Quelle
Julius Fröbel an Fanny Piaget[1], Zürich, 5. Juli 1849
Liebe Freundin!
Der beigeschlossene Brief an Ihren Bruder[2], den ich zu besorgen bitte, sagt Ihnen was ich nicht besonders in diesen Zeilen wiederholen brauche. Ich bin seit einigen Tagen frei[3], und gestern folgte mir meine Frau[4] nach, die ich in einem Winkel des Waldes zurückgelassen hatte. Durch die Unfähigkeit und Schlechtigkeit unserer Partei sind wir dahin gekommen, wo wir sind. Ich verzweifle nicht an Deutschland und Europa; allein so gern ich ausharren und das Schicksal Aller theilen möchte, so kann ich es nicht; denn es kann keinem Menschen und auch unserer Sache nichts nützen, wenn ich unwirksam in der Schweiz sitze, um Hunger zu leiden und die Meinigen leiden zu lassen. Und in Europa weiß ich kein Land, wo ich eine Existenz zu finden hoffen könnte. England und Norwegen wären vielleicht die einzigen; aber beiden muß man Amerika vorziehen. Ist es mir möglich meinen Plan auszuführen, so bin ich in 4 Wochen auf dem Meere. Natürlich schreibe ich Ihnen vorher noch. Ich fühle im Voraus den Schmerz, den ich jenseits des Meeres schon überwinden werde, denn mein ganzes Herz war bei unseren Kämpfen. Es muß aber sein.
Ihr Julius Fröbel
Julius Fröbel an Fanny Lewald, New York, 30. April 1850
Meine geehrte Freundin!
Wenn die Leute, wie Sie sagen, behaupten, daß ich zu Denen gehöre, welche sich nie nach entfernten Freunden sehnen, so haben sie insofern Recht als meine Freundschaft nie die Form der Sehnsucht annimmt; sie ist aber darum nicht minder treu und zuverlässig. So ist sie gegen Sie und unseren gemeinsamen Freund Stahr. So viel ich seit unserem Abschied am Strand von Helgoland[5] wiederum durchlebt habe, so stehen mir doch die Tage, welche ich mit Ihnen und Stahr auf dem kleinen Fels in der Nordsee verbrachte, noch lebhaft vor der Seele[6], und ich erwidere in meinem Gefühl der Liebe, welches Sie beide mir bewiesen, jetzt wie damals. Geschrieben habe ich Ihnen demungeachtet nicht, weil mein inneres und äußeres Leben hier noch keinen festen Punkt gewonnen hatte, wie man ihn braucht, um sich umzusehen. Der gegenwärtige Augenblick hat so etwas Aehnliches von einem Ruhepuncte, insofern ich vor zwei Tagen eine Folge von sechs Vorlesungen über die Bedingungen und Folgen der Europäischen Revolution beendigt habe[7], und morgen eine kleine Reise nach Washington und Virginia antrete. Sie erinnern sich unserer Gespräche in Helgoland, und die Nachricht daß ich Seifensieder geworden, welche unsern unglücklichen Zeitungsschreibern Stoff zur Unterhaltung ihrer Leser gegeben[8], wird Ihnen gezeigt haben, daß mein Entschluß, mich frisch in das praktische Leben zu stürzen, ernsthaft gemeint war. Ich setzte meinen ganzen Ehrgeiz daran, der Trau und Nuglisch[9] der Neuen Welt zu werden. Ich hatte indessen meine Ansprüche zu hoch gestellt. Die Seifenfabrik von Fröbel & Co in NY [New York] „is no more“! – und ich gebe es, nach diesem letzten mißrathenen Versuche, vor der Hand auf, die Menschheit von ihrem Schmutze zu reinigen. Fragen Sie nach Gründen dieses tragischen Endes eines vielversprechenden Unternehmens, so muß ich die Schuld Denen zuschreiben, welche durch Vorspiegelung Californischer Goldkrumpen mich jenem Culturprojecte (Sie wissen, daß Professor [Justus v.] Liebig die Cultur nach der Seifenconsumtion mißt) untreu gemacht haben.[10] Man wird hier demoralisirt, das ist nicht zu verkennen, und es ist möglich daß ich noch so tief sinke den Weg nach San Francisco einzuschlagen. Einstweilen gehe ich Morgen, dem Präsidenten der Vereinigten Staaten und den einflußreichsten Mitgliedern des Senates und Repräsentantenhauses dringend empfohlen, nach Washington, und von dort nach Virginia.[11] In 3 bis 4 Wochen denke ich wieder hier zu sein, und im Juni mich in Wisconsin und Iowa herumzutreiben.[12]
