Kurzbeschreibung

In der DDR stößt die geplante Fristenlösung auf Vorbehalte in der Kirche und der Blockpartei CDU, so dass es bei der Abstimmung in der DDR-Volkskammer erstmals zu Enthaltungen und Nein-Stimmen kam. In einem Bericht an das Politbüromitglied Albert Norden, der für die Zusammenarbeit mit den befreundeten Parteien zuständig war, wird die gespaltene Meinung innerhalb des CDU-Hauptvorstandes zu dieser Frage deutlich.

Fristenregelung in der DDR (13. März 1972)

  • Albert Norden

Quelle

Erste Meinungsbildung zur Begründung und Beschlußfassung über das Gesetz zur Unterbrechung der Schwangerschaft auf der 4. Tagung der Volkskammer

Von der Mehrheit unserer Mitglieder und großen Teilen parteiloser Christen, insbesondere von kirchlichen Amtsträgern, wurde die gestrige Tagung der Volkskammer mit großem Interesse und Aufmerksamkeit verfolgt.

Nach unserem bisherigen Überblick kann eingeschätzt werden, daß die Begründung zu dem Gesetzestext vor der Volkskammer durch den Minister für Gesundheitswesen, Prof. Dr. Ludwig Mecklinger, in Mitgliederkreisen allgemein als sachlich bezeichnet wird und bei der Mehrheit unserer Freunde Verständnis findet. Starke Resonanz löste besonders in kirchlichen Kreisen die Unterstreichung der Tatsache aus, daß die Förderung der Liebe zum Kind und die Erhöhung der Geburtenfreudigkeit nach wie vor prinzipielles Anliegen der Politik unseres Staates sind. Als Ausdruck hoher Ehrlichkeit wird gewertet, daß der Minister für Gesundheitswesen auch die Bedenken gegen das Gesetz im kirchlichen Raum erwähnte.

Mit Genugtuung wurde von vielen Unionsfreunden und vor allem in kirchlichen Kreisen das Abstimmungsergebnis über das Gesetz zur Unterbrechung der Schwangerschaft aufgenommen. Besonders kirchliche Amtsträger begrüßen es, daß sich einige Abgeordnete bei der Abstimmung entsprechend ihrem Gewissen entschieden bzw. sich der Stimme enthielten. Diesbezüglich äußerte Prediger Kautz aus dem Bezirk Halle: “14 Abgeordnete haben ihrem Gewissen folgend nein gesagt und 8 sich der Stimme enthalten. Menschen, die die Demokratie gebastelt zu haben meinen, stehen vor der Tatsache, daß bei uns entgegen allem Gerede von Uniformität der Willensbildung an höchster Stelle freie, sachbezogene Meinungsäußerung praktiziert wird.

Die Teilnehmer der Tagung des Diakonischen Ausschusses des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR nahmen das beschlossene Gesetz ebenfalls mit Interesse auf und äußerten sich zu dem Abstimmungsergebnis positiv.

Die Gewissensentscheidung der Abgeordneten veranlaßte besonders kirchlich gebundene Bürger zu der Äußerung, daß dadurch die Autorität unserer Volkskammer erhöht wurde.

Verschiedentlich stellen Unionsfreunde die Frage, ob die Gegenstimmen und Stimmenthaltungen ausschließlich aus der Fraktion der CDU kämen und somit ein[e] spezifisch christliche Haltung zum Ausdruck gebracht wurde. So äußerte z.B. Ufd.[1] Kniebusch (streng katholisch) aus Magdeburg-Stadt, da aus der Presse nicht ersichtlich sei, aus welchen Fraktionen die Gegenstimmen und Stimmenthaltungen kamen, müsse er überlegen, ob er nicht seinen Austritt aus der Partei erkläre. Ufd. Haupt, Komplementär aus Radebeul, BV Dresden, schrieb vor der Volkskammertagung in einem Brief an den Bezirksvorsitzenden, daß er davon überzeugt sei, daß die Unionsfreunde Götting und Sefrin in der Volkskammer gegen das Gesetz auftreten würden. Er bezieht sich dabei auf die persönliche Freundschaft zwischen Ufd. Götting und Albert Schweitzer. Er bezeichnete die Unterbrechung der Schwangerschaft als Mord am werdenden Leben und als eine Verletzung der Ehrfurcht vor dem Leben und äußerte, wenn die Volkskammerfraktion der CDU keine geschlossene Meinung gegen das Gesetz vertrete, sich von der CDU zu trennen.

Die Meinungsbildung zum Gesetzinhalt über die Unterbrechung der Schwangerschaft hat sich unter Unionsfreunden nach der Beschlußfassung durch die Volkskammer nicht geändert. Nach wie vor gibt es bei eng kirchlich gebundenen evangelischen und vor allem katholischen Christen weithin Ablehnung einer Schwangerschaftsunterbrechung.

Unleserlich

Anmerkungen

[1] Abkürzung für Unionsfreund—Hrsg.

Quelle: Bundesarchiv Berlin, SAPMO, DY 30/IVB2/2.028m Blatt 40; abgedruckt in Henrik Eberle und Denise Wesenberg, Hrsg., Einverstanden E.H. Parteiinterne Hausmitteilungen, Briefe, Akten und Intrigen aus der Honecker-Zeit. Berlin, 1999, S. 74–75.