der Schülerinnen die praktische Unterweisung in kaufmännischen und industriellen Geschäften, deren Inhaber dazu bereit und befähigt sind.

7. Sehr wünschenswert zur Herbeischaffung des beabsichtigten Erfolges ist die Gründung von Vereinen, insbesondere von Frauenvereinen, welche unter Beistand gewählter Männer die oben angedeuteten Mittel und Wege zur Erweiterung und Verbesserung der Erwerbsgebiete der Frauen verfolgen.

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Am 13. Dezember 1865 war der große Saal des Englischen Hauses dicht gefüllt von einer aus Männern und Frauen der intelligentesten Gesellschaftsklassen Berlins bestehenden Versammlung. Wie ein Blitz hatte die Frage, welche Präsident Lette aufgeworfen, in alle Kreise der Bevölkerung eingeschlagen; in jeder Familie, in jeder Gesellschaft wurde sie lebhaft erörtert, fand sie begeisterte Anhänger und erbitterte Gegner, doch war dem Übelwollen, dem Vorurteil und dem Spott die schärfste Spitze von vornherein abgebrochen. Zu rein, zu unantastbar stand dafür die Person desjenigen da, der sich zum Träger der Sache gemacht hatte und der nun auch in seiner schlichten, herzgewinnenden Weise die Versammlung eröffnete.

„Der Gegenstand empfiehlt sich auf gleiche Weise aus dem Gesichtspunkte der Humanität und Gerechtigkeit, wie aus dem der Volkswirtschaft“, sagte Präsident Lette nach der Begrüßung [].

[Am 27. Februar 1866 fand die erste konstituierende Versammlung statt, der Verein zählte 300 Mitglieder und erhielt den Namen: Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechtes.]

Präsident Lette durfte die Versammlung mit der freudigen Mitteilung eröffnen, das Ihre Königliche Hoheit die Frau Kronprinzessin durch ein Schreiben ihres Kabinettssekretärs, des Kammerherrn Major von Normann, ihre huldvolle Teilnahme an den Bestrebungen des Vereins habe aussprechen lassen, welche auch doch durch ein Geschenk von 500 Thalern bestätigt worden sei.

Zum ersten Male war in Verbindung mit dem Verein zur Förderung der Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechtes der Name der hohen Frau genannt worden, welcher fortan auf das innigste mit seiner Geschichte verwebt bleiben sollte, dem wir auf jedem Blatte derselben zu begegnen haben werden, nicht nur als Protektorin, die sie auf Bitte des neugewählten Vorstandes ward, sondern auch als kluge, weitblickende Beraterin, als tätige Helferin, als Gönnerin und Freundin, welche im höchsten Erdenglück wie im herbsten, tiefsten Leid nie die Arbeitsstätten des Vereins aus den Augen verlor, allezeit die schützende Hand darüber hielt.

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V. Die Organisation des Vereins und die ersten Jahre seiner Wirksamkeit.

Das Statut des Vereins bestimmte als Ziele, deren Erreichung vorzugsweise ins Auge gefaßt werden sollten:

1. Beseitigung der der Erwerbstätigkeit der Frauen entgegenstehenden Vorurteile und Hindernisse; 2. Beförderung von Lehranstalten zur Heranbildung für einen kommerziellen und gewerblichen Zweck; 3. Nachweisung gewerblicher Lehrgelegenheiten und Vermittlung der Beziehungen zwischen Arbeitnehmern und Arbeiterinnen, soweit nicht durch bestehende Anstalten bereits genügende Vorsorge dafür getroffen ist; 4. Begründung von Verkaufs- und Ausstellungslokalen für weibliche Handarbeiten und künstlerische Erzeugnisse; 5. Schutz selbständig beschäftigter Personen weiblichen Geschlechtes gegen Benachteiligung in sittlicher oder wirtschaftlicher Beziehung, vorzugsweise durch Nachweisung geeigneter Gelegenheit für Wohnung und Beköstigung.

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Quelle: Geschichte der fünfundzwanzigjährigen Wirksamkeit (1866 bis 1891) des unter dem Protektorat Ihrer Majestät der Kaiserin und Königin Friedrich stehenden Lette-Vereins zur Förderung höherer Bildung und Erwerbsfähigkeit des weiblichen Geschlechts Beteiligte Personen und Organisationen. Festschrift zur 25jährigen Jubiläumsfeier des Lette-Vereins 1866–1891 [Lette-Verein, 1891], S. 8–11, 17–18. Online verfügbar unter: https://www.deutsche-digitale-bibliothek.de/item/PEVHJLV72TRWSSBJKRLD47D4VOXWGSOB