Kurzbeschreibung

Da die DDR im Gegensatz zur Bundesrepublik die Vorstellung einer Rechtsnachfolge des „Dritten Reichs“ für sich ablehnt, sieht sie sich nicht in gleicher Weise in der Verantwortung für die Wiedergutmachung der Verbrechen des NS-Regimes. Auf individueller Ebene soll in der sowjetischen Besatzungszone und später in der DDR die Wiedergutmachung an den Opfern des Nationalsozialismus hauptsächlich in Form besonderer sozialer Leistungen und Ehrenpensionen erfolgen. Materielle Zuwendungen werden ihnen mit Ausnahme der jüdischen Opfer nicht gewährt. Außerdem wird die inzwischen durchgeführte Verstaatlichung von „arisierten“ Industriebetrieben, Banken oder Warenhäusern nicht zugunsten der früheren Besitzer rückgängig gemacht. Innerhalb der verschiedenen Opfergruppen werden Verfolgte, die aktiv gegen den Nationalsozialismus gekämpft haben, d.h. vor allem Kommunisten, bevorzugt behandelt.

Paul Merker an den Vorsitzenden der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands, Wilhelm Pieck, über das Entschädigungsgesetz in der Sowjetischen Besatzungszone (1948)

  • Paul Merker

Quelle

Berlin, 4. Mai 1948

Folgende Gedanken müßten beachtet werden:

1. Den antifaschistischen Kämpfern und politischen Opfern gegenüber, die heute auch im Mittelpunkt des Kampfes zur Demokratisierung des Landes stehen, hat der Staat bestimmte Verpflichtungen. Dazu gehören die Wiederherstellung der Gesundheit, die Versorgung mit den notwendigsten Einrichtungsgegenständen, Bekleidung etc., die Sicherung einer Erziehung der Kinder dieser Opfer, um Lücken, die durch die nazistische Unterdrückung entstanden sind, zu überwinden und eine bestimmte Altersversorgung.

Das muß meines Erachtens als eine Ehrenpflicht des demokratischen Staates betrachtet werden. Eine Aufrechnung des Lohnausfalles durch die Haft, wie sie im Westen vorgeschlagen wird, oder Ersatz des tatsächlich durch die lange Haft, durch die Zerstörung oder den Raub des Eigentums verursachten Schadens kann nicht in Frage kommen.

2. Was die sogenannten Rasseverfolgten betrifft, so spielt hier die nationale Frage eine Rolle. Die jüdische Bevölkerung wurde ausgeplündert und fast vernichtet, aus sogenannten rassepolitischen Gründen. Es handelt sich also um die Vernichtung einer nationalen bzw. religiösen Minderheit, die von dem deutschen Volke geduldet worden ist. In diesem Falle kann sich auch unsere Zone bestimmten Maßnahmen zur teilweisen materiellen Wiedergutmachung des angerichteten Schadens nicht entziehen. Dabei kann es sich jedoch nicht darum handeln, nun den jüdischen Großkapitalisten ihre früheren Vermögen, Betriebe oder Banken zurückzugeben. Was zurückgegeben werden muß, ist: das Eigentum der jüdischen Gemeinden, das mobile und immobile Eigentum von jüdischen Privatpersonen, soweit sie in der Zone leben, unter Ausschluß aller derjenigen Dinge, die in Staatshand übergegangen sind. Ferner ist es notwendig, jüdische Vermögenswerte, die sich heute noch unrechtmäßig im Besitze von Nazis oder anderen reaktionären Elementen befinden, zu registrieren und unter treuhänderische Verwaltung zu stellen. Alle diese Fragen sind jedoch in dem Gesetzesentwurf aufgerollt.

Quelle: SAPMO-BArch, DY 30 IV 2/2.027/31; abgedruckt in Udo Wengst, Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Bd. 2/2: 1945–1949: Die Zeit der Besatzungszonen. Sozialpolitik zwischen Kriegsende und der Gründung zweier deutscher Staaten. Dokumente. Baden-Baden: Nomos, 2001, Nr. 207, S. 469.