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Wenn DDR-Bürger Urlaub machen
Mit Devisen knapp gehalten
Braungebrannt kehrte Klaus-Peter aus Halle vom Urlaub an der bulgarischen Küste in seine Heimat DDR zurück. Als aber die Zöllner auf dem Flughafen Berlin-Schönefeld seinen Koffer kontrollieren wollten, war dieser leer. Bedröppelt stand der junge Mann, nur mit Hemd, Hose und Filzpantoffeln bekleidet, vor der Obrigkeit. Dabei war er keineswegs an fernen Gestaden unter die Räuber gefallen. Seine gesamte Habe hatte er in Bulgarien verscherbelt. Verkaufen müssen, denn er hatte dort unten eine junge Maid kennengelernt, und der wollte er auch einmal etwas bieten. Da ihm aber sein Urlaubstaschengeld von Staats wegen beschränkt ist, besserte der clevere Klaus-Peter aus Halle seine Reisekasse mittels Naturalienhandel auf.
Auf den ersten Blick mag diese Geschichte komisch oder gar lustig erscheinen. Doch sie zeigt die problembehaftete Situation, in der sich DDR-Urlauber im sozialistischen Ausland befinden. Denn so wie Klaus-Peter machen es viele seiner Mitbürger. DDRler transportieren ganze Wagenladungen voll Tauschgegenstände in die Feriengebiete, um sie dort an ihre östlichen Brüder zu verkaufen. Denn das Warenangebot ist in der DDR immer noch besser als etwa in Bulgarien oder in der UdSSR. Weniger gefragt ist dagegen bei den sozialistischen Bruderländern die ostdeutsche „Schlusenmark“. Die dortigen Regierungen sind mehr an westlichen Deviseneinnahmen interessiert.
Auch bei Reisen nach Polen müssen DDR-Bürger neuerdings Ost-Mark im Gegenwert von mindestens 200 Zloty pro Tag umtauschen. Über den Mindestbetrag hinaus umgetauschte Zloty werden der Anordnung zufolge in unbegrenzter Höhe wieder in Ost-Mark eingewechselt. In die ČSSR sind es 40 Kronen pro Tag, Bulgarien bei 8 Tagen Aufenthalt 109 Mark, bei 22 Tagen 309 Mark. Für Rumänien, Ungarn und die UdSSR herrschen ähnliche Bestimmungen. Nach Jugoslawien dürfen DDR-Bürger schon lange nicht mehr reisen, es sei denn, sie sind im Rentenalter. Besitzen Reisende aus der DDR westliche Devisen, dürfen sie diese auf keinen Fall ausführen; sie sollen im eigenen Land ausgegeben werden. Die so Gemaßregelten sind allerdings erfindungsreich. Manche Urlauber lassen sich für drei Wochen Devisen in ihre Ziehharmonika, eine Beilage zum Personalausweis, eintragen und bleiben nur kurze Zeit. Westgeld wird in Silberpapier geschmuggelt, damit es bei der obligatorischen Durchleuchtung nicht auffällt. Dollarscheine sind beliebter als bundesdeutsche Banknoten, die beim Röntgen, bedingt durch den eingearbeiteten Silberfaden, schneller auffallen.
Dabei sind es längst nicht nur die Geldsorgen, die den DDR-Bürgern ihren Urlaub so richtig vermiesen können. Sie fühlen sich im Ausland an allen Ecken und Enden diskriminiert, gegenüber Westlern zurückgesetzt. Treffend formuliert einer bei der Rückkehr: „Im befreundeten Ausland sind wir die Neger.“ Denn sozialistische Touristikfunktionäre vergessen schnell ihre Moral, wenn es darum geht, die eigene Devisenstatistik aufzubessern. Da werden DDRler ausquartiert, auf schlechtere Campingplätze gewiesen, in den Restaurationsbetrieben als Menschen zweiter Klasse behandelt.
Selbst die zwischenmenschlichen Beziehungen leiden darunter. Einheimische Mädchen angeln sich lieber einen Westler als Urlaubsbekanntschaft, weil der sie auch schon einmal in einen Devisenladen zum Einkaufen oder in eine Valutabar zu einem Drink einlädt. In einer Diskothek an Bulgariens Sonnenstrand kostete der Eintritt im letzten Jahr zehn Lewa, für die Verzehrbons ausgegeben wurden. Für einen Bundesdeutschen, der zu dem noch auf dem schwarzen Markt zu einem sagenhaft günstigen Kurs tauscht, ist das ein Klacks. Für den Reisenden aus der DDR ist es das Urlaubsbudget für 2½ Tage.
Völlig frustriert registrieren Erstreisende im sozialistischen Ausland den Unterschied zwischen östlicher Propaganda und Wirklichkeit. „Was hat man uns nicht alles über das Musterland UdSSR erzählt“, schimpft ein Tourist aus Dresden in Moskau: „Während der Barkeeper mich rausschmeißt säuft ein Texaner neben mir seelenruhig für 20 Dollar Whisky, weil in der Valutabar das Wechselgeld ausgegangen war.“ Keiner solle mehr sagen, im Lande Lenins gäbe es keine Prostitution“, meinte der Dresdner dann: „Nur wenn mich die Frauen ansprechen und ich antworte in meinem sächsischen Dialekt, dann ist es plötzlich mit der Freundlichkeit vorbei.“
Trotzdem ist der Mann froh, überhaupt ins Ausland fahren zu können. Fünf Jahre mußte er auf dieses Ereignis warten. Denn das Angebot seines „Reisebüros der DDR“ reicht bei weitem nicht aus, um die Nachfrage aller Kunden zu befriedigen. Daher werden die zur Verfügung stehenden Plätze in einer Art Losverfahren vergeben. Zu Anfang des Jahres wählen die Interessenten aus dem Katalog aus und erhalten sogenannte Vormerkkarten. Wer dann durchfällt, dem bleibt nur die Reise in eigener Regie. Die Tageszeitungen sind voll von Anzeigen, über Reiselustige die Ferienwohnungen suchen und dafür ihr eigenes Domizil zum Tausch anbieten. Auf solche Weise reisen sie dann auch wesentlich billiger. Denn die Kunden des staatseigenen Reisebüros müssen für ihren Trip wesentlich tiefer in die Taschen greifen als etwa die Bundesbürger.
Eine Reise nach Bulgarien, bei uns im letzten Jahr immerhin noch für runde 800 Mark zu haben, kostet „drüben“ 1300 Mark. Eine 6tägige Reise nach Moskau, bei uns 1979 für 499 Mark im Sonderangebot, ging in der DDR für 800 Mark über den Reisebürotisch.
Doch trotz aller Handicaps ist die Reiselust der Ostdeutschen ungebrochen. Zwar sind statistische Zahlen kaum zu erhalten, aber runde 1,2 Millionen Reisen soll das Reisebüro der DDR pro Jahr vermitteln. „Wenn die noch eine Million Touren mehr hätten, würden sie die auch noch verkaufen”, glaubt eine Reiseleiterin aus Dresden. „Wir haben halt einen großen Nachholbedarf.“
Quelle: Willi Bremkes, „Wenn DDR-Bürger Urlaub machen,“ Frankfurter Rundschau, 30. August 1980. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung.