Kurzbeschreibung

Der Augsburger Reichstag von 1555 wird allgemein als Wendepunkt von der bewegten Zeit der protestantischen Reformation in den deutschen Territorien zur darauf folgenden Ära der Festigung und Verhandlung zwischen den Konfessionen betrachtet. Nach zwei Kriegen—dem Schmalkaldischen Krieg von 1546–47 und dem Fürstenaufstand von 1552—beschlossen König Ferdinand und die mächtigsten Fürsten, eine vorübergehende Lösung der Religionsspaltung auszuhandeln. Die wichtigste Leistung des in vielerlei Hinsicht bedeutenden Reichstags zu Augsburg war dessen Beschluss hinsichtlich der Religionsfrage, der sogenannte „Religionsfrieden“. Kurz gesagt, ermöglichte der Religionsfrieden die politische Restauration, indem er die bisher für unmöglich gehaltene Vielfalt der Religion akzeptierte. Allerdings schrieb er lediglich die Duldung jener Gläubigen vor, welche die Augsburger Konfession (1530), das Glaubensbekenntnis der lutherischen Christen, anerkannten. Offiziell blieb das Reich Rom verbunden und katholisch. Unter den zahlreichen religiösen Friedensschlüssen, die infolge der Reformation getroffen wurden, zeichnete sich die Lösung des Reiches—die nur bis zur Wiederherstellung der christlichen Einheit gelten sollte—durch ihre Berücksichtigung des besonderen politischen Charakters des Reiches aus. Bis auf einige Ausnahmen lag das Recht der Reformation [ius reformandi] allein bei den Fürsten und anderen Mitgliedern des Reichstags, welche somit von ihren Untertanen verlangen konnten, ihre Religion anzunehmen oder das Land zu verlassen. Zwar wurde der Religionsfriede im frühen 17. Jahrhundert gebrochen, doch schließlich 1648 durch den Westfälischen Frieden wiederhergestellt und auch den Calvinisten gewährt. Er sollte bis 1803 die rechtliche Grundlage der konfessionellen Koexistenz bleiben.

Der Augsburger Religionsfriede (25. September 1555)

Quelle

Wir Ferdinand von Gottes Gnaden Römischer König, zu allen Zeiten Mehrer des Reichs, in Germanien, von Ungarn, Böhmen, Dalmatien, Kroatien und Slawonien etc. König, Infant in Spanien, Erzherzog von Österreich, Herzog von Burgund, von Braband [im heutigen Belgien], von Steyr, von Kärnten, von Krain, von Luxemburg und von Württemberg, Ober- und Niederschlesien, Fürst von Schwaben, Markgraf des Heiligen Römischen Reichs von Burgau [im heutigen bayrischen Schwaben], von Mähren, Ober- und Niederlaußnitz, Gefürsteter Graf von Habsburg, von Tirol, von Pfirt [Oberelsaß], von Kiburg [Schweiz] und von Görz [in der heutigen italienischen Provinz Gorizia] etc., Landgraf im Elsass, Herr auf der Windischen Mark [Slowenische Mark, Unterkrain], von Portenau [in der heutigen italienischen Provinz Udine] und von Salins [Freigrafschaft Burgund], etc. bekennen öffentlich und verkünden jedermann: Nachdem die Römische Kaiserliche Majestät [Karl V.], Unser lieber Bruder und Herr, aus hochdringenden Gründen, vornehmlich aber darum, weil Ihre Majestät befunden hat, daß die Satzungen, Ordnungen und Abschiede des Heiligen Reiches trotz des aufgewendeten Fleisses, der Mühe und Arbeit durch Ihre Liebende und Kaiserliche Majestät, Unsere und des Heiligen Reiches Stände und ihre Gliederungen bisher die gewünschte Wirkung, wie es wohl erforderlich gewesen wäre, nicht erreicht haben, sich auch viele Widerwärtigkeiten und Unruhen im Heiligen Reich zugetragen haben, zudem im Justizwesen allerhand Unrichtigkeiten, Beschwerden und Mängel vorgefallen und aufgetreten sind, einen allgemeinen Reichstag in der Folge des Passauer Vertrages [1552] auf den 16. Tag des Monats August im M. D. LIII. Jahr in Ihrer Liebenden und Kaiserlichen Majestät, Unserer und des Heiligen Reiches Stadt Ulm ausgeschrieben und angesetzt hat, ist es Ziel des Vorhabens gewesen, diesen angesetzten Reichstag mittels Göttlicher Hilfe selbst in eigener Person zu besuchen und durchzuführen.

§§ 1–13. [Der König erklärt, warum er mit den Ständen nicht, wie ursprünglich ausgeschrieben, in Ulm im August 1553 habe zusammentreffen können. Aus dringenden Kriegs- und andere Sachen ist der Reichstag dann auf die Stadt Augsburg am Ende des Jahres 1554 verlegt worden.]

