Quelle
Allergnädigster Kayser und Herr!
[…] dieweil ich wohl spüren und abnehmen kan, dass E. Mayt. die jetzige schwere Zeit und leufft und die so hohe und grosse obligen unseres Vatterlandts gnädigst und väterlichen angelegen, […] und dann in dergleichen fellen den grossen Potentaten und Fürsten oft Leut mangeln, die sie der warheit und notturfft ohne scheu oder heuchelei erinnern und berichten, so hab ich aus unterthenigsten getreuen gemüth nit unterlassen wollen, E. M. uff derselben gnedig begehrn und wolgefallen noch weiter meines einfeltigen bedenckhens zu berichten, damit sie desto mehr ursach hette, den vorstehenden gemainen hohen obligen auff einen grundt und gewisses zihl nachzudenckhen.
Und ist […] gleichwohl an dem, dass E. Mayt. mit Irer Regierung in ein schwere böse Zeit gerathen, da das gemain wesen voller gebrechen und zerrüttung ist, und da man die starckhe Regel und Richtschnur zu regieren übel fortsetzen oder handhaben, noch der gewaltsame der Zeit und allerlay eingerissenen und ausstrauender Verenderung mächtig sein kan.
[Schwendi verweist auf die Abhängigkeit alles menschlichen Tuns von den Gelegenheiten „der Zeit und leufft“ und den Dispositionen des Höchsten. Angesichts der „gewaltsame der Zeit“ sei eine realistische Analyse der Verhältnisse nötig und Regentenpflicht; sie müsse auf die historische Entwicklung der gegenwärtigen Gebrechen abheben, gleichsam die Diagnose der Krankheiten versuchen. Gefährlich sei, wenn sich Mängel und Gebrechen sowohl in Regierungs- als auch in Religionssachen ergäben.]
Und dieweil die ding gleich wie die Kranckheiten aus onordentlichem leben und wesen sich erzaigen, zunemen und bis auffs höchste wachsen, felt es auch den Häuptern und Regenten alsdann am aller gefährlichsten und schwersten, wenn sie mit ihrer Regierung eben in die Zeit und in den Puncten, da es gar umbgeschlagen und zu einer Veränderung gerathen will, fallen.
[Schwendi kommt nun zu einem weitausgreifenden historischen Exkurs. Er unterstreicht, daß es den „Teutschen“ seit zwei Jahrtausenden stets gelungen sei, sich ihre Freiheit zu erhalten, von den Römern ebenso wie gegenüber den Anmaßungen des Papsttums. Auch im Inneren, gegenüber den Kaisern, hätten sie sich diese alte, hergebrachte „hartte, freysame arth“ bewahrt, die Kaiser, Päpste und Konzilien hätten gar deren „innerlichen täglichen Privat-Krieg“ zulassen müssen—]
bis jetzo in den letzten hundert Jaren durch Mittel und sitherige Zeith und Manier zu leben und durch einführung der Lehr und Schulen, sonderlich aber durch Erfindung und Brauchsamkheit der Thruckerei und Bücher, dann auch durch hoch vernünfftiges Zuthun der letzten Kayser, solche alte hartte und zuviel freche teutsche Art ist gemildert und alles zu mehreren frieden, besserer Policey und gleichmessigeren Leben und wesen ist gebracht worden.
Aber darneben sind auch alsbalden andere Mängel Gebrechen und Corruptionen in gemein und Sonderhait mit eingefallen, dadurch die alte teutsche einfalt, Andacht und Biderkeit, dann auch Eyfer, einmütigkeit und gehorsam zu Handhabung gemeines Wesens und der Autorität des Reichs und teutschen Kayserthumb nicht wenig abgenommen.
Sonderlich haben die Teutschen dazumal auch angehoben die Augen besser aufzuthun und der Geistligkeit übermässigem Zwang und Trang und die zuviel öffentliche Missbreuche, Geitz und Betrug nit lenger stillschweigend und blind zusehen und gedulden wöllen, daher dann ervolgt, dass schier vor 100 Jahren gravamina Germanicae Nationis wider den Stuel zu Rom, wie die noch im Truck vorhanden, ausgangen sind.
