Kurzbeschreibung

Die 1684 durch den französischen König Ludwig XIV verfügte Aufhebung des Edikts von Nantes aus dem Jahr 1598, das den französischen Calvinisten (Hugenotten) Religionsausübung und Autonomie garantiert hatte, trieb etwa eine halbe Million von ihnen ins Exil. Mit diesem Edikt gewährte ihnen Friedrich Wilhelm von Brandenburg („der Große Kurfürst“) bekanntermaßen Zuflucht. Letztlich nahmen jedoch nur 20.000 französische Calvinisten sein großzügiges Angebot logistischer, materieller und rechtlicher Hilfe an, während die übrigen es vorzogen, sich in weiter westlich gelegenen Territorien niederzulassen. Das „Edikt von Potsdam“ war kein Appell an die religiöse Toleranz, da es französischen Katholiken, die auf brandenburgisch-preußischem Gebiet siedeln wollten, brüsk die angeführten Begünstigungen verweigerte. Vielmehr war es Ausdruck religiöser Solidarität mit „Unsere[n] Evangelisch-Reformirte[n] Glaubens-Genossen, Frantzösischer Nation“ und ein politischer Akt, der darauf ausgerichtet war, Friedrichs Herrschaftsgebiet zu stärken, indem es seine durch Krieg ausgedünnte Bevölkerung mit eingewanderten Bauern, Handwerkern und Gewerbetreibenden aufstockte. Er versprach zudem französischen calvinistischen Flüchtlingen aus dem Adel Zugang zum Staatsdienst (obwohl sie ihre eigenen Landgüter erwerben mussten). Von dieser Chance machten sie äußerst erfolgreich Gebrauch.

„Edikt von Potsdam“, erlassen von Friedrich Wilhelm („der Große Kurfürst”) (29. Oktober 1685)

Quelle

29. Oktober 1685

Wir Friderich Wilhelm, von Gottes Gnaden, Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Römisch. Reichs Ertz-Cammerer und Chur-Fürst, in Preussen, zu Magdeburg, Jülich, Cleve, Berge, Stettin, Pommern, der Cassuben und Wenden, auch in Schlesien, zu Crossen und Jägerndorf Hertzog, Burggraf zu Nürnberg, Fürst zu Halberstadt, Minden und Camin, Graf zu Hohenzollern, der Marck und Ravensberg, Herr zu Ravenstein, und der Lande Lauenburg und Bütow, etc.

Thun kund und geben Männiglichen hiemit zu wissen, nachdem die harten Verfolgungen und rigoureusen proceduren, womit man eine zeithero in dem Königreich Franckreich wider Unsere der Evangelisch-Reformirten Religion zu gethane Glaubens-Genossen verfahren, viel Familien veranlasset, ihren Stab zu versetzen, und aus selbigem Königreich hinweg in andere Lande sich zu begeben, daß Wir dannenher aus gerechten Mitleiden, welches wir mit solchen Unsern, wegen des heiligen Evangelii und dessen reiner Lehre angefochtenen und bedrengeten Glaubens-Genossen billig haben müssen, bewogen werden, vermittels dieses von Uns eigenhändig unterschriebenen Edicts denenselben eine sichere und freye retraite in alle unsere Lande und Provincien in Gnaden zu offeriren, und ihnen dabeneben kund zu thun, was für Gerechtigkeiten, Freyheiten und Prærogativen Wir ihnen zu concediren gnädigst gesonnen seyn, umb dadurch die grosse Noth und Trübsal, womit es dem Allerhöchsten nach seinem allein weisen unerforschlichem Rath gefallen, einen so ansehnlichen Theil seiner Kirche heimzusuchen, auf einige Weise zu subleviren und erträglicher zu machen.

1. Damit alle diejenige, welche sich in Unsern Landen niederzulassen resolviren werden, desto mehrere Bequemligkeit haben mögen, umb dahin zugelangen und überzukommen, so haben Wir Unserm Envoye extraordinaire bey denen Herren GeneralStaten der vereinigten Niederlande, dem von Diest, und Unserm Commissario Romswinckel in Amsterdam anbefohlen, allen denen Frantzösischen Leuten, von der Religion, welche sich bey ihnen angeben werden, Schiffe und andere Nothwendigkeiten zu verschaffen, umb sie und die ihrige aus Holland biß nach Hamburg zu transportiren, allwo Unser Hoffrath und Resident im Nieder-Sächsischen Cräyse der von Gericken, ihnen ferner alle facilität und gute Gelegenheit an Hand geben wird, deren sie werden benöthiget seyn, umb an Ort und Stelle, welche sie in Unsern Landen zu ihrem etablissement erwählen werden zu gelangen.

