Quelle
1.Wald und Forst.
Hier und da staunen wir noch riesenhafte Eichen und Tannen an, die ohne alle Pflege gewachsen sind, während wir uns überzeugt fühlen, daß von uns an jenen Stellen durch keine Kunst und Pflege ähnliche Bäume erzogen werden können. –Heinrich Cotta (1816).
Auch die Pflanzen haben im Umgang mit einander wie die Menschen ihre Neigungen und Abneigungen, bald dem Sprichwort gehorsam gleich und gleich sich gesellend, bald fern von ihres Gleichen die Gesellschaft des Unverwandten suchend. Dies hat schon seit alter Zeit den Begriff der geselligen Pflanzen gegründet. Ja als man, namentlich nach Humboldt’s Vorgange, das stille Volk der Pflanzen im Sinne einer Bevölkerung neben der Thierbevölkerung des Erdenrundes auffaßte, bildete sich allmälig die Lehre von der geographischen Vertheilung der Gewächse aus, in welcher die sociale Seite ihre Rolle spielt. Nicht der Zufall oder die Launen des Windes und der Gewässer — welche die Samen bald hier bald dorthin tragen — bestimmen den Pflanzen ihre Stätte. Es herrscht hier wie bei der menschlichen Gesellschaft ein Zug mächtiger Kräfte oder einer sanften Innigkeit, dem die Pflanzen, wie auch oft wir, bewußtlos folgen, und dabei dennoch, wie wiederum auch wir, in sich selbst die maßgebenden Gesetze tragen, welche mit den Gesetzen der Außenwelt in Verknüpfung stehen.
Es möchte scheinen, als übte die Natur Deutschlands und ihm gleich beschaffener Lagen, welche die goldene Mittelstraße geht, in mehr als einer Hinsicht den Geselligkeitszug aus; wenigstens zeigt sich dies in der Pflanzenwelt wie in der menschlichen Gesellschaft. Zu keiner Zeit des Jahres zeigt unser Klima so herrische Gegensätze, daß wir in einem Kampfe mit denselben uns gezwungen sähen, alle anderen Rücksichten vergessend mit äußerster Mühe es uns in dem kleinen Raume, den unser Leib erfüllt, behaglich oder erträglich zu machen. Winter und Sommer — nahe dem Pole und dem Erdgleicher, die Feinde der Geselligkeit — sind bei uns die Beförderer derselben. Ungesucht bietet sich, und zwar in einer eigenthümlich ausgeprägten Bestimmtheit, das Gleichniß unserer Pflanzenwelt dar. Nicht bloß daß diese in vielen Punkten die gleiche Geselligkeit zeigt, sondern sie zeigt diese auch gleich uns deutschen Menschen in der Ausprägung des echt deutschen Sprichwortes, was ich schon vorhin anwendete: „Gleich und Gleich gesellt sich gern“; nur daß ihr dies nicht so wie uns ein Vorwurf sein kann. Denn wahrlich, es würde eine überraschende Unterhaltung bieten, die einander ausschließenden geselligen Vereinigungen der Deutschen mit denen der deutschen Pflanzenwelt in Parallele zu stellen. Ich überlasse es aber meinen Lesern, zu dem sich selbst genügenden, heiteren Buchenwalde, dem niederes Volk schirmenden aristokratischen Eichenwalde oder dem plebejischen Weidendickicht des Flußufers sich unter den Casino’s und Reunions der Menschen die passenden Seitenstücke selbst auszusuchen.
Wald und Wiese sind zwei gesellschaftliche Erscheinungsformen der Pflanzenwelt, welche sich in Deutschland schärfer ausprägen, als in wärmeren Klimaten. Nicht nur daß die stolzen Bäume sich aus der Gesellschaft der niedrigen Pflanzengeschlechter zurückziehen und im Walde sich dicht und eng zusammenschaaren, auch unter sich beobachten sie das System der Ausschließlichkeit. Der Nadelwald trennt sich vom Laubwalde, ja die Fichte trennt sich von der Kiefer, die Buche von der Eiche. Dies ist wenigstens dann der Fall, wenn der Wald im Mittelgebirge seine Herrschaft entfaltet. In den fruchtbaren Niederungen schwindet oft dieses kalte Streben der Absonderung und wir erhalten dadurch gegenüber jenen reinen Kiefern- oder Fichtenwaldungen die schönen gemischten Laubwälder unserer Auengegenden.