[Schwendi erklärt die Reformation durch den wachsenden „widerwill“ der Deutschen gegenüber der Geistlichkeit, die den gemeinen Mann „ausgesogen“ habe; „zwen Dritteil oder drei Viertheil aller ligenden Güter und gülden“ seien an sie gekommen. Dann habe „Detzel’s leichtfertig und unverschambt Ablass Predigten und verkauffen“ das Feuer entfacht.]
Und dieweil die Ding ohne Zweifel aus gerechtem Urtheil Gottes von oben herab also versehen, dass sie zu weiterer enderung sollten einbrechen und fortgesetzt werden, ist alsbaldt bei Kayser Carols Regierung ein anderen Unrath im weltlichen Regiment darzugeschlagen, nemblich die Einmischung der frembden Nationen in den Reichs Regierungen, daraus dann baldt hernach zwey grosse Uebel und Schäden der teutschen Nation erfolgt, nemlich zum Ersten dieweil die Teutschen wie obgemelt von Natur und erster Herkommenheit der Freyhait ergeben und keine frembde Nation sich niemahls haben wöllen regieren und beherrschen lassen, dass sie einen heimlich Grollen und Widerwillen gegen ihres Herrn Kaisers Carol Regierung gefast haben.
[Die These der Entfremdung der „Teutschen Nation“ vom „spanischen“ Kaisertum Karls V. wird weiter ausgeführt. Karl sei zwar ein „theurer teutscher Held“ gewesen, jedoch von schlechten Beratern verführt worden. Insbesondere habe man ihn zu einer harten, kriegerischen Politik gegenüber den Lutherischen getrieben. Insgesamt habe sich kein Vertrauen zwischen dem Kaiser und den Deutschen entwickeln können – dem von Kurfürst Moritz von Sachsen angeführten ‚Aufstand‘ der protestantischen Fürsten habe schließlich „jedermann im Reich“ heimlich zugestimmt, die Passauer Vereinbarungen hätten allgemeinen Konsens gefunden.
In kritischer Lage habe Gott schließlich das „Hertz“ Ferdinands erregt, der den Weg des Religionsfriedens beschritten und vieler anderer Beschwerden Rechnung getragen habe – er habe sich „lieber an die Reichsstände, dann an seinen eigenen Herrn und Bruder hengen wöllen“. Durch Ferdinands „aufrichtige und gleichmäßige“ Regierung sei das Reich befriedet worden. Der Religionsfrieden erscheint als Element der Stabilität. Schwendi erinnert dann den Kaiser an den Beginn seiner eigenen Regierung. Man habe]
von Jugend auf ein guet teutsch aufrichtiges Hertz bei E. M. gespürt, das gemeiner Wohlfahrt und Frieden des Vaterlandes vor allen anderen zugethan und geneigt und in Religionssachen keiner erbitterten Parteilichkeit ist verdacht gewesen und […] insonderheit gespürt, dass E. Kay. Mt. kein frembden Nationen viel Platz und Staat in Ihrem Hof und in Ihrer Regierung zu geben gemaint sey.
[Durch die Einführung des spanischen Regiments und den Krieg in den Niederlanden nehme indessen das Mißtrauen gegenüber der kaiserlichen Politik wieder zu – die Deutschen wollten ihre „alte Art und Eigenschaft“ bewahren und keine „frembde Nation oder Regiment“ gern dulden.]
Darzu denn auch bei den Evangelischen oder Lutherischen ein grosser Spornstreich ist, dass ihnen woll bewusst, dass diese Leute ihre Religionsverwandten und sie verhasster und erger achten denn Heyden, Juden und Türcen und dass sie bei ihnen selbst darfür halten, sie thun ein Gotteslohn, da sie dieselbigen zum greulichsten verfolgen, verderben und austilgen, wie dann solches der greuliche Process im Niederland genugsam zu erkennen gibt.
[Bei den „neuern Religionsverwandten“ wüchsen die Befürchtungen vor kriegerischen Aktionen selbst durch den Kaiser. Anlaß zum Argwohn gebe die einseitige Bevorzugung von Katholiken, so die Bevorzugung von Katholiken bei der Vergabe von Ämtern, der spanische „Stil“, der in Wien gepflogen werde, und anderes mehr. So stehe zu befürchten, daß sie ihrerseits Gegenmaßnahmen träfen.]