2. So viel diejenige anbetrifft, welche über Sedan, aus Champagnen, Lothringen, Burgundien und aus denen nach Mittag gelegenen Frantzösischen Provincien, ohne durch Holland zu gehen, nach Unsern Landen sich werden begeben wollen, selbige haben ihren Weg auf Franckfurt am Mayn zu nehmen, und sich daselbst bey unserm Rath und Residenten Merian, oder auch zu Cölln am Rhein, bey Unserm Agenten Lely, anzugeben, gestalt wir denn denenselben beyderseits anbefohlen, ihnen mit Gelde, Passeporten und Schiffen beforderlich zu seyn, und sie den Rhein hinunter biß in Unser Hertzogthum Cleve fort zuschaffen, woselbst Unsere Regierung Sorge tragen wird, damit sie entweder in Unserm Clev- und Märckischen Landen etabliret, oder, da sie weiter in andere Unsere Provincien zu gehen willens, mit aller desfalls erforderten Nothdurfft versehen werden mögen.

3. Weilen Unsere Lande nicht allein mit allen zu des Lebens Unterhalt erforderten Nothwendigkeiten wol und reichlich versehen, sonderlich auch zu etablirung allerhand manufacturen, Handel und Wandels zu Wasser und zu Lande sehr bequem, als stellen Wir denen, die darinn sich werden setzen wollen, allerdings frey, denjenigen Ort, welchen sie in Unserm Hertzogthum Cleve, den Graffschafften Marck und Ravensberg, Fürstenthümern Halberstadt und Minden, aber auch in dem Hertzogthum Magdeburg, Chur-Marck-Brandenburg und Hertzogthümern Pommern und Preussen zu ihrer Profession und Lebens Art am bequemsten finden werden, zu erwählen; Und gleichwie Wir dafür halten, daß in gedachter Unserer Chur-Marck-Brandenburg die Städte Stendal, Werben, Rathenow, Brandenburg und Franckfurt, und in dem Hertzogthum Magdeburg die Städte Magdeburg, Halle und Calbe, wie auch in Preussen die Stadt Königsberg, so wol deshalb weil daselbst sehr wolfeil zu leben, als auch, wegen der allda sich befindenden facilität zur Nahrung und Gewerb vor sie am bequemsten seyn werden, Als haben Wir die Anstalt machen lassen, befehlen auch hiemit und Krafft dieses, so bald einige von erwehnten Evangelisch reformirten Frantzösischen Leuten daselbst ankommen werden, daß alsdann dieselbe wohl auffgenommen, und zu allen dem so zu ihrem etablissement nöthig, ihnen aller Mügligkeit nach verholffen werden soll. Wobey Wir gleich wol ihrer freyen Wahl anheim geben, auch sonsten ausser oberwehnten Städten alle und jede Orte in unsern Provincien zu ihrem etablissement zu erwählen, welche sie in Ansehung ihrer profession und Handthierung vor sich am bequemsten erachten werden.

4. Diejenige Mobilien, auch Kauffmanns und andere Waaren, welche sie bey ihrer Ankunfft mit sich bringen werden, sollen von allen Aufflagen, Zoll, Licenten und andern dergleichen Imposten, sie mögen Nahmen haben wie sie wollen, gäntzlich befreyet seyn, und damit in keinerley Weise beleget werden.

5. Daferne in denen Städten, Flecken und Dörffern, wo mehr gedachte Leute von der Religion sich niederlassen, und ihr domicilium constituiren werden, einige verfallene, wüste und ruinirte Häuser verhanden, deren Proprietarii nicht des Vermögens wären dieselbe wieder anzurichten, und in guten erbaulichen Stand zu setzen, so wollen Wir selbige gedachten Unsern Frantzösischen Glaubens-Genossen, für sie, ihre Erben und Erbens-Erben eigenthümlich anweisen und eingeben, dabey auch dahin sehen lassen, daß die vorigen Proprietarii wegen des Werths sothaner Häuser befridiget, und selbige von allen oneribus, hypothequen, Contributions-Resten und allen andern dergleichen Schulden, welche vorhin darauff gehafftet, gäntzlich liberiret und frey gemachet werden sollen. Gestalt Wir ihnen denn auch Holtz, Kalck und andere materialien, deren sie zu reparirung dergleichen wüsten Häuser benöthiget, unentgeltlich anschaffen lassen, und ihnen eine Sechs-Jährige immunität von allen Aufflagen, Einquartierungen und andern oneribus publicis, wie selbige Nahmen haben mögen, verstatten, auch die Verfügung machen wollen, daß deren Einwohner nichts als die blosse Consumptions-Accise währender solcher Sechs-Jährigen Freyheit davon abzutragen haben sollen.