§ 14. [Allgemeines Friedensgebot] Wir verordnen und gebieten hiermit, daß fortan niemand, von welchen Würden, welchem Stand oder Wesen er auch sei, aus irgendeinem Grund oder unter irgendeinem Vorwand, selbst oder durch jemand anderes in seinem Auftrag, einen anderen befehden, bekriegen, berauben, belagern, noch Schlösser, Städte, Märkte, Befestigungen, Dörfer, Höfe oder Weiler erobern oder ohne des anderen Willen mit Gewalt einnehmen oder in böser Absicht durch Feuer oder in anderer Weise beschädigen darf; es soll auch niemand solchen Tätern Rat, Hilfe oder in einer anderen Weise Beistand oder Vorschub leisten, sie auch nicht wissentlich beherbergen oder beköstigen, sondern ein jeder soll dem anderen mit rechter Freundschaft und christlicher Liebe entgegentreten; kein Stand oder Glied des Heiligen Reichs soll dem anderen den freien Zugang zu Proviant, Nahrung, Gewerbe, Renten, Gülten [Steuern] und Einkommen verweigern, sondern die Kaiserliche Majestät und Wir sollen alle Stände, und die Stände wiederum die Kaiserliche Majestät und Uns, auch ein Stand den anderen, bei der nachfolgenden Religions- und allgemeinen Festlegung des errichteten Landfriedens gewähren lassen.

§ 15. [Einbeziehung der Angehörigen des Augsburger Bekenntnisses] Und damit dieser Friede auch trotz der Religionsspaltung eingehalten und erhalten wird, wie es im Heiligen Reich Deutscher Nation und zwischen der Römischen Kaiserlichen Majestät, Uns, sowie den Kurfürsten, Fürsten und Ständen des Heiligen Reichs Deutscher Nation erforderlich ist, sollen die Kaiserliche Majestät, Wir, sowie die Kurfürsten, Fürsten und Stände keinen anderen Stand des Reiches wegen der Augsburgischen Konfession und deren Lehre, Religion und Glauben in gewaltsamer Weise überziehen, schädigen, nötigen oder auf anderem Wege gegen seine Überzeugung, sein Gewissen und seinen Willen wegen dieser Augsburgischen Konfession, ihrem Glauben, Kirchengebräuchen, Ordnungen und Zeremonien, die sie eingerichtet haben oder noch einrichten werden, in ihren Fürstentümern, Ländern und Herrschaftsbereichen bedrängen oder durch Mandat oder auf andere Weise belasten oder verachten, sondern diese Religion, ihren Glauben, ihre Kirchengebräuche, Ordnungen und Zeremonien, auch ihr bewegliches und unbewegliches Hab und Gut, Land, ihre Leute, Herrschaften, Obrigkeiten, Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten in Ruhe und Frieden lassen; und die umstrittene Religion soll nur durch christliche, freundliche und friedliche Mittel und Wege zu einem einvernehmlichem, christlichem Verständnis und Vergleich geführt werden, alles unter Kaiserlichen und Königlichen Würden, Fürstlichen Ehren, wahren Worten und unter der Strafandrohung des Landfriedens.

§ 16. [Schutz der Angehörigen des katholischen Glaubens] Auf der anderen Seite sollen die Stände, die der Augsburgischen Konfession anhängen, die Römische Kaiserliche Majestät, Uns und die Kurfürsten, Fürsten und die anderen Stände des Heiligen Reichs, die der alten Religion anhängen, geistlich und weltlich, mitsamt ihren Kapiteln und anderen geistlichen Ständen, auch unbeachtlich einer Verlegung ihrer Residenzen (doch mit der Bestellung der Dienste soll es so gehalten werden, wie hier unten in einem besonderen Artikel [§ 21] festgelegt), in gleicher Weise in ihrer Religion, ihrem Glauben, ihren Kirchengebräuchen, Ordnungen und Zeremonien, auch in ihrem beweglichen und unbeweglichen Hab und Gut, Land, ihren Leute, Herrschaften, Obrigkeiten, Herrlichkeiten und Gerechtigkeiten, Renten, Zinsen und Zehnten unbeschwert bleiben und sie in Ruhe und Frieden gewähren lassen; auch mit Taten oder sonst in böser Absicht sollen sie nichts gegen dieselben unternehmen, sondern sich wechselseitig mit den Rechten, Ordnungen, Abschieden und errichteten Landfrieden des Heiligen Reiches begnügen, alles unter Fürstlichen Ehren, wahren Worten und unter Vermeidung der Strafen aus dem geschlossenen Landfrieden.

