Quelle
Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vor dem Bundesrat
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Ein der Rechtsauffassung unserer Zeit entsprechendes Familienrecht kann nicht mehr von der Vorrangstellung des Ehemannes und einer einseitigen Festlegung der „Rolle der Frau“ ausgehen. Im Entwurf sind deshalb gleiche Rechte und Pflichten der Ehegatten für die Familienaufgaben und die Erwerbstätigkeit vorgesehen. Besonders sichtbaren Ausdruck findet diese eheliche Partnerschaft in den Vorschlägen zur Neuregelung des Namenrechts. Hierbei soll nicht nur ein Mindestmaß an Gleichberechtigung erfüllt werden. Vielmehr ist es das Ziel des Entwurfs der Bundesregierung, mit der Zulassung des Doppelnamens den Ehegatten zu ermöglichen, die Partnerschaft in der Ehe nach außen erkennbar zu machen. Durch die Verpflichtung der Verlobten, bei der Eheschließung eine Erklärung über ihren künftigen gemeinsamen Namen abzugeben, soll sichergestellt werden, daß sie sich in jedem Fall der gesetzlichen Möglichkeiten bewußt werden.
Neuordnung des Scheidungsrechts
In Zukunft soll die Scheidung einer heillos zerstörten Ehe im Interesse der in sie verstrickten Menschen grundsätzlich möglich sein, ohne daß nach einem Verschulden geforscht wird. Daneben erwartet die Bundesregierung von der Einführung des Zerrüttungsprinzips eine Versachlichung des Scheidungsverfahrens und die Wiederherstellung der Wahrhaftigkeit im Eheprozeß. Um dieses Ziel besser zu erreichen, sollen neben den Grundtatbestand des „Scheiterns der Ehe“ zwei weitere Tatbestände treten, wonach das Scheitern nach einem einjährigen oder – im Falle der streitigen Scheidung – nach einem dreijährigen Getrenntleben der Ehegatten gesetzlich vermutet wird. Eine Härteklausel soll in Ausnahmefällen den Richtern erlauben, die Scheidung einer gescheiterten Ehe solange zu versagen, wie die Scheidung den Antragsgegner besonders hart treffen würde.
Unterhalt nach der Scheidung
Auch das Unterhaltsrecht soll vom Verschulden am Scheitern der Ehe gelöst und auf rein wirtschaftliche und soziale Erwägungen gestützt werden, um grobe Ungerechtigkeiten des geltenden Rechts zu beseitigen. Unterhalt soll der Ehegatte beanspruchen können, der nach der Scheidung wegen der Erziehung eines Kindes, wegen seines Alters oder wegen Krankheit nicht selbst für sich sorgen kann. Ein Übergangsunterhalt ist in jedem Falle so lange vorgesehen, bis ein Ehegatte nach der Scheidung eine für ihn angemessene Erwerbstätigkeit findet.
Ausbildungschancen, die im Zusammenhang mit der Ehe versäumt wurden, sollen künftig durch einen Unterhaltsanspruch für die Dauer der Fortbildung ausgeglichen werden.
Das neue Recht ist von dem Gedanken getragen, daß der Unterhalt nach Möglichkeit dazu dienen soll, dem sozial schwächeren Ehegatten eine Starthilfe für eine seiner Persönlichkeit entsprechende eigenständige wirtschaftliche Existenz zu geben und berufliche Nachteile, die ein Ehegatte um der Ehe und Familie willen in Kauf genommen hat, wieder zu beseitigen. Andererseits soll einem geschiedenen Ehegatten der soziale Status der Ehe gesichert bleiben, an dessen Schaffung er regelmäßig selbst aktiven Anteil genommen hat. Welche Erwerbstätigkeit einem geschiedenen Ehegatten zuzumuten ist, richtet sich deshalb auch nach den ehelichen Lebensverhältnissen; für das Maß des Unterhalts sind aus demselben Grunde ebenfalls die ehelichen Lebensverhältnisse maßgebend.
Mit dem Vorrang des Unterhaltsanspruchs des geschiedenen Ehegatten wird verhindert, daß sein Anspruch durch eine neue Eheschließung des Verpflichteten geschmälert werden kann. Diese Regelung macht die Erstreckung der Härteklausel auf wirtschaftliche Nachteile der Scheidung überflüssig.
Versorgungsausgleich
Der neuartige Versorgungsausgleich soll eine gleichmäßige Beteiligung geschiedener Ehegatten an den während der Ehe von ihnen erworbenen Anrechten auf eine Alters- und Invaliditätsversorgung gewährleisten. Die Regierungsvorlage dehnt die Grundsätze des Zugewinnausgleichs, die sich seit 1958 bewährt haben und die einer partnerschaftlichen Ehe entsprechen, auf die Versorgungsanwartschaften der Ehegatten aus. Damit soll die soziale Sicherung des Ehegatten erhöht werden, der eine eigene berufliche Entwicklung und die damit verbundene eigene Alters- und Invaliditätsvorsorge aufgibt, um sich der Familie zu widmen.
Der vorliegende Gesetzentwurf bildet den ersten Teil eines in sich zusammenhängenden Reformwerkes, das außer dem materiellen Ehe- und Familienrecht das Verfahren in Ehesachen und Änderungen des Sozialversicherungsrechts umfaßt. Alle Teile sollen gleichzeitig in Kraft treten. Die noch ausstehenden Änderungen des Verfahrensrechts und des Sozialversicherungsrechts werden in getrennten Vorlagen alsbald eingebracht werden. Sie den gesetzgebenden Körperschaften zusammen mit dem heute zu beratenden Entwurf vorzulegen, war, ich bedauere das selbst, leider nicht möglich; andernfalls wäre das Vorhaben der Bundesregierung, die Reform noch in dieser Legislaturperiode zu verwirklichen, gefährdet worden.
Zum Verfahrensrecht steht im Bundesministerium der Justiz ein Gesetzentwurf unmittelbar vor seiner Fertigstellung. Er soll den Landesjustizverwaltungen demnächst übersandt und mit ihnen erörtert werden. Der Entwurf baut auf folgenden Grundzügen auf:
1. Für den Scheidungsausspruch und die Regelung der Scheidungsfolgen ist ein und dasselbe Gericht – Familiengericht – zuständig. Das Familiengericht wird als eine besondere Abteilung beim Amtsgericht gebildet.
2. Über das Scheidungsbegehren und die Folgeregelungen soll gemeinsam verhandelt und zur gleichen Zeit entschieden werden. Die Abtrennung von Folgesachen zur gesonderten Erledigung soll nur unter engen Voraussetzungen möglich sein.
An Folgeregelungen, über die das Familiengericht mitzubefinden hat, werden insbesondere erfaßt:
die Zuteilung der elterlichen Gewalt über gemeinsame
Kinder,
die Entscheidung über das Besuchsrecht,
der
Kindesunterhalt,
der Unterhalt des geschiedenen
Ehegatten,
der Zuspruch eines Versorgungsausgleichs,
die
Teilung des Haushalts.
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Quelle: Entwurf eines Ersten Gesetzes zur Reform des Ehe- und Familienrechts vor dem Bundesrat, 9. Juli 1971; abgedruckt in Arnold Harttung et al., Hrsg., Willy Brandt, Zum sozialen Rechtsstaat. Reden und Dokumente. Berlin, 1983, S. 176–78.