Andertheil sind die Catholischen ebenso wohl nit zufrieden und je voller Misstrauen als die anderen. Denn erstlich legen dieselben gleichfalls E. Mt. nit wol aus, dass sie ihrem Erachten nach keinen sondern Vorsatz und Ziel in Religionssachen erzeigt und gebraucht, und dass Sie Ihren Unterthanen darinnen so viel nachgeben. Item, dass Sie auch sonst jetzt einem, jetzt anderm Theil beifällig machen.
Und dieweil E. Mt. den Stuhl zu Rom nit durchaus anhengig ist, hat E. Mt. leicht abzunehmen, wie gross der Will und Genugthuen und Vertrauen bey ihm und seinem Anhang sein kann, dann man daselbst alle Neutralität schier nicht weniger hasst und nicht viel besser achtet, denn öffentlichen Abfall und Ketzerei.
Daneben ist die Gegeneinbildung bei ihnen ganz stark und gross, nämlich: dass der neuen Religionsverwandten Gemüth und Vorhaben dahin stehet, wie sie ihre Religion immer weiter fortsetzen und die Catholischen vollends unterdrücken, item die Geistlichkeit gar von ihren Stiften und Gütern stossen mögen.
Und weil sie diesfalls auch dafür halten, dass sie so viel Schutz, Hilfe und Wirken bei E. Mt. nit zu erhoffen und zu gewertigen, als sie wohl sollten und wollten, so ist leicht zu achten, dass sie unter sich selbst zusammen setzen, auch vielleicht etwo obangeregten fremden Verständnuss, Vertröstung und Verhengung desto mehr Platz geben.
Aus allen oberzelten und viel andern, so von Kürtze wegen und dass Niemandt dadurch offendirt werde, zumeldten unterlassen wirdt, hat E. Mt. den jetzigen Standt und Wesen des Reichs und die innerliche Verletzung und Zertrennung der Gemüther woll abzunehmen und leicht zu urtheilen, dass bei diesen läuffen leicht könne etwas entzwischen kommen, dass bey einen oder andern theil das glossent Feuer, gleich wie ein gäher Wind entzündet und aufbliese und also das Reich darüber in eusserste Gefahr und Noth gesetzt werden möchte; dann da die Ding sollten einmal zur thätlichkeit und innerlichen Kriegen gerathen, was für ein jemmerlich Wesen würde daraus ervolgen, und wie würden die frembden Nationen Oel ins Feuer giessen, damit wir einander selbst aufmetzerten und letztlich ihnen und den Türken, der solche Gelegenheit auch nit verschlafen würdt, in ihre Hände und ihren Rachen gerieten.
Und haben die Ding auch darumb mehr desto mehr Gefahr auf sich, dass man beiderseits dermassen im Reich gefasst, dass nit vermuthlich, dass ein theil den andern, ohne gemain verderben, austilgen werden möge. Und da man auf dem einen Theil sich frembde Hilff und Anhang würde brauchen, so würde der ander theil nicht weniger dazu bedacht sein.
Nun aber sein alle Königreich und Lender, je und allwege durch innerliche zertrennung und frembde Hilff zu grund gangen und haben derselben auch diejenigen wenig oder nit lang genossen, die sie erstlich zu sich gefordert.
[Am meisten von einem solchen Krieg getroffen würde die Geistlichkeit.]
Die Truckerey hat der Welt die Augen zum Guten und Bösen aufgethan, die Heimligkeit vieler Ding und sonderlich vill Missbräuche in Religionssachen entdeckt, welches alles den Leuten wieder zuzudecken und aus den Herzen zu bilden oder mit forcht und straff daraus zu zwingen nit möglich, und will sich die Welt nicht mehr durch Einfalt, Unwissenheit und allein durch eusserliche Disciplin und Ceremonien wie vor alten Zeiten führen, leiten und zwingen lassen, sondern in der Religion gründlicher und vollkommener Unterricht geführt und gelehrt werden wöllen.
