Quelle
Ein Wort an meine Angehörigen
Ich richte diese Ansprache an die Angehörigen meiner gewerblichen Anlagen, der Gußstahlfabrik, der Gruben und der Hüttenwerke, vertraulich ausdrücklich beschränkt auf den Verband von Arbeitern, Meistern und Beamten des obigen Privatbesitzes. […]
[…] Wenn eine Gefahr sich erhebt, so soll man nicht leichtsinnig sie verachten oder feige vor ihr sich zurückziehen, sondern mit offenen Augen Ursprung, Wesen und Gang derselben verfolgen und aufmerksam und tätig die Abwehr bereiten. Zu ähnlichem Zwecke richte ich an Euch das letzte Mal die Ermahnung zu Frieden und Verträglichkeit trotz jeder Glaubensverschiedenheit und wie ich glaube, nicht ohne Erfolg. […] Jetzt handelt es sich um die sogenannte Sozialdemokratie. In der gemäßigten Form und in den mildesten Grenzen wollen ihre Vertreter, daß jedermann zur Arbeit berechtigt und verpflichtet sei unter einem allgemeinen Gesetz und einer oberen Verwaltung. Besitz und Verfügung des Privaten sollen damit aufgehoben werden. Nehmen wir einmal an, daß die Sozialdemokratie bei uns in Deutschland in der mildesten Form zur Herrschaft gelange – ohne Kampf und ohne Widerstreben (wenn dies auch gar nicht als Möglichkeit im Ernste angenommen werden kann). Nehme man an, daß auch ich freiwillig zurücktrete aus meinem Besitz und andere gewähren lasse. – Aus der Spitze der Verwaltung und von den wirklichen Eingeweihten und Befähigten würde wohl schwerlich jemand der neuen Herrschaft sich unterordnen. An Stelle der Erfahrung, welche allein imstande ist, durch geschickte Leitung der Fabrikation und des Verkehrs die Existenz der Werke zu sichern und über die Gefahren ungünstiger Zeitumstände hinwegzuführen, würden zweifelhafte unbewährte Kenntnisse und Kräfte das große Ganze dem Untergang bald zuführen. Das braucht wohl niemandem näher erklärt zu werden. Aber selbst angenommen, daß man Leute finden würde, welche die Werke zu führen im Stande wären, welche in Preis und Qualität das bisher uns vorbehaltene Kunststück ausführen würden, mit der mächtigen fremden Industrie zu konkurrieren, so würde dennoch die Fabrik untergehen müssen und ferner niemandem mehr Nahrung geben, der nicht Steine und Eisen verdauen kann. Denn bekannt ist genug, daß die Fabrik nicht existieren kann von dem inländischen Verbrauch.
Der größte Teil der Arbeiten geht in fremde Länder über den ganzen Erdball. Diese Ausnahmestellung verdankt das Werk dem alten Rufe, dem Vertrauen, welches die Verwaltung seit der Existenz der Fabrik vor und nach erworben hat. Ohne dieses an Personen gebundene Vertrauen fällt der ganze Verkehr weg. Kein Staat und keine Regierung wird das Etablissement als das alte ansehen und respektieren, wenn auch nur das leitende Personal gewechselt wird; der Charakter der Sozialdemokratie wird aber nur zu Mißtrauen und Abneigung veranlassen. Die Verfechter der neuen Lehre für Glückseligkeit der Völker werden sich aber auch nicht mit diesem bloßen Anfange der Umwälzung begnügen, sie werden weiter gehen von Stufe zu Stufe. Sie wollen keinen Thron, keine Regierung, keine Religion, kein Eigentum und kein Erbe, auch ebensowenig Zucht, Scham und Sitte anerkennen und gelten lassen. Was Jahrhunderte an Gutem geschaffen, veredelt und geheiligt haben, soll vernichtet werden, und selbstverständlich geht das nicht ohne Feuer und Schwert. Was eine fleißige sparsame Familie, was eine Generation ehrlich erworben hat, soll der Faule, Liederliche sich aneignen dürfen, und wenn er einmal seinen Teil verzehrt hat, so teilt er nachher wiederholt mit denjenigen, welche inzwischen durch Fleiß und Sparsamkeit sich wieder etwas erworben haben. Das ist in klaren Worten das Ziel, wonach diese ausschreitenden Verfechter der neuen Lehre streben. […]
