Quelle
Bundesregierung beschließt Grundsatzerklärung über ihr Verhalten bei Anerkennung der DDR durch dritte Staaten nach Diskussion der Hallstein-Doktrin wegen Anerkennung der DDR u.a. durch Kambodscha und friert Beziehungen zu Kambodscha ein
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Am 20. Mai [1969] erklärte er [Bundesaußenminister Willy Brandt] vor der Gesellschaft für Auslandskunde in München laut Bulletin ferner u.a.: Der Modus vivendi zwischen den beiden Teilen Deutschlands ist eine Sache, die mit einem Minimum an Einvernehmen begonnen und geduldig weiterentwickelt werden muß. Er wird dann auch das schwierige Gebiet der internationalen Beziehungen nicht ausklammern können, das früher mit dem chirurgischen Messer der sogenannten Hallstein-Doktrin vermeintlich radikal, jedenfalls recht undifferenziert behandelt worden war. Zu diesem Problem sind aus aktuellem Anlaß einige Worte angebracht. Zwei Länder, der Irak und Kambodscha, haben es für vorteilhaft gehalten, die DDR diplomatisch anzuerkennen. Die Bundesregierung hat hierauf geantwortet. Ihre Antworten mögen auf den ersten Blick nach automatischer Anwendung einer überholten Doktrin aussehen. Eine derartige Betrachtungsweise wäre falsch. Beide Fälle sind jeder für sich zu beurteilen, und zwar ausschließlich aus der Interessenlage unserer auf Verständigung und Verhandlungen gerichteten deutschen Politik. Bei der Beurteilung der Beziehungen anderer zur DDR spielen für uns 2 Aspekte eine wesentliche Rolle. Einmal ist die Form von wesentlicher Bedeutung. Impliziert sie eine völkerrechtliche Sanktionierung der deutschen Spaltung und läßt sie jeden positiven Bezug auf die Wiederherstellung der deutschen Einheit vermissen, so kann sie von uns natürlich nicht hingenommen werden. Zum anderen ist zu untersuchen, ob unabhängig von der Form uns gegenüber ein unfreundlicher Akt deswegen begangen wird, weil die Motive und die Wahl des Zeitpunktes als eine Desavouierung unserer innerdeutschen Bemühungen erscheinen müssen. Mit anderen Worten: Eine Anerkennung der DDR durch dritte Staaten wird für uns insbesondere solange als unfreundlicher Akt anzusehen sein, wie die DDR im innerdeutschen Verhältnis ihre intransigente und böswillige Haltung nicht modifiziert. Im übrigen ist es logisch, daß die von uns erstrebte innerdeutsche Annäherung, die Entwicklung von der innerdeutschen Konfrontation zur innerdeutschen Kooperation sich in den internationalen Bereich fortsetzen würde. Wir wollen doch unsere Landsleute in der DDR nicht vom internationalen Austausch isolieren. Das Gegenteil ist richtig. […]
Die Bundesregierung faßte am 4. Juni laut Bulletin einstimmig folgenden Beschluß: „1. Gestützt auf die Erklärung der Bundesregierung vom 30. Mai 1969 hat die Bundesregierung beschlossen, den deutschen Botschafter in Pnom Penh abzuberufen und die Tätigkeit der deutschen Botschaft einzustellen. Die wirtschaftliche und technische Hilfe soll auf die Abwicklung der bereits abgeschlossenen Verträge beschränkt, neue Vereinbarungen sollen nicht getroffen werden. 2. Das Verhalten der irakischen und der sudanesischen Regierung in der Deutschland-Frage hat die Aussichten auf eine Normalisierung und Verbesserung der Beziehungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und diesen Ländern, für die positive Ansätze vorhanden waren, vorerst zunichte gemacht. 3. Die Bundesregierung wird sich durch die Haltung der Regierungen in Bagdad und Khartoum nicht in ihren freundschaftlichen Gefühlen gegenüber den arabischen Völkern beirren lassen. Sie wird vielmehr ihre Bemühungen fortsetzen, zu den arabischen Staaten, soweit diese dazu bereit sind, ein gutes Verhältnis zu pflegen oder wiederherzustellen. Das mit Erfolg eingeleitete besondere Hilfsprogramm für die Palästina-Flüchtlinge wird fortgesetzt“.
Quelle: „Bundesregierung beschließt Grundsatzerklärung über ihr Verhalten bei Anerkennung der DDR durch dritte Staaten nach Diskussion der Hallstein-Doktrin wegen Anerkennung der DDR u.a. durch Kambodscha und friert Beziehungen zu Kambodscha ein“, Archiv der Gegenwart, Bd. 39, 4. Juni 1969, S. 4805 ff.