Die Wiese zeigt uns das Bild eines liebenswürdigen Widerspruchs: das treue Zusammenhalten gleicher Brüder, der Gräser, und das freundliche Patronat derselben gegen Fremde, die sogenannten Wiesenkräuter, welche wir nirgends anders antreffen, als im grünen Schooße der Wiesengräser, und deren sich meine pflanzenkundigen Leser und Leserinnen eine Menge nennen werden.
Oft drängt sich unser Interesse ein in die freie
Vergesellschaftung der Pflanzen und wir wenden alle Mittel der
vorgeschrittenen Feldbestellung an, um von unseren Getreidefeldern
gewisse Pflanzen fern zu halten, welche von Natur das Bedürfniß zu
haben scheinen, die Gesellschaft der Getreidepflanzen, ja deren
Schutz zu suchen. Gehaßte Unkräuter werden uns dann auch jene drei
vom Dichter gepriesenen Blumen, die „blaue Cyane“ nebst Kornrade
und Ackermohn, deren heimathliche Berechtigung zuletzt die
Schnitterin dennoch anerkennt, wenn sie dem segenschweren Wagen
auf dem Rechen den Erntekranz vorträgt, in welchem sie jene
drei
Blumen zwischen die falben Aehren geflochten hatte.
Der Wald steigert das ins Große, was die Wiese im Kleinen zeigt und zwar in vielen Abstufungen. Ich darf mich hier auf die Wahrnehmungen aller Waldfreunde berufen — und wer wäre kein Waldfreund? Wir alle kennen die verschiedenen Grade der Gastfreundschaft der Wälder. Der dicht geschaarte Fichtenwald verstattet nur dem zierlichen Völkchen der Moose das Lager zu den Füßen seiner Stämme, während der weitästige Eichenwald Raum läßt für ein ganzes Heer von Gesträuchen und Kräutern, der Buchenwald hingegen, den Nadelhölzern es an Selbstgenügsamkeit noch zuvorthuend, unter sich fast gar keine Waldkräuter duldet, denn er bedeckt den Boden fußhoch mit den schier unverweslichen Leichen seines Laubes.
Ist also auch der Wald ein an sich klarer und Niemand zweifelhafter Begriff, so schließt er doch Manchfaltigkeit seiner Ausprägung nicht aus. Ja diese Manchfaltigkeiten sind so groß, daß sie unsere Gemüthsstimmung auf die verschiedenste Weise anregen; und es geschieht dies nicht bloß durch die Baumverschiedenheit der Wälder, sondern fast mehr noch durch den Charakter ihrer Bodendecke. Mit diesem Namen wollen wir nämlich, dem Forstmanne folgend, die Art bezeichnen, wie der Waldboden zwischen den Bäumen verhüllt ist, was bald durch die abgefallenen Nadeln oder Blätter, oder durch mehr oder weniger dicht stehende Pflanzen niederen Ranges geschieht. Wie verschieden der Wald die Saiten unseres Gemüths anzuschlagen vermag, das werden wir sofort inne, wenn wir uns in einen sonndurchglüheten, harzduftenden Kiefernwald und dann wieder in einen Buchenwald versetzen. Wir werden später Veranlassung finden, uns dieser Anregungen des Waldes und ihrer Gründe klar bewußt zu werden. Jetzt ist es uns bloß darum zu thun, den Wald als ein Beispiel des Geselligkeitstriebes im Pflanzenreiche uns vorzuhalten und nun weiter den Unterschied zwischen Wald und Forst festzustellen.
Jeder Forst ist zugleich auch ein Wald, aber nicht jeder Wald, und wäre er auch noch so groß, ein Forst. Die geregelte Pflege und Bewirthschaftung macht den Wald zum Forste. Darum giebt es Urwälder aber keine Urforsten, eine Forstwissenschaft, keine Waldwissenschaft. Das uralte deutsche Wort trägt diese seine beschränkende Bedeutung in dem Worte Förster klar zur Schau, für welches die Sprache kein gleichbedeutendes von Wald gebildetes hat.
Die Nutzung des Waldes macht ihn noch nicht zum Forste und darum sind leider noch viele unserer Gemeindewaldungen keine Gemeindeforsten. Die Aufgabe der Zeit aber ist es, wenigstens in Kulturstaaten, alle Wälder Forsten werden zu lassen. Wir alle sind dabei betheiligt, und mehr noch als wir unsere Enkel.