[Der Heilige Stuhl habe sich gegenüber den Mahnungen der Kaiser zu Reformen als intransigent erwiesen und so neue Ressentiments geweckt. Mit Mitteln der „Tyranney und des Schwerts“, durch „allerley geschwinde Practica“ habe Rom die Potentaten und Obrigkeiten dazu anzustiften versucht,]
mit gewalt und Tyranney die lutherischen Ketzer als die erger dann Juden, Türken und Heyden verfolgen und austilgen [zu] sollen.
[Die Entfremdung nehme zu, die Katholiken könnten selbst ihren Untertanen nicht mehr trauen.]
Der Adel ist fast durchaus im Reich unter katholischen und lutherischen Obrigkeiten der geenderten Religion zugethan, und wo sie es nit öffentlich sein dörffen, so sind sie es doch heimlich, in gemüthern, oder ist schon eintheil der römischen Religion noch anhengig, so ist es doch ein kalt, halb Werk und wenig Eyfers dahinden. Die Alten, so noch mit Andacht und Eyfer dahin geneigt, die sterben täglich hinweg. Die Jugent aber kann man nicht also zügeln, sondern da man schon vleiss dabey thuet, so wils doch bei diesen Zeiten und Exempeln und Gemeinschaften nit helfen.
Zu dem so reisst solche verenderung unter den Geistlichen selbst ebensowohl ein, also findt sich auf den Stiften an mehrer Orten, das ein guter Theil der Domherren der augspurgischen Confession heimlich zugethan sein und dass die Anderen auch je lenger je mehr neutral und kalt werden, und dass sich schier Niemand unter ihnen umb seinen Beruff und den geistlichen Stand annehmen will, sondern ist das meiste umb die Niessung der feisten Pfründen und das gut müssig Leben zu thun.
So ist solches mit dem gemeinen Manne fast durchaus also, daß er von dem alten Thun und Ceremonien der römischen Geistlichkeit nit mehr helt, dann so weit er von seiner Obrigkeit darzu angehalten wirdt, und sieht man fast überall, wann die Predigt aus ist, dass das Volk aus der Kirche lauft, item, dass vast überall, auch in den catholischen orthen, die Leut ihr sondere evangelische Bücher haben, darin sie zu haus lesen, und einander selbst predigen und lehren, item, so findet man aus Erfahrung, da man schon die geenderte Religion wieder abgestellet und die catholische angerichtet, als zu Costnitz und anders mehr, dass man doch auch durch sonder fleissig zuthun der Geistlichen in so langen Jahren die Gemüther nit wieder gewinnen und der römischen Religion anhengig machen kann.
So hat auch solches bisher weder im Niederlandt noch in Frankreich kein Gewalt, obsieg, Straff noch Tyranney zuwege bringen, und da man sich schon ein Zeit lang drücke und leide, so brennen doch inwendig die Gemüther und warten und hoffen auf ein besere Zeit und Gelegenheit und wöllen eher das eusserste darüber zusetzen.
[Rom erweise sich als unfähig zur Reform. Der Heilige Stuhl gehe so weit,]
dass er so gar dem armen gemeinen Mann, die christlichen Gebet und die Bücher des Evangely und Gottes wort in seiner Sprache, an denen Orten, da er Gewalt und Obhandt haben mag nit will zulassen, sondern unterstehet ihm, bey Verlust des Lebens und des guts dahin zu dringen und zu zwingen, dass er seinen lieben Gott in einer frembden Sprache muss anbeten, und weiss nit was er bittet und vermeint also nochmals die Religion allein durch Unwissenheit und mit eusserlicher Andacht, Zucht und Ceremonien zu erhalten und wieder zu bringen, da doch die Grundfeste unsers christlichen Glaubens und Heils nit auf eusserlichem schein und Kirchendisciplin, sondern auf der Erkenntnis und Vertrauen an Gott stehet, und Christus selbst und seine Apostel und ihre Nachfolger die Gebet und das Wort Gottes in gemeiner Sprache allen Völkern verkündigt und gelehrt haben.
Darumb sichs denn abermals bei jetziger Welt destomehr ergern und stossen wirdt, und lesst sich desto mehr ansehen und muthmassen, dass die vorstehende Verenderung nit am Ende, sondern noch künftiglich wie in den vergangenen Jahren, fortschreiten und wirken werde, und dass Gottes heimlich Urtheil, Straff und Vorsehung mit fürlauffe.