Doch ich vergesse fast, Ihnen auf Ihre literarische Anfrage zu antworten. Das Deutsche Publicum der Vereinigten Staaten liest nicht, oder der lesende Theil beschränkt sich auf eine kleine Zahl von Personen, die gelegentlich von vaterländischer Literatur naschen. Die reichgewordenen Deutschen geben größtentheils den Gebrauch der Deutschen Sprache auf, und schicken selbst ihre Kinder in Schulen wo in Englischer Sprache gelehrt wird. Ich finde in der That, daß sie Recht haben. Mein Junge, der seit 14 Tagen hier ist, geht auch schon seit 8 Tagen in eine Englische Schule. Stahrs Republicaner[13] und Ihr Prinz L[ouis] Ferdinand[14] circuliren seit ich hier bin unter den Deutschen Damen meiner Bekanntschaft. Ich bemühte mich zu bewirken daß die Republicaner übersetzt werden, was freilich Stahr nichts einbringen würde als die Ehre; bisher ist es aber noch nicht zu Stande gekommen, einen der hiesigen Verleger genug dafür zu interessiren. Ich glaube indessen, daß dies wohl noch gelingen wird. Es entstehen hier selbst sehr viele Romane. Ich habe aber noch nicht Zeit gehabt, mich über ihren Charakter zu unterrichten. Im Ganzen also muß ich Ihnen sagen, daß der Deutsche Buchhandel hier null ist, wie überhaupt das Deutsche Publicum unter dem anglo-amerikanischen steht. Die ganze „höhere Bildung“ unserer Landsleute besteht darin, daß sie für sich das Recht in Anspruch nehmen am Sonntag Musik und Spectakel zu machen, was die Anglo-amerikaner nicht zu schätzen wissen.
[…]
Im Ganzen aber ist Deutsche Literatur hier so hoffnungslos, daß ich schon seit einiger Zeit zu dem Entschlusse gekommen bin, mich in meinen eigenen Notizen für mich selbst der Englischen Sprache zu bedienen, und sollte ich hier literarisch auftreten, so wird es wohl nur in Englischer Sprache sein.
Ich möchte diesen Zeilen einige besondere an Stahr beilegen. Ich habe aber keine Viertelstunde mehr Zeit, und weiß auch daß die an Sie gerichteten Worte leicht zu ihm gelangen können, wenn Sie glauben sollten, daß sie sich der Mühe der Sendung verlohnen. Ich schreibe ihm gelegentlich von der Reise, und kann ihm dann Interessanteres erzählen als heute. Leben sie wohl
Ihr Julius Fröbel
[Es folgt eine Kontaktadresse]
Sorgen Sie daß aus diesem Briefe nichts in eine Zeitung kommt. Ich habe sehr unangenehme Erfahrungen gemacht.[15]
Julius Fröbel an Ludwig Bamberger, Frankfurt/M., 9. September 1857
Lieber Bamberger:
Seitdem mich mein Weg durch Paris geführt, wo ich leider Dich nicht fand und so in der That das Zusammentreffen mit dem meiner europäischen Freunde verfehlte, mit dem ich am meisten eine Unterhaltung gewünscht hätte, bin ich jetzt hier zum ersten Mal zu einiger Ruhe gekommen; und so karg mir auch die Zeit zugemessen ist, welche ich der Vollendung des zweiten Bandes meiner „Erfahrungen etc.