Man darf es wohl sagen, daß die fern von großen Waldungen in volkreichen Städten Wohnenden die forstliche Bedeutung des Waldes nur oberflächlich, meist sogar noch weniger, kennen und würdigen. Ihnen ist der Wald eine von selbst fließende Quelle, die ihnen um so unerschöpflicher zu sein scheint, je weniger sie das Baumleben kennen und je unbekannter sie sind mit den Ziffern der Statistik, einer Wissenschaft, so meinen sie, die sie ja nichts angeht.
Wie wenig ahnt man, daß der Förster mit dem Gärtner und Ackerbauer die gleiche Aufgabe hat: Pflanzen zu säen und zu erziehen, nur unter noch weit größeren Mühen und Widerwärtigkeiten und — das vergesse man nicht — oft, ja meist ohne in der Reife seiner Saaten seinen Lohn zu erleben. Leider ist ja Vielen der Förster mehr bloß ein Holzverwalter als ein Walderzieher.
Diejenigen meiner Leser, welche sich zu den Freunden, nicht zu
den Pflegern des Waldes zählen, mögen nur jetzt nicht fürchten, es
könne ihnen etwas verloren gehen von ihrer poetischen Waldliebe,
wenn sie ihren Freund als Forst in das kalte Licht der
Wissenschaft gestellt sehen. Lieben wir denn einen Freund dann
weniger, wenn wir hören, daß er nicht bloß
durch seine
Innigkeit und Tiefe des Gemüths, nicht bloß durch den leuchtenden
Blick seines schönen Auges und durch den Zauber seines Gesprächs
glänzt — daß er in aller Stille einem ernsten edeln Berufe folgt?
So ist es mit dem Walde.
Wenn der Eichbaum gefällt neben seiner Wurzel liegt und Säge
und Beil ihn zerstücken — nicht dann erst beginnt er uns zu
nützen. Die größere Halbschied seines Nutzens endet mit seinem
Leben. Was wir uns aus seinem Holze machen, kommt dem an
Wichtigkeit nicht gleich, wozu
er im Interesse unseres Lebens
mit anderen Bäumen als lebendiger Baum beitrug. Als Waldpfleger,
nicht als Holzfäller ist der Förster ein wichtiger Arbeiter im
Dienste des Völkerlebens, nicht minder wichtig als der Ackersmann.
Zwar muß zugegeben werden, daß diese Seite des Wäldersegens,
welche mit dem Fällen der Wälder aufhört, vielleicht selbst von
manchem Förster noch nicht gewürdigt ist. Aber die warme Liebe der
Waldpfleger für ihre grünen Reviere verhütet die Gefahr, welche in
jener Unkenntniß liegen könnte, von selbst, denn nur selten ist
ein Förster nichts weiter als ein kalter Finanzmann, der nur
Klaftern im Walde wachsen sieht, und nur nach dem Ruhme eines
hohen „Abgabe-Etats“ trachtet.
Vielleicht nur für wenige meiner Leser und Leserinnen brauche ich erst noch zu sagen, daß ich jetzt die Bedeutung des Waldes für das Klima und also für die Fruchtbarkeit des Bodens im Auge habe. Die Forstwissenschaft erkennt in neuerer Zeit in der Würdigung dieser Bedeutung des Waldes die Spitze ihrer Aufgabe und ist dadurch aus der niederen Stellung der Holzerzieherin zu einer Höhe emporgestiegen, wo sie sich neben Wissenschaften erblickt, welche man sonst hoch über sie setzte.
Allerdings nimmt die ausübende Forstwissenschaft, die Forstwirthschaft, in ihren Maßregeln und Arbeiten auf diese höchste Seite der Waldbedeutung noch keinen besonderen Bedacht, denn ihr letztes und nächstes Ziel war immer nur eine möglichst reichliche Holzernte unter vorsichtigem Bedacht, daß eine gleiche auch den kommenden Zeiten gesichert sei. Es kam aber dabei von selbst auch für den in Rede stehenden Nutzen des Waldes das überhaupt Erreichbare heraus, denn der des Holzes wegen zu möglichster Lebensfülle erzogene Wald war zugleich geeignet, jener Aufgabe zu genügen.
Wie könnte ich noch zweifeln wollen, daß schon nach dieser kurzen Andeutung kein Waldfreund mehr den Forst mit scheuem Bedenken ansehen werde, daß keinem die Forstwissenschaft länger als ein Eingriff in sein poetisches Besitzthum erscheine.