[Der Verfall des Ansehens der Franziskaner und anderer Orden, des Ablasses, der Wallfahrten und anderer Einrichtungen zeige den Vertrauensverlust, den das „römische alte Wesen“ im vergangenen halben Jahrhundert erlitten habe. Es scheine unmöglich, zum Status quo ante zurückzukehren. Nicht einmal die Geistlichkeit trage das Ihre dazu bei; Karl V. und Ferdinand I. hätten bereits diese Erfahrung gemacht.]
Was soll dann jetzt nun Ew. Majestät thun? Hat sie mehr Beyfall der Zeit oder Gewalt oder andere Mittel und Gelegenheit, dann ihre Vorfahren dazu, oder spüren sie so grosse Volge und Besserung bei einem oder dem anderen Theil, oder soll sie sich dem Papst und anderen fremdten Nationen und Potentaten lassen bewegen, ihren unzeitigen grellen Anschlägen beizufallen, und stillschweigend zusehen und gedulden, dass sie ihre Practiken nach und nach, zu Zertrennung und Verderben des Reichs mögen einschleichen und inns Werk richten, oder soll sie denn darumb den Zaum aus den Händen lassen und sich ihres kayserlichen Ambts in nichten gebrauchen, und ohn alles Zuthun und Unterbauen alles lassen noch zu mehrer Confusion und Zerrüttung, und also zu endlichen Untergang gerathen?
Es hat Gott der Allmechtig E. Mt. die Augen Ihres Gemüths und Gewissens so weit aufgethan, dass Sie nit gar unwissend und blind der römischen Religion beyfellig ist, wie viel andere Potentaten, die nichts weiters sehen und wissen, denn Ihnen ihre Beichtväter zu verstehen geben. Sondern es weiss sich E. Mt. zu berichten, ob wir nun wol ein einige, wahre, unzweifelige Religion und Bekenntniss unsers Glaubens und Gottesdiensts haben, nemlich die alte, ungefelschte catholische apostolische Religion […], dass doch bey der römischen Kirchen die letzten Zeit hero viel Aberglauben, Abgötterey und Missbreuch eingerissen sein, also dass schier die gantze Religion auf eusserlichen Ceremonien, Kirchenzucht und der geistlichen Gewalt und Vortheil gerathen, und die rechte, wahre Lehr des heiligen Evangeliy und ungefelschten innerlichen Gottesdiensts untertrückt, verdunkelt und schier gar erloschen ist.
So ist E. Mt. gleichfalls, soviel die eingerissene Enderung in Religionssachen wider der römischen Kirche Missbreuch belangt, auch nit so verblendt, unwissend, und verbittert, dass Sie alles für Ketzerey erachtet und nur dahin, wie viel andere Potentaten, trachten und gedenken, wie man es ausrotten und vertilgen, und der römischen Kirchen Thun und Wesen ohne Unterschied gutheissen, erhalten, restituieren und wider aufrichten möge.
So kann Sie auch wol erkennen und urtheilen, was neben solcher Verenderung und unter desselben Schein und Deckmantel der Sectereyen freyer Will, Unordnung, Ungehorsam und Eingriff mit eingerissen und fürgelauffen sind, welchen allen mit nichten beyzufallen oder Recht zu geben.
[Gott habe dem Kaiser zu seinen Einsichten, zu seinem „gross Talentum“ verholfen, damit er viel „androhenden Verrats“ abwende, den Frieden im Vaterland sichere und für den religiösen Ausgleich arbeite. Er solle zeigen, daß er es „aufrichtig, reulich und väterlich“ meine. Wie ein Arzt solle er Zeit und Natur walten lassen, letztere Stärken und Schaden von ihr wenden, Vorkehrungen gegen drohendes Unheil treffen, wie man Dämme gegen Sturmfluten errichte. Wieder verweist Schwendi auf das Beispiel Ferdinands I.]