Ich verlasse nun dieses häßliche Bild und so unerquickliche Betrachtungen, um zu einem andern Gegenstande überzugehen und zwar zu der Geschichte meiner Werke, damit Ihr einsehen möget, aus welchen Gründen und mit welchem Rechte ich nicht eine Hand breit nachgebe in meinen Forderungen. […]
Es ist bekannt und braucht nicht wiederholt zu werden, daß im Jahre 1826 die verfallene Gußstahlfabrik ohne Vermögen mir zur Führung anvertraut wurde. Mit wenigen Leuten fing ich an, sie verdienten mehr und lebten besser als ich; so ging es fast fünfundzwanzig Jahre fort mit Sorgen und mühevoller Arbeit, und als ich dann eine größere Zahl von Leuten beschäftigte, war dennoch mein Vermögen geringer, als was heute mancher Arbeiter der Gußstahlfabrik besitzt. Es waren sehr brave Leute, mit denen ich die Arbeiten begonnen und durchgeführt habe, und ich danke ihnen allen, den meisten bereits verewigten, auch nachträglich für ihre Treue. Jene aber, die ich von der Herde, vom Pflug als arbeitslose Handwerker oder als Kinder von Witwen angenommen habe, traten gern bei mir ein, weil sie ihr Los verbesserten, und sie haben in den meisten Fällen auch dafür ihren Dank gern ausgedrückt. Mancher von ihnen ist ein wohlhabender Mann geworden. […] Es ist niemandem jemals eingefallen, nach Empfang des vereinbarten Lohnes noch einen Anspruch zu haben an den Gewinn. Für diesen Anspruch treten aber heutigen Tages gelehrte Volksbeglücker mit den schönen Redensarten auf, und diese haben zu den sozialistischen Lehren geführt.
Ich habe Kräfte gebraucht und solche engagiert, ich habe ihnen den geforderten Lohn gezahlt, meistens ihre Stellung verbessert und, nach gesetzlichen Bestimmungen, den Kontrakt verlängert oder sie entlassen. Mancher hat die Fabrik verlassen, um anderswo sich zu verbessern, der eine ist gegangen und ein anderer hat die Stelle wieder besetzt, und wo ursprünglich drei Mann beschäftigt waren, standen später 15 000. Im Laufe der Zeit haben mehr als 100 000 Mann solchen Wechsel auf meinen Werken durchgemacht. Jeder hat nach seiner Kraft und nach seiner Fähigkeit seinen Lohn erhalten, und anstatt eines jeden konnte in den meisten Fällen auch ein anderer hingestellt werden, denn die Arbeiter haben nicht das Verdienst der Erfindungen und überall finden sich geschickte Arbeiter zum Ersatz. Es kann also keine Rede davon sein, daß irgend jemand einen besonderen Anspruch behalte außer solchem, der selbstverständlich ist, der in Steigerung des Lohnes und des Gehaltes besteht und immer Folge größerer Leistung ist. Die Apostel der Sozialdemokraten suchen aber den bescheidensten Leuten durch ihre verführerischen Reden den Kopf zu verdrehen, und sie werden das Unglück von manchem Arbeiter verschulden, der ihnen Gehör schenkt und deshalb entlassen wird.
