Quelle
Das Kollegium des Ministeriums für Arbeit
Begründung
für die Ausarbeitung einer neuen Verordnung
Zahlreiche Beschwerden von VdN, Hinweise und Vorschläge aus den Bezirken erweisen die Notwendigkeit der Überarbeitung und Revision der Anordnung zur Sicherung der rechtlichen Stellung der Verfolgten des Naziregimes vom 5.10.1949 und der dazu am 10.2.50 erlassenen Durchführungsbestimmungen und Anerkennungsrichtlinien.
Bei den Anerkennungsrichtlinien sind es vor allem die Bestimmungen für die Anerkennung der rassisch Verfolgten, die nach gründlicher Überprüfung einer Änderung bedürfen.
Unter dem Gesichtspunkt der Gleichstellung der Widerstandskämpfer mit den rassisch Verfolgten sind in den Anerkennungsrichtlinien auf Betreiben des damaligen Präsidenten der Jüdischen Gemeinde, Julius Meyer, der im Zusammenhang mit dem Slansky-Prozeß als zionistischer Agent entlarvt und republikflüchtig wurde, Anerkennungsmerkmale für rassisch Verfolgte festgelegt worden, die in der praktischen Auswirkung zu einer Begünstigung dieses Personenkreises führten.
Es wird z.B. im Gegensatz zu den Widerstandskämpfern, den politischen Emigranten und anderen Gruppen von VdN von den aus rassischen Gründen Verfolgten, u.a. auch von den jüdischen Emigranten, nicht der Nachweis des organisierten Kampfes gegen das Naziregime im Ausland und der einwandfreien antifaschistisch-demokratischen Haltung während der Nazizeit und nach 1945 verlangt.
Es wurde von vornherein bei den rassisch Verfolgten ein anderer Maßstab angelegt, wobei sich die s.Zt. mit der Ausarbeitung der Richtlinien betraute Kommission offenbar der Argumentation von J. Meyer anschloß, daß die Juden, auch wenn sie sich politisch völlig passiv verhielten, ihrer bloßen Zugehörigkeit zur „jüdischen Rasse“ wegen, den grausamsten Verfolgungen durch die Nazis ausgesetzt waren und allein auf diese Tatsache hin ihre Anerkennung als VdN berechtigt ist.
Wie uns außerdem von Mitgliedern der damaligen Kommission mitgeteilt wurde, soll aber auch noch der Gesichtspunkt eine Rolle gespielt haben, daß in Westdeutschland die Frage der Wiedergutmachung und Haftentschädigung stand, während unsere gesellschaftliche und ökonomische Entwicklung diesen Weg nicht zuließ, sondern als bessere soziale Lösung die Sicherung der Existenz durch angemessene Renten und neben anderen Vergünstigungen durch eine kostenlose Gesundheitsfürsorge angesehen wurde. Auch den rassisch Verfolgten sollte durch die Gleichstellung mit den Widerstandskämpfern ebenfalls die Existenzgrundlage gesichert werden.
In die Anerkennung einbezogen wurden aus den gleichen oder ähnlichen Gründen auch die jüdischen Emigranten, die sogenannten „Mischlinge“ und „Versippten“ im Sinne der Nürnberger Gesetze, wenn sie aus rassischen Gründen in Haft oder in besonderen Härtelagern der OT/B-Aktionen Haase oder Mitte untergebracht waren, ferner die in „privilegierter“ Ehe lebenden Juden, die den Zusatznamen „Israel“ oder „Sarah“ führen mußten oder zur Zwangsarbeit herangezogen wurden und die nichtjüdischen Ehegatten oder Lebenskameraden ehemaliger „Sternträger“.
Bei der letzten Kategorie tritt die Begünstigung insofern besonders zutage, als diese Ehefrauen neben der eigenen Anerkennung nach § 3 Abs. 1 der Anerkennungsrichtlinien in der Regel auch als VdN-Hinterbliebene anerkannt sind und nach den gegenwärtigen Rentenbestimmungen für VdN bei Invalidität oder Erreichung der Altersgrenze neben der VdN-Witwenrente noch die volle VdN-Invaliden- bzw. Altersrente erhalten. […]
Quelle: BArch, DQ 1/1929, Bl. 410; abgedruckt in Dierk Hoffmann und Michael Schwartz, Hg., Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Bd. 8: 1949–1961: Deutsche Demokratische Republik. Im Zeichen des Aufbaus des Sozialismus. Baden-Baden: Nomos, 2004, Nr. 8/120.