Hier drängt sich uns ein alter noch ziemlich verbreiteter Irrthum zur Beachtung und Berichtigung auf. Manche glauben, die großen Waldungen Deutschlands seien noch Erbstücke der alten Teutonen und ohne unser Zuthun von selbst gewachsen. Solcher Erbstücke, echte Urwälder, giebt es in Deutschland nur noch sehr wenige. Selbst sehr alte und ausgedehnte Waldungen sind theils urkundlich, theils durch gewisse Merkmale nachweisbar Schöpfungen forstlicher Hände, deren Spuren sich freilich für den unkundigen Blick zuletzt vollkommen verwischen, was ja eben dem Waldfreunde ganz recht sein muß. Dieser Irrthum hängt mit einem anderen zusammen, der sich in der Form eines zum Glück nicht aller Welt geläufigen Sprichwortes breit macht: „wo nichts wächst, wächst Holz.“ Diese grundfalsche Floskel spricht der Forstwissenschaft Hohn und erklärt den Wald gewissermaßen für einen Lückenbüßer des Feldbaues. Wir werden im Verlauf Gelegenheit finden, uns zu überzeugen, daß „wo nichts wächst“, d. h. an sehr unfruchtbaren Orten, es zuletzt doch meist noch leichter gelingt, einen kümmerlichen Feldbau zu betreiben, als solche Orte für Holzzucht zu gewinnen. Bei der allgemeinen großen Unbekanntschaft mit dem Geschäft des Forstmannes wird es freilich Manchem unglaublich vorkommen, zu hören, daß ein gar nicht eben sehr unfruchtbar aussehender Boden dem Holzanbau zuweilen unbesiegbare Schwierigkeiten entgegensetzt, und daß der Forstwirth hierin gegen den Landwirth in sofern selbst im Nachtheil ist, weil er seine ungeheuren Kulturflächen nicht wie dieser durch Düngen und Bestellungsarbeiten verbessern kann und hiernach liegt wenigstens etwas Wahres in der Volksmeinung, daß der Wald von selbst wachse.
Was der Forstmann zu diesem „von selbst“ seinerseits noch hinzufügen kann, um das Gedeihen und Heranwachsen seiner Kulturen zu kräftigen und zu beschleunigen, das ist himmelweit von dem verschieden, was hier in der Hand des Landwirthes liegt und wird viele meiner Leser überraschen, wenn wir es später kennen lernen werden. Hier sei nur vorläufig daran erinnert, daß es der Forstmann stets mit langen Zeiträumen zu thun hat, wodurch seine Maßregeln einen weiten Spielraum gewinnen und Erfolge oft lange auf sich warten lassen. Oft bleiben diese Jahre und Jahrzehende lang aus, oder erweisen sich ganz der Erwartung entgegen, treten auch wohl so spät erst ein, daß dann die von der bisherigen Erfahrung gerechtfertigte Ungeduld durch Ergreifung neuer Maßregeln dem endlich doch noch kommenden Erfolge störend in den Weg tritt.
Der Waldbau ist in der That ein großartiges Geduldspiel; der Förster steht der Natur gegenüber und beide tauschen ihre bedächtigen Schachzüge, so bedächtig, daß der Erstere oft darüber stirbt, ehe sein Gegenpart durch einen maßgebenden Gegenzug geantwortet hat.
Der Waldfreund denkt sich die Sache meist ganz anders. Begegnet er dem grünen Manne in seinen weiten, vom Morgengesang der Vögel durchschmetterten Revieren, so hat er wohl keine Ahnung davon, daß unter dem grünen Rocke vielleicht ein um seinen Pflegling bekümmertes Herz schlägt, daß sich vielleicht eben der Mann den Kopf zersinnt, weshalb wohl plötzlich jene Fichtenpflanzung nicht mehr wachsen will, an deren Gedeihen er zehn Jahre lang seine Freude hatte. So stehen zwei Männer neben einander, beide sehen dasselbe, beide lieben dasselbe, der eine aber nennt und empfindet darin den Wald, der andere sieht und sorgt sich um den Forst.