Darumb will vor allem von Nöthen sein, dass E. Mt. den Religions- und Landfrieden stet, fest, aufrichtig und unparteiisch hand habe, beide Theil zugleich, die Catholische und Evangelische, soweit jeder Fug und Recht hat […], damit bey den jetzigen gefehrlichen Lauffen das innerlich Misstrauen zu keiner Thätlichkeit und öffentlichen gewaltsam auspreche und diesfalls allen frembden und heimlichen Practicken aufs möglichste abgewehret werde.
Item, dass E. Mt. sich in diesem allen so väterlich, aufrichtig und unparteiisch erzeige, dass sie sich derowegen bei den Ständen in weitern Verdacht und Misstrauen nicht setze, sondern vilmehr dasselbige dadurch mildere und auslösche.
Dann da E. Mt. Vertrauen und Einigkeit unter den Ständen will pflanzen und wiederbringen, so muss sie nun zum ersten diesen Eckstein und dieses Fundament legen, dass sie ihr selbsten guten Willen und Vertrauen bei den Ständen verursache und mache.
Es ist E. Mt. beider Theil ordentliche Obrigkeit und ist ihr Ampt, sich wie ein guter Arzt zugleich umb die wolfahrt und erhaltung des gantzen Leibs des gemeinen wesens annehmen und nicht einem Glied wöllen die Hand bieten und das andere verdorren und verderben lassen.
[So solle Maximilian nicht den Ratschlägen fremder Potentaten folgen und sich nicht dem Verdacht aussetzen, er favorisiere die Katholischen.
Speziell in der niederländischen Frage legt Schwendi eine Zusammenarbeit mit dem Kurfürsten und den betroffenen Reichskreisen nahe, was auch des Kaisers Position gegenüber dem spanischen König stärke. Man müsse das Reich unbedingt vor der spanischen Macht bewahren.]
Und obwohl der König in Hispanien ein gerechter, frommer und christlicher König ist, der ohne Zweifel gegen menniglich nichts anderes denn gleiches und billiches vor hat und sucht, so kann er doch ewiglich nicht leben und hat man genugsam erfahren, was die spanische Nation gesinnet und im Schildt führt. […]
Aber neben diesem ist auch nit weniger von Nötten, anderer frembden Potentaten und Practiken halben im Reiche Aufsehen zu haben. Denn was die Franzosen zuvor und mit was Falsch und Geschwindigkeit sie umbgangen, ihres Theils die Teutschen zu unterhetzen und in Anhang und Parteyung zu bringen, das geben die vergangene und jetzige Zeiten zu erkennen, darzu ihnen dann jetzt die Verhassung gegen den Spaniern und allerley und misstrauen sonderlich gute gelegenheit und Mittel geben.
Auch feiert der Papst seinestheils nach nit, Oel ins Feuer zu giessen und dasselbige weiter unter den Teutschen anzuzünden, wie er dann unaufhörlich auf die Execution des trientischen Concili dringet und sonderlich dasselbig dahin deutet und einbildet, als sei der Religionfriede unrechtmässig und unchristlich angestellt und man sei ihn zu halten nit schuldig.
[Die Jesuiten würden „wie ein vergift Instrument“ gebraucht, um die innerdeutsche Zwietracht weiter zu schüren. Schon das Interesse des Kaisers, seine Nachfolge zu lösen, lege eine Ausgleichspolitik nahe, bedürfe er dazu doch der Zustimmung des Reiches. Das verpflichte auch zu ausgeglichener Besetzung der Hofämter – die Deutschen wollten einen Herrn haben, „der auf sie und das Reich sehe und wöllen auf ihr Art und nit auf spanisch regiert sein“. Doch sei dies alles nicht ausreichend. Die Wege der Gewalt oder des Konzils hätten sich als ungeeignet zur Überwindung der Glaubensspaltung erwiesen, und so bleibe keine andere Möglichkeit als „eine gleichmässige, gesammte und mit gemeiner Autoritet verpflichte und zugelassene Toleranz beider Religionen“ – und zwar auf der Grundlage des Status quo.]
Denn es aus oberzelten Ursachen je einmal an dem, dass nun das ergste zu gewartten, da es je in jetzigem Standt und wesen verbleiben und die Gemüther und Gewissen nicht anderst versichert und befriedigt werden sollen, und da die Obrigkeit nit bei Zeiten ein Einsehens hat, so wird doch die Zeit noch mehr Unordnung und gewaltsamer auch höchster Gefahr alles gemeinen wesens und der Religion Sachen selbst erzwingen.
