Kurzbeschreibung

Als Klänge westlicher Rockmusiker wie Genesis und David Bowie über die Mauer zu hören waren, lösten sie auf der östlichen Seite Krawalle aus. Bei den Zusammenstößen mit der Volkspolizei verlangten die verärgerten Fans Reformen im Stil Gorbatschows sowie die Öffnung der Grenze.

Politische Folgen ostdeutscher Krawalle nach Rockkonzerten an der Mauer (10. Juni 1987)

  • Robert J. McCartney

Quelle

DDR-Polizei und Rockfans stoßen in Berlin während der dritten Nacht in Folge zusammen

BERLIN – Bereits zum dritten Mal in Folge sind Hunderte jugendlicher Popfans in der Nacht auf Dienstag mit der DDR-Polizei zusammengestoßen, die sie am Mithören eines Konzertes auf der unmittelbar gegenüberliegenden Seite der Berliner Mauer hindern wollte.

Es war der schwerwiegendste Ausbruch öffentlicher Unzufriedenheit in Ostberlin seit fast zehn Jahren.

Die Polizei verhaftete mehrere Dutzend junger Leute in der Hauptdurchgangsstraße Unter den Linden, beförderte sie gewaltsam in Streifenwagen und prügelte sie vereinzelt mit Schlagstöcken.

Die ostdeutschen Behörden bestritten am Dienstag, daß irgendwelche Zusammenstöße zwischen Jugendlichen und der Polizei stattgefunden hätten, ließen jedoch verlauten, es habe westliche Versuche zur Heraufbeschwörung von Unruhen gegeben.

Die offizielle Nachrichtenagentur ADN teilte mit, dass die Berichte westlicher Korrespondenten über erbitterte Auseinandersetzungen zwischen der Polizei und Tausenden Jugendlichen „Gräuelmärchen“ seien.

„Von Zusammenstößen zwischen Jugendlichen und der Polizei kann keine Rede sein“, lautete die Verlautbarung der ADN. „Diese existieren lediglich in der Phantasie einiger westlicher Korrespondenten, die über die Grenze hin- und herpendeln mit dem Ziel, irgendwelche Sensationsberichte zu erfinden“.

Die jungen Leute, vorwiegend in den zwanziger Jahren oder ältere Teenager, skandierten „Gorbatschow! Gorbatschow!“ in einem offenkundigen Appell an die Behörden in der DDR, einem streng kommunistisch ausgerichteten Staat, einige der Reformen des sowjetischen Parteivorsitzenden nachzuahmen, die auf eine Lockerung der Beschränkungen bei der Meinungsäußerung zielen.

Die Demonstranten warfen kleine Feuerwerkskörper und leere Weinflaschen über die Formationen grün uniformierter Polizisten und Agenten in Zivil hinweg, die sie an mehreren Punkten daran hinderten, näher als 350 Meter an die Berliner Mauer heranzukommen.

Genau auf der anderen Seite der Mauer spielte die Rockgruppe Genesis und ihr Star Phil Collins am letzten Abend eines drei Abende dauernden Rockfestivals in Westberlin.

Die jungen Leute riefen zudem „Die Mauer muss weg!“ und „Nieder mit den Schweinen!“

Die drei Nächte anhaltenden Unruhen waren die heftigsten in Ostberlin seit dem Zusammenstoß im Anschluss an ein Rockkonzert im Oktober 1977. Berichten zufolge waren dabei vier Menschen ums Leben gekommen.

Die Zwischenfälle ereigneten sich zu einer besonders unangenehmen Zeit für die DDR, die das diesjährige 750. Stadtjubiläum Berlins dazu nutzen wollte, die Erfolge des Landes hervorzuheben. Ostdeutschland genießt einen der höchsten Lebensstandards in Osteuropa und hat kaum Anzeichen mangelnder politischer Stabilität erkennen lassen.

Nach Angaben westlicher Diplomaten dürften die öffentlichen Zusammenstöße wahrscheinlich die Zwangslage des DDR-Staatsoberhauptes Erich Honecker verschärfen, der sich wiederholt den Appellen Michail Gorbatschows zu größerer Offenheit und mehr Demokratie in den kommunistischen Gesellschaften widersetzt hat.

Nach Meinung von Diplomaten und politischen Beobachtern befürchten die ostdeutschen Behörden, daß eine Lockerung bei den Einschränkungen der Medien und der öffentlichen Diskussion mehr Brisanz entwickeln könnte als in anderen osteuropäischen Ländern. Dies sei deshalb der Fall, so sagen sie, weil die DDR-Bürger mit ihrem leichten Zugang zum Westfernsehen und -radio sowie familiären und historischen Bindungen zur Bundesrepublik eher als andere Osteuropäer Freiheiten nach westlichem Vorbild erwarten würden.

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Quelle: Robert J. McCartney, „East German Police, Rock Fans Clash in Berlin for the Third Straight Night“, International Herald Tribune, 10. Juni 1987. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.

Übersetzung: Erwin Fink