§ 17. [Ausschluß anderer Bekenntnisse] Jedoch sollen alle anderen außer den oben erwähnten beiden Religionen nicht von diesem Frieden erfaßt, sondern gänzlich ausgeschlossen sein.

§ 18. [Geistlicher Vorbehalt] Nachdem bei den Verhandlungen über diesen Frieden Streit darüber aufgetreten ist, was mit den Erzbistümern, Bistümern, Prälaturen [Sprengeln] und Benefizien der Geistlichen geschehen soll, die von der alten Religion abgefallen sind, und sich die beiden Religionsstände darüber nicht haben einigen können, haben Wir auf Grund der Uns von der Römischen Kaiserlichen Majestät erteilten Vollmacht folgendes erklärt und verkündet: Wo ein Erzbischof, Bischof, Prälat oder ein anderer Fürst geistlichen Standes von Unser alten Religion abfällt, verliert er mit sofortiger Wirkung sein Erzbistum, Bistum, Prälatur und andere Benefizien, und damit auch alle eventuellen Erträge und Einkünfte, jedoch ohne Nachteil für seine Ehre und sein Ansehen; die [geistlichen] Kapitel und diejenigen, denen das Erzbistum, Bistum etc. nach allgemeinem Recht oder dem Gewohnheitsrecht der Kirche oder des Stifts gehört, wählen eine Person, die der alten Religion angehört, als Nachfolger in das Amt, alles jedoch vorbehaltlich einer künftigen Christlichen, freundlichen und endgültigen Regelung der Religionen.

§ 19. [Aufgehobene geistliche Einrichtungen] Dieweil aber etliche Stände und deren Vorfahren etliche Stifte, Klöster und andere geistliche Güter eingezogen und dieselben als Kirchen, Schulen und andere gemeinnützige Einrichtungen genutzt haben, sollen auch diese eingezogenen Güter, welche denjenigen, die dem Reich ohne Mittel unterworfen und die Reichsstände sind, nicht gehören und in deren Besitz die Geistlichen zur Zeit des Passauer Vertrages [1552] oder danach nicht gewesen sind, von diesem Frieden mit umfaßt und einbezogen sein; im Hinblick auf die eingezogenen und verwendeten Güter soll es bei dem gegenwärtigen Zustand bleiben, und zur Erhaltung eines beständigen, ewigen Friedens sollen die betroffenen Stände nicht zur Rechenschaft gezogen werden. Deshalb befehlen und gebieten Wir hiermit auf Grund dieses Abschieds dem Kaiserlich Majestätischen Kammerrichter und den Beisitzern, daß sie wegen dieser eingezogenen und verwendeten Güter keine Ladung und kein gerichtliches Verfahren anordnen sollen.

§ 20. [Suspendierung der bisherigen geistlichen Gerichtsbarkeit] Damit die Angehörigen der oben erwähnten beiden Religionen auch miteinander in beständigem Frieden und guter Sicherheit leben können, soll die geistliche Gerichtsbarkeit (jedoch unbeschadet der Gerichtsbarkeit der geistlichen Kurfürsten, Fürsten und Stände, Kollegien, Klöster und Ordensleute wegen ihrer Renten, Gülten [Steuern], Zinsen und Zehnten, weltlichen Lehenschaften und sonstigen Rechte) über die Angehörigen der Augsburgischen Konfession wegen ihrer Religion, ihres Glaubens, der Bestellung der Dienste, ihrer Kirchengebräuche, Ordnungen und Zeremonien, die sie eingerichtet haben oder noch einrichten werden, bis zu einem endgültigen Religionsausgleich nicht ausgeübt werden, sondern die Gerichtsbarkeit soll den Angehörigen der Augsburgischen Konfession wegen ihrer Religion, ihres Glaubens, ihrer Kirchengebräuche, Ordnungen, Zeremonien und der Bestellung der Dienste, nach Maßgabe des nachfolgenden besonderen Artikels, selbst überlassen bleiben, kein Hindernis soll dem entgegenstehen und bis zu einem endgültigen Christlichen Ausgleich der Religionen soll die geistliche Gerichtsbarkeit also ruhen, eingestellt und suspendiert sein und bleiben; aber in anderen Sachen und Fällen der Augsburgischen Konfession als der Religion, dem Glauben, den Kirchengebräuchen, Ordnungen, Zeremonien und der Bestellung der Dienste soll und mag die geistliche Gerichtsbarkeit durch die Erzbischöfe, Bischöfe und andere Prälaten, wie sie an einem jeden Ort überliefert und ausgeübt worden ist, weiterhin wie bisher ungehindert ausgeübt und angewendet werden. []

§ 23. [Verbot der Zwangsbekehrung] Es soll auch kein Stand den anderen oder dessen Untertanen zu seiner Religion drängen, abwerben oder gegen seine Obrigkeit in Schutz nehmen oder in irgendeiner Weise verteidigen. Und es soll hiermit denjenigen, die von Alters her Schutz- und Schirmherrn unterstanden haben, hierdurch nichts genommen und dieselben nicht gemeint sein.