Und wird ervolgen, das in den Wassergüssen pflegt zu geschehen, denen man nicht Raum gemacht und entgegen gebaut, dass sie nemlich mit grossem Schaden ausbrechen und Alles, was sie antreffen, zerreissen und verderben.
[Nochmals pocht Schwendi auf eine Politik der Toleranz.]
Dann durch dies Mittel würde E. Mt. Ihr bei den Teutschen, als die fast durchaus nach einer solchen Toleranz schreien und hoffen, ein gut Herz und Vertrauen machen und ihr unparteyisch friedliebend Gemüth zu erkennen geben, und werden alle diejenigen hochs und niedern Standes, die der geenderten Religion heimlich oder öffentlich anhengig, deren weit und ohne Vergleichung, wie zuvor gemelt, der mehrer Theil im Reich ist, darüber zum höchsten erfreuet und mit vollen und ganzen Herzen E. Mt. beifellig und anhengig und also auch E. Mt. Regierung, Autoritet und Gehorsam dadurch desto mehr gesterkt werden.
[Auf die Gegner einer solchen Politik brauche der Kaiser aus verschiedenen Gründen, die Schwendi kurz ausführt, keine Rücksicht zu nehmen. Sie werde zur Beruhigung beider Konfessionsparteien beitragen. Von der Grundlage einer solchermaßen gefestigten Autorität aus ließe sich die „Toleranz beider Religionen“ auf einem Reichstag festschreiben; die Gelegenheit sei gut, nur das Mißtrauen gegenüber der kaiserlichen Politik habe eine solche Lösung bisher verhindert. Andere Wege führten nur zu „Empörung und innerlichen Kriegen“. Eine solche Einigung auf Reichsebene würde es auswärtigen Staaten erschweren, sich in die deutschen Dinge einzumischen.
Nochmals wird die Gefahr eines Interregnums beschworen. Welche Schwierigkeiten ein Nachfolger ohne den friedlichen Ausgleich im Reich haben werde, müsse er, der Kaiser, sich an der Überlegung klarmachen, wie er ohne die Richtschnur des Augsburger Religionsfriedens wohl hätte regieren können. Schwendi gibt zu bedenken, daß des Kaisers Söhne und Nachfolger mit dem Fortschreiten der Glaubensspaltung vielleicht jene Kenntnisse in Religionsangelegenheiten, die den Vater als Ausgleichspolitiker prädestinieren, nicht mehr haben könnten. Er erinnert daran, daß selbst der mächtige Karl V. sich im Reich nicht habe durchsetzen können, was bei den Nachfolgern ebenfalls zu befürchten sein werde.]
Zudem werden sie auch ihrer eigenen Unterthanen halber (sie erzeigen sich denn anderst und lassen ihnen die Religion frey) Gefahr, Abfall und Entpörung gewarten. Wollen sie sich dann an die Catholischen oder Geistlichen und die frembden Potentaten hängen und bey ihnen Hilff suchen und innerliche Krieg erregen, oder lassen statt haben, so würdt eben das Feuer angezündet, und der Jammer und Noth in unserem Vaterland ervolgen, dass, wie obgemelt, durch E. Mt. väterlichs Zuthun soll und möchte abgewendet werden.
Und wird doch auch diesfalls die gefehrlichkeit und Misslichkeiten fürfallen, die droben angeregt und vermeldt sein und endlich die Verenderung der Religion mit gewalt nit zu zwingen und zu dämpfen sein.
Dass wirdt aber daneben das ergste sein, dass E. Mt. Nachkommen über alle andere Gefahr vom Türken, und vielleicht andern mehr Feinden, die solche Vortheil nit werden wollen versäumen, alsdann auch angefochten, bekriegt und aufgefressen werden.
[Schwendi warnt vor den Folgen für das Haus Habsburg, sollte es die Kaiserkrone verlieren.