Der gewerbliche Arbeitgeber muß gerade wie der Landmann auf Wechselfälle vorbereitet sein. Beide haben oft die Kosten für die Saat und keine Ernte. Der Arbeiter will aber ungeschmälert seinen Lohn für seine Arbeit. Die Gußstahlfabrik muß ohne Scheu vor Kosten ihre Agenten in alle Enden des Erdballs senden, um Arbeit für die Fabrik zu beschaffen, und nicht immer geschieht dies mit Erfolg. Es treten Jahre ein, welche keinen Gewinn abwerfen, der Arbeiter aber erhält trotzdem seinen Lohn. Es muß in guten Jahren notwendige Kraft gewonnen werden, um die schlechten zu überstehen. Ohne Reserve im Gewinn, müßte man in schlechten Jahren die Leute gehen lassen. Es hat dagegen die Fabrik in den schlechtesten Jahren, wenn alles darniederlag, dennoch die Arbeit fortgesetzt, auf Vorrat fabriziert oder zu Preisen mit Verlust geliefert, bloß zu dem Zwecke, die Leute zu ernähren und den Herd warm zu halten. – Die Lehre der Sozialisten streitet auch mit dem jedem Menschen eingeborenen Rechtsgefühl; sowie jedermann sein Eigentum verteidigt, so tue ich dasselbe. – Wenn mein Gedanke mein ist, so ist auch meine Erfahrung mein und die Frucht derselben. – Dasselbe gilt für die Gußstahlfabrik und ihre Produktion. Ich habe die Erfindungen und neuen Produktionen eingeführt, nicht der Arbeiter. Er ist abgefunden mit seinem Lohne, und ob ich darauf gewinne oder verliere, das ist meine eigene Sache. […]
Ich habe den Mut gehabt, für die Verbesserung der Lage der Arbeiter Wohnungen zu bauen, worin bereits 20 000 Seelen untergebracht sind, ihnen Schulen zu gründen und Einrichtungen zu treffen zur billigen Beschaffung von allem Bedarf. Ich habe mich dadurch in eine Schuldenlast gesetzt, die abgetragen werden muß. Damit dies geschehen kann, muß jeder seine Schuldigkeit tun in Friede und Eintracht und in Übereinstimmung mit unsern Vorschriften. […]
Genießet, was Euch beschieden ist. Nach getaner Arbeit verbleibt im Kreise der Eurigen, bei den Eltern, bei der Frau und den Kindern und sinnt über Haushalt und Erziehung. Das sei Eure Politik, dabei werdet Ihr frohe Stunden erleben. Aber für die große Landespolitik erspart Euch die Aufregung. Höhere Politik treiben erfordert mehr freie Zeit und Einblick in die Verhältnisse, als dem Arbeiter verliehen ist. Ihr tut Eure Schuldigkeit, wenn Ihr durch Vertrauenspersonen empfohlene Leute erwählt.
Ihr erreicht aber sicher nichts als Schaden, wenn Ihr eingreifen wollt in das Ruder der gesetzlichen Ordnung. Das Politisieren in der Kneipe ist nebenbei sehr teuer, dafür kann man im Hause Besseres haben. […]
Mit dem Laufe der Zeit von Jahrzehnt zu Jahrzehnt wird alles besser und wer zurückblickt in die Vergangenheit, kann sich der Überzeugung nicht verschließen, daß große Fortschritte gemacht worden sind zum Besten aller und so auch der arbeitenden Klassen. Vor fünfzig Jahren lebte kein Arbeiter so gut in Nahrung, Wohnung und Kleidung als heute. Keiner wird tauschen wollen mit dem Lose seiner Eltern und Vorfahren.
Was ich nun hiermit ausgesprochen habe, möge jedem zur Aufklärung dienen über die Verhältnisse und deutlich machen, was er zu erwarten hat von Handlungen und Bestrebungen im Dienste des Sozialismus. Man erwärmt keine Schlange an seiner Brust und wer nicht von Herzen ergeben mit uns geht, wer unsern Ordnungen widerstrebt, der beeile sich auf anderen Boden zu kommen, denn seines Bleibens ist hier nicht. Es wird eine Bestimmung meines letzten Willens sein, daß stets mit Wohlwollen und Gerechtigkeit das Regiment geführt werden soll, aber äußerste Strenge soll gehandhabt werden gegen solche, die den Frieden stören wollen, und wenn bis jetzt mit großer Milde verfahren wurde, so möge das niemanden verleiten.
Ich schließe mit den besten Wünschen für alle.
Quelle: Alfred Krupp, eine Ansprache an seine Angestellten (11. Februar 1877), in Wilhelm Berdow, Hrsg., Alfred Krupps Briefe 1826–1887. Im Auftrage der Familie und der Firma Krupp. Berlin, 1928, S. 343–48; abgedruckt in Ernst Schraepler, Hrsg., Quellen zur Geschichte der sozialen Frage in Deutschland. 1871 bis zur Gegenwart, 3. verbesserte Aufl. Göttingen und Zürich: Muster-Schmidt, 1996, S. 99–103.