6. In denjenigen Städten, und andern Orten, woselbst sich einige wüste Plätze und Stellen befinden, wollen wir gleicher gestalt die Versehung thun, daß dieselbe samt allen dazu gehörigen Gärten, Wiesen, Ackern und Weiden gedachten Unsern Evangelisch-Reformirten Glaubens-Genossen Frantzösischer Nation nicht allein erb- und eigenthümlich eingeräumet, sondern auch daß dieselbe von allen oneribus und Beschwerden, welche sonst darauff gehafftet, gäntzlich liberiret und loß gemachet werden sollen, gestalt Wir denn auch diejenigen materialien deren gedachte Leute zu Bebauung dieser Plätze bedürffen werden, ihnen ohn entgeltlich anschaffen, und die von ihnen neuerbauete Häuser sampt deren Einwohnern in denen ersten zehen Jahren mit keinen oneribus ausser der obangeregten Consumptions-Accise belegen lassen wollen. Und weilen wir auch gnädigst gemeynet seyn, alle mügliche facilität beyzutragen, damit gedachte Unsere Glaubens-Genossen in Unsern Landen untergebracht und etabliret werden mögen, Als haben wir denen Magistraten und andern Bedienten in erwehnten Unsern Provincien gnädigsten Befehl ertheilen lassen, in einer ieden Stadt gewisse Häuser zu miethen, worin gedachte Frantzösische Leute bey ihrer Ankunfft aufgenommen, auch die Haußmiethe davon für sie und ihre Familien 4 Jahr lang bezahlet werden soll, Jedoch mit der Bedingung, daß sie diejenige Plätze, welche ihnen auff obberührte conditiones werden, mit der Zeit zu bebauen ihnen angelegen seyn lassen.

7. So bald sich obgedachte Unsere Evangelisch-Reformirte Glaubens-Genossen Frantzösischer Nation in einiger Stadt oder Flecken niedergelassen, sollen ihnen die daselbst hergebrachte jura civitatis & opificiorum ohn entgeltlich und ohne Erlegung einiger Ungelder concediret, und eben die beneficia, Rechte und Gerechtigkeiten verstattet und eingeräumt werden, deren andere Unsere an solchen Orten wohnende und gebohrne Unterthanen geniessen und fähig seyn. Allermassen Wir sie denn auch von dem so genanten Droit d’Aubaine und anderen dergleichen Beschwerden, womit die Frembde in andern Königreichen, Landen und Republiquen belegt zu werden pflegen, gäntzlich befreyet, auch durchgehends auf gleiche Art und Weise wie Unsere eigene angehörige Unterthanen, gehalten und tractiret wissen wollen.

8. Diejenige welche einige Manufacturen von Tuch, Stoffen, Hüten oder was sonsten ihre Profession mit sich bringet, anzurichten willens seyn, wollen Wir nicht allein mit allen desfals verlangeten Freyheiten, Privilegiis und Begnadigungen versehen, sondern auch dahin bedacht seyn und die Anstalt machen, daß ihnen auch mit Gelde und andern Nothwendigkeiten, deren sie zu Fortsetzung ihres Vorhabens bedürffen werden, so viel müglich assistiret und an Hand gegangen werden soll.

9. Denen so sich auff dem Lande setzen, und mit dem Ackerbau werden ernehren wollen, soll ein gewiß Stück Landes uhrbar zu machen angewiesen, und ihnen alles dasjenige, so sie im Anfang zu ihrer Einrichtung werden nöthig haben gereichet, auch sonst überall ebener gestalt, begegnet und fort geholffen werden, wie es mit verschiedenen Familien, so sich aus der Schweitz in unsere Lande begeben und darinnen niedergelassen, biß anhero gehalten worden.

10. So viel die Jurisdiction und Entscheidung der zwischen offt gedachten Frantzösischen Familien sich ereigender Irrungen und Streitigkeiten betrifft, da sind wir gnädigst zufrieden, und bewilligen hiemit, daß in denen Städten, woselbst verschiedene Frantzösische Familien verhanden, dieselbe iemand ihres Mittels erwählen mögen, welcher bemächtiget seyn soll, dergleichen differentien, ohne einige Weitläufftigkeit, in der Güte zu vergleichen und ab zu thun. Daferne aber solche Irrungen unter Teutschen an einer, und Frantzösischen Leuten anderer Seite sich ereugnen, so sollen selbige durch den Magistrat eines ieden Orts und diejenige welche die Frantzösische Nation zu ihrem Schieds Richter erwählen wird, zugleich und gesamter Hand untersuchet, und summariter zu Recht entschieden und erhöret werden, welches denn auch als dann statt haben soll, wann die unter Frantzosen allein vorfallende differentien, dergestalt wie oben erwehnet, in der Güte nicht beygeleget und verglichen werden können.