Er unterstreicht, daß Toleranzpolitik eine Sache des Gewissens sei. An der Sorgfalt, die der Kaiser hier walten lasse, hänge das Schicksal des Vaterlandes:]
Und da Sie es nit mit rechtem Ernst und Eyfer thuet, mag Sie wol gewiss sein, dass Gott ein Straff über Sie und Ihre Nachkommen würde gehen lassen, dass auch das gemeinsame Vaterland solche Schuld jemmerlich würde müssen büssen und dass es in Ewigkeit noch über E. Mt. schreyen würdt.
Und ob wol solche Toleranz beiden Religionen nicht die rechte Regel und der ordinary Weg in den Regiment ist, sondern eben das ist, dass der Stuhl zu Rom und sein Anhang zum höchsten widersicht und sonderlich fürgeben wirdt: es könne nichts Gute in die lenge daraus erfolgen noch kein ordenlich fridlich Regiment dabey bestehen, so hat es doch die Meinung gar nicht, würde auch dahin nicht gemeinet, dass es eben ewig bei solchem Mittel bestehen und bleiben müsse und solle, sondern es ist allein ein Nothweg und Aufenthalt gemeiner wesens und fridens in unserem Vaterland, da dardurch eussersten androhenden Unrath und Verderb zu wehren, bis Gott der Herr andere und bessere Gelegenheit und Mittel an die Handt schickt.
[Schwendi fordert eine Realpolitik, die den Notwendigkeiten Rechnung trägt. Mit der Zulassung der Toleranz bei der Religion, fährt er prophetisch fort, sei es so,]
dass sie die Noth und Zeit je lenger je reifer macht und erzwinget, und dass sie entweder mit ordentlichem Zuthun der Obrigkeit und gemeiner Autoritet auf gezimbte Weis und Mass soll und muss bey Zeiten geschehen, oder aber dass man zusehen und gewarten muss, dass sie mit mehr Ungehorsam, Zerrüttung und Entpörung innerlichen Kriegen selbst einreissen und durchdringen und das gemein wesen in ein Haufen stossen werde.
[Schwendi führt historische Beispiele dafür an, daß die Umstände immer wieder die Tolerierung anderer Religionen neben dem Christentum erzwungen hätten. Neben einem Reichstag erwähnt er auch ein Nationalkonzil als Instrument zur Neuordnung der religiösen Angelegenheiten.]
Und wie man pflegt zu sagen: kompt Tag, so kombt auch Rath, also werden die künftige Zeiten immerzu zeigen, wie den Sachen weiter Rath und Besserung möge geschaffen werden, da allein das gemein wesen aufrecht bleibt und die Obrigkeit getreue Sorg und Eyfer hat, dem gemeinen Obligen zu helfen; dann also ist nimmer an Gottes Gnade und Handbietung zu verzweifeln.
Bitt demnach E. Mt. unterthenigst, Sie wöllen alles so obgemelt, zu Gnaden und im Besten verstehen und aufnehmen, und es nit dafür achten, dass ich aus Vorwitz und Vermessenheit mich in diese grosse Sache einmische, sondern dass es allein aus unterthenigsten treuen Herzen und Eyfer, den ich zu E. Mt. als meiner natürlichen, höchsten und liebsten Obrigkeit und dem Vaterland habe und haben soll, und darumb beschieht, dass E. Mat. des jetzigen Wesen und Thuns rundt und öffentlich erinnert werde, und desto mehr Ursache habe, den Sachen weiter nachzudenken und zu helfen, und das Besser daraus zu kiesen und zu wehlen.
Und thue mich E. Mat. daneben unterthenigst bevelhen.
Datum den 15. Mai A. 1574.
Quelle: Eugen v. Frauenholz, Des Lazarus von Schwendi Denkschrift über die politische Lage des Deutschen Reiches von 1574, herausgegeben von Eugen v. Frauenholz. München: Beck, 1939, S. 5–38 (Münchener Historische Abhandlungen. Zweite Reihe: Kriegs- und Heeresgeschichte. H. 10); abgedruckt in Bernd Roeck, Hrsg., Gegenreformation und Dreißigjähriger Krieg 1555–1648. Deutsche Geschichte in Quellen und Darstellung, herausgegeben von Rainer A. Müller, Band 4. Stuttgart: P. Reclam, 1996, S. 58–73.