“[16] zu widmen habe, so muß sich doch eine Stunde finden lassen, sie der Eröffnung eines erneuerten Verkehrs mit Dir zu widmen. Die größere Nähe und die Gemeinsamkeit einer gewissen geistigen Atmosphäre, die das europäische Leben ausmacht, fordern mich dazu auf, auch wenn ich mir sage, daß ich mich in dieser Atmosphäre nie mehr ganz wohl und heimisch fühlen werde. Die politischen Zustände beider Welttheile haben mit dieser Äußerung nichts zu schaffen, wenigstens nichts directes: – es sind allgemeinere sittliche Differenzen, in die ich mich mit dem europäischen Leben versetzt sehe – die nämlichen welche schon zwischen mir und meinen deutschen Freunden in New York eine gewisse geistige Schranke gezogen haben. Diese alle sehnen sich in das europäische Leben zurück; während ich von jeher dem was specifisch den Geist der europäischen Civilisation im modernen Sinne ausmacht, feind gewesen bin, und meine Rückkehr nach achtjähriger Wanderschaft in der Fremde ist nicht geeignet diese Feindschaft zu mildern. Mit Dir hätte ich gerne über diese Dinge gesprochen, da ich von früher her bei Dir Lebensauffassungen kenne, die den meinigen verwandt waren, und da die Stellung welche Du seitdem in der Welt eingenommen, Dich mit Interessen identificirt hat, welche dem Gebiete der nützlichen Thätigkeit und nicht dem der leiblichen und geistigen Gefräßigkeit und Schlämmerei angehören[17], welche nicht nur gedankenlose Schwätzer sondern auch viele uns nahe stehenden Menschen „Idealismus“ zu nennen wagen. Ich meines Theils weiß nicht was Bier und Tabak mit Ideale[n] zu thun haben, auch wenn sie mit Musik oder mit Sonnenuntergang genossen werden; – ich weiß nicht wie man das amerikanische Leben materialistischer nennen kann als das europäische, bloß darum weil das erstere producirend, das letztere consumirend ist, – das erstere Realitäten schafft, das letztere sie verfrißt und versäuft.
Doch ich habe mehr gesagt als ich sagen wollte. Meine Absicht war keine andere als Dir zu erzählen, daß mir Europa bei meiner Rückkehr mehr mißfällt, als es mir bei meinem Abschiede mißfallen hat, und daß ich mich hier einigermaßen fremd fühle. Ich glaube nicht daß wir bleiben werden, denn meine Frau, so sehr sie sich gefreut hat ihre Mutter wieder zu sehen[18], die auch diesen Winter hier bei uns wohnen wird, denkt und fühlt wie ich, und zieht trotz aller Härten das amerikanische Leben, unter dem sie in einem ungewöhnlichen Grade zu leiden gehabt hat, doch dieses dem europäischen vor.
Den Winter über werden wir indessen, sofern mich nicht etwa die Polizei in meiner friedlichen Existenz stört, hier zubringen. Ich habe noch bis Ende dieses Monats am zweiten Bande meines Buches zu schreiben, – dann soll ein Band unter dem Titel „Amerika, Europa und die Weltpolitik“[19] folgen, worauf ich auf dieser Seite des Oceans nichts mehr zu thun habe. Mein Sohn[20], der in Freiberg Hüttenwesen studirt, jetzt aber zum Besuche hier bei uns ist, wird bis dahin mit seinen Studien fertig sein, und sich für die Ausübung eines metallurgischen Berufes in Californien, Mexico oder Central Amerika tüchtig gemacht haben. Rückwärts wird uns der Weg über Paris führen, und sehe ich Dich nicht vorher anderswo, so werde ich dann Dich hoffentlich zu Hause finden.
Unterdessen würde ich mich in der That freuen, mit Dir wenigstens in einigem brieflichen Verkehre zu stehen, und einige Zeilen von Dir werden mir eine willkommene Gabe sein.
Dein Freund
Julius Froebel
Anmerkungen
Quelle: Julius Fröbel an Fanny Piaget (Brandenburg. LHA, Pr. Br. Rep. 90C Berlin, 9811, Bl.17); Julius Fröbel an Fanny Lewald (BA Koblenz, FSg. 1/310, Bl. 8f); Julius Fröbel an Ludwig Bamberger (NL Bamberger; früher: 90 Ba 3/61, Bl. 2f); abgedruckt in Nach der Revolution 1848/49: Verfolgung, Realpolitik, Nationsbildung. Politische Briefe deutscher Liberaler und Demokraten 1849–1861. Bearbeitet von Christian Jansen Düsseldorf. Droste, 2004, S. 6, 106–09, 448–49. Wiedergabe auf dieser Website mit freundlicher Genehmigung von der Kommission für Geschichte des Parlamentarismus und der politischen Parteien KGParl (www.kgparl.de).