Daneben kann es wohl vorkommen, daß ein greiser Forstmann, der schon eine Wandelung seines Revieres gesehen hat, mit theilnahmvollem Lächeln den Streifereien des Malers folgt, der vergeblich nach einem Plätzchen für seinen Feldstuhl späht, von wo aus er ein kunstgerechtes Waldbild sich gestalten sähe. „Du kommst zu spät, an der Stelle Deines Waldes steht jetzt mein Forst.“
Wir wollen ehrlich sein. Die Forstwirthschaft ist der Poesie
des Waldes nicht eben günstig. Aber neben diesem Geständniß kann
es recht gut bestehen, daß ich vorhin dem Waldfreunde sagte, die
Forstwissenschaft raube ihm nichts von seiner Waldliebe. Die
Poesie derselben muß sich
aber in demselben Sinne
vergeistigen, klären, wie wir vorhin vom Walde einen höheren, tief
in unser Leben eingreifenden Beruf kennen lernten, welcher viel
bedeutsamer ist, als der Holzwerth des Waldes, und vom Denkenden
leicht mit seiner poetischen Waldliebe verschmolzen wird. Giebt es
eine poetischere Anschauung des Waldes, als wenn wir seine
Laubkronen und seine Wurzeln als die Zauberer denken, welche das
dreigestaltige ruhelose Wasser in zweien seiner Gestalten, als Gas
und als flüssige Tropfen, im Dienste des organischen Lebens
festhalten, herbeirufen — mit Einem Worte: beherrschen?
Der Wald hört nicht auf, ein Liebling unseres Sehnens zu sein, wenn er eine Quelle unseres ganzen Seins wird. Wer die fürchterlichen Folgen der Entwaldung in dem französischen Departement der Oberalpen und der Dauphiné, wer sie in vielen Gegenden Südspaniens gesehen hat, in dem steigert sich ganz von selbst seine kindliche Waldlust zur dankbaren Liebe.
Daß ich es gerade heraussage: was mich schon seit Jahren zu dieser Darstellung des Waldes getrieben hat, was zuletzt in den genannten Ländern zu einem unwiderstehlichen Drange wurde: es ist der Wunsch, den Wald gegenüber den maßlosen und gedanklosen Anforderungen an denselben unter den Schutz des Wissens Aller zu stellen.
Wahrlich es ist hohe Zeit, neben die Bedeutung des Waldes und des Forstes noch eine dritte zu stellen und nicht zu ruhen, bis dieselbe in Allen lebendig geworden ist. Ich habe sie hinlänglich angedeutet und versuche es jetzt nicht, für sie einen Namen, gleich jenen kurz und bündig, zu erfinden.
2.Woraus besteht der Wald?
Hier quillt die
träumerische,
Urjugendliche Frische;
In ahnungsvoller
Hülle
Die ganze Lebensfülle.
Lenau.
Wenn hierauf „aus Bäumen“ die richtige Antwort wäre, so wäre allerdings die Frage so müßig, wie sie Manchem erscheinen mag. Diese Antwort würde aber die Frage nur sehr mangelhaft erledigen und allenfalls einen kunstgerecht erzogenen Fichtenbestand treffen. Wenn wir uns jetzt recht lebhaft eines unserer fröhlichen Waldgänge erinnern, so fühlen und wissen wir auch, daß der Wald nicht blos aus Bäumen besteht.
Es fehlt unserer reichen Sprache ein Wort, um es damit kurz und rund auszudrücken, daß der Wald ein formenreicher Inbegriff von Körpern und Erscheinungen ist. Ich entlehne jetzt nicht der französischen Sprache, welche ein solches Wort besitzt, um auch nicht den leisesten Anklang an Ausländisches in die Betrachtung unseres Deutschen Waldes einzumischen.
Nennen wir darum den Wald eine schöne, eine gewaltige Vereinigung von Körpern und Erscheinungen, in welcher kein Theil den übrigen völlig gleicht, und welche alle dennoch vollkommen zusammenstimmen zu erhabenem Einklang, der die Saiten in einer jeden unverdorbenen Brust erklingen macht.