11. In einer ieden Stadt wollen wir gedachten Unsern Frantzösischen Glaubens-Genossen einen besondern Prediger halten, auch einen bequemen Ort anweisen lassen, woselbst das exercitium Religionis Reformatæ in Frantzösischer Sprache, und der Gottesdienst mit eben denen Gebräuchen und Ceremonien gehalten werden sol, wie es biß anhero bey den Evangelisch Reformirten Kirchen in Franckreich bräuchlich gewesen.

12. Gleichwie auch diejenige von der Frantzösischen Noblesse, welche sich biß anher unter Unsere protection und in Unsere Dienste begeben, eben der Ehre, Dignitäten Prærogativen als andere Unsere Adeliche Unterthanen geniessen, Wir auch deren verschiedene zu den vornehmsten Chargen und Ehren-Ämptern an Unserm Hoffe, wie auch bey Unserer Miliz würcklich employret, Also sind Wir auch gnädigst geneigt, ebenmäßige Gnade und Beforderung denen Frantzösischen von Adel, so sich ins künfftige in Unsern Landen werden setzen wollen, zu erweisen, und sie zu allen Chargen, Bedienungen und Dignitäten, wozu sie capabel werden befunden werden, zu admittiren, gestalt denn auch dieselbe, wann sie einige Lehen- und andere Adeliche-Güter in Unsern Landen erkauffen und an sich bringen, dabey eben der Rechte, Gerechtigkeiten, Freyheiten und Immunitäten, deren andere Unsere angebohrne Unterthanen geniessen, sich gleichergestalt in allewege zuerfreuen haben sollen.

13. Alle Rechte, Privilegia und andere Wohlthaten deren in obstehenden Puncten und Articulen erwehnet worden, sollen nicht allein denen so von nun an ins Künfftige in Unsern Landen anlangen werden, sondern auch denjenigen zu gut kommen, welche vor publication dieses Edicts der biß anherigen Religions-Verfolgungen halber aus Franckreich entwichen, und in gedachte Unsere Lande sich retiriret haben, die aber so der Römisch Catholischen Religion zugethan, haben sich deren in keinerley weyse anzumassen.

14. In allen und ieden Unsern Landen und Provincien wollen Wir gewisse Commissarien bestellen lassen, zu welchen offt gedachte Frantzösische Leute so wol bey ihrer Ankunfft als auch nachgehends ihre Zuflucht nehmen, und bey denenselben Rath und Beystandes sich erhohlen sollen, Inmassen Wir denn auch allen Unsern Stadthaltern, Regierungen auch andern Bedienten und Befehlshabern, in Städten und auff dem Lande, in allen Unsern provincien, so wol vermittels dieses Unseres offenen Edicts, als auch durch absonderliche Verordnungen, gnädigst und ernstlich anbefehlen wollen, daß sie offterwehnte Unsere Evangelisch-Reformirte Glaubens-Genossen, Frantzösischer Nation, so viel sich derer in Unsern Landen einfinden werden, sammt und sonders unter ihren absonderlichen Schutz und protection nehmen, bey allen oberwehnten ihnen gnädigst concedirten Privilegiis sie nachdrücklich mainteniren und handhaben, auch keinesweges zugeben sollen, daß ihnen das geringste Ubel, Unrecht oder Verdruß zugefüget, sondern vielmehr in Gegentheil alle Hülffe, Freundschaft, Liebes und Gutes erwiesen werden. Urkundlich haben Wir dieses Edict eigenhändig unterschrieben, und mit Unserm Gnaden-Siegel bedrucken lassen.

So geschehen zu Potstam, den 29. Octobr. 1685.

Friderich Wilhelm,

Churfürst

Quelle: Christian Otto Mylius, Corpus Constitutionum Marchicarum, Oder Königl. Preußis. und Churfürstl. Brandenburgische in der Chur- und Marck Brandenburg, auch incorporirten Landen publicirte und ergangene Ordnungen, Edicta, Mandata, Rescripta [et]c. : Von Zeiten Friedrichs I. Churfürstens zu Brandenburg, [et]c. biß ietzo unter der Regierung Friederich Wilhelms, Königs in Preußen [et]c. ad annum 1736. inclusivè / ... colligiret und ans Licht gegeben von Christian Otto Mylius. Berlin und Halle, Zu finden im Buchladen des Waysenhauses, [1737]-1755, [Theil 2, Abth. 1, No. LXV], S. 183-88.

Abgedruckt in Helmut Neuhaus, Hg., Zeitalter des Absolutismus 1648-1789. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung. Hrsg. Rainer A. Müller, Band 5. Stuttgart: P. Reclam, 1997, S. 253-60.