§ 24. [Abzugsrecht bei Bekenntniswechsel] Wo aber Unsere Untertanen oder die der Kurfürsten, Fürsten und Stände der alten Religion oder der Augsburgischen Konfession anhängen und wegen dieser ihrer Religion aus Unseren Landen, Fürstentümern, Städten oder Flecken oder aus denen der Kurfürsten, Fürsten und Stände des Heiligen Reichs mit ihren Weibern und Kindern an andere Orte ziehen und sich dort niederlassen wollen, soll ihnen ein solcher Ab- und Zuzug und auch der Verkauf ihres Hab und Gut gegen einen angemessenen Abtrag ihrer Leibeigenschaft und Nachsteuer, wie es an jedem Ort von Alters her üblich, überliefert und gehalten worden ist, ungehindert möglich und gestattet sein, allerdings ohne Entschädigung für ihre Ehren und Pflichten. Jedoch soll das Recht der Obrigkeit, sich von ihren Leibeigenen zu lösen, hierdurch unberührt bleiben.

§ 25. [Religionsausgleich] Nachdem ein Religionsausgleich auf angemessene Weise gesucht werden soll, dieser aber ohne einen beständigen Frieden wohl nicht zustande kommen kann, haben Wir, auch die Räte der Kurfürsten an deren Stelle, die erschienenen Fürsten, Stände und die Botschafter und Gesandten der Abwesenden, geistliche und weltliche, um das hochschädliche Mißtrauen im Reich zu beseitigen, diesen Frieden und diese löbliche Nation vor dem endgültigen, bevorhenden Untergang zu bewahren und um eher zu einem Christlichen, freundlichen und endgültigem Ausgleich der Religionsspaltung zu kommen, darin eingewilligt, einen solchen Frieden mit allen oben beschriebenen Artikeln bis zu einem Christlichen, freundlichen und endgültigem Ausgleich der Religionen und Glaubenssachen stetig, fest und unverbrüchlich zu halten und demselben ehrlich nachzukommen. Sollte ein solcher Religionsausgleich durch eine General- oder Nationalversammlung, Colloquien oder andere Reichshandlungen nicht erfolgen, so soll dieser Frieden dann nichtsdestoweniger in allen oben erwähnten Punkten und Artikeln bis zu einem endgültigen Ausgleich der Religionen und Glaubenssachen in Kraft und bestehen bleiben, und es soll hiermit in der oben erwähnten Form ein beständiger, unbedingter, ewig währender Friede errichtet und beschlossen sein.

§ 26. [Einbeziehung der Reichsritterschaft] Und von diesem Frieden soll die freie Ritterschaft, welche ohne Mittel der Kaiserlichen Majestät und Uns unterworfen ist, auch erfaßt sein, und zwar dergestalt, daß sie wegen der beiden oben erwähnten Religionen von niemandem genötigt, bedrängt oder belastet werden soll.

§ 27. [Regelung für die Reichsstädte] Nachdem aber in vielen Frei- und Reichsstädten beide Religionen, nämlich unsere alte Religion und die der Augsburgischen Konfession verwandte Religion, vertreten sind, soll es weiterhin dabei bleiben und in diesen Städten so gehalten werden; die Bürger der Frei- und Reichsstädte und andere Einwohner, geistlichen und weltlichen Standes, sollen friedlich und ruhig bei- und nebeneinander wohnen, und keine Seite soll die Religion der anderen, ihre Kirchengebräuche oder Zeremonien abschaffen oder die andere Seite davon abbringen, sondern jede Seite soll die Religion der anderen, ihren Glauben, ihre Kirchengebräuche, Ordnungen und Zeremonien, auch ihr Hab und Gut und alles andere, wie es hier oben von den Reichsständen beider Religionen niedergelegt worden ist, in Ruhe und Frieden lassen.

Quelle: Übersetzung aus dem Frühneuhochdeutschen von Ralph Glücksmann, https://web.archive.org/web/20140109181609/http://www.smixx.de/ra/Augsburger_Religionsfriede_1555.pdf. Originaltext abgedruckt bei Karl Zeumer, Hrsg., Quellensammlung zur Geschichte der Deutschen Reichsverfassung im Mittelalter und Neuzeit. 2. revidierte Aufl., Bd. 2, Tübingen: J.C.B. Mohr-Paul Siebeck, 1913, S. 341–47. Online verfügbar unter: https://books.scholarsportal.info/en/read?id=/ebooks/ebooks5/ia5/ebooks/oca5/35/quellensammlungz01zeumuoft.