Was in anderer Auffassung zu einem Vorwurfe werden kann, findet in dem Einklang, der der Wald ist, Erklärung und somit Entschuldigung. Umfangen von den hunderterlei Eindrücken, welche uns im Walde werden, können wir über dem Ganzen die Theile vollständig vergessen, es kann uns widerfahren, und vielen widerfährt es wirklich — und daraus kann man eben einen Vorwurf machen — daß in uns die sprichwörtliche Redensart sich umkehrt, „daß wir vor dem Walde die Bäume nicht sehen.“
Das Ordnungslose, das Ungebundene, das unbändig Kühne, was uns sonst so oft verwirrt und verletzt: im Wald erhält es Berechtigung und wirkt in uns gegentheilig; es erzeugt in uns jenen ahnungsvollen Schauer, den nur die Natur in ihrer Größe hervorzurufen vermag. Es ist nicht ein einzelner Sinn, den wir angeregt fühlen; alle Sinne wölben sich zu Einer weitgespannten Pforte, durch welche das erhabene Waldbild in unser Inneres einzieht.
Indem wir uns dessen bewußt werden, so wäre es jetzt eine pedantische Entweihung, wollten wir den Wald in seine Einzelheiten zerlegen. Die Titelfrage ist darum auch nicht deshalb aufgeworfen, um nun mit dem kalten Messer des Zergliederers den Wald in seine Theile zu zerlegen; sie will nichts weiter, als uns zwingen, einmal mehr als es gewöhnlich geschieht, uns zu erinnern, daß eben nicht blos die Bäume es sind, daß es überhaupt nicht blos einzelne Dinge sind, welche uns den Wald bilden; sondern daß uns der Wald eine Erscheinung ist, so reich und manchfaltig, daß wir, indem wir uns ihr hingeben, an ihre Zergliederung gar nicht denken und kaum inne werden, wie uns geschieht, wenn sich der Wald unseres Gemüthes ganz und voll bemächtigt.
In dieser Auffassung möchte es scheinen, als gehöre der Wald nur dem Dichter und dem Maler, und wir merken eben, daß Inhalt und Aufgabe dieses kleinen Abschnittes in der Hauptsache eben in der Anerkennung dieses Eigenthums-Rechts aufgeht.
Aber sind denn Dichter und Maler und der Forscher so von einander getrennt, daß deren beiderseitige Besitztitel am Walde auf verschiedenen Papieren geschrieben sind? Nimmermehr. Die Natur ist ja eben die große Versöhnerin, welche die auseinanderstrebenden Wege menschlicher Thätigkeit auf Einen Punkt zusammenruft. Der Dichter, in dem sich nichts vom Maler, nichts vom Forscher regt, der Forscher, dem die Empfindungen des Dichters und Malers fremd sind, sind keine echten Söhne der Natur.
Es ist eine von den Aufgaben unserer Arbeit, diesen Zwiespalt
zwischen Dichter, Maler und Naturforscher zu versöhnen, und
nirgends kann dies erfolgreicher geschehen, kein Ort ist dazu
würdiger angethan als der Wald. In ihm wird jedes reine, eines
Aufschwungs fähige Gemüth zum Dichter wie zum Maler, und um es zu
werden bedarf es nicht des Versuchs, seine Ausrufungen in gereimte
Worte zu fassen, die ausgebreitete Pracht sich und Anderen mit dem
Griffel aufzubewahren. Nur Forscher wird man im Walde zuletzt und
man könnte fragen, wie wir es im vorigen Abschnitt auch bereits
gethan haben, ob nicht die forschende Betrachtung
des Waldes
eine Beeinträchtigung der poetischen sei. Ich fürchte es
nicht.
Wenn Dichter und Maler wenig daran denkt, die Frage unserer
Ueberschrift zu beantworten, ja überhaupt sie sich vorzulegen, so
drängt sie sich dem Forscher von selbst auf, und indem er sie
beantwortet, dient er nicht blos sich, sondern zugleich jenen
Beiden, die mit ihm eins sind, oder
wenigstens eins sein
müssen, wenn er zu dem Ausrufe die volle Berechtigung des
Verständnisses haben will, „o wie herrlich ist der Wald!“
Unter dieser Auffassung kann uns nun die Frage „woraus besteht der Wald,“ nicht mehr müßig erscheinen. Unsere Sinne fühlen sich geschärft, wir nehmen wahr, wir unterscheiden, wir verstehen, wo wir früher blos empfanden und entzückt waren, und indem wir Jenes lernen, büßen wir an Letzterem nichts ein. Mehr noch, wir büßen nicht nur nichts ein, sondern unsere Freude wird vergeistigt, weil sie verständnißvoll wird.
Quelle: E. A. Roßmäßler, Der Wald. Den Freunden und Pflegern des Waldes. Leipzig und Heidelberg: C. F. Winter’sche Verlagshandlung, 1863, S. 3–13.